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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 21.08.2008
Aktenzeichen: 7 U 89/07
Rechtsgebiete: StVG, BGB, StVO


Vorschriften:

StVG § 18
StVG § 9
BGB § 254
StVO § 8
Bei einer Kollision zwischen einem vorfahrtsberechtigten PKW und einem Radfahrer haftet der Radfahrer voll, wenn allein ein grober Vorfahrtsverstoß des Radfahrers feststeht, hingegen keine gefahrerhöhenden Umstände auf Seiten des PKW-Fahrers.
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

7 U 89/07

verkündet am: 21. August 2008

In dem Rechtsstreit

hat der 7. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 17. Juli 2008 durch den Einzelrichter für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 13. November 2007 verkündete Urteil des Einzelrichters der 12. Zivilkammer des Landgerichts Kiel wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch den Beklagten gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe:

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen.

Der Kläger nimmt den Beklagten auf materiellen und immateriellen Schadensersatz sowie Feststellung der umfassenden zukünftigen Ersatzpflicht aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 3. September 2005 gegen 11.00 Uhr in B, Einmündungsbereich Hstraße/E-Straße in Anspruch.

Der Kläger befuhr unmittelbar vor dem Unfall mit einem Fahrrad nebst Anhänger die untergeordnete E-Straße, er wollte nach links auf die bevorrechtigte Hstraße abbiegen. Der Beklagte befuhr als Fahrer des Pkw VW Golf, amtl. Kennzeichen ...- aus Sicht des Klägers von links kommend - die Hstraße, in der im Bereich der Unfallstelle eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h gilt. Zur Kollision kam es, als der Kläger hinter einem aus der Hstraße in die E-Straße einbiegenden Pkw in die Holstenstraße einfahren wollte. Die Einzelheiten sind streitig.

Infolge der Kollision wurden nicht nur das Fahrrad und der daran befestigte Anhänger beschädigt; auch der Kläger selbst erlitt Verletzungen, deren Umfang und insbesondere Folgen streitig sind. Das von dem Beklagten gefahrene Fahrzeug wurde im gesamten Frontbereich beschädigt.

Der Kläger hat materielle Schäden in Höhe von 5.697,52 € geltend gemacht, ein Schmerzensgeld von zumindest 15.000,00 € und die Feststellung der umfassenden zukünftigen Ersatzpflicht des Beklagten verlangt.

Das Landgericht hat die Klage nach Anhörung der Parteien, Einholung eines schriftlichen unfallanalytischen Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. W und einer durch den Sachverständigen erfolgten Erläuterung seines Gutachtens abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe nicht fest, dass der Beklagte mit einer höheren als der zulässigen Geschwindigkeit von 30 km/h gefahren sei. Hingegen stehe eine grobe Vorfahrtsverletzung seitens des Klägers fest, die bei der Abwägung gemäß §§ 9 StVG, 254 BGB dazu führe, dass der Kläger im Ergebnis seinen Schaden alleine zu tragen habe.

Zweitinstanzlich behauptet der Kläger weiterhin, die von dem Beklagten gefahrene Geschwindigkeit sei deutlich höher als 30 km/h gewesen.

Der Kläger beantragt, unter Weiterverfolgung seiner erstinstanzlichen Anträge,

das angefochtene Urteil zu ändern

und den Beklagten zu verurteilen, an ihn 5.679,52 € nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld in einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Höhe nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, wobei das Schmerzensgeld einen Betrag von mindestens 15.000,00 € nicht unterschreiten sollte;

sowie festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet wird, dem Kläger die ihm in Zukunft aus dem Verkehrsunfall vom 03.09.2005 auf der Hstraße in B entstehenden Schäden zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

Der Beklagte trägt auf Zurückweisung der Berufung unter Verteidigung des angefochtenen Urteils an.

Der Senat hat ergänzend den Sachverständigen Dipl.-Ing. W zur Erläuterung seines Gutachtens -unter Berücksichtigung der Ausführungen des Privatgutachters des Klägers Dipl.-Ing. K- angehört. Wegen des Inhalts wird auf die Sitzungsniederschrift vom 17. Juli 2008 (Bl. 234-236 d.A.) verwiesen.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in zweiter Instanz wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet und mithin zurückzuweisen.

Es kann im Ergebnis dahingestellt bleiben, ob das Landgericht einen Verfahrensfehler in der Behandlung des nach Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz eingereichten Schriftsatzes des Klägers vom 09.11.2007, dem eine (weitere) Stellungnahme des Privatsachverständigen K beigefügt war, begangen hat. Das Landgericht ist gemäß § 296 a ZPO verfahren und hat auch keinen Anlass gesehen, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen. Wenngleich sich die hier vorliegende Konstellation von derjenigen unterscheidet, die den Entscheidungen BGH NJW 2006, S. 152 ff und BGH NJW 2007, S. 1531 f. zugrunde lag - in jenen Fällen war zu streitigen technischen Fragen erst mit der Berufungsbegründung ein Privatgutachten vorgelegt worden - hätte es zumindest nahe gelegen, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen und sodann unter Berücksichtigung des ergänzenden Vorbringens des Klägers zu entscheiden.

Diesen (allenfalls geringfügigen) Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens hat der Senat geheilt, ohne dass sich am Ergebnis etwas geändert hätte.

Schadensersatzansprüche - und damit auch die begehrte Feststellung - stehen dem Kläger weder aus den vorrangigen Anspruchsgrundlagen der §§ 18, 11 Satz 2 StVG in Verbindung mit § 253 Abs. 2 BGB noch aus den nachrangigen Anspruchsgrundlagen der §§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 253 Abs. 2 BGB zu.

Zwar hat der Beklagte den Beweis mangelnden Verschuldens an dem Unfall nicht führen können; es steht aber zur Überzeugung des Senats fest, dass den Kläger (§§ 9 StVG, 254 BGB) ein so weit überwiegendes Verschulden an dem Unfall trifft, dass er seinen Schaden alleine zu tragen hat.

Denn es ist - wie im angefochtenen Urteil weitgehend zutreffend ausgeführt - einerseits ein feststehender grober Vorfahrtsverstoß des Klägers in die Abwägung gemäß §§ 9 StVG, 254 BGB einzustellen, auf der anderen Seite aber alleine die Betriebsgefahr des vom Beklagten geführten Fahrzeuges. Denn für die Haftungsverteilung kommen nur zugestandene, unstreitige oder bewiesene Umstände in Betracht, außer Betracht zu bleiben hat das in § 18 StVG vermutete Verschulden des Fahrzeugführers (vgl. Blumberg, Verkehrsunfälle zwischen Kraftfahrzeugen und Radfahrern, NZV 1994, S. 249 ff [S. 252]).

Insbesondere hat der Kläger seine Behauptung, der Beklagte sei mit einer höheren als der zulässigen Geschwindigkeit von 30 km/h gefahren, nicht beweisen können. Der Sachverständige Dipl.-Ing. W hat in überzeugender Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Privatgutachters K ausgeführt, dass die Länge der Bremsspur von maximal drei Metern zu einer Geschwindigkeit von jedenfalls unter 30 km/h führen würde, es mangels hinreichend gesicherter Spuren nicht möglich sei, eine Bremsausgangsgeschwindigkeit anzunehmen, die über 30 km/h liege.

Unfallursächlich war mithin, dass der wartepflichtige Kläger dem vorfahrtsberechtigten Verkehr nicht die gebotene Aufmerksamkeit gewidmet hat mit der Folge einer groben Vorfahrtsverletzung, wie sich auch aus dem Inhalt seiner Anhörung vor dem Landgericht (Protokoll über den Termin vom 12. September 2006) "Wo kommt der denn jetzt her?" ergibt. Gefahrerhöhende Umstände auf Seiten des Beklagten stehen hingegen nicht fest. Die Tatsache allein, dass der Beklagte an dem vor ihm fahrenden, nach rechts in die E-Straße abbiegenden Pkw vorbeigefahren ist, vermag jedenfalls eine Erhöhung der Betriebsgefahr des von ihm geführten Fahrzeuges nicht zu begründen. Es handelte sich dabei um ein völlig normales Fahrmanöver, das im Übrigen den Umfang und die Schwere des Vorfahrtsverstoßes des Klägers unberührt lässt.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10 und 709 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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