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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 22.05.2001
Aktenzeichen: 1 Ss 185/01
Rechtsgebiete: OWiG


Vorschriften:

OWiG § 74 Abs. 2
Nach Aufhebung eines Sachurteils des Amtsgerichts durch das Rechtsbeschwerdegericht und Zurückverweisung der Sache ist die Verwerfung des Einspruchs des ohne genügende Entschuldigung ausgebliebenen Betroffenen auch nach der Neufassung des § 74 Abs. 2 OWiG durch das OWiGÄndG vom 26. Januar 1998 grundsätzlich zulässig.
Geschäftsnummer: 1 Ss 185/01 20 OWi 74 Js 37236/00 AG Stuttgart 74 Js 37236/00 StA Stuttgart 505.23.120643.9 Stadt Stuttgart

Oberlandesgericht Stuttgart - 1. Senat für Bußgeldsachen - Beschluss

In der Bußgeldsache gegen

wegen Zuwiderhandlung gegen die StVO,

hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht M., den Richter am Oberlandesgericht Dr. S. und den Richter am Landgericht Z. am 22. Mai 2001 nach §§ 79 Abs. 5 Satz 1, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO beschlossen:

Tenor:

Auf den Antrag des Betroffenen auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts wird der Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 26. Februar 2001

aufgehoben.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 09. Januar 2001 wird als unbegründet

verworfen,

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe:

I.

Die Verwaltungsbehörde hat gegen den Betroffenen wegen tateinheitlich begangener Verkehrsordnungswidrigkeiten eine Geldbuße von 280,00 DM und ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt. Auf den rechtzeitigen Einspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht wegen der im Bußgeldbescheid aufgeführten Ordnungswidrigkeiten auf dieselbe Rechtsfolge wie im Bußgeldbescheid erkannt. Dieses Urteil wurde mit Beschluss des Senats vom 02. November 2000 auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen, da aufgrund der getroffenen Feststellungen der Schuld- und Rechtsfolgenausspruch nicht überprüft werden konnte. In der auf 09. Januar 2000 anberaumten neuen Hauptverhandlung erschien der Betroffene nicht, so dass das Amtsgericht den Einspruch des Betroffenen mit Urteil wegen nicht genügend entschuldigten Ausbleibens des Betroffenen gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen hat.

Dieses Urteil wurde -- nachdem der Betroffene rechtzeitig Rechtsbeschwerde eingelegt hatte -- dem Verteidiger des Betroffenen am 25. Januar 2001 zugestellt. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wurde mit Verteidigerschriftsatz, der am Montag, den 26. Februar 2001 beim Amtsgericht einging, begründet. Mit Beschluss vom 26. Februar 2001 verwarf das Amtsgericht die Rechtsbeschwerde gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 346 Abs. 1 StPO als unzulässig, da die Begründung der Rechtsbeschwerde verspätet eingegangen sei. Gegen diesen am 05. März 2001 zugestellten Beschluss stellte der Betroffene am 06. März 2001 Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt die Aufhebung des Beschlusses vom 26. Februar 2001 und Verwerfung der Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet.

II.

Auf den rechtzeitig gestellten Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist der die Rechtsbeschwerde als unzulässig verwerfende Beschluss des Amtsgerichts aufzuheben. Die Frist von einem Monat zur Begründung der Rechtsbeschwerde (§§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 345 Abs. 1 StPO) wurde mit Zustellung des Urteils am 25. Januar 2001 in Gang gesetzt. Das Ende der Frist fiel jedoch auf einen Sonntag, so dass die Frist gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 43 Abs. 2 StPO erst mit Ablauf des nächsten Werktages, somit am Montag, den 26. Februar 2001, endete. An diesem Tag ging jedoch die Rechtsbeschwerdebegründung beim Amtsgericht ein. Somit wurde die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist vom Betroffenen gewahrt. Da die Rechtsbeschwerdebegründung rechtzeitig erfolgte, hat das Amtsgericht die Rechtsbeschwerde zu Unrecht als unzulässig verworfen. Der Beschluss vom 26. Februar 2001 ist deshalb aufzuheben.

Eine Kostenentscheidung ist insoweit nicht zu treffen (Kuckein in KK-StPO, 4. Auflage, § 346 Rdnr. 23 m.w.N.).

III.

A.

Der Erörterung bedarf vorliegend nur die Frage, ob das Amtsgericht den Einspruch des Betroffenen gemäß § 74 Abs. 2 OWiG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und anderer Gesetze vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 156) auch nach der Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache durch das Rechtsbeschwerdegericht verwerfen durfte.

1. Diese Frage war bei der Anwendung des § 74 Abs. 2 OWiG a.F. zunächst umstritten.

Das OLG Hamm (MDR 1974, 599; ihm folgend Rotberg, OWiG, 5. Auflage 1975, § 74 Rdnr. 7 a.E.) hielt eine Verwerfung des Einspruchs nach Aufhebung des amtsgerichtlichen Sachurteils durch das Rechtsbeschwerdegericht nicht mehr für zulässig. Demgegenüber entschied der BGH in seinem Beschluss vom 10. Dezember 1985 (NJW 1986, 1946), dass eine Verwerfung des Einspruchs gemäß § 74 Abs. 2 OWiG (a.F.) auch für diesen Fall zulässig ist. Zur Begründung führte der BGH an, die §§ 329 Abs. 1, 412 StPO seien durch das 1. Gesetz zur Reform des Strafverfahrens (1. StVRG) vom 09. Dezember 1974 (BGBl. I S. 3393) dahin geändert worden, dass die Berufung bzw. der Einspruch gegen den Strafbefehl nicht mehr verworfen werden könne, wenn die Sache vom Revisionsgericht zurückverwiesen worden sei. § 74 Abs. 2 OWiG (a.F.) sei jedoch unverändert geblieben. Daraus könne entnommen werden, dass der Gesetzgeber für die gleiche Verfahrenslage unterschiedliche Regelungen für das Straf- und Bußgeldverfahren habe treffen wollen. Zum anderen sei die Regelung des § 74 Abs. 2 OWiG (a.F.) -- anders als in den §§ 329 Abs. 1, 412 StPO -- nicht zwingend. Den sich aus der zwingenden Regelung der §§ 329 Abs. 1, 412 StPO ergebenden, vom BGH (BGHSt 17, 188 = NJW 1962, 1117) aufgezeigten Spannungen könne durch Ausschöpfung der Ermessensvorschrift Rechnung getragen werden. In dieser Entscheidung hatte der BGH die Verwerfung der Berufung nach § 329 Abs. 1 StPO a.F. für unzulässig erklärt, da die (zwingende) Verwerfung der Berufung nach Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache durch das Revisionsgericht gegen das Verschlechterungsverbot verstoßen könne sowie die Gefahr bestehe, durch die Verwerfung der Berufung von der Rechtsauffassung des Revisionsgerichts abzuweichen. Diese Gefahr -- so der BGH weiter -- bestehe bei der Kann-Regelung des § 74 Abs. 2 OWiG (a.F.) nicht. Das Gericht könne trotz des nicht genugend entschuldigten Ausbleibens des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG (a.F.) zur Sache verhandeln und ein Urteil erlassen. Ein Ermessensfehlgebrauch unterliege der Überprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren.

Dieser Entscheidung folgend wurde die Verwerfung des Einspruchs bei einer Verletzung des Verschlechterungsverbots und der Gefahr einer Divergenz zu der Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts als unzulässig, im übrigen aber als zulässig angesehen (Senge in KK-OWiG, 1. Auflage, § 74 Rdnr. 25; Göhler, OWiG. 11. Auflage, § 74 Rdnr. 24; Rebmann/Roth/Hermann, OWiG, Stand April 1987, § 74 Rdnr. 13 a.E.).

2. Diese Rechtsprechung kann angesichts der Neufassung des § 74 Abs. 2 OWiG durch das OWiGÄndG keine uneingeschränkte Geltung mehr beanspruchen. § 74 Abs. 2 OWiG schreibt nunmehr zwingend die Verwerfung des Einspruchs bei nicht genugend entschuldigtem Ausbleiben des Betroffenen vor. Ein Ermessensspielraum wird dem Richter nicht mehr eingeräumt.

Soweit ersichtlich ist die Frage der Verwerfung des Einspruchs nach Aufhebung eines Sachurteils im Rechtsbeschwerdeverfahren für die Neufassung des § 74 Abs. 2 OWiG obergerichtlich noch nicht entschieden. Im Schrifttum, in dem diese Frage noch keine breite Erörterung gefunden hat, hält Göhler (OWiG. 12. Auflage, § 74 Rdnr. 24) die Verwerfung des Einspruchs angesichts der Muss-Vorschrift des § 74 Abs. 2 OWiG für nicht mehr zulässig. Andere (Senge in KK-OWiG, 2. Auflage, § 74 Rdnr. 21; Rebmann/Roth/Hermann, OWiG, Stand März 1998, § 74 Rdnr. 13 a.E.; Lemke in HK-OWiG, § 74 Rdnr. 12) halten eine Verwerfung des Einspruchs auch nach Aufhebung eines Sachurteils durch das Rechtsbeschwerdegericht nach wie vor -- teilweise unter Berufung auf die Entscheidung des BGH vom 10. Dezember 1985 -- grundsätzlich für zulässig, sofern nicht gegen das Verschlechterungsverbot verstoßen wird oder die Verwerfung des Einspruchs eine Divergenz zur Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Folge hat bzw. (so Senge a.a.O.) das amtsgerichtliche Urteil lediglich im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben, im Schuldspruch aber bestätigt wird. Rebmann/Roth/Hermann a.a.O. sehen auch für letzteren Fall eine Verwerfung des Einspruchs als zulässig an.

3. Der Senat, hält die Verwerfung des Einspruchs nach Aufhebung eines Sachurteils und Zurückverweisung der Sache durch das Rechtsbeschwerdegericht auch nach der Neufassung des § 74 Abs. 2 OWiG grundsätzlich für zulässig. Der Senat brauchte im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden, ob dies auch gilt, wenn durch die Verwerfung des Einspruchs das Verschlechterungsverbot (§§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 358 Abs. 2 StPO) sowie die Bindungswirkung der Rechtsbeschwerdeentscheidung (§§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 358 Abs. 1 StPO) tangiert wird oder das amtsgerichtliche Urteil lediglich im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben wurde.

- Für die Auffassung des Senats spricht der Wortlaut der Vorschrift des § 74 Abs. 2 OWiG. Danach muss das Gericht den Einspruch ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil verwerfen, wenn der Betroffene ohne genügende Entschuldigung ausbleibt. Auch in den Gesetzgebungsmaterialien werden Einschränkungen in der Anwendung des § 74 Abs. 2 OWiG nicht erörtert. Vielmehr hat der Gesetzgeber aus der Kann-Regelung des § 74 Abs. 2 OWiG a.F. bewusst eine zwingende Regelung gemacht (BT-Drucks. 13/5418, S. 9).

- Die Auffassung des Senats wird durch den Vergleich von § 74 Abs. 2 OWiG mit § 329 Abs. 1 StPO gestützt. Beide Vorschriften betreffen die gleiche Verfahrenslage, indem sie die Verfahrensweise beim Ausbleiben des nicht genügend entschuldigten Betroffenen/Angeklagten regeln. Beide Vorschriften sehen zwingend die Verwerfung des Einspruchs bzw. der Berufung vor. Trotzdem enthält § 74 Abs. 2 OWiG keine § 329 Abs. 1 Satz 2 StPO vergleichbare Regelung. § 329 Abs. 1 Satz 2 StPO untersagt ausdrücklich eine Verwerfung der Berufung, wenn die Sache vom Revisionsgericht zurückverwiesen worden ist. Daraus kann der Schluss gezogen werden, dass der Gesetzgeber bei der Neufassung des § 74 Abs. 2 OWiG für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren unterschiedliche Regelungen treffen wollte.

Dies gilt um so mehr, als dem Gesetzgeber die aus einer zwingenden Verwerfung der Berufung oder des Einspruchs sich ergebenden Probleme - möglicherweise Verletzung des Verschlechterungsverbots und Gefahr divergierender Entscheidungen -- hinlänglich bekannt waren. Diese hatten nämlich zur Einfügung von Satz 2 in § 329 Abs. 1 StPO durch das 1, StVRG geführt (BT-Drucks. 7/551, S. 86).

- Wurde die Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG für den Fall der Aufhebung des Urteils durch das Rechtsbeschwerdegericht nicht zugelassen, hätte dies unlösbare praktische Schwierigkeiten zur Folge.

Dem Amtsgericht stehen keine Zwangsmittel zur Verfügung, das Erscheinen des Betroffenen vor Gericht zu erzwingen. § 230 Abs. 2 StPO, der die Vorführung eines Angeklagten im Strafverfahren regelt, ist nicht anwendbar (Senge a.a.O., § 73 Rdnr. 5). § 46 Abs. 3 Satz 1 OWiG verbietet ausdrücklich den Erlass eines Haftbefehls. Das Gericht kann auch nicht ohne weiteres in Abwesenheit des Betroffenen verhandeln. § 74 Abs. 1 Satz 1 OWiG sieht zwar eine Verhandlung in Abwesenheit des Betroffenen vor. Allerdings setzt dies voraus, dass der Betroffene von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden wurde. Gemäß § 73 Abs. 2 OWiG erfordert dies einen Antrag -- und somit eine Mitwirkung -- des Betroffenen. Deshalb wäre das Amtsgericht ohne die Möglichkeit, den Einspruch nach § 74 Abs. 2 OWiG zu verwerfen, völlig vom Betroffenen abhängig. Lediglich bei einem mitwirkungswilligen Betroffenen könnte das Verfahren zu Ende geführt werden. Ein nicht mitwirkungsbereiter Betroffener hätte die Möglichkeit, das Verfahren auf unabsehbare Zeit zu hintertreiben, ohne dass -- wegen § 32 Abs. 2 OWiG -- eine Verjährung der Ordnungswidrigkeit eintreten würde. Dies erscheint nicht hinnehmbar.

Deshalb gebieten diese -- gewichtigen -- praktischen Argumente die Anwendung des § 74 Abs. 2 OWiG auch in der neuen Verhandlung nach Zurückverweisung der Sache durch das Rechtsbeschwerdegericht.

- Dem Gesetzgeber war bewusst, dass § 74 Abs. 2 OWiG das einzige dem Richter zur Verfügung stehende Zwangsmittel beim nicht genügend entschuldigten Ausbleiben des Betroffenen ist; er erachtete § 74 Abs. 2 OWiG zur Bewältigung der Verfahrenslage jedoch als ausreichend. Dies ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien. Der Gesetzgeber hielt bei der Neufassung des § 74 Abs. 2 OWiG die noch in § 74 Abs. 2 Satz 2 OWiG a.F. neben der Verwerfung des Einspruchs vorgesehenen Möglichkeiten, die Vorführung des Betroffenen anzuordnen oder ohne den Betroffenen die Hauptverhandlung durchzuführen, angesichts der zwingenden Regelung des § 74 Abs. 2 OWiG ausdrücklich für entbehrlich (BT-Drucks. 13/5418, S. 9).

- Bei der Auslegung und Anwendung des § 74 Abs. 2 OWiG ist auch die vom Gesetzgeber mit der Neufassung des Ordnungswidrigkeitengesetzes verfolgte Absicht zu berücksichtigen. Mit der Neufassung wollte der Gesetzgeber -- gerade auch bei Abwesenheit des Betroffenen -- eine Vereinfachung des Verfahrens (BT-Drucks. 13/5418, S. 7) und damit eine Entlastung der Gerichte erreichen. Eine einschränkende Auslegung des § 74 Abs. 2 OWiG würde dieser Zielrichtung zuwiderlaufen.

4. Der Senat ist sich bewusst, dass die Anwendung des § 74 Abs. 2 OWiG bei bestimmten Fallgestaltungen zu Problemen führen kann.

Dies gilt für die Fälle, in denen das -- aufgehobene -- amtsgerichtliche Urteil eine mildere Rechtsfolge als der Bußgeldbescheid ausgesprochen hatte, so dass bei einer Verwerfung des Einspruchs das Verschlechterungsverbot (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 358 Abs. 2 StPO) verletzt wird. Schwierigkeiten bereitet auch der Fall, dass das Urteil des Amtsgerichts lediglich im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben wird, so dass der Schuldspruch rechtskräftig ist. Gleichfalls problematisch sind die Fälle, in denen sich das Amtsgericht mit der Verwerfung des Einspruchs in Widerspruch zu der Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts setzen würde, so dass deren Bindungswirkung (§§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 358 Abs. 1 StPO) nicht zum Tragen käme.

Allerdings handelt es sich um -- hier nicht vorliegende -- besondere Fallkonstellationen, die der Anwendung des § 74 Abs. 2 OWiG nach Aufhebung eines Sachurteils durch das Rechtsbeschwerdegericht in anderen Fällen als den oben aufgeführten nicht entgegenstehen. Es bedarf deshalb keiner vertieften Auseinandersetzung, ob in den aufgeführten besonderen Fällen der Einspruch gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen werden kann.

Gleichwohl weist der Senat darauf hin, dass auch in diesen Fällen die Anwendung des § 74 Abs. 2 OWiG nicht von vornherein ausgeschlossen sein muss. Um dem Verschlechterungsverbot Rechnung zu tragen, kann der Rechtsfolgenausspruch entsprechend dem aufgehobenen Urteil festgesetzt werden (so OLG Düsseldorf NStZ 1994, 41; Rebmann/Roth/Hermann a.a.O.). Die Meinung, die § 74 Abs. 2 OWiG bei rechtskräftigem amtsgerichtlichem Schuldspruch und Aufhebung des Urteils nur im Rechtsfolgenausspruch nicht anwenden möchte (OLG Köln VRS 74, 280; VRS 86, 139; KG VRS 72, 451; BayObLG MDR 90, 1139) ist angesichts der Neufassung des § 74 Abs. 2 OWiG und dem daraus resultierenden praktischen Bedürfnis nach einer Verwerfung des Einspruchs beim nicht genügend entschuldigten Ausbleiben des Betroffenen zu überdenken. Zudem entfällt mit der nunmehr gegebenen Möglichkeit, den Einspruch gemäß § 67 Abs. 2 OWiG auf bestimmte Beschwerdepunkte zu beschränken, ein gewichtiges Argument gegen die Anwendung des § 74 Abs. 2 OWiG für vorgenannten Fall.

Die Anwendbarkeit des § 74 Abs. 2 OWiG kann möglicherweise auch bejaht werden, soweit sich das Amtsgericht durch die Verwerfung des Einspruchs in Widerspruch zu der Rechtsauffassung des Rechtsbeschwerdegerichts setzt. Hierfür sprechen neben den oben III. A. 3. aufgeführten Argumenten die Besonderheiten des Bußgeldverfahrens. Die Durchführung des gerichtlichen Bußgeldverfahrens ist zunächst ausschließlich von dem Willen des Einspruch einlegenden Betroffenen abhängig. Ebenso räumt ihm das Gesetz die Möglichkeit ein, durch die Rücknahme des Einspruchs -- auch nach Aufhebung des Urteils durch das Rechtsbeschwerdegericht (Senge a.a.O., § 71 Rdnr. 115 m.w.N.) -- das Bußgeldverfahren zu beenden. Eine ähnliche Situation liegt bei der Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG vor. Auch die Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG hängt von dem Willen des Betroffenen ab. Der Einspruch kann nämlich nur verworfen werden, wenn der Betroffene nicht genügend entschuldigt -- und damit vorwerfbar -- ausbleibt. Zudem scheint ein Widerspruch zu der Rechtsauffassung des Rechtsbeschwerdegerichts im Bußgeldverfahren, das kein kriminelles Unrecht zum Gegenstand hat und auf schnelle und einfache Erledigung der Verfahren angelegt ist, erträglich (anders BGH NJW 1977, 2273 zur Situation im Strafverfahren). Auch wird man bedenken müssen, dass dem Gesetzgeber bei der Neugestaltung des § 74 Abs. 2 OWiG als dem alleinigen dem Richter an die Hand gegebenen Zwangsmittel die Problematik, die bereits zur Änderung des § 329 Abs. 1 StPO im 1. StVRG geführt hat, bekannt war, ohne dass er dieser Problematik durch eine entsprechende Gestaltung des § 74 Abs. 2 OWiG Rechnung getragen hätte.

B.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen war aus den in der Zuleitungsschrift der Generalstaatsanwaltschaft genannten Erwägungen als offensichtlich unbegründet gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1, 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

Ende der Entscheidung

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