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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 03.08.2009
Aktenzeichen: 1 Ss 1215/09
Rechtsgebiete: StPO, ZPO


Vorschriften:

StPO § 44
ZPO § 270 Satz 2
Bei Übersendung eines Rechtsmittelschriftsatzes mit der Post darf der Rechtsmittelführer nur innerhalb des Ortsbestellverkehrs auf dessen Zugang bereits am darauf folgenden Werktag vertrauen. Bei Briefsendungen außerhalb des Ortbestellverkehrs muss er mit einer Postlaufzeit von zwei Werktagen rechnen. Dies gilt auf für sog. Einwurf-Einschreiben.
Oberlandesgericht Stuttgart

- 1. Strafsenat -

Beschluss

Geschäftsnummer: 1 Ss 1215/09

82 Js 45961/08 StA Stuttgart

vom 03. August 2009

in der Strafsache gegen

wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung;

Tenor:

Der Antrag der Angeklagten auf Entscheidung des Revisionsgerichts gegen den Beschluss des Landgerichts - Kleine Strafkammer - Stuttgart vom 12. März 2009 wird als unbegründet

verworfen.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführerin wurde vom Landgericht - Kleine Strafkammer - Stuttgart am 03. März 2009 in der Berufungsinstanz wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu der Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 70.-- € verurteilt. Unter dem 08. März 2009 verfasste sie ein von ihr unterzeichnetes Schreiben, dessen Auslegung nach Maßgabe des § 300 StPO ergibt, dass sie Revision gegen das Urteil einlegen wollte. Bei der Geschäftsstelle der zuständigen Strafkammer ging das von der Post beförderte Schreiben indes erst am 11. März 2009 und damit einen Tag nach Ablauf der Frist von 1 Woche zur Einlegung der Revision (§ 341 Abs. 1 StPO) ein. Aus diesem Grund verwarf das Landgericht Stuttgart mit Beschluss vom 12. März 2009 gemäß § 346 Abs. 1 StPO die Revision als unzulässig. Der dagegen gerichtete Antrag der Beschwerdeführerin auf Entscheidung des Revisionsgerichts gemäß § 346 Abs. 2 StPO bleibt ohne Erfolg.

II.

Der Antrag ist jedenfalls unbegründet.

1. Der Revisionsschriftsatz der ordnungsgemäß nach Maßgabe des § 35a Satz 1 StPO belehrten Beschwerdeführerin ist erst am 11. März 2009 und damit gemäß § 341 Abs. 1 StPO verspätet beim Berufungsgericht eingegangen. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus dem Aktenvermerk der Urkundsbeamtin der Berufungskammer vom 09. Juni 2009 und dem bei den Akten befindlichen Auszug aus dem von der Posteingangsstelle beim Landgericht Stuttgart geführten Buch über die Eingangszeitpunkte der entgegengenommenen Einschreibesendungen, in dem der Revisionsschriftsatz der Beschwerdeführerin unter dem 11. März 2009 unter seiner postalischen Einschreiben-Kennung eingetragen ist.

2. Der Beschwerdeführerin kann keine - auch von Amts wegen mögliche - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §§ 44, 45 StPO gewährt werden, weil die verspätete Revisionseinlegung nicht ohne ihr Verschulden erfolgt ist. Aus dem Poststempel auf dem Briefumschlag mit dem Revisionsschriftsatz ergibt sich, dass jener am 09. März 2009 bei der Post in , dem Wohnort der Beschwerdeführerin, aufgegeben wurde, und zwar als sog. Einwurf - Einschreiben. Sie durfte nicht darauf vertrauen, dass dieses Schriftstück bereits am folgenden Tag (rechtzeitig) bei Gericht eingeht.

Gemäß § 270 Satz 2 ZPO wird der Zugang eines Schriftstücks, das durch die Post übersandt wird, am folgenden Werktag vermutet, wenn der Empfänger im Bereich des Ortsbestellverkehrs ansässig ist (und das Schriftstück dort aufgibt), ansonsten am zweiten Werktag nach der Aufgabe zur Post. Zwar gilt die Vorschrift ihrem Wortlaut und ihrer systematischen Stellung nach unmittelbar nur für die Übersendung von Schriftsätzen im Zivilprozess im ersten Rechtszug vor den Landgerichten. Es erscheint aber sachgerecht, die darin enthaltene Wertung des Gesetzgebers über die regelmäßigen Postlaufzeiten im Strafprozess entsprechend anzuwenden.

Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 40, 42-46; NJW 1994, 1856 f.; NStZ 2004, 215 f.; NStZ-RR 2005, 176 f.) geht davon aus, dass ein von der Post beförderter Brief im Inland regelmäßig nicht länger als 2 (Werk-)Tage unterwegs ist (a.A. Meyer-Goßner, StPO, 52. Auflage, § 44 RdNr. 16 unter unzutreffendem Hinweis auf BVerfGE 40, 42, 45: regelmäßig 1 Tag). Ebenso ist nach § 2 Nr. 3 Post-Universaldienstleistungsverordnung im Inland eine Postlaufzeit von regelmäßig 2 Werktagen zu veranschlagen: Die Bundesregierung verpflichtet die Postunternehmen in der Vorschrift, im Jahresdurchschnitt mindestens 95 Prozent der an einem Werktag eingelieferten inländischen Briefsendungen bis zum zweiten auf den Einlieferungstag folgenden Werktag auszuliefern.

Eine regelmäßig nicht schutzwürdige, bloße Hoffnung auf rechtzeitigen Zugang vermag dagegen bei einem vernünftigen Absender die weitere Verpflichtung der Postunternehmen in § 2 Nr. 3 Post-Universaldienst-leistungsverordnung zu erwecken, dass im Jahresdurchschnitt mindestens 80 Prozent der inländischen Briefsendungen am ersten auf den Einlieferungstag folgenden Werktag ausgeliefert werden müssen (a.A. OLG Hamm, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 3 Ws 37-38/09: Regelmäßig 1 Tag Postlaufzeit im Inland). Nur im postalischen Ortsverkehr wird der Absender - entsprechend § 270 Satz 2 ZPO - wegen der Kürze der Entfernungen auf einen Zugang am darauf folgenden Werktag vertrauen dürfen.

Der Rechtsgrundsatz des § 270 Satz 2 ZPO gilt nicht nur für einfache Briefsendungen, sondern jedenfalls auch für sog. Einwurf-Einschreiben (insofern zutreffend OLG Hamm, Beschluss vom 17. Februar 2009 a.a.O.). Eine längere Laufzeit ist mit dieser Beförderungsart nämlich regelmäßig nicht verbunden. Deren Besonderheit besteht lediglich darin, dass der Postzusteller den Einwurf der Sendung in den Briefkasten oder eine andere Empfangsvorrichtung des Empfängers beurkundet.

Nach diesen Grundsätzen durfte die Beschwerdeführerin bei der Aufgabe ihres Revisionsschriftsatzes nicht darauf vertrauen, dass dieser rechtzeitig am folgenden Werktag ausgeliefert werden würde, weil der Bestimmungsort außerhalb des postalischen Ortsverkehrs von liegt. Unzumutbares wird von der Beschwerdeführerin damit nicht verlangt: Gewissheit über die regelmäßige Postlaufzeit hätte sie durch eine Nachfrage bei ihrem Einlieferungspostamt erlangen können, wo ihr im Sinne von § 2 Nr. 3 Post-Universaldienstleistungsverordnung hätte mitgeteilt werden müssen, dass eine Auslieferung am Folgetag nicht gewährleistet sei. Auf diese Auskunft hätte sie sich um eine anderweitige, schnellere Übermittlung ihres Revisionsschriftsatzes etwa per Fax oder durch eigenhändigen Einwurf in den Briefkasten des Landgerichts Stuttgart bemühen müssen. Somit war sie nicht gemäß § 44 StPO ohne ihr Verschulden verhindert, die Revisionseinlegungsfrist einzuhalten. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann ihr deshalb nicht gewährt werden.

Damit erweist sich ihr Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts gemäß § 346 Abs. 2 StPO als jedenfalls unbegründet.

3. Die Voraussetzungen einer Divergenzvorlage gemäß § 121 Abs. 2 GVG an den Bundesgerichtshof liegen nicht vor. Die abweichende Entscheidung des OLG Hamm vom 17. Februar 2009 (aaO) erging in einem Beschwerdeverfahren betreffend eine sofortige Beschwerde eines Angeklagten gegen einen Bewährungswiderrufsbeschluss und nicht in einem Revisionsverfahren. Zur Entscheidung des BGH vom 14. September 1993 (5 StR 567/93, veröffentlicht in GA 1994, 75) fehlt es an einer Divergenz. Jene Entscheidung bezieht sich auf die Postlaufzeiten im Justizvollzug bei Schreiben von Gefangenen an das Gericht, die regelmäßig im Behördenaustauschverkehr ohne Beteiligung der Post befördert werden, und besagt lediglich für diesen Fall, dass mit einer längeren Postlaufzeit als einem (Werk-) Tag nach Einlieferung des Schreibens in der Justizvollzugsanstalt nicht gerechnet zu werden braucht (dagegen weitergehend Meyer-Goßner, StPO, 52. Auflage, § 44 RdNr. 16).

4. Die Verwerfung des Antrags der Beschwerdeführerin auf Entscheidung des Revisionsgerichts ergeht ohne Kostenentscheidung (Meyer-Goßner, StPO, 52. Auflage, § 346 RdNr. 12).



Ende der Entscheidung

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