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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 07.12.2006
Aktenzeichen: 1 AR 10/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 4
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 281
1. Eine wegen sachlicher Unzuständigkeit ausgesprochene Verweisung des Rechtsstreits an ein anderes Gericht unterliegt nicht der Bindungswirkung des § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO, wenn der Beschluss unter Verletzung des rechtlichen Gehörs einer Partei zustande gekommen ist oder objektiv willkürlich erscheint.

2. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Beklagten liegt vor, wenn das verweisende Gericht im schriflichen Vorverfahren eine Frist zur Erwiderung auf die Klage mit dem Hinweis an die Parteien auf die (angebliche) sachliche Unzuständigkeit verbindet, die Verweisung aber vor Ablauf der Frist und vor Stellungnahme des Beklagten ausspricht.


Oberlandesgericht Stuttgart 1. Zivilsenat Beschluss

Geschäftsnummer: 1 AR 10/06

07. Dezember 2006

In dem Rechtsstreit

wegen Bestimmung des zuständigen Gerichts

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart ohne mündliche Verhandlung am 07. Dezember 2006 unter Mitwirkung von

Vors. Richterin am Oberlandesgericht Rabbow-Geiß Richter am Oberlandesgericht Dr. Groß Richter am Oberlandesgericht Dr. Häcker

beschlossen:

Tenor:

Gemäß § 36 Abs.1 Nr.6 ZPO wird das Amtsgericht Tettnang zum zuständigen Gericht bestimmt.

Gründe:

I.

Das Landgericht Ravensburg hat die Sache dem Oberlandesgericht gemäß § 36 Abs.1 Nr.6 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt, nachdem sich sowohl das Amtsgericht Tettnang als auch das vorlegende Landgericht für sachlich unzuständig erklärt haben.

Der Kläger verlangt im zu Grunde liegenden Rechtsstreit Zahlung von insgesamt 5.411,30 € nebst Zinsen, bestehend aus der Rückzahlung eines an den Beklagten geleisteten Betrags von 5.000.-€ sowie weiterer 411,30 € vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Er hat in der Klagschrift den Streitwert mit 5.000.-€ beziffert und die Klage folgerichtig an das Amtsgericht Tettnang gerichtet. Das Amtsgericht hat mit Verfügung vom 5.10.2006 (Bl. 15 d.A.) das schriftliche Vorverfahren angeordnet, dem Beklagten eine Frist zur Klagerwiderung von weiteren 2 Wochen ab Ablauf der Notfrist des § 276 Abs.1 Satz 1 ZPO gesetzt und den Streitwert auf 5.411,30 € festgesetzt. Gleichzeitig hat es unter IV. darauf hingewiesen, dass die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts nicht gegeben sei und dem Kläger anheim gestellt, Verweisung an das Landgericht Ravensburg zu beantragen.

Mit Schriftsatz vom 9.10.2006 (Bl. 17 d.A.) hat der Kläger Verweisung beantragt. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 10.10.2006 (Bl. 17 a d.A.) - also noch vor Ablauf der Notfrist - sich für sachlich unzuständig erklärt und die Verweisung an das Landgericht Ravenburg ausgesprochen. Eine inhaltliche Begründung enthält der Beschluss nicht.

Mit Schriftsatz vom 11.10.2006 (Bl. 21 d.A.) hat der Beklagte seine Verteidigungsbereitschaft angezeigt und angekündigt, bis zum 7.11.2006 auf die Klage zu erwidern und zu der Verfügung vom 5.10.2006 Stellung zu nehmen.

Mit Beschluss vom 20.10.2006 (Bl. 22/23 d.A.) hat das Landgericht die Akten dem Amtsgericht zugeleitet mit der Anregung, den Verweisungsbeschluss zu überprüfen, weil dort § 4 Abs.1, 2.Halbsatz ZPO nicht beachtet sei und der Beschluss auch ohne die Gewährung ausreichenden rechtlichen Gehörs zustande gekommen sei.

Mit Beschluss vom 22.1.2006 (Bl. 25 ff.d.A.) hat das Amtsgericht die Rücknahme des Verfahrens abgelehnt, weil die im Verweisungsbeschluss vertretene Auffassung richtig sei, jedenfalls nicht jeglicher Rechtsgrundlage entbehre.

Das Landgericht hat sich mit Beschluss vom 27.11.2006 (Bl. 29/30 d.A.) für sachlich unzuständig erklärt und die Sache dem Oberlandesgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs.1 Nr.6 ZPO vorgelegt.

II.

Nachdem sich sowohl das Amtsgericht Tettnang als auch das Landgericht Ravensburg für sachlich unzuständig erklärt haben, hat der Senat gemäß § 36 Abs.1 Nr.6 ZPO das zuständige Gericht zu bestimmen. Zuständig ist gemäß § 23 Nr.1 GVG das Amtsgericht. Der dortige Verweisungsbeschluss steht dem ungeachtet der grundsätzlichen Bindungswirkung des § 281 Abs.2 Satz 4 ZPO nicht entgegen, weil die Verweisung inhaltlich unrichtig und unter Verletzung rechtlichen Gehörs zustande gekommen ist. Zudem hat das Amtsgericht den Verweisungsbeschluss inhaltlich nicht begründet, so dass nicht erkennbar ist, dass es sich mit § 4, 2. Halbsatz ZPO überhaupt auseinandergesetzt hat.

1. Ob im vorliegenden Fall das Amtsgericht oder das Landgericht sachlich zuständig ist (§§ 23, 71 GVG) hängt im Ausgangspunkt davon ab, ob die im Rahmen des Klagantrags Ziff.1 geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 411, 30 € in die Berechnung des Zuständigkeitsstreitwerts mit einzubeziehen sind. Dies bestimmt sich nach § 4, 2. Halbsatz ZPO, wonach unter anderem Kosten, zu denen auch solche der Rechtsverfolgung zählen, bei der Streitwertberechnung unberücksichtigt bleiben, soweit sie als Nebenforderung geltend gemacht werden. Unter Nebenforderungen in diesem Sinn versteht man solche Ansprüche, die neben dem Hauptanspruch, von dem sie in ihrer Entstehung abhängig sind, geltend gemacht werden, auch wenn sie ausgerechnet und dem Hauptanspruch ziffernmäßig zugeschlagen werden (vgl. nur BGH NJW 1998, 2060; Thomas/Putzo-Hüßtege, ZPO, 27. Auflage, Rn 8 zu § 4 ZPO).

Wird eine solche Nebenforderung zusammen mit dem Hauptanspruch eingeklagt, so ist es für den Zuständigkeitsstreitwert gemäß § 4, 2. Halbsatz ZPO unbeachtlich, ob der Kläger die Nebenforderung gesondert ausweist oder sie betragsmäßig mit dem Hauptanspruch verbindet (BGH aaO). Andernfalls hätte er die Möglichkeit, die sachliche Zuständigkeit durch die Formulierung seines Antrags beliebig zu beeinflussen.

Im vorliegenden Fall beträgt daher der Zuständigkeitsstreitwert 5.000.-€, wie ihn auch der Kläger in der Klage zutreffend angegeben hatte.

2. Die gegenteilige Auffassung des Amtsgerichts Tettnang ist rechtlich nicht ernsthaft vertretbar, so dass der gleichwohl ausgesprochenen Verweisung trotz § 281 Abs.2 Satz 4 ZPO keine Bindungswirkung zukommt, zumal der Beschluss nicht begründet ist und auch unter Verletzung rechtlichen Gehörs erging.

a) Die Bindungswirkung des § 281 Abs.2 Satz 4 ZPO, deren Zweck in der Verhinderung unökonomischer Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen mehreren Gerichten besteht, entfällt aus rechtsstaatlichen Gründen, wenn der Verweisung jede rechtliche Grundlage fehlt, sie also objektiv willkürlich erscheint (BGH NJW 1993, 1273; NJW 2004, 3201; Zöller-Greger, ZPO, 26. Auflage, RN 17 zu § 281 ZPO) oder unter Verletzung rechtlichen Gehörs erfolgt ist (BGHZ 102, 338; Zöller-Greger, aaO, RN 17a zu § 281 ZPO).

b) Das Amtsgericht hat das rechtliche Gehör des Beklagten verletzt. Zudem rechtfertigt der Vorgang die Wertung, dass die Verweisung auch inhaltlich objektiv willkürlich ist.

aa) Das Amtsgericht hat mit seiner Verweisung das dem Beklagten zustehende rechtliche Gehör nicht beachtet. Es hatte mit Verfügung vom 5.10.2006 (Bl. 15 d.A.) das schriftliche Vorverfahren angeordnet und dem Beklagten eine Frist zur Klagerwiderung von weiteren zwei Wochen ab Ablauf der gesetzlichen Notfrist gewährt. Nachdem der Hinweis unter Ziff. IV. der Verfügung nicht mit einer gesonderten, abweichenden Fristsetzung verbunden war, konnte der Beklagte auch zur Frage der Verweisung innerhalb der Klagerwiderungsfrist Stellung nehmen, was er mit - freilich erst nach der Verweisung eingegangem - Schriftsatz vom 11.10.2006 (Bl. 21 d.A.) angekündigt hat. Dadurch, dass das Amtsgericht den Rechtsstreit aber bereits am 10.10.2006 verwiesen hat, konnte er eine Stellungnahme innerhalb der ihm eingeräumten Frist nicht abgeben, was eine Verletzung des rechtlichen Gehörs bedeutet. Vor diesem Hintergrund ist auch der Hinweis des Amtsgerichts in seinem Beschluss vom 22.11.2006 (Bl. 26/27 d.A.) verfehlt, der Beklagte sei auf die Auffassung zur Zuständigkeit hingewiesen worden. Auf Grund eben diese Hinweises verbunden mit der Einräumung einer Stellungnahmefrist von weiteren 2 Wochen musste er nicht damit rechnen, dass eine Entscheidung vor Fristablauf ergehen würde, so dass er keine Veranlassung hatte, sich gesondert vorab zur Zuständigkeit zu erklären.

bb) Darüberhinaus hält der Senat dafür, dass die Verweisung objektiv willkürlich ist, weil sie auf einer rechtlich kaum nachvollziehbaren, fehlerhaften Anwendung des § 4, 2. Halbsatz ZPO beruht. Das Amtsgericht hat seine Rechtsauffassung weder in der Hinweisverfügung vom 5.10.2006 noch im Verweisungsbeschluss begründet. Insbesondere fehlt dort jegliche Auseinandersetzung mit der Bestimmung des § 4, 2. Halbsatz ZPO, so dass nicht fern liegt, dass das Amtsgericht diese Fragestellung zunächst nicht erkannt hatte. Erstmals im Beschluss vom 22.11.2006 (Bl. 25 ff.d.A.) wurde auf die Problematik überhaupt eingegangen.

Die Auffassung des Amtsgerichts, die darauf hinausläuft, die sachliche Zuständigkeit weitgehend ins Belieben des jeweiligen Klägers zu stellen, wird - soweit ersichtlich - aber auch nirgends ernsthaft vertreten. In der Rechtsprechung und der gängigen zivilprozessualen Kommentarliteratur findet sie keine Stütze (vgl. nur Zöller-Herget, ZPO, 26. Auflage, RN 13 zu § 4 ZPO; Thomas/Putzo-Hüßtege, ZPO, 27. Auflage, RN 8 zu § 4 ZPO). Auch die angeführte Kommentarstelle bei Baumbach/Lauterbach besagt nur, dass - was selbstverständlich ist - es bei der Geltendmachung von Zinsen oder Kosten darauf ankommt, ob diese als Haupt- oder Nebenforderung eingeklagt werden. Im vorliegenden Fall ist aber eindeutig, dass als Hauptforderung die Rückgewähr der an den Beklagten geleisteten Zahlung geltend gemacht wird, während die vorgerichtlichen Kosten - wie der Kläger bei der Streitwertangabe klargestellt hat - eine hiervon abhängige Nebenforderung sind.

Im Ergebnis ist daher das Amtsgericht Tettnang als das zuständige Gericht zu bestimmen.

Ende der Entscheidung

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