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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 03.08.2004
Aktenzeichen: 1 Ss 132/04
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 140 Abs. 2 | |
StPO § 412 S. 1 | |
StPO § 329 Abs. 1 S. 1 | |
StPO § 338 Nr. 5 |
2. Die prozessuale Mitwirkungspflicht des einspruchs- bzw. berufungsführenden Angeklagten, der aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und ab-geschoben worden ist, reicht nicht so weit, dass er sich für die Teilnahme an der Hauptverhandlung selbst eine Betretenserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland beschaffen muss.
Oberlandesgericht Stuttgart - 1. Strafsenat - Beschluss
Geschäftsnummer: 1 Ss 132/04
In der Strafsache
wegen unerlaubter Einreise u.a.
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart am 03. August 2004 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten werden das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 05. Dezember 2003 und das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 01. Februar 2002 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Stuttgart zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Durch Strafbefehl des Amtsgerichts Stuttgart vom 09. Mai 2001 war gegen den Angeklagten wegen unerlaubter Einreise in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt und unerlaubtem Aufenthalt ohne Pass gemäß §§ 3 Abs. 1 Satz 1, 4 Abs. 1, 39 Abs. 1, 55 Abs. 1, 58 Abs. 1, 52 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 6 AuslG, § 52 StGB eine Geldstrafe in Höhe von 20 Tagessätzen zu je 30 DM festgesetzt worden. Nachdem der am 10. Dezember 2000 wegen dieses Vorwurfs vorläufig festgenommene Angeklagte, gegen den bereits am 11. Dezember 2000 Abschiebungshaftbefehl erging, am 1. Februar 2001 mit unbefristeter Wirkung nach Spanien abgeschoben worden war, wurde der Strafbefehl seinem mit einer Zustellungsvollmacht und einer Vertretungsvollmacht nach § 411 Abs. 2 StPO versehenen Verteidiger ordnungsgemäß zugestellt. Dieser legte hiergegen form- und fristgerecht Einspruch ein und beantragte seine Beiordnung zum Pflichtverteidiger. Die Beiordnung wurde vom Amtsgericht abgelehnt, da die Voraussetzungen der §§ 140, 141 StPO nicht vorlägen, die hiergegen gerichtete Beschwerde des Verteidigers durch das Landgericht Stuttgart verworfen.
In der Hauptverhandlung am 01. Februar 2002, zu der weder der Angeklagte, dessen persönliches Erscheinen angeordnet und dem sicheres Geleit zugesichert worden war, noch sein Verteidiger erschienen waren, wurde der Einspruch gemäß § 412 Satz 1 StPO verworfen. Die Beschaffung einer Betretenserlaubnis gemäß § 9 Abs. 3 AuslG durch das Gericht hatte dieses zuvor ebenso wie einen weiteren Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung, der im Hinblick auf die nunmehr wegen der ausländerrechtlichen Problematik immer schwieriger werdende prozessuale Situation gestellt worden war, abgelehnt.
Gegen das Urteil vom 01. Februar 2002 legte der Verteidiger des Angeklagten rechtzeitig Berufung ein. In der dem Angeklagten über seinen Verteidiger am 04. November 2003 zugestellten - übersetzten - Ladung zur Berufungshauptverhandlung am 05. Dezember 2003 wurde der Angeklagte darauf hingewiesen, "dass Sie sich - sollten Sie persönlich zum Termin erscheinen wollen - von sich aus rechtzeitig eine Betretenserlaubnis zur Einreise in die Bundesrepublik Deutschland bei der für Ihren Wohnsitz in Spanien zuständigen deutschen Vertretung .... besorgen müssen. Gemäß § 411 Abs. 2 StPO können Sie sich aber auch in der Berufungsverhandlung durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Verteidiger (eine solche Vertretungsvollmacht ist von Ihrem Verteidiger vorgelegt und in den Akten) vertreten lassen".
Mit Schreiben vom 04. November 2003 beantragte der Verteidiger des Angeklagten die Beschaffung einer Betretenserlaubnis für seinen Mandanten durch das Gericht und darüber hinaus seine Beiordnung im Berufungsverfahren, da sich die Sach- und Rechtslage angesichts der besonderen ausländerrechtlichen Problematik und der daraus folgenden schwierigen prozessualen Fragestellung der genügenden Entschuldigung des Ausbleibens als besonders schwierig im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO darstelle. Beide Anträge wurden durch Beschluss des Landgerichts vom 21. November 2003 abgelehnt und in der Hauptverhandlung vom 05. Dezember 2003, zu der weder der Angeklagte noch sein Verteidiger erschienen waren, die Berufung gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen.
Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte das Verfahren und rügt die Verletzung materiellen Rechts.
II.
Die Revision ist zulässig (§§ 333, 341, 344, 345 StPO). Sie ist auch begründet, weil sowohl die ordnungsgemäß (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) erhobene Verfahrensrüge der Verletzung des § 338 Nr. 5 StPO als auch die Rüge, das Landgericht habe den Begriff der genügenden Entschuldigung verkannt, durchgreift.
1. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ergibt vorliegend die Gesamtschau aller Verfahrensumstände (vgl. hierzu OLG Hamm, NStZ-RR 1997, 78), dass die Mitwirkung eines Verteidigers hier wegen der besonderen ausländerrechtlichen Problematik der Beschaffung einer Einreisebewilligung gemäß § 9 Abs. 3 AuslG, die bei der Frage der genügenden Entschuldigung des Angeklagten eine entscheidende Rolle spielte, geboten war.
Zwar war die Sach- und Rechtslage zunächst einfach und auch für den Angeklagten überschaubar. Dies änderte sich jedoch, als sich - bereits im amtsgerichtlichen Verfahren - die Frage einer Betretenserlaubnis und die Zuständigkeit für deren Beschaffung stellte. Diese rechtliche Schwierigkeit, die sich daraus ergibt, dass gegen den nigerianischen Angeklagten, der aus der Bundesrepublik nach Spanien abgeschoben worden war, ein Einreiseverbot in die Bundesrepublik besteht, so dass es für die Teilnahme an der Hauptverhandlung einer besonderen Betretenserlaubnis durch die Ausländerbehörde bedarf, schränkt die eigenen Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten gravierend ein. Er wäre zum einen wegen seiner fehlenden Deutschkenntnisse, aber auch wegen fehlender Kenntnisse des deutschen Ausländerrechts ohne Hilfe eines Verteidigers nur schwerlich in der Lage gewesen, diese Problematik gegenüber dem Gericht geltend zu machen (so auch Landgericht Aachen, StraFo 2001, 170, 171).
Zur Sicherstellung der Verteidigungsinteressen des Angeklagten und eines fairen Verfahrens wäre deshalb die Bestellung eines Verteidigers notwendig gewesen.
2. Da sonach ein Fall der notwendigen Verteidigung vorlag, hätte ein Verwerfungsurteil ohne die Anwesenheit eines Verteidigers nicht ergehen dürfen.
§ 338 Nr. 5 StPO sichert die Pflicht zur Anwesenheit der notwendigen Verfahrensbeteiligten, wobei anerkannt ist, dass die Abwesenheit nur dann schadet, wenn sie sich auf wesentliche Teile der Hauptverhandlung erstreckt (Hanack in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage, Rdn. 84 zu § 338 m.w.N.). Es liegt deshalb grundsätzlich auch bei notwendiger Verteidigung kein Verstoß gegen § 338 Nr. 5 StPO vor, wenn der Angeklagte als der Rechtsmittelführer und sein Verteidiger der Berufungsverhandlung fernbleiben und die Strafkammer nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verfährt. Denn in diesem Fall wird weder zur Sache verhandelt noch werden insoweit irgendwelche Feststellungen zum Schuld- oder Strafausspruch getroffen, sondern gerade wegen der Abwesenheit des Angeklagten lediglich die verfahrensrechtliche Frage geprüft, ob die Voraussetzungen für die Anwendung des § 329 Abs. 1 StPO vorliegen (OLG Hamm, NJW 1970, 1245, 1246; Gössel in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage, Rdn. 31 zu § 329).
Anderes hat jedoch dann zu gelten, wenn - wie hier - die Erforderlichkeit der Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht auf einer für die Feststellung der Schuld- und Straffrage schwierigen Sach- und Rechtslage, sondern auf besonderen Schwierigkeiten beruht, die für die Beurteilung gerade der genügenden Entschuldigung im Sinne des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO bzw. § 412 Satz 1 StPO von entscheidender Bedeutung sind. In diesem Fall ist die Anwesenheit des Verteidigers in der Verhandlung unerlässlich; ein Verstoß hiergegen begründet den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO.
3. Das Landgericht hat darüber hinaus den Begriff der "genügenden Entschuldigung" gemäß § 329 Abs. 1 StPO verkannt.
Es hat hierzu folgendes festgestellt:
"Der Angeklagte wurde ordnungsgemäß unter Einhaltung der Ladungsfrist von einer Woche zu der Berufungsverhandlung geladen. Er ist ohne Angabe von Entschuldigungsgründen nicht erschienen und hat sich auch nicht durch seinen mit Zustellungsvollmacht gem. § 411 Abs. 2 StPO versehenen Verteidiger vertreten lassen, was ihm umso mehr möglich gewesen wäre, als es in der Berufungsverhandlung lediglich um die Entscheidung der Frage ging, ob das Amtsgericht den Einspruch des Angeklagten aus prozessualen Gründen zu Recht verworfen hatte, demnach in der Berufungsverhandlung nicht hätte zur Sache verhandelt werden können und auch nicht verhandelt worden wäre. Da das persönliche Erscheinen des Angeklagten dazu weder erforderlich noch angeordnet war, hätte er sich durch seinen Verteidiger vertreten lassen können oder wäre ihm zumutbar gewesen, sich selbst eine Betretenserlaubnis bei der zuständigen Ausländerbehörde Stuttgart über die deutsche Vertretung im Ausland oder über seinen zu seiner Vertretung bevollmächtigten Verteidiger einholen zu lassen, falls er persönlich vor Gericht hätte erscheinen wollen. Das Berufungsgericht, das das persönliche Erscheinen des Angeklagten gerade nicht für erforderlich gehalten hat, trifft keine Mitwirkungspflicht daran, dem Angeklagten eine Betretenserlaubnis, derer er zur Einreise in das Bundesgebiet in der Tat bedurfte, um sich nicht strafbar zu machen, zu verschaffen. Die Anordnung des freien Geleits allein hätte ihn - wie der Verteidiger zu Recht vorträgt - zwar vor dem Erlass eines Haftbefehls in vorliegender Sache bewahrt, jedoch die Strafbarkeit einer Wiedereinreise nach Abschiebung nicht beseitigt. Die Erteilung einer Betretenserlaubnis gem. § 9 Abs. 3 AuslG liegt allein im Ermessen der zuständigen Ausländerbehörde und hätte vom Angeklagten unter Vorlage der Ladung noch rechtzeitig beantragt werden können, sollte er den Wunsch gehabt haben, an der Verhandlung persönlich teilnehmen zu wollen. Über diese Möglichkeit wurde der Angeklagte sowohl in der Ladung als auch in dem ihm ordnungsgemäß zugestellten Beschluss vom 21.11.2003, in dem sein Antrag auf Beiordnung eine Pflichtverteidigers abgelehnt und sein weiterer Antrag, ihm vom Gericht eine Betretenserlaubnis zu verschaffen, abgelehnt wurde, genügend informiert in einer ihm verständlichen Sprache. Aus dem Umstand, dass er ohne weitere Mitteilung nicht erschienen ist und auch sonst keine Entschuldigungsgründe bekannt geworden sind, ist von einem bewussten nicht erscheinen wollen zum Termin auszugehen und von der in diesem Fall einschlägigen Gesetzesvorschrift des § 329 StPO durch Verwerfung der Berufung Gebrauch zu machen." (UA S. 4,5).
Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a)
Das Ausbleiben eines Angeklagten ist entschuldigt, wenn ihm bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles daraus billigerweise kein Vorwurf gemacht werden kann. Als Entschuldigungsgründe können deshalb alle Umstände in Betracht kommen, die den Angeklagten am Erscheinen hinderten oder die sein Erscheinen bei Abwägung der widerstreitenden Interessen oder Pflichten als unzumutbar erscheinen lassen (Gössel in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage, Rdn. 35 zu § 329). Bei der Verschuldensfrage ist eine weite Auslegung zugunsten des Angeklagten geboten (OLG Karlsruhe, Die Justiz 1973, 57, 58; Meyer-Goßner, StPO, 47. Auflage, Rdn. 23 zu § 329 m.w.N.).
Im vorliegenden Fall war dem Angeklagten unter Berücksichtigung aller Umstände ein Erscheinen in der Hauptverhandlung nicht zumutbar, so dass ihm wegen seines Fernbleibens der Vorwurf schuldhafter Pflichtverletzung nicht gemacht werden kann.
Da der Angeklagte ausgewiesen und abgeschoben worden war, durfte er nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin auch nicht aufhalten (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG). Würde er dennoch einreisen oder sich hier aufhalten, so kann er mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe bestraft werden (§ 92 Abs. 2 Nr. 1 a und b AuslG), es sei denn, ihm ist ausnahmsweise eine Erlaubnis nach § 9 Abs. 3 AuslG erteilt worden. Letzteres war nicht der Fall. Das Ausbleiben des rechtskräftig ausgewiesenen Angeklagten, der das Bundesgebiet verlassen und keine Ausnahmeerlaubnis hatte, war deshalb genügend entschuldigt (OLG Düsseldorf, StV 1983, 193; Gössel in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage, Rdn. 42 zu § 329).
b)
Hieran ändert sich nichts dadurch, dass der Angeklagte nicht bereit war, sich selbst um eine Betretenserlaubnis zum Zwecke der Durchführung des gegen ihn gerichteten Strafverfahrens zu bemühen. Hierzu war er nicht verpflichtet (so auch BayObLG, StV 2001, 359; a.A. LG Bielefeld, NStZ-RR 1998, 343). Den Angeklagten trifft insoweit keine ihm billigerweise zumutbare prozessuale Mitwirkungspflicht an der Durchführung des gegen ihn gerichteten Strafverfahrens.
Der Zweck des § 329 Abs. 1 StPO besteht darin, den Beschwerdeführer daran zu hindern, die Sachentscheidung über seine Berufung dadurch zu verzögern, dass er sich der Verhandlung entzieht (Meyer-Goßner, StPO, 47. Auflage, Rdn. 2 zu § 329 m.w.N.). Die der Verfahrensbeschleunigung dienende Vorschrift ist eine aufs engste auszulegende Ausnahmebestimmung von dem Grundsatz, dass gegen einen abwesenden Angeklagten kein Urteil erlassen werden darf (§§ 230 Abs. 1, 332 StPO), für die es nicht darauf ankommt, ob der Angeklagte sich ausreichend entschuldigt hat, sondern nur darauf, ob er objektiv entschuldigt ist.
Kann ein Angeklagter zur Berufungshauptverhandlung nicht erscheinen, so hat er die Gründe dafür dem Gericht mitzuteilen. Nach Mitteilung des Hinderungsgrundes "Krankheit" durch Vorlage eines ärztlichen Attestes obliegt ihm aber bereits keine Mitwirkungspflicht mehr bei der danach möglicherweise vom Gericht für erforderlich gehaltenen weiteren Substantiierung (KG Berlin, Beschluss vom 16. September 1999 - (4) 1 Ss 217/99 - , zitiert nach JURIS; Meyer-Goßner, StPO, 47. Auflage, Rdn. 19 zu § 329 m.w.N.). Ebenso ist ein Angeklagter in der Regel ohne weiteres entschuldigt, wenn er sich in Haft befindet. Ist er in der Berufungssache inhaftiert, hat der Vorsitzende die Vorführung anzuordnen; dass der Angeklagte sie nicht selbst betreibt, stellt kein Verschulden dar (OLG Stuttgart, StV 1988, 72). Befindet sich ein Angeklagter in anderer Sache in Haft, obliegt ihm keine Mitwirkungspflicht an der Durchführung des Berufungsverfahrens dahingehend, dass er die Vollzugsanstalt auf die Notwendigkeit seiner Vorführung rechtzeitig hinzuweisen hätte (OLG Braunschweig, NStZ 2002, 163, 164). Für Zustellungen gerichtlicher Entscheidungen im Berufungsverfahren statuiert § 40 Abs. 3 StPO eine Mitwirkungspflicht des Angeklagten dahingehend, dass von ihm verlangt wird, dass er sich um den Fortgang des Verfahrens kümmert und die gesetzlich vorgeschriebenen Zustellungen im Inland für weitere gerichtliche Mitteilungen ermöglicht, wenn er die Rechtsnachteile, insbesondere die Verwerfung seiner Berufung nach § 329 Abs. 1 StPO, vermeiden will. Über diese Informationspflicht über seine Adresse hinaus wollte der Gesetzgeber dem Angeklagten offensichtlich aber keine weitere Mitwirkungspflicht auferlegen.
Die prozessualen Mitwirkungspflichten des berufungsführenden Angeklagten haben hiernach da ihre Grenzen, wo ihm ein Erscheinen vor Gericht billigerweise nicht zugemutet werden kann. Dies ist auch dann der Fall, wenn - wie vorliegend - die öffentlich-rechtliche Pflicht zum Erscheinen vor Gericht mit seiner durch Ausweisung und Abschiebung begründeten - strafbewehrten - Pflicht, sich von dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland fernzuhalten, kollidieren und diese Kollision auf fehlender Abstimmung zwischen Ausländerbehörde und Gericht beruht, die dem Angeklagten nicht angelastet werden darf (BayObLG, StV 2001, 339; OLG Düsseldorf, StV 1983, 193; Gössel in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage, Rdn. 42 zu § 329; Rautenberg in: Heidelberger Kommentar zur StPO, 3. Auflage, Rdn. 22 zu § 329). Wird ein Angeklagter von der Ausländerbehörde ohne Rücksicht auf ein gegen ihn laufendes Strafverfahren und damit entgegen dem in Artikel 35 Abs. 1 GG statuierten Grundsatz der gegenseitigen Amtshilfe der Behörden des Bundes und der Länder ausgewiesen und abgeschoben, so ist es dem Angeklagten, der sein Recht auf Teilnahme an der Hauptverhandlung wahrnehmen will, nicht zuzumuten, sich in seinem Heimatland - oder, wie vorliegend, sogar in einem Drittland, dessen Sprache er unter Umständen nicht mächtig ist - über die deutsche Botschaft eine Betretenserlaubnis für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu beschaffen. Vielmehr ist es Sache der Strafverfolgungsbehörden, in Absprache mit der Verwaltungsbehörde zu klären, ob der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs oder dem öffentlichen Interesse an einem Aufenthalt des Ausländers außerhalb des Bundesgebietes der Vorrang einzuräumen ist. Der Angeklagte war auch nicht verpflichtet, seinen Verteidiger mit seiner Vertretung in der Hauptverhandlung zu betrauen. Er hatte vielmehr das Recht, in der Hauptverhandlung selbst anwesend zu sein (so auch BayObLG, StV 2001, 339).
Damit hat das Landgericht ebenso wie das Amtsgericht zu Unrecht eine genügende Entschuldigung des Angeklagten verneint.
III.
Wegen der aufgezeigten Gesetzesverletzungen werden das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 05. Dezember 2003 und das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 01. Februar 2002 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben (§ 353 StPO). Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Stuttgart zurückverwiesen (vgl. hierzu Meyer-Goßner, StPO, 47. Auflage, Rdn. 5 zu § 353, Rdn. 35 zu § 354 und Rdn. 11 zu § 412 m.w.N.), das auch über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.
Ende der Entscheidung
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