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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 16.10.2002
Aktenzeichen: 9 U 114/01
Rechtsgebiete: PflVG


Vorschriften:

PflVG § 3 Nr. 8
Ein erstinstanzliches rechtskräftiges Urteil zugunsten des Versicherers wirkt nach § 3 Nr. 8 PflVG im Berufungsrechtszug selbst dann zugunsten des Versicherungsnehmers, wenn das Landgericht die Voraussetzungen einer Anspruchsgrundlage verneint und andere Anspruchsgrundlagen nicht geprüft hat.
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

9 U 114/01

Verkündet am: 16. Oktober 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 9. Zivilsenat des Schleswig - Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 2. Oktober 2002 durch die Richter für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten und Berufungsklägerin wird das Urteil der Einzelrichterin der 10. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck vom 23. August 2001, unter Zurückweisung der Anschlussberufung der Klägerin, geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits fallen der Klägerin zur Last.

Das Urteil ist, soweit nicht bereits rechtskräftig, vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch die Beklagte und Berufungsklägerin durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht diese vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe:

I.

Die klagende Berufsgenossenschaft begehrt im Rahmen des § 116 SGB X aus übergegangenem Recht Ersatz des Schadens, den ihre Versicherten L. und G. durch einen Unfall auf einer Baustelle in R. am 8. Februar 1994 erlitten haben. Das bei der Beklagten zu 2. versicherte Betonpumpenfahrzeug der Beklagten zu 1. stand dort aufgebockt, als aus streitigen und ungeklärten Gründen der Pumpenarm bei weiter Ausladung im Bereich eines Hydraulik-Gelenks abbrach und auf die in streitiger Funktion auf der Baustelle tätigen Versicherten L. und G. fiel. Beide zogen sich schwere Verletzungen zu. Die Klägerin hat die Beklagten im ersten Rechtszug wegen ihrer bisherigen Aufwendungen von fast 160.000 DM als Gesamtschuldner auf Zahlung in Anspruch genommen und Feststellung beantragt, dass die Beklagten ihr weitere Aufwendungen ersetzen müssten. Die Beklagte zu 1. schulde Schadensersatz aus Gefährdungshaftung, zumindest aus unerlaubter Handlung, die Beklagte zu 2. hafte dafür als Versicherer nach § 3 Nr. 1 des Pflichtversicherungsgesetzes (PflVG) in Verbindung mit § 10 der Allgemeinen Bedingungen der Kraftfahrtversicherung (AKB). Die Beklagten haben sich damit verteidigt, der Unfall habe sich bei der Verwendung der Betonpumpe als Arbeitsmaschine auf einem Privatgrundstück und damit nicht im Sinne von § 7 Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) beim Betrieb des Fahrzeuges ereignet. Ein Verschulden falle der Beklagten zu 1. nicht zur Last.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht nur die Beklagte zu 1. aus § 831 Abs. 1 BGB verurteilt. Die Klage gegen die Beklagte zu 2. hat es abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: "Die Klage gegen die Beklagte zu 2. ist unbegründet. Ein auf die Klägerin übergegangener Anspruch ihrer Mitglieder ergibt sich nicht aus § 7 StVG in Verbindung mit § 3 Pflichtversicherungsgesetz, da der Unfall nicht beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges geschehen ist. Der Lkw, auf dem die Betonpumpenmaschine montiert war, war zum Zeitpunkt des Unfalles aufgebockt und befand sich auf der Baustelle. Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Unfall bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges geschehen ist. § 10 AKB gibt keinen Direktanspruch der Verletzten gegen den Versicherer."

Gegen dieses Urteil hat nur die Beklagte zu 1. Berufung eingelegt. Sie meint, ihre Berufung müsse schon wegen § 3 Nr. 8 PflVG Erfolg haben. Die Voraussetzungen des § 831 Abs. 1 BGB lägen so wenig vor, wie die des § 7 Abs. 1 StVG. Ein Verschulden falle ihr nicht zur Last. Die Klägerin hat sich wegen weiterer Aufwendungen der Berufung angeschlossen und verteidigt das angefochtene Urteil. Soweit das Urteil des Landgerichts rechtkräftig sei, wirke es nicht nach § 3 Nr. 8 PflVG zugunsten der Beklagten zu 1.. Das Landgericht habe allein das Bestehen eines Direktanspruchs gegen die Beklagte zu 2. verneint, nicht die Frage der Haftung an sich. Mit den Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 StVG habe es sich lediglich als Vorfrage befasst. Eine Abweisung der Klage allein nach § 3 Nr. 8 PflVG sei mit allgemeinen Gerechtigkeitserwägungen nicht zu vereinbaren. Die Beklagte zu 1. treffe aus verschiedenen Gründen ein Verschulden an dem Unfall.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das angefochtene Urteil, die Berufungsbegründung vom 3. Dezember 2001, die Berufungserwiderung vom 3. Juni 2002 sowie die Schriftsätze vom 18. September 2002, 19. September 2002 und 26. September 2002 verwiesen.

II.

Die Berufung der Beklagten zu 1. ist nach dem auch innerhalb eines Prozesses zu beachtenden § 3 Nr. 8 PflVG begründet. Das zugunsten der früheren Beklagten zu 2. rechtskräftige (Sach-)Urteil des Landgerichts wirkt zugunsten der Beklagten zu 1. als Versicherungsnehmerin. Durch dieses Urteil ist rechtskräftig festgestellt, dass der Klägerin ein Anspruch auf Ersatz des Schadens aus dem Unfall vom 8. Februar 1994 gegen die Beklagte zu 2., dem Versicherer im Sinne der §§ 3 Nr. 1, 1 PflVG, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zusteht. Sie kann deshalb aus demselben Sachverhalt auch nichts mehr von der Beklagten zu 1. verlangen. Bei einer anderen, das Verständnis des § 3 Nr. 8 PflVG insoweit einengenden Beurteilung könnte es hier allein schon deshalb zu einem "echten Widerspruch" mit dem rechtskräftigen Urteil kommen, weil die Möglichkeit einer Bejahung der Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 StVG im Berufungsrechtszug bestünde (vgl. zu § 3 Nr. 8 PflVG: BGH, NJW 1982, 996 und 999; OLG Karlsruhe, r + s 1988, 125; allg.: Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., § 3 Nr. 8 PflVG Rn. 1 ff.).

Das Landgericht hat die Voraussetzungen dieser Anspruchsgrundlage nicht lediglich als "Vorfrage" eines Direktanspruchs verneint. Dass die frühere Beklagte zu 2. (Fahrzeug-)Versicherer im Sinne der §§ 3 Nr. 1, 1 PflVG ist und die Klägerin grundsätzlich einen Anspruch auf Ersatz des Schadens gegen diese geltend machen kann, war im ersten Rechtszug nicht im Streit (Bl. 6, 78, 87 d. A.) und hat auch das Landgericht zutreffend erkannt. Anders als die Parteien ist das Landgericht aber dem Irrtum erlegen, dass mit der Verneinung der Voraussetzung des § 7 Abs. 1 StVG "bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges" auch die Voraussetzungen des § 3 Nr. 1 PflVG nicht vorliegen. Dieser spricht aber nicht vom "Betrieb eines Kraftfahrzeuges", sondern vom "Rahmen der Leistungspflicht" des Versicherers, den § 1 PflVG in Verbindung mit § 10 AKB dadurch bestimmt, dass ein Schaden durch den "Gebrauch des Fahrzeugs" verursacht ist. Das ist mehr als nur beim Betrieb (vgl. BGHZ 75, 45; BGH, NJW 1990, 257; Becker/Böhme, Kraftverkehrshaftpflichtschäden, 21. Aufl., A 27 ff.). Dieser Irrtum des Landgerichts ändert nichts an der Reichweite der Rechtskraft seines Urteils. Die Sache liegt in Betreff der Rechtskraft nicht anders, als wenn ansonsten ein Gericht eine Klage nach Prüfung nur der Voraussetzungen einer Anspruchsgrundlage abweist und dabei andere Anspruchsgrundlagen übersehen hat (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., Vor § 322 Rn. 41).

"Ungerecht" ist die Abweisung der Klage allein nach § 3 Nr. 8 PflVG nicht. Die Klägerin hätte dessen Wirkungen durch eine eigene, selbständige Berufung leicht vermeiden können, nachdem sie die Möglichkeit eines Direktanspruchs beim "Gebrauch des Fahrzeugs" bereits zutreffend erkannt hatte. Dass sich die Beklagte zu 1. auf die Rechtskraft des Urteils beruft, ist nicht "arglistig" und "rechtsmissbräuchliche Rechtsausübung" (vgl. zu dieser Möglichkeit BGH, MDR 1979, 835). Es lässt sich nicht sagen, dass die Abweisung der Klage gegen die frühere Beklagte zu 2. im Ergebnis eindeutig unrichtig ist. Das zeigt der nicht ohne weiteres zu entscheidende Streit der Parteien im Berufungsrechtszug und die zur Sache vorgebrachten Einwände.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 1 ZPO für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (vgl. dazu BGH, WM 2002,1896 ff., 1899 ff.). Das wäre möglicher Weise anders zu beurteilen, wenn das Landgericht nicht die Voraussetzungen der §§ 3 Nr. 1, 1 PflVG verkannt hätte, sondern die Beklagte zu 2. schlechthin nicht als Versicherer im Sinne dieser Bestimmungen angesehen hätte (vgl. zweifelnd zur Rechtskrafterstreckung nach § 3 Nr. 8 PflVG in einem solchen Fall OLG Hamm, r + s 1999, 55). So verhält es sich aber gerade nicht, weil das Landgericht die Abweisung sachlich, nicht nur formal, begründet hat.

Ende der Entscheidung

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