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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 24.04.2007
Aktenzeichen: 8 UF 200/06
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 1573 Abs. 2
BGB § 1573 Abs. 5
ZPO § 323 Abs. 1
ZPO § 323 Abs. 4
Haben die Parteien im Wege des Prozessvergleichs Unterhalt "für die Kindesbetreuung" vereinbart, so kann nach Wegfall der Kindesbetreuung im Wege der Abänderungsklage nunmehr Aufstockungsunterhalt verlangt werden.
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

8 UF 200/06

Verkündet am: 24. April 2007

In der Familiensache

hat der 1. Senat für Familiensachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 3. April 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht sowie die Richter am Oberlandesgericht und für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Norderstedt vom 22. August 2006 geändert und wie folgt neu gefasst:

1. Der vor dem Amtsgericht Norderstedt geschlossene Vergleich vom 22. September 1998 (Az. 53 F 86/97) wird dahin geändert, dass der Beklagte ab 1. Januar 2006 an die Klägerin einen monatlichen Ehegattenunterhalt von 244 € zu zahlen hat.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Widerklage wird abgewiesen.

Die weitergehende Berufung der Klägerin und die Berufung des Beklagten werden zurückgewiesen.

Die Kosten des ersten Rechtszuges werden gegeneinander aufgehoben. Die Kosten des Berufungsrechtszuges fallen zu 13 % der Klägerin, zu 87 % dem Beklagten zur Last.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Die Parteien, geschiedene Eheleute, sind im Streit über die Abänderung eines am 22. September 1998 vor dem Amtsgericht Norderstedt geschlossenen Vergleichs, wonach der Beklagte an die Klägerin einen monatlichen Unterhalt von 264 DM wegen Kindesbetreuung zu zahlen hatte. Das Familiengericht hat auf die Abänderungsklage der Klägerin den Vergleich dahin geändert, dass der Beklagte ab 1. Januar 2006 monatlich 242 € zu zahlen hat. Die Widerklage des Beklagten, mit der er Abänderung des Vergleichs dahin begehrt hat, dass ab 1. Januar 2006 kein Unterhalt zu zahlen ist, hat das Familiengericht abgewiesen.

Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Die Klägerin begehrt über das angefochtene Urteil hinaus einen weiteren monatlichen Unterhalt von 40 €. Der Beklagte verfolgt mit seiner Berufung sein erstinstanzlich mit der Widerklage verfolgtes Begehren weiter.

Im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

II.

Die Berufung der Klägerin hat nur zu einem ganz geringen Teil, die des Beklagten hat keinen Erfolg.

1. Die Klage ist als Abänderungsklage gemäß § 323 Abs. 4 und 1 ZPO zulässig. Die dem Abschluss des Vergleichs zugrunde liegenden Verhältnisse haben sich wesentlich geändert. Die Klägerin ist nicht mehr wegen der erforderlichen Kindesbetreuung an einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit gehindert. Die aus der Ehezeit herrührenden Verbindlichkeiten sind abgetragen und das Einkommen beider Parteien hat sich wesentlich verändert.

Zu Unrecht macht der Beklagte geltend, durch den Vergleich sei nur der Anspruch auf Betreuungsunterhalt (§ 1570 BGB) geregelt, für einen aus einer anderen Anspruchsgrundlage hergeleiteten Unterhaltsanspruch müsse die Klägerin eine gesonderte Leistungsklage erheben.

Der Anspruch auf nachehelichen Unterhalt ist stets ein einheitlicher Anspruch. Von den Einzeltatbeständen der §§ 1570 ff. BGB können zwei oder mehrere gleichzeitig oder auch in zeitlichem Anschluss aneinander verwirklicht sein, ohne dass deshalb von ebenso vielen Unterhaltsansprüchen die Rede sein könnte (vgl. BGH FamRZ 1984, 353). Der Wegfall des einem Unterhaltstitel zugrunde liegenden Unterhaltstatbestandes durch Veränderung der Verhältnisse und die etwaige Aufrechterhaltung dieses Titels aufgrund eines anderen Unterhaltstatbestandes sind im Wege der Abänderungsklage geltend zu machen (vgl. BGH FamRZ 1990, 496).

2. Die Klägerin kann nach § 1573 Abs. 2 BGB vom Beklagten einen monatlichen Unterhalt von 244 € ab 1. Januar 2006 verlangen. Sie ist nicht in der Lage, vollständig selbst für ihren Unterhalt zu sorgen (§ 1569 BGB). Durch Ausübung einer angemessenen vollschichtigen Erwerbstätigkeit könnte sie ein unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen von 750 € pro Monat erzielen. Da mit einem derartigen Einkommen nicht einmal der Mindestunterhalt gesichert werden kann, sind die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Aufstockungsunterhalt gemäß § 1573 Abs. 2 BGB gegeben.

Die Klägerin ist aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, ihrer früher ausgeübten Tätigkeit als Textilreinigerin weiter nachzugehen. Damit ist sie nicht erwerbsunfähig. In dem Attest ihres Hausarztes vom 14. November 2002 ist ausgeführt: "Bürotätigkeiten bzw. leichte körperliche Arbeiten ohne Zwangshaltung sind vollschichtig durchführbar." Die Bundesagentur für Arbeit hat der Klägerin Rehabilitationsmaßnahmen zugebilligt, nachdem sie ihren erlernten Beruf als Textilreinigerin aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben hatte. Im Jahr 2005 hat sie eine Fortbildung im kaufmännischen Bereich absolviert und auch bis in den Januar 2006 für eine Zeitarbeitsfirma vollschichtig gearbeitet. Dementsprechend hält sich die Klägerin auch selbst für erwerbsfähig und trägt vor, sich vielfach um eine vollschichtige Erwerbstätigkeit beworben zu haben.

Das hieraus bei den notwendigen intensiven Erwerbsbemühungen (vgl. dazu Palandt/Brudermüller, BGB, 66. Aufl., § 1573 Rn. 5/6 und § 1361 Rn. 41) erzielbare unterhaltsrechtlich maßgebliche Einkommen schätzt der Senat aufgrund seiner Erfahrung auf 750 € pro Monat (§ 287 ZPO). Die vom Beklagten vorgelegten Tarifauskünfte, nach denen im Einzelhandel eine tarifgemäße Entlohnung zu einem Monatsnettoeinkommen von mindestens 1.100 € führt, stehen damit nicht in Widerspruch. Zum einen ist die Klägerin keine ausgebildete Verkäuferin, zum anderen werden gerade im Einzelhandel Mitarbeiter oft nicht nach dem Tarif entlohnt. Dies wird auch daran deutlich, dass die Klägerin für ihre Teilzeittätigkeit lediglich 6,00 € pro Stunde erhält. Nach dem Tarif wären 9,98 € zu zahlen.

Ein monatliches Einkommen in Höhe von 750 € netto ist der Klägerin als erzielbar zuzurechnen. Es kommt nicht darauf an, dass sie tatsächlich lediglich 12 Stunden pro Woche arbeitet und hieraus etwa 300 € pro Monat verdient. Denn es kann nicht festgestellt werden, dass die Klägerin nicht in der Lage gewesen wäre, eine entsprechende vollschichtige Erwerbstätigkeit zu finden. Es ist nicht dargetan, dass die Klägerin sich nach ihrem Ausscheiden bei der Zeitarbeitsfirma im Januar 2006 im erforderlichen Umfang erfolglos um eine neue Anstellung bemüht hätte. Ihr Vortrag, sie habe trotz ihrer vielfältigen Bemühungen keine vollschichtige Arbeit bekommen können und werde auch keine bekommen, ist nicht hinreichend konkretisiert. Es ist erstinstanzlich lediglich eine einzige Bewerbung bei der Firma B nachgewiesen. Während des Berufungsverfahrens hat die Klägerin weitere 14 Bewerbungen in den Monaten Februar und März 2007 vorgetragen. Auch damit ist sie ihrer Pflicht, sich nach Kräften um eine neue Anstellung zu bemühen, nicht in ausreichendem Maße nachgekommen.

Der Beklagte ist zu Unterhaltsleistungen in der Lage. Sein maßgebliches Einkommen betrug im Jahr 2006 nach der vorgelegten Abrechnung für Dezember netto 21 545,76 €. Zuzüglich der im Einkommensteuerjahresausgleich erstatteten Beträge von 205,33 € ergibt sich ein Jahresnetto von 21 751,09 €, das entspricht monatlich gerundet 1813 €. Nach Abzug der vermögenswirksamen Leistungen des Arbeitgebers (20 €) und der Fahrtkosten für den Weg zur Arbeit (121 €) verbleiben 1672 €. Der für den gemeinsamen Sohn zu zahlende Unterhalt ist der Einkommensgruppe 4 der Düsseldorfer Tabelle zu entnehmen. Mit seinem Einkommen ist der Beklagte in die Gruppe 3 einzuordnen. Es ist hier jedoch eine Höherstufung um eine Gruppe angemessen, da der Beklagte neben der Klägerin nur einem Kind zum Unterhalt verpflichtet ist (vgl. Unterhaltsrechtliche Leitlinien des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts Ziffer 11.2). Vom Einkommen sind deshalb 353 € abzusetzen. Es verbleiben 1319 €. Das Einkommen des Beklagten übersteigt das erzielbare Einkommen der Klägerin damit um 569 €. Drei Siebtel dieses Betrages, das sind 244 €, stehen der Klägerin als Aufstockungsunterhalt zu.

Die Voraussetzungen des § 1573 Abs. 5 BGB für eine zeitliche Begrenzung des Anspruchs sind nicht gegeben. Danach kann ein Anspruch auf Aufstockungsunterhalt zeitlich begrenzt werden, soweit insbesondere unter Berücksichtigung der Dauer der Ehe sowie der Gestaltung von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit ein zeitlich unbegrenzter Unterhaltsanspruch unbillig wäre; dies gilt in der Regel nicht, wenn der Unterhaltsberechtigte nicht nur vorübergehend ein gemeinschaftliches Kind allein oder überwiegend betreut hat oder betreut. Die Zeit der Kindesbetreuung steht der Ehedauer gleich. Diese Vorschrift beruht auf dem Gedanken, dass eine lebenslange Beibehaltung des ehelichen Lebensstandards nur dann angemessen ist, wenn etwa die Ehe lange angedauert hat, wenn aus ihr gemeinsame Kinder hervorgegangen sind, die der Berechtigte betreut oder betreut hat, wenn er erhebliche berufliche Nachteile um der Ehe willen auf sich genommen hat oder wenn sonstige Gründe (z. B. Alter oder Gesundheitszustand des Berechtigten) für eine dauerhafte Lebensstandardgarantie sprechen (vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 2007, Az. XII ZR 37/05).

Die Parteien haben im Dezember 1989 geheiratet. Nach der Ehescheidung im September 1998 betreute die Klägerin den gemeinsamen Sohn Patrick, der im Februar 2006 16 Jahre alt wurde. Die Ehezeit einschließlich der anschließenden Zeit der Kindesbetreuung gemäß § 1573 Abs. 5 BGB beträgt damit mehr als 16 Jahre. Diese Umstände stehen der zeitlichen Begrenzung des Unterhalts entgegen.

Die Klägerin kann ihren früheren Lebensstandard nicht mehr durch eigene Erwerbstätigkeit sichern. Sie war früher als Textilreinigerin tätig. Aus einer Halbtagsbeschäftigung erzielte sie zum Zeitpunkt der Scheidung ein Nettoeinkommen von 1400 DM (vgl. Ziffer 2 der Vereinbarung vom 22. September 1998), dies entspricht einem bei Vollschichtigkeit erzielbaren Einkommen von etwa 1400 €. Ein entsprechendes Einkommen wird sie jetzt nicht mehr erreichen können. Auch mit dem zuerkannten Aufstockungsunterhalt verfügt die Klägerin nicht über ein Einkommen, wie sie es in der Ehe gehabt hat.

Die Voraussetzungen des § 1579 Nr. 7 BGB für eine Versagung, Herabsetzung oder zeitliche Begrenzung des Unterhaltsanspruchs sind derzeit nicht gegeben. Zwar hat die Klägerin zu einem neuen Partner eine auf Dauer angelegte Beziehung aufgenommen. Zu einer auch wirtschaftlichen Verbindung ist es bisher nicht gekommen. Beide unterhalten getrennte Wohnungen, jeder wirtschaftet für sich. Der Beklagte macht auch nicht geltend, dass die Partner sonst in wirtschaftlicher Hinsicht verbunden wären, etwa durch gemeinschaftliche Vermögensdispositionen. Diese Beziehung besteht seit Februar 2005, also jetzt etwa zwei Jahre. Dieser Zeitraum ist noch nicht so erheblich, dass von einem verfestigten Zusammenleben, welches an die Stelle einer Ehe getreten ist, ausgegangen werden könnte. Sonstige, den Beklagten besonders belastende Begleitumstände dieser neuen Partnerschaft sind auch von ihm nicht geltend gemacht worden.

3.Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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