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Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 15.07.2003
Aktenzeichen: 8 UF 16/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGH § 313 n.F.
BGB § 1605
Die Änderung einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung kann bei Unterhaltsverpflichtungen zu einer Störung der vertraglichen Vereinbarung und damit zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage führen, wenn die Parteien die Regelung gerade wegen der bei Vertragsschluss geltenden Rechtsprechung getroffen haben und bei anderer Rechtslage eine Vereinbarung dieses Inhalts nicht geschlossen hätten.
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

8 UF 16/03

Verkündet am: 15. Juli 2003

In der Familiensache

hat der 1. Senat für Familiensachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Lassen, den Richter am Oberlandesgericht Jacobsen und den Richter am Oberlandesgericht Dr. von Krog auf die mündliche Verhandlung vom 1. Juli 2003 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Norderstedt vom 20. Dezember 2002 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsrechtszuges.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Parteien schlossen im Jahre 1965 die Ehe miteinander. Nach der Geburt ihrer Tochter Ilka am 23. Februar 1977 nahm die am 8. Mai 1938 geborene Klägerin ihre bis dahin ausgeübte Berufstätigkeit nicht wieder auf. In einer notariellen Scheidungsfolgenvereinbarung vom 5. Mai 1995 verpflichtete sich der Beklagte, der schon damals schwer erkrankten Klägerin nach dem Verkauf des gemeinsamen Hauses einen monatlichen Unterhalt von 2900 DM neben einem Kindesunterhalt von 825 DM zu zahlen. Der Unterhaltsanspruch sollte bei Änderung des Lebenshaltungskostenindexes von mehr als 10 % entsprechend erhöht oder vermindert werden. Einkünfte aus dem an die Klägerin gezahlten Zugewinnausgleich von 280 000 DM sollten nicht angerechnet werden. Im Übrigen sollte eine Abänderung des Unterhalts nur möglich sein, falls das Nettoeinkommen des Beklagten 8521 DM unterschreiten sollte. Für diesen Fall sollte der Unterhalt entsprechend prozentual angepasst werden. Wegen der Einzelheiten wird auf die notarielle Urkunde Blatt 7 ff. der Gerichtsakte verwiesen.

Die Ehescheidung erfolgte im Jahre 1995. Seit dem Jahre 1998 bezieht die Klägerin eine Altersrente, aufgrund der Rentenanpassung zum 1. Juli 2002 beträgt die Nettorente monatlich 889,96 €. Um diesen Betrag kürzt der Beklagte den monatlichen Unterhalt von 2900 DM. Die Tochter Ilka studiert seit Oktober 2002.

Im Hinblick auf die Änderung der Rechtsprechung des BGH zur Anrechnungsmethode forderte die Klägerin den Beklagten mit Schreiben vom 10. Juni 2002 auf, Auskunft über seine Einkünfte zu erteilen. Sie hat die Auffassung vertreten, ihr verschlechterter Gesundheitszustand, der einen krankheitsbedingten Mehrbedarf verursache, der Fortfall eines Darlehens, welches der Beklagte im Jahre 1995 noch mit 700 DM bedient habe, vor allem aber die neue Rechtsprechung des BGH zur grundsätzlichen Anwendung der Differenzmethode auch bei Rentenbezug des Unterhaltsberechtigten eröffne die Möglichkeit einer Abänderung des Vergleichs ab 1. Juni 2002. Diese erstrebt sie im Wege der Stufenklage.

Der Beklagte hat dagegen eingewandt, die notarielle Vereinbarung habe in vielen Punkten auch die Klägerin begünstigt und könne deshalb nicht nur wegen der gewandelten Rechtsprechung des BGH abgeändert werden. Renteneinkommen der Klägerin hätten die ehelichen Lebensverhältnisse nicht geprägt und seien deshalb nach der Anrechnungsmethode zu berücksichtigen.

Durch einen Teil-Vergleich vom 11. Dezember 2002 haben die Parteien wegen der gestiegenen Lebenshaltungskosten den ursprünglich auf 2900 DM festgelegten Unterhalt mit Wirkung ab Januar 2002 auf 1631 € angehoben.

Das Familiengericht hat die Stufenklage insgesamt abgewiesen und dazu ausgeführt, nach der eindeutigen vertraglichen Regelung könne eine Abänderung nur vom Beklagten begehrt werden, und zwar nur dann, wenn sein Einkommen unter 8521 DM sinke. Die Parteien hätten eine abschließende Regelung getroffen, die von einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin nicht berührt werde. Die vereinbarte Nichtabänderbarkeit habe auch gegenüber der geänderten Rechtsprechung des BGH Bestand.

Mit ihrer Berufung stellt die Klägerin zur Überprüfung, ob die Vereinbarung vom 5. Mai 1995 nicht im Lichte der neuen Rechtsprechung zur Gültigkeit von Eheverträgen unwirksam sei, weil sie die Klägerin eindeutig benachteilige durch Ausschluss einer Abänderung zu ihren Gunsten - von der Indexanpassung abgesehen - und den direkten Rentenabzug vorschreibe. Die geänderte Rechtsprechung des BGH zur Berücksichtigung einer Rente des Unterhaltsberechtigten nach der Differenzmethode berühre die Geschäftsgrundlage des Vertrages ebenso wie der Fortfall eines monatlichen Kreditabtrages von 350 DM, der bei der Errechnung der 2900 DM noch berücksichtigt worden sei. Der Hilfsantrag werde gestellt, weil bei Vollstreckung des vollen titulierten Betrages mit einer Vollstreckungsgegenklage des Beklagten gerechnet werden müsse.

Sie beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und den Beklagten zur begehrten Auskunft (nunmehr präzisiert auf das Jahr 2002 bei unselbständiger Tätigkeit, sonst auf die letzten drei Jahre) zu verurteilen,

hilfsweise,

festzustellen, dass der Beklagte in Abänderung der notariellen Scheidungsfolgenvereinbarung des Notars Winkelmann in Norderstedt vom 5. Mai 1995 (Urkundenrolle Nr. 324/95) verpflichtet ist, 800 € laufenden monatlichen Unterhalt ab Januar 2002 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung einschließlich des Hilfsantrages zurückzuweisen.

Er trägt vor, die Parteien hätten sich abschließend auf einen Unterhaltsanspruch der Klägerin geeinigt, der nur unter bestimmten Voraussetzungen geändert werden könne und so begrenzt sei, dass die monatlichen Gesamtmittel der Klägerin (Unterhalt zuzüglich Rente) 2900 DM nicht übersteigen sollten, von Indexanpassungen abgesehen. Diese Vereinbarung werde durch die geänderte Rechtsprechung des BGH nicht berührt. Zu berücksichtigen sei ferner, dass der Beklagte aufgrund seines Einkommens einen überdurchschnittlich hohen Unterhalt zahle, ehebedingte Schulden allein abtrage und die Freistellung von Unterhaltsansprüchen der Tochter übernommen habe. Auch die Anrechnungsfreiheit von Zinserträgen begünstige die Klägerin. Auf der Grundlage der vereinbarten Zahlungen habe der Beklagte wieder geheiratet und eine neue Familie gegründet; er genieße daher Vertrauensschutz. Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist weder mit dem Haupt- noch mit dem Hilfsantrag erfolgreich.

1. Ein Auskunftsanspruch der Klägerin nach § 1605 Abs. 1 BGB besteht nicht, weil die einkommensbestimmenden Tatsachen, über die Auskunft verlangt wird, die Höhe des Unterhaltsanspruches nicht beeinflussen können. Nach dem notariellen Vertrag vom 5. Mai 1995 haben die Parteien den Unterhaltsanspruch so ausgestaltet, dass ein gestiegenes Einkommen des Beklagten nicht zu einem höheren Unterhaltsanspruch führen soll. Die Abänderbarkeit ist, von Indexanpassungen abgesehen, beschränkt auf das Absinken der Einkünfte des Beklagten unter 8521 DM. Dieser Regelung ist durch die geänderte Rechtsprechung des BGH, nach der der Rentenbezug des Unterhaltsberechtigten bei der Unterhaltsbemessung nach der Differenzmethode und nicht mehr nach der Anrechnungsmethode zu berücksichtigen ist (vgl. BGH NJW 2002, 436 ff.), nicht die Geschäftsgrundlage entzogen worden.

Die Änderung einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung kann bei Unterhaltsverpflichtungen zu einer Störung der vertraglichen Vereinbarung und damit zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage führen, wenn die Parteien die Regelung gerade wegen der bei Vertragsschluss geltenden Rechtsprechung getroffen haben und bei anderer Rechtslage eine Vereinbarung dieses Inhalts nicht geschlossen hätten. "Im Wege der Auslegung ist zu ermitteln, welche Verhältnisse die Parteien zur Grundlage ihrer Einigung gemacht haben und von welcher Rechtslage sie ausgegangen sind. Ob und in welcher Weise sodann eine Anpassung an die veränderte Rechtslage erfolgen kann, bedarf einer sorgfältigen Prüfung unter Berücksichtigung der Interessen beider Parteien. Es genügt nicht, dass ein weiteres Festhalten am Vereinbarten nur für eine Partei unzumutbar erscheint, vielmehr muss hinzukommen, dass das Abgehen vom Vereinbarten der anderen Partei auch zuzumuten ist ... Dabei ist auch zu beachten, ob die im Vergleich insgesamt getroffene Regelung noch in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander steht, was insbesondere für Scheidungsfolgenvereinbarungen gilt, die mehrere Punkte ... enthalten" (BGH NJW 2001, 3618 ff. (3620)).

Dem Vortrag der Klägerin lässt sich nicht entnehmen, ob sich die Parteien auf den Direktabzug der Rente von dem auf 2900 DM festgelegten Unterhalt nur verständigt haben, weil nach der damaligen Rechtsprechung des BGH die Renten bedarfsdeckend zu berücksichtigen waren. Nicht ausgeschlossen erscheint, dass die Parteien aus eigenem Gerechtigkeitsempfinden den recht hohen Unterhalt der Klägerin durch den Direktabzug der Rente auf ein Maß begrenzen wollten, das auch dem Beklagten, der die Gründung einer neuen Familie plante, in ausgewogenem Verhältnis die wirtschaftlichen Mittel dazu beließ. Jedenfalls aber mit der Indexierung des Unterhalts, der nach dem Gesetz den Schwankungen der wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien folgt, und mit der Vereinbarung, dass der Zugewinnausgleich von 280 000 DM entgegen der damaligen höchstrichterlichen Rechtsprechung anrechnungsfrei blieb, haben die Parteien die Unterhaltsberechnung so weitgehend von der gesetzlichen Ausgestaltung abgekoppelt, dass der Fortbestand der Rechtsprechung zur Rentenanrechnung nicht Geschäftsgrundlage der Vereinbarung vom 5. Mai 1995 war. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob sich die Klägerin nicht (auch) deshalb am Vertrag festhalten lassen muss, weil ihr dies wirtschaftlich zuzumuten ist, während dem Beklagten ein Abgehen vom Vertrag wegen einschneidender wirtschaftlicher Folgen nicht zugemutet werden könnte.

Die von der Klägerin privat zu tragenden krankheitsbedingten Kosten sind nach ihrer Bekundung im Senatstermin seit der Trennung praktisch gleich geblieben, so dass auch unter dem Gesichtspunkt einer unvorhersehbaren Bedarfssteigerung ein Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht in Betracht kommt.

2. Der Hilfsantrag ist im Ergebnis unbegründet, weil der Beklagte nach den Ausführungen unter 1. nach dem Vertrag lediglich den auf 1631 € indexierten Unterhalt abzüglich der jeweiligen Rente der Klägerin zahlen muss, ein weitergehender Unterhaltsanspruch, der sich bei einer Berücksichtigung der Rente nach der Differenzmethode ergeben würde, also nicht geschuldet wird.

3. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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