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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 12.03.2002
Aktenzeichen: 1 (14) U 18/01
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 515 Abs. 3
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
Die unterbliebene Diagnose einer selten vorkommenden Erkrankung ist kein Behandlungsfehler, wenn der Arzt die angesichts des konkreten Krankheitsbildes angezeigten Befunde erhebt.
Oberlandesgericht Stuttgart - 1. Zivilsenat - Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 1 (14) U 18/01

Verkündet am: 12.03.2002

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 19.02.2002 unter Mitwirkung

der Vors. Richterin am OLG, des Richters am OLG, des Richters am OLG

für Recht erkannt:

Tenor:

I.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Ellwangen (J.) vom 19.01.2001 (5 O 153/99) wird zurückgewiesen.

II.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung des Beklagten Ziff. 1 wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 11.000,00 EUR abwenden, wenn nicht der Beklagte Ziff. 1 vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 53.129,19 EUR

Tatbestand:

Die Klägerin, Witwe und Alleinerbin des am 24. September 1997 verstorbenen Kurt L, verlangt - nach Rücknahme der Berufungen gegen die Beklagten Ziff. 2 - 6 - zuletzt noch vom Beklagten Ziff. 1 wegen behaupteter ärztlicher Behandlungsfehler Schmerzensgeld und begehrt die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten Ziff. 1 für alle materiellen Schäden infolge des Todes ihres erst 41 Jahre alten Ehemannes.

Der am 14.12.1956 geborene Kurt L klagte am Samstag, 20.09. 1997, über Fieber und Erkältungsbeschwerden. Am Sonntag, 21.09.1997, verspürte er auch Schmerzen, die sich von der Mitte des Rückens über das Gesäß bis zum linken Knie erstreckten. Es trat zudem dunkel verfärbter Urin auf.

Am Dienstag, dem 23.09.1997 um 15.00 Uhr, begab er sich mit der Klägerin in die Allgemeinarztpraxis K in C, wo er von dem dort zum damaligen Zeitpunkt als Praxisassistenten angestellten Beklagten Ziff. 1 untersucht wurde.

Der Beklagte Ziff. 1 ließ Herrn L aufstehen, tastete den Gesäßbereich ab und stellte fest, dass kein glutäaler Druckschmerz, kein Nierenschmerz beim Abklopfen, aber paravertebrale Verspannungen der Lendenwirbelsäule vorlagen. Zehenspitzen- und Hackenstand waren noch möglich. Nach Hinweis auf den verfärbten Urin veranlasste der Beklagte Ziff. 1 eine Urinuntersuchung. Dokumentiert ist in diesem Zusammenhang:

"Ischialgie li., akuter Harnwegsinfekt. Rp: Diclac akut Tabl op, Diclofenac SF 1 Amp, rp: Kepinol forte Tbl op. AU: 23.09.97 - 27.9.97 ( e5) wg. Ischialgie. Diclo i.m.. Bei WV Blutentnahme. WV Mi. Evt l. Sono. NL o. B.. Labor Urin: Dichte 1.030, Eiw. ++, Urobil ++, Blut ++, Sed: Bakt. Maß, HK + Plap +, 1-3 Leuko".

Der Beklagte Ziff. 1 erfuhr von Herrn L, dass die geklagten rückseitigen Beschwerden seit zwei Tagen andauerten, sich bei Bewegung verstärkten und dass er vor wenigen Tagen noch Grippe, Schnupfen und Heiserkeit gehabt habe, letztere Erscheinungen sich aber gebessert hätten. Die Höhe des Fiebers war nicht bekannt. Über weiter bestehende Grippe- und Kreislaufsymptome wurde nicht berichtet.

Der Beklagte Ziff. 1 verordnete wegen einer von ihm vermuteten Ischialgie eine Diclofenac-Injektion i. m., Diclofenac in Tablettenform und verschrieb Herrn L zur Behandlung des von ihm diagnostizierten Harnwegsinfektes ein Antibiotikum (Kepinol). Für den 25.09.1997 wurde eine Wiedervorstellung vereinbart.

Die frühere Beklagte Ziff. 2, Arzthelferin in der erwähnten Praxis, führte die Injektion aus.

Nach der Injektion klagte Herr L über ein Brennen an der Injektionsstelle und musste schwitzen.

Gegen 17.30 Uhr desselben Tages fragte der Beklagte Ziff. 1 telefonisch bei der Klägerin nach dem Zustand ihres Mannes nach. Was die Klägerin hierauf antwortete, ist streitig.

Weil der positive Urobilinogen-Nachweis den Beklagten Ziff. 1 nicht in Ruhe ließ, bestellte er Herrn L anlässlich dieses Telefongesprächs schon für den folgenden Morgen des 24.09.1997 zu einer Blutentnahme ein.

Am Morgen des 24.09.1997 klagte Herr L zu Hause über eine Verschlechterung seines Zustandes. Kurz nach 8.00 Uhr fand die Klägerin ihn im Treppenhaus sitzend vor; Herr L äußerte, er sei gerade zusammengebrochen. Die Klägerin brachte Herrn L deshalb mit dem Auto zur Praxis K. Da Herr L nicht mehr in der Lage war, den Weg vom Auto in die Praxis zurückzulegen, kam der Beklagte Ziff. 1 zu Herrn L an das Auto, maß den Blutdruck, stellte einen unklaren Icterus, Parästhesien an beiden Oberschenkeln, generalisierte Myalgien fest und ordnete die sofortige Einweisung in das Kreiskrankenhaus C an, wozu ein Krankenwagen mit Sanitäter und Notarzt gerufen wurden. Der Beklagte Ziff. 1 legte noch einen venösen Zugang und nahm Blut zur Untersuchung im Krankenhaus.

Gegen 9.45 Uhr wurde Herr L in die Innere Abteilung des Kreiskrankenhauses C, dessen Träger die frühere Beklagte Ziff. 6 ist, eingeliefert, wo er dem diensthabenden Arzt, dem früheren Beklagten Ziff. 5, vorgestellt wurde. Dieser diagnostizierte einen fieberhaften Infekt mit Erbrechen und Wasserverarmung sowie eine Kreislaufschwäche im Rahmen eines Volumenmangels. Er informierte den früheren Beklagten Ziff. 3, Chefarzt der Inneren Abteilung des Kreiskrankenhauses C, der die Diagnose bestätigte. Bei der körperlichen Untersuchung des Herrn L zeigten sich dem früheren Beklagten Ziff. 3 neben einem leicht geröteten Rachen Hypästhesien im Bereich der Oberschenkelinnenseiten beidseits und eine leichte Marmorisierung der Haut im Bereich des Bauches, der Unterarme und der Unterschenkel. Eine Untersuchung auf das Laségue-Zeichen erbrachte ein negatives Ergebnis. Da das vom Beklagten Ziff. 1 entnommene Blut in hämolysiertem Zustand angekommen war, musste um 10.15 Uhr vom früheren Beklagten Ziff. 5 erneut Blut genommen werden. Zuvor lagen um kurz nach 10.00 Uhr die ersten Blutbildwerte vor (WBC [Leukozyten]: 10.700, PLT [Thrombozyten] 219.000 u. a.). Nach Abschluss der Aufnahmeuntersuchung wurde Herr L gegen 10.40 Uhr auf die Intensivstation verlegt und an Überwachungsgeräte angeschlossen. Er erhielt verschiedene Infusionen. Als vom Labor gegen 11.00 Uhr weitere Blutwerte mitgeteilt wurden (u. a. CRP: 35,7 mg/dl, CREA: 4.33 mg/l, CK 1956 U/l, CK-MB 88 U/I), rechnete der frühere Beklagte Ziff. 5 mit der Möglichkeit einer Rhabdomyolyse. Es wurde beschlossen, durch Anlegung von Blutkulturen und einer Urinkultur den Erreger zu suchen und vorläufig die begonnene Therapie fortzuführen. Gegen 11.30 Uhr wurde ein Basilikakatheter gelegt. Gegen Mittag übernahm der frühere Beklagte Ziff. 4, damals Oberarzt auf der Inneren Abteilung, die Behandlung. Er begann mit einer Echokardiographie und einer Sonographie. Ab etwa 12.15 Uhr wohnte auch der Beklagte Ziff. 3 diesen Untersuchungen bei. Sie mussten jedoch abgebrochen werden, weil bei Herrn L Atemnot eintrat. Kurz nach der hierauf erfolgten Intubation kam es zu einem akuten Herzmuskel versagen. Die um ca. 12.50 Uhr eingeleiteten Reanimationsmaßnahmen hatten keinen Erfolg und wurden um 13.47 Uhr eingestellt.

Bei der Obduktion am 25.09.1997 wurde als Grunderkrankung eine "perakute, gangränöse Myositis, Fasciitis und Panniculitis der linksseitigen Glutealregion bei Infektion mit hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A" und als Todesursache ein "akuter septischer und toxischer Schock mit präfinaler therapierefraktärer Elektrolytentgleisung" festgestellt.

Die Klägerin hat vorgetragen,

nach der Injektion des Diclofenac habe sich nicht nur ein Brennen an der Einstichstelle eingestellt; vielmehr habe ihr Mann auch ein pelziges Gefühl in den Beinen verspürt, ihm sei am ganzen Körper eiskalt gewesen, Schweißausbrüche seien aufgekommen. Ihr Mann habe nicht mehr laufen können. Eine Sprechstundenhilfe und sie hätten ihren Mann in das Sprechzimmer gebracht. Die Schweißausbrüche seien immer schlimmer geworden. Ihr Mann habe laut und schwer geatmet. Erst nach einiger Zeit sei der Beklagte Ziff. 1 hinzugekommen und habe lediglich die Urinprobe und das verordnete Antibiotikum erläutert.

Bei dem Telefonat gegen 17.30 Uhr am 23.09. habe sie dem Beklagten Ziff. 1 angegeben, ihrem Mann gehe es nicht besser, eher schlechter.

Die Klägerin hat dem Beklagten Ziff. 1 vorgeworfen, er habe fehlerhaft eine Untersuchung auf das Laségue-Zeichen hin nicht durchgeführt. Die Verordnung der Diclofenac-Injektion sei deshalb vorschnell und auf ungesicherter Grundlage erfolgt. Wäre die Untersuchung auf das Laségue-Zeichen hin durchgeführt worden, hätte eine Ischialgie ausgeschlossen werden können. Dies hätte eine andere Diagnose und Therapie veranlasst. Der Beklagte Ziff. 1 habe das klinische Erscheinungsbild ihres Mannes durch eine dringend gebotene Bestimmung der Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit und des CRP-Wertes abklären müssen. Ihr Mann habe noch am 23.09.1997 wegen des ersichtlich schwer kranken Zustandes in das Krankenhaus eingewiesen werden müssen. Die Versäumnisse des Beklagten Ziff. 1 seien ursächlich für den Todeseintritt geworden. Insoweit komme der Klägerin eine Beweiserleichterung zugute, weil das Unterlassen der Einweisung in das Krankenhaus als grober Behandlungsfehler zu bewerten sei.

Die Klägerin hat deshalb beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin als Erbin ihres verstorbenen Ehemannes wegen der anlässlich der bei diesem am 23.09.1997 und 24.09.1997 durchgeführten Behandlungen erlittenen Schädigungen ein angemessenes Schmerzensgeld zu bezahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch in Höhe von 50.000,00 DM nebst 4 % Zinsen daraus seit Rechtshängigkeit,

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin alle materiellen Schäden zu ersetzen, welche dieser entstanden sind oder noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte Ziff. 1 hat vorgetragen, Herr L sei am 23.09.1997 in gebückter Haltung ins Sprechzimmer gekommen und habe über heftige Schmerzen im linken Gesäß und an der Rückseite des linken Oberschenkels geklagt. Die Laséque-Prüfung sei entbehrlich gewesen, da Herr L ohnehin schon über Schmerzen im Gesäß und im Oberschenkel geklagt habe. Die Diclofenac-Injektion sei aufgrund der vorhandenen Symptome angezeigt gewesen. Das von Herrn L etwa 30 Minuten nach der Injektion angegebene Schwitzen sei eine häufige Reaktion auf starke Schmerzen.

Anlässlich des um 17.30 Uhr mit der Klägerin geführten Telefongespräches habe diese ihm gegenüber erklärt, ihrem Mann gehe es besser, er müsse aber noch schwitzen. Eine sofortige Einweisung ins Krankenhaus sei nicht angezeigt gewesen. Die tatsächliche Erkrankung des Herrn L sei für ihn am 23.09.1997 nicht erkennbar gewesen. Anlass für weitere Untersuchungen habe nicht bestanden. Die tatsächlich bei Herrn L bereits am 23.09.1997 vorgelegene Erkrankung, die nicht erkennbar gewesen sei, habe sich schon im Endstadium befunden. Eine Blutuntersuchung habe den Tod des Herrn L nicht mehr verhindern können, weil das Ergebnis frühestens nach 24 Stunden vorgelegen hätte.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. P. K, das dieser auf die Einwände der Klägerin hin, fachlich unterstützt durch Prof. Dr. E. P, schriftlich ergänzt und in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 15.11. 2000 erläutert hat. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 166-186, Bl. 227-230 und Bl. 268-275 d. A. Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat weder Behandlungs- noch Befunderhebungsfehler des Beklagten Ziff. 1 als erwiesen angesehen. Das Landgericht hat sich davon überzeugt, dass die zum Tod des Ehemannes der Klägerin führende Krankheit - ein Streptokokken - bedingtes toxisches Schocksyndrom (STSS) mit begleitender nekrotisierender Fasciitis und Myositis - zu dem Zeitpunkt, als der Beklagte Ziff. 1 erstmals mit der Behandlung von Herrn L befasst wurde, bereits so weit fortgeschritten war, dass der tödliche Verlauf nicht mehr aufzuhalten war.

Gegen dieses der Klägerin am 25. Januar 2001 zugestellte Urteil hat sie am Montag, den 26. Februar 2001, Berufung eingelegt und diese am 25. April 2001 innerhalb verlängerter Frist begründet.

Die Klägerin greift insbesondere die Feststellung eines schon am 23.09.1997 unrettbaren Verlaufs an. Der gerichtliche Sachverständige habe sich mit seinen Ausführungen in Widerspruch zu denjenigen des Privatsachverständigen Prof. Dr. P gesetzt. Diesem Widerspruch sei das Landgericht nicht zureichend nachgegangen.

Unter Berufung auf Ausführungen des Privatsachverständigen Prof. Dr. P behauptet die Klägerin, ihr Mann habe bei einer sofortigen, noch am Nachmittag des 23.9.1997 erfolgten Einweisung in das Krankenhaus eine Überlebenschance gehabt.

Dem Beklagten Ziff. 1 legt sie einen Befunderhebungsfehler zur Last, weil dieser die Blutsenkungsgeschwindigkeit nicht bestimmt hat. Wäre dies erfolgt, hätte sich ein reaktionspflichtiges Ergebnis gezeigt, weil sich eine sehr hohe Blutsenkungsgeschwindigkeit ergeben hätte. Jedenfalls die Einweisung in das Krankenhaus wäre notwendige Konsequenz gewesen. Neben der Bestimmung der Blutsenkungsgeschwindigkeit hätte der Beklagte Ziff. 1 auch ein Blutbild erstellen lassen müssen.

Die Diclofenac-Injektion sei ungezielt verabreicht worden, und zwar ohne vorhergehende eingehende körperliche Untersuchung des Herrn L. Insbesondere wäre der Beklagte Ziff. 1 verpflichtet gewesen, eine Untersuchung auf das Laségue-Zeichen hin durchzuführen. Weil er dies unterlassen habe, habe er vorschnell eine Ischialgie angenommen. Dies alles sei geschehen trotz der bekannten Vorgeschichte und des schlechten Zustandes des Herrn L, der durch einen fieberhaften "grippalen" Infekt, starke Schmerzen, braunen Urin und eine allgemeine Schwäche gekennzeichnet gewesen sei.

Zudem sei der Entzündungsablauf durch die verabreichte Diclofenac-Injektion negativ beeinflusst worden.

Dass der Beklagte Ziff. 1 Herrn L nicht sofort in das Kreiskrankenhaus noch am 23.09.1997 eingewiesen hatte, sei ein grober Fehler, weil der lebensbedrohliche Zustand ihres Mannes, insbesondere nach Verabreichung der Diclofenac-Injektion erkennbar gewesen sei.

Die Klägerin beantragt nach Rücknahme der ursprünglich auch gegen die Beklagten Ziff. 2-6 eingelegten Berufungen zuletzt noch unter Abänderung des angefochtenen Urteils:

1. den Beklagten Ziff. 1 zu verurteilen, an die Klägerin als Erbin ihres verstorbenen Ehemannes wegen der anlässlich bei diesem am 23.09.1997 und 24.09.1997 durchgeführten Behandlungen erlittenen Schädigungen ein angemessenes Schmerzensgeld zu bezahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch in Höhe von 50.000,00 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit bis 30.04.2000 und 5 % über dem jeweiligen Diskontsatz der Europäischen Zentralbank hieraus ab 01.05.2000,

2. festzustellen, dass der Beklagte Ziff. 1 verpflichtet ist, der Klägerin alle materiellen Schäden zu ersetzen, welche dieser entstanden sind oder noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

Der Beklagte Ziff. 1 beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für richtig.

Der Senat hat ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt, das Prof. Dr. Peter K am 26.09.2001 (vgl. Bl. 408/430 d. A.) schriftlich vorlegte und im Termin vor dem Senat am 19.02.2002 mündlich erläuterte (vgl. Bl. 501 - 507 d.A.).

Wegen des übrigen Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf das Vorbringen der Parteien in den verschiedenen mündlichen Verhandlungen, wegen des übrigen Inhalts des angefochtenen Urteils auf dieses (vgl. Bl. 292-308 d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Klägerin steht weder ein kraft Erbfolge übergegangener Schmerzensgeldanspruch (§ 847 BGB) noch ein eigener Anspruch auf Ersatz materieller Schäden wegen des Todes ihres Ehemannes Kurt L am 24.09.1997 gegen den Beklagten Ziffer 1 zu.

Der Senat vermag wie das Landgericht keinen Behandlungs- oder Befunderhebungsfehler festzustellen (s. u. A); darüber hinaus ist der Senat auch mit den Sachverständigen Prof. Dr. K und Prof. Dr. K davon überzeugt, dass keine irgendwie geartete Behandlungsmaßnahme seitens des Beklagten Ziff. 1 ab Dienstag, 23.09.1997, 15.00 Uhr, den Tod des Herrn L hätte verhindern können (s.u. B).

A)

Die Diagnose, dass Herr L tatsächlich auch schon am 23.09.1997 an einer Fasciitis, Panniculitis der linksseitigen Glutealregion und einer perakuten, gangränösen Myositis litt, die ein Streptokokken - bedingtes toxisches Schocksyndrom bewirkten, hat der Beklagte Ziff. 1 nicht gestellt. Der von ihm der Behandlung zugrunde gelegte Verdacht auf Ischialgie und auf Harnwegsinfekt war objektiv falsch.

Vorwerfbar ist diese fehlerhafte Beurteilung dem Beklagten Ziff. 1 jedoch nicht (Gutachten Prof. Dr. K vom 29.12.1999, S. 14, Bl. 179 d. A.; GA Prof. K, S. 16/17, Bl. 423/424 d. A.).

Der Beklagte Ziff. 1 hat sich insbesondere nicht durch eine unterlassene weitergehende Befunderhebung den Blick auf die wahre Erkrankung des Herrn L selbst verstellt. Der Beklagte Ziff. 1 war schon bei der ersten Behandlung von Herrn L am Nachmittag des 23.9.1997 tatsächlich nicht nur mit den Auswirkungen einer Streptokokken-Fasciitis, sondern darüber hinaus auch mit einer Streptokokken-Myositis konfrontiert. Dieses Krankheitsbild, bei welchem gerade die begleitende Streptokokken-Myositis im Gegensatz zur nekrotisierenden Fasciitis keine charakteristischen Hautveränderungen zeigt, ist nach einer Literaturrecherche des erstinstanzlichen Gutachters Prof. Dr. K derart selten, dass bis Juli 2000 weltweit nur 100 Fallbeschreibungen, in Deutschland sogar nur zwei publiziert wurden. Die wahre Erkrankung des Herrn L ist eine absolute Rarität mit der Folge, dass deren Erkennung auch dem infektiologisch erfahrenen Arzt bei der klinischen Differenzialdiagnose Schwierigkeiten bereiten dürfte (vgl. GA Prof. Dr. K vom 11.07.2000, S. 2, Bl. 228 d. A.). Einem Allgemeinarzt ist es geradezu unmöglich, ein derart seltenes und komplexes Krankheitsbild zu diagnostizieren (Prof. Dr. K, GA vom 29.12.1999, S. 12/13, Bl. 177/178 d. A.). Die Seltenheit der Erkrankung zeigt sich auch darin, dass sie an den Universitäten kaum gelehrt wird. Es gibt für sie keinen beweisenden Test (GA Prof. Dr. K vom 29.12.1999, S. 14, Bl. 179 d. A.).

In etwa 30 % der Fälle geht das "STSS" mit einer nekrotisierenden Fasciitis einher, d. h. die muskelumgebenden Bindegewebsstrukturen erkranken. In 10 % der Fälle geht das "STSS" mit einer Streptokokken-Myositis einher. Die Erkrankung des Herrn L zeigte die Besonderheit, dass alle drei Komponenten, nämlich das STSS, die nekrotisierende Fasciitis und die Streptokokken-Myositis vorlagen (GA Prof. Dr. K vom 29.12.1999, S. 10, Bl. 175 d. A.). Vor diesem Hintergrund betrachtet kann dem Beklagten Ziff. 1 nicht vorgeworfen werden, dass er die kaschierte Grunderkrankung nicht erkannt hat, objektiv eine falsche Diagnose gestellt und weiterführende Befunde nicht erhoben hat.

I.

Dass der Beklagte Ziff. 1 Herrn L nicht auf das Laségue-Zeichen hin untersuchte, ist nicht fehlerhaft gewesen.

Herr L hat sich am Dienstag, dem 23.09.1997, gegen 15.00 Uhr unstreitig beim Beklagten Ziff. 1 vorgestellt mit der Schilderung von rückseitigen Schmerzen, die sich über das linke Gesäß bis zur Rückseite des linken Oberschenkels erstreckten. Außerdem hatte er von grippalen Symptomen, wie der Höhe nach unklarem Fieber, Schnupfen und Heiserkeit an den vorangegangenen Tagen, berichtet, die sich jedoch in der Zwischenzeit gebessert hätten. Nach dem von der Klägerin nicht widerlegten Vortrag des Beklagten Ziff. 1 ist dazu hin davon auszugehen, dass die geklagten Schmerzen als heftig geschildert wurden und Herr L in schmerzbedingt gebückter Haltung zur Untersuchung erschien. Der Beklagte Ziff. 1 verkannte zwar, dass die Schmerzen tatsächlich von der Fasciitis und Panniculitis der linksseitigen Glutealregion herrührten. Ausmaß und Schwere der tatsächlichen Erkrankung führten aber zu den Erscheinungen einer linksseitigen Ischialgie (GA Prof. K vom 29.12.1999, S. 5/6, Bl. 170/171 d. A.). Die Symptome der tatsächlichen Erkrankung waren sogar identisch mit denjenigen einer Lumboischialgie (Prof. Dr. K, Protokoll vom 15.11.2000, S. 2/3, Bl. 269/270 d. A.). Weitere Untersuchungen waren daher vom Beklagten Ziff. 1 als Allgemeinarzt nicht durchzuführen (Prof. Dr. K, Protokoll vom 15.11.2000, a.a.O.).

Dass der Beklagte Ziff. 1 die Untersuchung auf das Laségue-Zeichen hin - nach seinen unwiderlegten Angaben schon wegen der bestehenden starken Schmerzen - nicht durchführte, nachdem er das Gesäß und den Rücken abgetastet hat und den Zehen- und Hackenstand ausführen ließ, war verständlich. Die Laségue-Prüfung war angesichts des Beschwerdebildes nicht geboten, weil das Gesamtbild für den untersuchenden Arzt in sich schlüssig war (vgl. Prof. Dr. K, Protokoll vom 19.02.2002, S. 6).

II.

Die Verordnung einer intramuskulären Diclofenac-Injektion entsprach in der gegebenen Situation ärztlichem Standard. Die versuchsweise Gabe von Diclofenac zur Schmerzbehandlung war nachvollziehbar (Prof. Dr. K, Gutachten vom 29.12.1999, S. 6 u. 12, Bl. 171 u. 177 d. A.). Die adäquate Behandlung der Schmerzen stand für den Beklagten Ziff. 1 im Vordergrund (GA Prof. Dr. K, S. 9, Bl. 416 d. A.), so dass die Therapie mit Diclofenac angemessen und zielgerichtet war (GA Prof. Dr. K, a.a.O., u. S. 18, Bl. 425 u.). Der Beklagte Ziff. 1 hätte sogar nicht korrekt gehandelt, wenn er Herrn L mit der von ihm angenommenen Lumboischialgie nicht der gebotenen Schmerzbehandlung zugeführt hätte (GA Prof. Dr. K, S. 16, Bl. 421 d. A. u. Protokoll vom 19.02.2002, S. 7 u. S. 9).

Der Umstand, dass Diclofenac zwar grundsätzlich eine entzündungshemmende Substanz ist, bei ganz speziellen bakteriellen Entzündungen aber den Verlauf beschleunigen kann (Prof. Dr. K, Protokoll vom 15.11. 2000, S. 3, Bl. 270 d. A.), stand der Gabe dieses Medikamentes nicht entgegen, weil der Beklagte Ziff. 1 aus den genannten Gründen die Möglichkeit einer solchen speziellen bakteriellen Erkrankung nicht erkennen musste (vgl. Prof. Dr. K, a.a.O.).

III.

Die Bestimmung der Blutsenkungsgeschwindigkeit und die Anfertigung eines (Differenzial-)Blutbildes waren nicht geboten.

1.

Die Diagnose der seltenen Erkrankung des "STSS" kann nur durch Blutkulturen gestellt werden, für deren Diagnostik aber zwei bis drei Tage veranschlagt werden müssen (Prof. Dr. K, GA S. 15, Bl. 180 d. A.). Dagegen wäre die Bestimmung der Blutsenkungsgeschwindigkeit innerhalb zwei Stunden möglich gewesen.

2.

Aber auch in diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Symptome der tatsächlichen Erkrankung identisch waren mit den Symptomen einer Lumboischialgie, weshalb kein Anlass für weitere Untersuchungen in dieser Richtung bestanden (Prof. Dr. K, Protokoll vom 15.11.2000, S. 2-5, Bl. 269-272 d. A.). Im Übrigen hätte die zu erwartende Erhöhung der Blutsenkungsgeschwindigkeit im vorliegenden Fall eine plausible Erklärung in dem nach Angaben des Herrn L tatsächlich in der vergangenen Zeit abgelaufenen grippalen Infekt gefunden, die später festgestellte wahre Erkrankung hätte sie aber nicht erahnen lassen, weshalb sie im klinischen Management keinen wirklichen Nutzen gehabt hätte (Prof. Dr. K, GA S. 14/15, Bl. 421/422 d. A.). Weil also die Beschwerden der Lumboischialgie eindeutig im Vordergrund standen und dominierten, war es plausibel, dass der Beklagte Ziff. 1 am 23.09.1997 ein Blutbild noch nicht erstellen ließ, zumal Herr L zu diesem Zeitpunkt nicht fieberte (Prof. Dr. K, Protokoll vom 19.02.2002, S. 5).

IV.

Eine Einweisung in stationäre Krankenhausbehandlung oder/und die sofortige Einleitung einer hochdosierten Antibiotika-Therapie waren am 23.09.1997 nicht veranlasst.

1.

Noch nicht einmal die am 24.09.1997 im Kreiskrankenhaus C gewonnenen Parameter indizierten die Gabe eines Antibiotikums, da auch noch zu diesem Zeitpunkt die Infektion verschleiert war. Der Sachverständige Prof. Dr. K hat als allgemein gültige Kriterien für die Verordnung von Antibiotikum wie folgt beschrieben: Erhöhung der Körpertemperatur auf mehr als 38,5°C, CRP-Wert bei über 50 mg/l, Leukozytenzahl höher als 10/nL und Vorliegen einer gravierenden Begleiterkrankung. Die erhöhte Zahl weißer Blutkörperchen und der erhöhte CRP-Wert rechtfertigten auch am 24.09.1997 allein nicht die Gabe eines Antibiotikums (GA Prof. Dr. K vom 29.12.1999, S. 10, Bl. 175 d. A.; GA vom 11.07.2000, S. 3 o., Bl. 229 d. A.). Nichts anderes gilt für den 23.09.1997. Eine hochdosierte Antibiotika-Therapie war zu diesem Zeitpunkt in keiner Weise ableitbar, weil wesentliche Hinweise hierfür fehlten und die geschilderten Symptome und Untersuchungsergebnisse die vom Beklagten Ziff. 1 angenommenen Verdachtsdiagnosen belegten (GA Prof. Dr. K, S. 16, Bl. 423 d. A.).

Der angebliche grippale Infekt an den vorangegangenen Tagen verlangte auch nicht die Gabe hochdosierter Antibiotika, da dem Beklagten Ziff. 1 nur über grippale Symptome berichtet worden war. Schluckstörungen, (anhaltendes) Fieber und weitere Krankheitszeichen, die an eine akute Tonsillitis/Pharyngitis hätten denken lassen können, wurden nicht berichtet (Prof. Dr. K, GA S. 8, Bl. 415 d. A.). Aus der gesamten klinischen Situation heraus stellte sich die Verdachtsdiagnose einer A-Streptokokken-Infektion der oberen Luftwege nicht (Prof. Dr. K, GA S. 12, Bl. 419 d. A.).

2.

Der braune Urin des Herrn L passte zwar nicht zu der Verdachtsdiagnose des Harnwegsinfektes des Beklagten Ziff. 1. Er hat sie jedoch hinterfragt und hat Herrn L auch folgerichtig für den nächsten Morgen zur Blutentnahme einbestellt (vgl. GA Prof. Dr. K, S. 11, Bl. 418 d. A.). Der Beklagte Ziff. 1 hat mit dieser Verfahrensweise verantwortlich gehandelt; ein Fehler kann nicht festgestellt werden (GA Prof. Dr. K, S. 16/17, Bl. 423/424 d. A.; Prof. Dr. K, Protokoll vom 15.11.2000, S. 2, Bl. 269 d. A.). Am 23.09.1997 stand die Schmerzbekämpfung im Vordergrund.

3.

Es bestand kein Krankheitsbild, das es gebot, Herrn L noch am 23.09.1997 in stationäre Krankenhausbehandlung einzuweisen (Prof. Dr. K, Protokoll vom 15.11.2000, S. 2/3, Bl. 269/270 d. A.). Zu Unrecht wirft die Klägerin dem Beklagten Ziff. 1 vor, er habe die Vorgeschichte ihres Mannes nicht genügend beachtet und hätte Herrn L wegen des vorangegangenen fieberhaften grippalen Infekts, der starken Schmerzen, des braunen Urins und vor allem wegen der allgemeinen Schwäche noch am 23.09.1997 zur stationären Behandlung überweisen müssen. Die genannten Erscheinungen waren keine harten Kriterien, die eine stationäre Behandlung zu diesem Zeitpunkt erforderten: Der fieberhafte grippale Infekt konnte viraler Genese gewesen sein, er war nach Angaben aus der Krankengeschichte bereits wieder abklingend. Die starken Schmerzen standen im Vordergrund und konnten als Lumboischialgie gewertet werden. Der braune Urin passte nicht in das Konzept, wurde von dem Beklagten Ziff. 1 aber korrekterweise hinterfragt. Die "allgemeine Schwäche" ist eine globale Aussage ohne Wert (vgl. Prof. Dr. K, GA S. 11, Bl. 418 d. A.). Die stationäre Einweisung war deshalb anlässlich der bei der Erstbehandlung am 23.09.1997 vorhandenen Symptome noch nicht geboten (GA Prof. Dr. K, S. 16, Bl. 423 d. A.). Der Beklagte Ziff. 1 hat verantwortlich gehandelt (GA Prof. Dr. K, a.a.O., Protokoll vom 19.02.2002, S. 9/10 d. A.).

B)

Für den Tod des Herrn L war dessen Behandlung durch den Beklagten Ziff. 1 nicht ursächlich.

I.

Beweiserleichterungen im Blick auf die grundsätzlich von ihr nachzuweisende Kausalität zwischen dem Behandlungsgeschehen und dem Schadenseintritt, hier dem Tod ihres Mannes am 24.09.1997, könnten der Klägerin zugute kommen, wenn ihr der Nachweis eines nicht nur einfachen, sondern groben Behandlungs- oder Befunderhebungsfehlers gelungen wäre und/oder wenn die - nicht grob - fehlerhafte Unterlassung einer gebotenen Befunderhebung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einen so deutlichen und gravierenden Befund ergeben hätte, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion auf ihn als grob fehlerhaft darstellen müsste (vgl. u. a. BGH NJW 1999, 3408 ff.). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

1.

Die Klägerin hat den Nachweis für einen Behandlungs- oder Befunderhebungsfehler nicht geführt, schon gar nicht für einen groben Fehler solcher Art (s.o. A).

2.

Weitere Befunderhebungen hätten kein reaktionspflichtiges Ergebnis im beschriebenen Sinne erbracht.

a)

Wie eine Untersuchung auf das Laségue-Zeichen hin ausgefallen wäre, ist völlig offen (Prof. Dr. K, Protokoll vom 19.02.2002, S. 10; Prof. Dr. K, GA vom 29.12.1999, S. 12, Bl. 177 d. A.) und kann nicht vorhergesagt werden. Auch der negative Befund vom Folgetag lässt angesichts der Einbeziehung des nervus ischiadicus in das Krankheitsgeschehen keinen Rückschluss zu.

b)

Die Blutsenkungsgeschwindigkeit wäre, wäre sie denn vom Beklagten Ziff. 1 bestimmt worden, zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr hoch gewesen (Prof. Dr. K, Protokoll vom 15.11.2000, S. 4, Bl. 271 d. A.); der Wert hätte aber - wie schon ausgeführt - lediglich den nach Angaben des Herrn L tatsächlich abgelaufenen "grippalen" Infekt erklärt, hätte die tatsächliche Erkrankung nicht erahnen lassen und hätte im klinischen Management keinen wirklichen Nutzen gehabt (GA Prof. Dr. K, S. 14/15, Bl. 421/422 d. A.).

c)

Ein (Differenzial-)Blutbild hätte nach den nicht widerlegten Angaben des Beklagten Ziff. 1 erst am nächsten Tag vorliegen können. Erkenntnisse hieraus im Blick auf eine (erfolgversprechende) Behandlung des Herrn L hätten wegen des tragischen, foudroyanten Krankheitsverlaufs nicht mehr gezogen werden können. Gewinnbringende Erkenntnisse insbesondere in Hinsicht auf die erregerabhängige Wahl des Antibiotikums hätte nur die Anlegung einer Blutkultur erbracht, deren Ergebnisse aber erst nach Ablauf von zwei bis drei Tagen hätten vorliegen können (Prof. Dr. K vom 29.11.1999, S. 15, Bl. 180 d. A.). Selbst wenn ein (Differenzial-)Blutbild noch am 23.9.1997 vorgelegen hätte, hätte das Ergebnis nicht zu einer erfolgreichen Behandlung geführt. Hätte ein (Differenzial-)Blutbild noch rechtzeitig vorliegen können, hätte man eine Leukozytose (Vermehrung der Leukozyten) oder aber auch, weil die Leukozyten am Ort der Entzündung verbraucht werden, eine Leukopenie (Verminderung der Leukozyten) erwarten können. Erwartet hätte man auch eine erniedrigte Thrombozytenzahl, was am nächsten Tag im Kreiskrankenhaus C aber auch nicht der Fall war (Prof. Dr. K, Protokoll vom 19.02.2002, S. 6). Selbst der am 24.09.1997 im Kreiskrankenhaus C erhobene erhöhte CRP-Wert (35,7 mg/dl) konnte, weil er ein völlig unspezifischer Entzündungsparameter ist, nur auf eine Infektion als solche hinweisen, nicht aber darauf, welcher Art und Form diese war (Prof. Dr. K vom 11.07.2000, S. 2, Bl. 228 d. A.). Bei Unkenntnis des Erregers wäre also auch bei rechtzeitiger Kenntnis des Beklagten Ziff. 1 von einem deutlich erhöhten CRP-Wert der Einsatz eines Antibiotikums nicht indiziert gewesen (Prof. Dr. K vom 11.07.2000, S. 3, Bl. 229 d. A.). Aus infektiologischer Sicht ist die blinde Gabe von hochdosierten Breitbandantibiotika bei nicht vorbelasteten Patienten nicht indiziert (Prof. Dr. K, GA S. 20, Bl. 427 d. A.). Anhaltspunkte für eine solche Vorbelastung gab es nicht (GA Prof. Dr. K, a.a.O.).

II.

Der tödliche Krankheitsverlauf war am 23.9.1997 nicht mehr aufzuhalten. Eine Chance zum Überleben hatte Herr L schon nicht mehr, als er sich am 23.09.1997 beim Beklagten Ziff. 1 vorstellte. Die Erkrankung hat in ihrer Schwere schon am 23.09.1997 vor dem Besuch in der Allgemeinpraxis K bestanden (GA Prof. Dr. K, S. 9, Bl. 174 d. A.). Das Ausmaß der Erkrankung ist dadurch geprägt, dass alle drei Komponenten, nämlich STSS, nekrotisierende Fasciitis und Streptokokken-Myositis vorgelegen haben, was für die besondere Aggressivität der Erreger spricht (GA Prof. Dr. K, S. 10, Bl. 175 d. A.). Eine schwerwiegende Komplikation der Erkrankung des "STSS" war die Entzündung der Herzmuskulatur. Diese hat den frühen Tod ausgelöst. Derartige Erkrankungen der Herzmuskulatur treten erst in einem späten Stadium der Erkrankung auf und belegen oftmals, dass die septische Komplikation schon lange vorbestanden hat. Bei Erkrankungen der Herzmuskulatur im Sinne einer kardialen Streptokokken-Myositis ist die Prognose extrem schlecht, so dass der tödliche Verlauf nicht aufzuhalten war (GA Prof. Dr. K vom 29.12.1999, S. 18, Bl. 183 d. A.).

Der foudroyante Krankheitsverlauf war im Zeitpunkt der Erstbehandlung durch den Beklagten nicht mehr zu stoppen. Der neben der Vermehrung der A-Streptokokken ablaufende, die körpereigene Abwehr und Gegenregulationsmechanismen ausschaltende "Zytokinsturm" ist allein durch die Gabe von Antibiotika, die nur die Bakterienvermehrung hemmen können, nicht aufzuhalten (Prof. Dr. K, GA S. 8, Bl. 415 d. A.). Neben intensiv-medizinischen Maßnahmen ist auch eine chirurgische Intervention erforderlich. Möglicherweise hätten intensiv-medizinische Maßnahmen und eine aggressive chirurgische Therapie mit ausgedehntem Debridement am Nachmittag des 21.09.1997 den Krankheitsverlauf beeinflussen können. Es bestehen aber starke Zweifel, ob Chirurgen aufgrund des vorliegenden Befundprofils die Indikation zu einer solchen eingreifenden Notoperation so früh gestellt hätten (GA Prof. Dr. K, S. 21, Bl. 428 d. A. und Protokoll vom 19.02.2002, S. 4/5).

Entscheidend für das Schicksal des Herrn L war, dass sich seine Erkrankung am Nachmittag des 23.09.1997 bereits in einem fortgeschrittenen Stadium befand, in welchem es keine Behandlungsmethode mehr gab, die den Tod am nächsten Tag verhindern konnte.

C)

Die Feststellungen beruhen auf den überzeugenden schriftlichen und mündlichen Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. K und Prof. Dr. K.

Das vom Senat eingeholte weitere Gutachten des Prof. Dr. K hat die Ergebnisse der gutachterlichen Äußerungen des erstinstanzlichen Sachverständigen Prof. Dr. K in allen wesentlichen Punkten bestätigt. Widersprüche sind nicht zu Tage getreten.

Die teilweise abweichenden Beurteilungen des Behandlungsgeschehens durch Prof. Dr. P begründeten jedoch keine Zweifel an der Überzeugungskraft der beiden gerichtlichen Sachverständigen.

1.

Die Sachkunde der gerichtlichen Sachverständigen ist zweifelsfrei. Prof. Dr. K ist ein nachgewiesener Spezialist auf dem Gebiet des "STSS". Dies zeigt beispielhaft die seinem schriftlichen Gutachten vom 29.12.1999 beigefügte Literaturliste mit einschlägigen Veröffentlichungen aus den Jahren 1997 bis 1999. Gleiches gilt für den weiteren gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. K als Leiter der Sektion Infektiologie und klinische Immunologie der Abteilung Innere Medizin III des Universitätsklinikums Ulm.

2.

Soweit der Privatsachverständige der Überzeugung ist, der klinische Eindruck vom Gesundheitszustand des Herrn L sei so gewesen, dass eine Krankenhausbehandlung zwingend gewesen sei, entspricht dies nicht den Feststellungen des Senats. "Schwer krank" war Herr L - wie die späteren Erkenntnisse ausweisen - tatsächlich am 23.09.1997. Einen solchen Eindruck hinterließ er aber beim Beklagten Ziff. 1 nicht nachweisbar. Er bewertete den Gesamtzustand als vorwiegend schmerzbedingt reduziert. Dies gilt auch für den Schweißausbruch im Anschluss an die Diclofenac-Injektion, den der Beklagte Ziff. 1 auf die starken lumboischialgieformen Schmerzen des Herrn L zurückführte. Unglaubwürdig ist das schon deshalb nicht, weil es auch nach Einschätzung von Prof. Dr. K durchaus so gewesen sein kann, dass der Eindruck des Herrn L im Zeitpunkt der Behandlung durch den Beklagten Ziff. 1 noch nicht so schlecht gewesen ist, wie man es aus der Retrospektive vermuten könnte. Prof. Dr. K hat es als häufig erstaunlich bezeichnet, dass innerhalb weniger Stunden bei dem vorliegenden Krankheitsbild eine dramatische Verschlechterung festzustellen ist (Protokoll vom 19.02.2002, S. 10 o.).

3.

Schließlich unterscheiden sich die Erklärungen der gerichtlichen Sachverständigen von denen des Prof. Dr. P in einem für die Überzeugungsbildung des Senats gewichtigen Punkt nicht:

Auch Prof. Dr. P hat eingeräumt, dass es in einem fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung an "STSS" nichts mehr gibt, was den Patienten retten kann (Protokoll vom 19.02.2002, S. 8 u.). Er bezweifelt indessen, ob dieses Stadium am Nachmittag des 23.9.1997 bereits eingetreten war und ist zudem davon überzeugt, dass - ohne chirurgische Intervention - eine hochdosierte Antibiotikumtherapie wirksam gewesen sein könnte. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Dass bereits ein fortgeschrittenes Stadium erreicht war, haben Prof. Dr. K und Prof. Dr. K wiederholt herausgestellt und für den Senat überzeugend - vor allem auch auf der Grundlage des Obduktionsergebnisses - damit begründet, dass neben der Fasciitis und der Panniculitis hier eben auch eine Myositis, also eine entzündliche Erkrankung des Herzmuskels vorlag (GA Prof. Dr. K vom 29.12.1999, S. 11 u. S. 18, Bl. 176 u. 183 d. A.; GA Prof. Dr. K, S. 7, Bl. 414 d. A. und Protokoll vom 19.02.2002, S. 10). Derartige Erkrankungen der Herzmuskulatur treten - wie erwähnt - erst in einem späten Stadium der Erkrankung auf und belegen, dass die septische Komplikation schon lange vorbestanden hat (GA Prof. Dr. K, S. 18, Bl. 183 d. A.). Auch der erhöhte Bilirubinwert vom 23.09.1997 ist ein besonders gravierendes Zeichen einer fortgeschrittenen Infektion, da die Leber schon Vergiftungszeichen aufweist und ihrer Entgiftungsfunktion nicht mehr nachkommt (GA Prof. Dr. K vom 29.12.1999, S. 11, Bl. 176 d. A.). Dem hat Prof. Dr. P nichts entgegengesetzt.

D)

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 und - im Hinblick auf die zurückgenommenen Berufungen - auf § 515 Abs. 3 ZPO, diejenige zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10 u. 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (vgl. § 543 Abs. 2 ZPO n.F.).

Ende der Entscheidung

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