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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 10.06.2002
Aktenzeichen: 1 Ss 185/02
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 374 Abs. 1
AO § 373 Abs. 1
Beim Ankauf von Genussmitteln, der den Tatbestand der Steuerhehlerei erfüllt, liegt Gewerbsmäßigkeit nur vor, wenn der Täter auch ohne die billige illegale Bezugsquelle dieselbe Menge des Genussmittels zu einem höheren Preis legal erworben hätte.
Oberlandesgericht Stuttgart - 1. Strafsenat - Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 1 Ss 185/02

in der Strafsache gegen

wegen Steuerhehlerei,

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts in der Sitzung vom 10. Juni 2002, an der teilgenommen haben

Vors. Richter am Oberlandesgericht G., - als Vorsitzender -

Richter am Oberlandesgericht S., Richter am Oberlandesgericht S., - als beisitzende Richter -

Oberstaatsanwalt R. - als Beamter der Generalstaatsanwaltschaft -

Rechtsanwalt A. - als Verteidiger -

Justizsekretärin K. - als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle -

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 22. Januar 2002 im Rechtsfolgenausspruch unter Aufrechterhaltung der Feststellungen aufgehoben.

Der Angeklagte wird wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in 20 Fällen zu der Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 30,00 €, insgesamt also 3.000,00 € verurteilt.

Der Angeklagte trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

Die Liste der angewendeten Strafvorschriften lautet: §§ 374 Abs. 1 2. Alternative, 373 Abs. 1 AO.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Stuttgart hat den Angeklagten wegen Steuerhehlerei in 20 Fällen zu der Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30,00 €, insgesamt also 1.800,00 € verurteilt.

Es hat festgestellt:

Von Herbst 1994 bis November 1996 führte der gesondert verfolgte R. P. aus Z. von ihm in Polen billig eingekaufte Zigaretten in einer Gesamtmenge von mindestens 4.560 Schachteln zu je 19 oder 20 Stück in die Bundesrepublik Deutschland ein, ohne diese bei seiner Einreise mit dem Pkw der jeweiligen Zollbehörde gegenüber anzugeben, da er keine Einfuhrabgaben entrichten wollte. Er verkaufte die Zigaretten im Inland zu einem Preis, der zwischen seinem Einkaufspreis und dem im "legalen" Handel zu zahlenden Preis lag, gewinnbringend weiter.

Zwischen Dezember 1994 und November 1996 sandte R. P. in 20 Fällen dem Angeklagten aufgrund einer für unbestimmte Zeit getroffenen Vereinbarung per Post Pakete mit jeweils mindestens 12 Stangen der unversteuerten Zigaretten. Pro Jahr nahm der Angeklagte zu nicht genauer bekannten Zeitpunkten zehn solcher Postpakete unter seiner damaligen Anschrift in W. in Empfang. Vereinbarungsgemäß bezahlte er an P. 32,00 DM pro Stange, wobei er beabsichtigte, die Differenz zu dem regulären Preis von "über 50,00 bis 60,00 DM" pro Zigarettenstange zu ersparen, im einzelnen pro Paket mindestens 216,00 DM und höchstens 336,00 DM. Schon bei seiner Vereinbarung mit R. P. ging der Angeklagte im Hinblick auf den geringen Preis der von ihm angekauften Zigaretten und die fehlenden deutschen Steuerzeichen davon aus, dass es sich um unter Missachtung der Einfuhrabgabenpflicht in die Bundesrepublik Deutschland verbrachte Zigaretten handelte. Die Gesamtsumme an hinterzogenen Einfuhrabgaben, die auf die vom Angeklagten angekauften Zigaretten entfielen, belief sich auf mindestens 12.500,00 DM und höchstens 13.000,00 DM. Der Angeklagte und seine Ehefrau rauchten die Zigaretten selbst und verkauften sie nicht weiter; ihr Durchschnittskonsum aus der Gesamtliefermenge betrug etwa 1,67 Schachteln pro Tag und Person.

Das Amtsgericht hat darin 20 tatmehrheitlich begangene Vergehen der Steuerhehlerei gemäß §§ 374 Abs. 1 1. Alternative, 370 Abs. 1 AO, Art. 38 Abs. 1, 40, 202 Abs. 1 Buchstabe a, 2 und 3 Zollkodex, §§ 21 Tabaksteuergesetz, 21 Abs. 2 UStG, 53 StGB gesehen, jedoch im Gegensatz zu dem von ihm zuvor erlassenen Strafbefehl gewerbsmäßiges Handeln im Sinne von §§ 374 Abs. 1 2. Alternative, 373 Abs. 1 AO verneint.

II.

Das wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte, innerhalb der Monatsfrist des § 345 Abs. 1 StPO als (Sprung-)Revision (§ 335 Abs. 1 StPO) bezeichnete Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg. Zu Unrecht hat das Amtsgericht den Strafschärfungsgrund der Gewerbsmäßigkeit verneint.

1. Die Rechtfertigung für die strafschärfende Qualifikation der Gewerbsmäßigkeit liegt nach Auffassung des Amtsgerichts darin, dass der Täter ein strafbares Verhalten zu seinem Gewerbe bzw. zum seinem Beruf gemacht habe, was selbst dann besonders verwerflich erscheine, wenn es sich nur um eine Nebenerwerbstätigkeit handele. Der Angeklagte sei aber lediglich als Konsument, der Aufwendungen ersparen wollte, nicht jedoch als Gewerbetreibender aufgetreten, weswegen ihn jenes besondere Unwerturteil nicht treffe; er habe lediglich gewohnheitsmäßig, nicht aber gewerbsmäßig gehandelt. Zudem erscheine die keiner Milderung zugängliche Mindeststrafe der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei von drei Monaten Freiheitsstrafe oder 90 Tagessätzen Geldstrafe (§§ 374 Abs. 1 2. Alternative, 373 Abs. 1 AO, 47 Abs. 2 StGB) für Fälle wie den vorliegenden überzogen.

2. Diese Auslegung des Merkmals der Gewerbsmäßigkeit, das in § 373 Abs. 1 AO eine Qualifizierung des Grundtatbestandes des § 374 Abs. 1 AO darstellt (BGHSt 32, 95), vermag der Senat nicht zu teilen. Gewerbsmäßig im Sinne von § 373 Abs. 1 AO handelt, wer sich aus der wiederholten Begehung eines Steuerdelikts eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einiger Dauer und von einigem Gewicht verschaffen will, wobei schon eine einmalige Gesetzesverletzung ausreicht; Gewerbsmäßigkeit wird also durch ein subjektives Moment begründet (vgl. BGH NStZ 1995, 85; Voß in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 5. Auflage, § 373 Rdnr. 12, § 374 Rdnr. 33; Engelhardt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur AO und zur FGO 10. Auflage, § 373 Rdnrn. 30 f.; Tröndle/Fischer, StGB, 50. Auflage, Vorbem. vor § 52 Rdnr. 37). Dabei muss es sich nicht um die Haupteinnahmequelle handeln (Tröndle/Fischer a.a.O. mit weiteren Nachweisen). Gewerbsmäßiges Handeln erfordert desgleichen nicht, dass der Täter aus der Tat ein kriminelles Gewerbe gemacht hat oder machen will (BGH NStZ 1995, 85; Engelhardt in Hübschmann/Hepp/Spitaler a.a.O. Rdnr. 37) oder dass er den Schmuggel bzw. die Steuerhehlerei wie einen Beruf betreibt und aus den Einkünften seinen Unterhalt ganz oder teilweise bestreitet (vgl. Voß in Franzen/Gast/Joecks, a.a.O. §373 Rdnr. 12; Engelhardt in Hübschmann/Hepp/Spitaler a.a.O. Rdnr. 37). Gewerbsmäßig bedeutet nicht gewerblich. Denn gesetzgeberisches Motiv für die erhöhte Strafdrohung bei der Gewerbsmäßigkeit ist der - im Vergleich zum Durchschnittstäter - verstärkte Eigennutz des gewerbsmäßig handelnden Täters (vgl. BGHSt 6, 260), der eine Tatwiederholung von Anfang an in seinen Tatplan einbezieht und damit eine erhöhte Rechtsgutsgefährdung bewirkt. Die Modalitäten der Tatausführung, die zu dieser erhöhten Rechtsgutsgefährdung durch verstärkten Eigennutz führen, treten demgegenüber zurück, auch wenn im allgemeinen Sprachgebrauch die Vorstellung von Gewerbsmäßigkeit mit Einnahmen im Sinne von Geldeinnahmen verbunden sein dürfte.

3. Beim gewerbsmäßigen Diebstahl (heute §§ 242 Abs. 1, 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB) ist seit langem anerkannt (vgl. RGSt 54, 184), dass der Verkauf der Diebesbeute und eine geldliche Bereicherung für die Annahme von Gewerbsmäßigkeit nicht erforderlich sind. Es genügt, wenn der Täter die gestohlenen Gegenstände für sich verwendet (BGH bei Holtz MDR 1976, 633 für gestohlene Antiquitäten; Engelhardt in Hübschmann/Hepp/Spitaler a.a.O. Rdnr. 36). Wenn der Bundesgerichtshof in dem vom Amtsgericht zitierten Beschluss vom 19. Januar 1990 - 4 StR 668/89 - beim Erwerb von Betäubungsmitteln zum Eigenverbrauch Gewerbsmäßigkeit im Sinne von § 29 Abs. 3 S.2 Nr. 1 BtMG verneint hat, weil der Erwerb nicht darauf gerichtet war, sich eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen, so ist das die Folge des Umstandes, dass es bei Betäubungsmitteln anders als bei verkehrsfähigen Waren keine nebeneinander existierenden legalen und illegalen Märkte mit dadurch bedingten Preisdifferenzen gibt. Bei verkehrsfähigen Waren genügt es für die Annahme von Gewerbsmäßigkeit, wenn der Täter diese auf strafbare Weise erlangt, fortlaufend zur Deckung eigener Bedürfnisse verwendet und dadurch Einsparungen macht (Engelhardt in Hübschmann/Hepp/Spitaler a.a.O. Rdnr. 36; Voß in Franzen/Gast/Joecks a.a.O. § 373 Rdnr. 12, § 374 Rdnr. 33; Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 373 AO Rdnr. 5). Die Einsparung notwendiger Ausgaben ist dabei stets ein von der Gewerbsmäßigkeit erfasster Vermögensvorteil (OLG Hamm ZfZ 1957, 339). Bei Genussmitteln wie Zigaretten oder Kaffee liegt die erforderliche Einsparung jedoch nur dann vor, wenn der Täter sich diese Waren andernfalls auf dem legalen Markt zu einem höheren Preis verschafft und nicht etwa darauf verzichtet hätte (OLG Köln ZfZ 1952, 373; OLG Karlsruhe ZfZ 1975, 210).

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts liegt ein solcher Fall der subjektiv notwendigen Beschaffung von Genussmitteln vor. Der Angeklagte und seine Ehefrau haben in der fraglichen Zeit täglich jeweils durchschnittlich 1,67 Schachteln Zigaretten, also jeweils etwa 32 bis 33 Zigaretten geraucht; sie waren damit starke Raucher und physisch wie psychisch auf ständigen Zigarettenkonsum eingestellt. Der Angeklagte erwarb die Zigaretten von R. P. - wie das Amtsgericht festgestellt hat - "gewohnheitsmäßig". Dass der Angeklagte und seine Ehefrau weniger geraucht hätten, wenn der Erwerb der Zigaretten etwas teurer gewesen wäre, vermag der Senat nach der allgemeinen Lebenserfahrung auszuschließen. Damit liegt ein qualifizierter Fall nach §§ 374 Abs. 1 2. Alternative, 373 Abs. 1 AO vor. Der Rechtsfolgenausspruch des Amtsgericht musste sonach aufgehoben werden, wobei die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hierzu aufrechterhalten bleiben konnten (§ 353 Abs. 2 StPO).

III.

Das Vorliegen des Qualifikationstatbestandes der Gewerbsmäßigkeit hat bei dem nicht vorbestraften Angeklagten nach §§ 373 Abs. 1 AO, 47 Abs. 2 StGB eine Mindeststrafe von 90 Tagessätzen je Fall zur Folge; einen minderschweren Fall sieht das Gesetz insoweit nicht vor. Der Senat hat daher in allen 20 Fällen in Übereinstimmung mit dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe von 90 Tagessätzen für angemessen erachtet (§ 354 Abs. 1 StPO).

Die nach § 54 Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB zu bildende Gesamtgeldstrafe hat der Senat auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO auf 100 Tagessätze festgesetzt. Er verhängt damit die nach den Umständen des Falles niedrigste in Betracht kommende Gesamtgeldstrafe, da auszuschließen ist, dass der Tatrichter in Anbetracht von § 54 Abs. 1 Satz 2 StGB eine noch mildere Strafe verhängt hätte (vgl. dazu BGH NStZ 1997, 380 [K]; BGH NStZ 1989, 238; Kuckein in KK, StPO, 4. Auflage, § 354 Rdnr. 10; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 45. Auflage, § 354 Rdnr. 9 a). § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen, weil die Steuerhehlereien bereits im Strafbefehl als gewerbsmäßig bezeichnet wurden.

Für den extrem straffen Strafzusammenzug war neben der bisherigen Straffreiheit und dem Geständnis des Angeklagten maßgeblich, dass dieser dem Fiskus die Rückzahlung der hinterzogenen Eingangsabgaben von 12.500,00 DM bis 13.000,00 DM (6391,14 € bis 6646,79 €) schuldet und dadurch angesichts seiner vom Amtsgericht festgestellten durchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse eine beträchtliche finanzielle Belastung zu tragen hat, was bisher nicht zu seinen Gunsten gewürdigt wurde. Entscheidend für die rechtlich einzig noch mögliche Verhängung der niedrigstmöglichen Gesamtgeldstrafe ist jedoch die in Anbetracht des strafrechtlichen Vorwurfs und der Beweislage völlig unverhältnismäßige bisherige Verfahrensdauer, die der Senat im Freibeweis festgestellt hat. Nach Beendigung der Taten im November 1996 ist bereits am 05. Dezember 1996 auf Antrag des Hauptzollamts Stuttgart ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss in Bezug auf die Wohnung des Angeklagten erlassen worden, der am 06. Dezember 1996 ausgeführt wurde. Am 16. Dezember 1996 ließ der Angeklagte dem Zollfahndungsamt Stuttgart schließlich mitteilen, dass er nichts zur Sache aussagen wolle. Nachdem die Zollfahndungszweigstelle Görlitz am 27. Januar 1997 ihren Abschlussbericht bezüglich R. P. fertiggestellt und der Zollfahndung Stuttgart übermittelt hatte, hat die zuständige Straf- und Bußgeldstelle des Hauptzollamts Ulm erst am 30. August 2001 die Sache weiterbearbeitet. Am 04. November 2001 ist schließlich durch das Amtsgericht Stuttgart ein Strafbefehl gegen den Angeklagten erlassen worden.

In dieser vom Angeklagten nicht mitverursachten Verfahrensverzögerung liegt zwar hier noch keine so schwerwiegende Verletzung des aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK folgenden allgemeinen Beschleunigungsgebots, dass bereits eine zahlenmäßig festgesetzte Strafreduzierung geboten wäre (vgl. BGH NStZ 2001, 52 m.w.N.); jedoch ist in der erheblichen Verfahrensverzögerung ein so schwerwiegender Strafmilderungsgrund zu sehen, dass nach Auffassung des Senats nur noch die Festsetzung der nach den Umständen niedrigstmöglichen Gesamtgeldstrafe in Betracht kommt. Eine Zurückverweisung an das Amtsgericht würde hier wegen der Neueröffnung des Instanzenzugs zu einer nachhaltigen Intensivierung der Verfahrensverzögerung führen. Daher ist eine abschließende Entscheidung des Revisionsgerichts zum Rechtsfolgenausspruch geboten, die der Senat auf der Grundlage der Feststellungen des Amtsgerichts mit 100 Tagessätzen zu je 30,00 € Gesamtgeldstrafe getroffen hat.

Ende der Entscheidung

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