Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 19.05.2005
Aktenzeichen: 7 U 82/04
Rechtsgebiete: StVG, PfiVG, BGB


Vorschriften:

StVG § 3
PfiVG § 7
BGB § 23
Die ungewöhnliche Häufung von Beweisanzeichen, die für eine Unfallmanipulation sprechen - hier: Art der beteiligten Fahrzeuge; Unfallzeit und -ort; Motivation der Beteiligten; Plausibilität der Angaben der Unfallbeteiligten - lässt den Schluß auf eine Unfallverabredung zu.
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Urteil Im Namen des Volkes

7 U 82/04

verkündet am: 19. Mai 2005

In dem Rechtsstreit

hat der 7. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 21. April 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 29. September 2004 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Kiel wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

Der Kläger nimmt die Beklagten gesamtschuldnerisch auf materiellen und immateriellen Schadensersatz aufgrund einer Kollision zwischen seinem von ihm geführten Pkw Mercedes Benz E 240 Classic und dem vom Beklagten zu 1. angemieteten, der Beklagten zu 2. gehörenden und bei der Beklagten zu 3. gegen Haftpflichtschäden versicherten Lkw mit dem amtlichen Kennzeichen HH-KS 7551 in Anspruch. Die Kollision, die nach Auffassung des Klägers ein Unfall war, ereignete sich am 13. Juli 2003 gegen Mitternacht in Neumünster im Bereich der Einfädelspur der Boostedter Straße auf die Bundesstraße 205.

Das Fahrzeug des Klägers stand zuvor im Eigentum seiner Schwägerin, es wies Vorschäden aus, unter anderem einen solchen, bei dem der gesamte Heckbereich einschließlich der Hinterachse in Mitleidenschaft gezogen war. Nach Behauptung des Klägers seien sämtliche Vorschäden ordnungsgemäß repariert gewesen. Der Kläger, der das Fahrzeug unrepariert nach der Kollision vom 13.07.2003 veräußert hat, will den materiellen Schaden auf Gutachtenbasis abrechnen. Die Beklagten zu 2. und 3. bestreiten die ordnungsgemäße Beseitigung der Vorschäden, sie bestreiten weiterhin, dass die vom Kläger der Kollision vom 13.07.2003 zugeordneten Schäden auf eben dieser Kollision beruhten; weiterhin sind sie der Auffassung, bei dieser Kollision habe es sich nicht um einen Unfall im Rechtssinne behandelt und behaupten ein mit dem Beklagten zu 1. verabredetes Geschehen.

Das Landgericht hat die auf Zahlung von 8.829,45 € materiellen Schadensersatzes sowie eines in das Ermessen des Gerichts gestelltes angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 400,00 € gerichtete Klage im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass der Kläger nicht hinreichend dargelegt habe, dass die vorhandenen Vorschäden ordnungsgemäß repariert worden seien.

Wegen der tatsächlichen Feststellungen im einzelnen wird auf das angefochtene Urteil nebst darin enthaltener Verweisungen Bezug genommen. Der Senat hat ergänzend den Kläger und den Beklagten zu 1. persönlich angehört; darüber hinaus wurde der Beklagte zu 1. als Partei vernommen. Wegen des Inhalts der Anhörung sowie der Beweisaufnahme wird auf den Berichterstattervermerk über den Termin vom 21. April 2005 verwiesen.

Die zulässige Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlichen Anträge weiter verfolgt und auf deren Zurückweisung die Beklagten zu 2. und 3. - die Beklagte zu 3. auch als Nebenintervenientin des anwaltlich nicht vertretenen Beklagten zu 1. - antragen, ist unbegründet. Im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht die Klage abgewiesen.

Zwar greift die im Sinne von § 513 Abs. 1 ZPO beachtliche Rüge des Klägers, das Landgericht hätte die Klage nicht ohne Erhebung des von ihm angebotenen Beweises über die ordnungsgemäße Beseitigung der Vorschäden abweisen dürfen, durch; der Kläger hatte sich mit Schriftsätzen vom 17.05. und 25.08.2004 zum Beweis dafür, dass es sich bei den im Schadengutachten vom 17.07.2003 ausgewiesenen Schäden allein um Schäden handelt, die dem Geschehen vom 13.07.2003 zuzuordnen seien, auf das Zeugnis des Dipl.-Ing. Andreas Sofokleus bzw. des Dipl.-Ing. Waldemar Reisig sowie auf ein Sachverständigengutachten bezogen. Mehr musste und konnte der Kläger nicht vortragen, um eine Beweisaufnahme über die Frage der Beseitigung der Vorschäden zu erreichen.

Im Übrigen konnte der nach Auffassung des Landgerichts mangelhafte Vortrag des Klägers insoweit nicht zugleich die Abweisung der geltend gemachten Schmerzensgeldansprüche rechtfertigen.

Gleichwohl hat das Landgericht die Klage im Ergebnis zutreffend abgewiesen, denn die geltend gemachten Ansprüche insgesamt stehen dem Kläger unter dem Gesichtspunkt der Einwilligung in die Schädigung ("manipulierter Unfall") nicht zu. Dass es sich bei der Kollision nicht um einen Unfall im Rechtssinne, mithin um ein plötzliches, von außen kommendes Ereignis gehandelt hat, haben die Beklagten zu 2. und 3. sowohl erstinstanzlich als auch im Berufungsverfahren behauptet. Beweisbelastet für eine Unfallmanipulation sind die Beklagten zu 2. und 3. - die Beklagte zu 2. zugleich als Nebenintervenientin des Beklagten zu 1. - ; da aber regelmäßig dem im Haftpflichtprozess verklagten Versicherer der Einblick in Motivation und Verhalten eines Anspruchsstellers fehlt, kann der Beweis einer Unfallmanipulation im Einzelfall durch den Nachweis einer ungewöhnlichen Häufung von Beweisanzeichen, die für eine Unfallmanipulation sprechen, erbracht werden.

Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Kläger in die Beschädigung seines Fahrzeuges eingewilligt hat, wobei zur Überzeugungsbildung lediglich eine Gewissheit erforderlich ist, die vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, nicht hingegen eine mathematisch lückenlose Gewissheit.

Die Überzeugungsbildung des Senats gründet sich - neben dem persönlichen Eindruck insbesondere des Klägers, den der Senat aufgrund der persönlichen Anhörung gewonnen hat - auf eine Vielzahl objektiver Beweisanzeichen, die in der Gesamtschau dazu führen, dass es sich um einen gestellten "Unfall" gehandelt hat:

Die Kollision ereignete sich mitten in der Nacht und zudem an einer Stelle, an der mit unliebsamen Zeugen, die dem verabredeten Geschehen ihre Aufmerksamkeit schenken würden, nicht zu rechnen war. Kläger und Beklagter zu 1. konnten davon ausgehen, dass Fahrzeuge, die sich auf der Bundesstraße 205 befanden, nicht wegen einer Kollision auf einer Einfädelspur anhalten würden, wenn sie sie denn überhaupt bemerkten.

Ein gewichtiges Indiz für einen gestellten Unfall ist die Art der beteiligten Fahrzeuge. Auf der einen Seite ein älteres, gleichwohl noch hochwertiges Fahrzeug der gehobenen Klasse, nämlich ein Mercedes Benz E 240 Classic, auf der anderen Seite ein nur für kurze Zeit vom Beklagten zu 1. angemieteter Transporter. Letzteres ist ein typisches Indiz für einen verabredeten Unfall, weil der Schädiger keinen materiellen Eigenschaden erleidet, der Schaden an dem geschädigten Fahrzeug sehr groß ist und der Schädiger bei einem kleinen Lkw nur ein geringes eigenes Verletzungsrisiko trägt. Hinzu kommt, dass der Beklagte zu 1. auch vor dem Senat plausibel nicht darlegen konnte, warum er den Lkw überhaupt angemietet hatte. Seine Angaben, er habe bei einem Bekannten Möbel abholen wollen, der früher als mitten in der Nacht nicht zu Hause gewesen sei, hält der Senat für eine reine Schutzbehauptung, konnte der Beklagte zu 1. die Person, von der er vermeintlich Möbel kaufen wollte, weder unmittelbar nach dem Unfall in seiner Schadensanzeige gegenüber der Beklagten zu 2. noch vor dem Senat im einzelnen genau bezeichnen. Während er in seiner Schadensanzeige einen "Jürgen Wulf" als Möbelverkäufer angegeben hatte, hat er vor dem Senat von einem "Juri" gesprochen, dessen Nachnamen er vergessen haben wollte. Erst auf Vorhalt gab er dann an, "Juri" und "Jürgen Wulf" seien personenidentisch.

Auch die Anwesenheit des Klägers zum "Unfallzeitpunkt" am Kollisionsort ist wenig plausibel. Der Kläger hat angegeben, er sei zuvor in Neumünster am Bahnhof gewesen, um dort einen Freund abzuholen, der aber gar nicht gekommen sei. Nähere Angaben konnte oder wollte der Kläger, der auf diese Nachfrage offensichtlich nicht vorbereitet war, hingegen nicht machen.

Die finanzielle Motivation des Klägers zu einer Unfallverabredung liegt für den Senat auf der Hand. Der Kläger war bei Erwerb des Fahrzeuges und auch zum Zeitpunkt der Kollision Sozialhilfeempfänger, objektiv betrachtet konnte er sich ein derartiges Fahrzeug gar nicht leisten. Typischerweise hat er den Wagen nach dem "Unfall" unrepariert veräußert, wobei er allerdings nicht sicher angeben konnte, welchen Kaufpreis - 7.000,00 oder 7.500,00 € - er erzielt hat. Seine Angaben darüber, wie er den Kaufpreis für das Fahrzeug aufgebracht haben will, sind darüber hinaus widersprüchlich und letztlich auch nicht nachvollziehbar. Einerseits (Vortrag erster Instanz) soll der Wagen aus erspartem Geld und dem Verkauf eines Altfahrzeuges bezahlt worden sein, andererseits - so in seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat - will er von einem Verwandten 10.000,00 € geliehen haben. Selbst wenn man zugunsten des Klägers von Verständigungsschwierigkeiten mit seinem erstinstanzlichen Anwalt ausgeht, liegen zwischen diesen Behauptungen doch solche Differenzen, dass sie mit sprachlichen Schwierigkeiten nicht mehr erklärlich sind. Jedenfalls wäre die vom Kläger beabsichtigte Abrechnung auf Gutachtenbasis für ihn von erheblichem finanziellen Interesse gewesen. Dabei kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass das Fahrzeug des Klägers schon zuvor - wenn auch bei seiner Schwägerin - eher dubiose Vorschäden erlitten hatte, die - insoweit unstreitig - ebenfalls auf Gutachtenbasis jeweils abgerechnet worden sind, wobei hinzu kommt, dass das Fahrzeug (Anlage B 24) mehrfach über längere Zeiträume stillgelegt war, um sodann in Schadenfälle verwickelt zu sein; die Beklagten zu 2. und 3. sprechen damit nicht ohne Grund von einem "leidgeprüften" Mercedes.

Dem steht nicht entgegen, dass Kläger und Beklagter zu 1. - letzterer auch in seiner Parteivernehmung - eine Unfallverabredung bestritten haben, zudem sich vor der Kollision nicht gekannt haben wollen.

Die Unfallverabredung als solche steht aufgrund der geradezu überwältigen Beweisanzeichen fest, einer persönlichen Bekanntschaft zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 1. bedurfte es zu dieser Verabredung, die durchaus auch über Dritte erfolgen konnte, nicht.

Dass dem Kläger damit auch im Hinblick auf seine Einwilligung in das Unfallgeschehen ein Schmerzensgeld nicht zusteht, ergibt sich aus dem Vorstehenden. Damit kommt es auch nicht darauf an, dass der Kläger bereits vor Klagerhebung die materielle Schadenersatzansprüche in Höhe der Gutachterkosten abgetreten hatte, somit insoweit gar nicht mehr Anspruchsinhaber war.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1, 708 Nr. 10 und 713 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.



Ende der Entscheidung

Zurück