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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 21.02.2006
Aktenzeichen: 8 UF 214/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB §§ 1601 ff
BGB § 1603 II
BGB § 1610
Zu den Erwerbsobliegenheiten einer Mutter minderjähriger Kinder, die einer gesicherten Teilzeitbeschäftigung nachgeht.
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

8 UF 214/05

Verkündet am: 21. Februar 2006

In der Familiensache

hat der 1. Senat für Familiensachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 7. Februar 2006 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Plön vom 12. August 2005 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an jeden Kläger ab März 2005 einen monatlichen Unterhalt von 120 € zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die erstinstanzlichen Kosten werden gegeneinander aufgehoben. Die Kosten des zweiten Rechtszuges trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der am 1990 geborene Kläger zu 1) und der 1992 geborene Kläger zu 2) entstammen der geschiedenen Ehe des Kindesvaters mit der Beklagten. Nach der Trennung ihrer Eltern lebten die Kläger zunächst bei der Beklagten. Im November 2003 zog der Kläger zu 1) zum Kindesvater, im März 2005 folgte ihm der Kläger zu 2). Der Kindesvater bezieht für sich und die Kläger Leistungen von der Arbeitsgemeinschaft SGB II im Kreis P..

Die am 5. Juli 1964 geborene Beklagte ist gelernte Friseurin und seit November 2001 mit wöchentlich 26,25 Stunden als Schlachtereiverkäuferin in Preetz beschäftigt. Sie verdient dort monatlich 865 € netto.

Die Kläger haben die Beklagte mit Schreiben vom 17. März 2005 zur Auskunftserteilung und zur Unterhaltszahlung aufgefordert und vorgetragen, die Beklagte müsse eine Nebentätigkeit ausüben, um den Mindestunterhalt zahlen zu können. Sie lebe mit einem Partner zusammen, so dass sie sich Haushaltsersparnisse anrechnen lassen müsse. Sie sei in der Lage, die ab März 2005 geltend gemachten Regelbeträge aufzubringen.

Die Beklagte hat erwidert, sie könne ihre Tätigkeit in der Schlachterei nicht ausweiten. Sie habe sich vergeblich um andere bzw. zusätzliche Arbeitsstellen beworben. Ihre Partnerschaft sei beendet, seit Mai 2005 lebe sie bei ihren Eltern in Wendtorf und zahle einen Kostenbeitrag von 200 € monatlich.

Das Familiengericht hat der Klage für den Zeitraum von März 2005 bis Juni 2005 in Höhe von monatlich je 24,50 € stattgegeben und dazu ausgeführt, der Beklagten seien keine fiktiven Einkünfte zuzurechnen, weil ihr die Aufgabe des sicheren teilschichtigen Arbeitsplatzes zugunsten einer unsicheren Vollbeschäftigung nicht zuzumuten sei. Die Vielzahl der vergeblichen Bewerbungen belege, dass sie eine Nebentätigkeit nicht habe finden können. Ein Ansatz ersparter Aufwendungen wegen des Zusammenlebens mit einem neuen Partner werde nach der ständigen Rechtsprechung des Familiengerichts nicht anerkannt. Das kostengünstige Wohnen bei ihren Eltern führe zwar grundsätzlich zu einer Absenkung des Selbstbehalts, werde hier aber durch berufsbedingte Fahrtkosten aufgezehrt; die Entfernung zwischen W. und Pr. betrage 30 km.

Die Kläger vertreten mit ihrer Berufung weiterhin die Auffassung, die Beklagte sei in der Lage, zusätzliche Arbeit zu verrichten, im Privatbereich bestehe "ein geradezu unendlicher Arbeitsmarkt". Auch ihr Arbeitgeber suche neue Mitarbeiter, bei denen es sich nicht um Fachkräfte handeln müsse. Sie lebe mit einem Freund zusammen, so dass der Selbstbehalt gesenkt werden müsse. Ob für die Vergangenheit Zahlungen des Unterhalts an die ARGE verlangt werden müsse, sei mangels gesetzlichen Forderungsüberganges fraglich.

Die Kläger beantragen,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte zur Zahlung monatlichen Unterhalts von je 120 € an jeden Kläger ab März 2005 zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte erwidert, sie habe bei ihrem Arbeitgeber keine Möglichkeit, die Arbeitszeit auszuweiten. Sie habe bereits ein Guthaben von 80 Überstunden, die später durch Freizeit ausgeglichen werden sollten. Die Suche nach einer Nebenbeschäftigung werde dadurch erschwert, dass ihr Arbeitgeber oftmals kurzfristig Überstunden anordne oder geteilte Dienste verlange. Seit dem 15. September 2005 bewohne sie in Pr. eine angemietete Ferienwohnung, weil die Anreise von W. mit einem geliehenen Pkw zu kostspielig gewesen sei. Zu Herrn L. unterhalte sie weder ein Verhältnis noch bestehe eine Lebenspartnerschaft. Er wohne in Pr. in der M.-P.-Straße und sie habe sich im Rahmen seiner Hausfinanzierung mitverpflichtet, weil dies zu Zeiten der Beziehung so vereinbart worden sei und Herr L. ohne ihre Mithaftung das Darlehen nicht bekommen hätte.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet, weil sich die Beklagte so behandeln lassen muss, als erziele sie von März 2005 bis Juni 2005 bereinigte Einkünfte von 1060 € und ab Juli 2005 in Höhe von 1130 €, aus denen bei sog. kleinen Selbstbehalten von 820 € bis Juni 2005 und von 890 € ab Juli 2005 monatlich Unterhalt von 120 € für jeden Kläger gemäß §§ 1601 ff., 1603 Abs. 2, 1610 BGB gezahlt werden könnte.

Die Beklagte hat nach ihrer eigenen Darstellung die Verpflichtung, ihre Arbeitskraft bestmöglich einzusetzen und Einkünfte über die bei einer 26,25-Stunden-Woche erzielten 865 € netto hinaus zu erzielen, nicht erfüllt. Sie hat bei ihrer Anhörung im Senatstermin vom 7. Februar 2006 keine Begründung dafür angegeben, warum sie nicht die Stelle der anderen an der "Heißen Theke" beschäftigten ungelernten Kraft, die nahezu vollschichtig beschäftigt ist, hat bekommen können, obwohl sie weit länger als jene Angestellte im Betrieb ihres Arbeitgebers tätig ist. Eine zusätzliche Qualifikation wie z. B. diejenige einer Fleischereifachverkäuferin hätte sie zur Erlangung jenes Arbeitsplatzes nicht vorweisen müssen, die Aufgabenbereiche ihres eigenen Arbeitsplatzes und des nur in zeitlicher Hinsicht umfangreicheren Arbeitsplatzes ihrer Mitarbeiterin sind nach Darstellung der Beklagten inhaltsgleich. Bei einer Vollbeschäftigung und einem Brutto-Stundenlohn von 9,89 €, wie er sich aus den eingereichten Verdienstbescheinigungen ergibt, läge das Brutto-Monatseinkommen der Beklagten bei 1649 € (38,5 Wochenstunden x 4,33 Wochen pro Monat x 9,89 €). Unter Hinzurechnung der Sonderzahlungen, die der Arbeitgeber in Höhe von jährlich rund 300 € brutto zahlt, würde die Beklagte durchschnittliche monatliche Bruttoeinkünfte von mindestens 1660 € erzielen, denen bei Lohnsteuerklasse I ein Nettoeinkommen von 1130 € entspricht (Berechnung nach dem Gutdeutsch-Programm). Daraus könnte sie auch bei einem ab Juli 2005 geltenden kleinen Selbstbehalt von 890 € monatlich für jeden Kläger 120 € für deren weit höheren Barbedarf zur Verfügung stellen (890 € + 2 x 120 € = 1130 €).

Selbst dann jedoch, wenn sich der Arbeitgeber trotz beträchtlicher Fluktuation im Personalbestand weigern sollte, der Beklagten als einer seit Jahren im Betrieb beschäftigten und offenbar bewährten Kraft eine Ausweitung der Arbeitszeit zu gestatten, blieben für sie anderweitig erreichbare Einnahmequellen, mit denen die tatsächlichen Einkünfte aufgestockt werden könnten. Im Bereich der Gastronomie werden ständig an Wochenenden Aushilfskräfte für das Kellnern oder den einfachen Küchendienst gesucht. Der Senat verkennt nicht die Strapazen, die mit derartigen nächtlichen Arbeitseinsätzen verbunden sind. Zur wenigstens teilweisen Deckung des Mindestbedarfs der minderjährigen Kläger ist der Beklagten indes ein derartiges Engagement, das den Wochenenden seinen Freizeitcharakter nimmt, zuzumuten. Schon bei drei Diensten pro Monat würde die Beklagte nach allgemeiner Lebenserfahrung über zusätzliche Einkünfte verfügen, die die Zahlung monatlichen Gesamtunterhaltes von 240 € erlauben.

Die Anhebung des kleinen Selbstbehalts um 70 € ab Juli 2005 führt nicht zu einer entsprechenden Verringerung der Leistungsfähigkeit oder umgekehrt zu einem um 70 € höheren Gesamtunterhalt für die Monate März 2005 bis Juni 2005, denn während der Monate März 2005 bis Juni 2005 war der Beklagten nach dem Umzug des Klägers zu 2) zum Kindesvater Anfang März 2005 zuzubilligen, sich auf die geänderte Situation einzustellen, nach besser bezahlten und dauerhaften Arbeitsplätzen Ausschau zu halten und nicht sogleich die gesamte Arbeitskraft mit zusätzlicher Nebentätigkeit zu erschöpfen. Nachdem derartige Versuche nach Darstellung der Beklagten bis einschließlich Juni 2005 ohne Erfolg geblieben waren, musste sie ab Juli 2005 unter verstärktem Einsatz die sich bietenden Erwerbschancen nutzen, so dass von ihr erwartet werden durfte, gegenüber den Vormonaten das Einkommen um 70 € zu erhöhen und so den Nachteil für die Kläger auszugleichen, der sich bei unverändertem Einkommen aus der Anhebung des kleinen Selbstbehalts um 70 € ergeben hätte.

Geldwerte Vorteile aus dem Zusammenleben mit ihrem damaligen Partner L. während der Monate März und April 2005 - im Mai 2005 zog die Beklagte zu ihrer Mutter nach W. - sind aus dem Parteivorbringen nicht zu ersehen, so dass es auch für die Monate März und April 2005 bei einem fiktiven Einkommen von 1060 € und damit bei Unterhaltsansprüchen von je 120 € bleibt.

Eine schriftliche Anzeige ihrer Leistungen hat die ARGE P. an die Beklagte nicht ausgebracht, so dass Ansprüche der Kläger nicht auf die ARGE übergegangen sind (vgl. § 33 SGB II). Die Kläger können daher die Zahlung des Unterhalts an sich verlangen und sind nicht gehalten, Leistungen an die ARGE zu begehren.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 91 Abs. 1, 708 Nr. 10 ZPO.

Ende der Entscheidung

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