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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 26.06.2006
Aktenzeichen: 1 Ss 296/05
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 17 S. 1
StGB § 284
Der Betreiber eines in Deutschland ansässigen Wettbüros, der über das Internet Sportwetten seiner Kunden ohne behördliche Genehmigung bei einem in Österreich konzessionierten Sportwettenveranstalter platzierte, hat jedenfalls vor dem Urteil des BVerfG vom 28. März 2006 (NJW 2006, 1261) in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum und damit ohne Schuld gehandelt, wenn er vom zuständigen Sachbearbeiter der Ordnungsbehörde und von einem kompetenten Rechtsanwalt die Auskunft erhalten hatte, sein Verhalten sei nicht verboten.
Oberlandesgericht Stuttgart Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 1 Ss 296/05

in der Strafsache gegen

Der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat in der Sitzung vom 26. Juni 2006, an der der teilgenommen haben:

Vors. Richter am OLG - als Vorsitzender - Richter am OLG Richter am LG - als beisitzende Richter -

Oberstaatsanwalt - als Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft -

Rechtsanwalt Rechtsanwalt Rechtsanwalt - als Verteidiger -

Justizsekretär z. A - als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle -

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Ellwangen vom 12. April 2005 wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe:

I.

Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten zur Last gelegt, als Komplementär und verantwortlicher Geschäftsführer der Firma in gewerbsmäßig ohne behördliche Erlaubnis öffentlich ein Glücksspiel veranstaltet zu haben, die Einrichtung hierzu bereitgestellt sowie für ein solches Glücksspiel geworben zu haben. Der Angeklagte habe den Kunden seines Wettbüros über das Internet die Teilnahme an Sportwetten eines in Österreich konzessionierten Wettbüros ermöglicht.

Das Amtsgericht Heidenheim hat den Angeklagten aus Rechtsgründen freigesprochen, da die Anwendung des § 284 StGB einen unverhältnismäßigen Eingriff in die durch den EG-Vertrag gewährleistete Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit darstelle.

Die hiergegen gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Ellwangen mit dem angefochtenen Urteil als unbegründet verworfen.

Es hat festgestellt:

Der Angeklagte war seit Januar 2002 Komplementär der Firma mit Geschäftssitz in . Er meldete in dieser Funktion am 14. Oktober 2002 beim Ordnungsamt der Stadt ein Gewerbe mit dem Geschäftszweck "Betrieb von Internetbüros und -cafés als Franchisegeber, Beratung und Unterstützung von Internetgeschäften, Betrieb von Annahmestellen von Sportwetten" an. In angemieteten Räumlichkeiten in betrieb er vom 5. Oktober 2002 bis heute als Geschäftsführer ein für jedermann zugängliches Internetcafé und Wettbüro, in dem sich Kunden an Sportwetten der in Österreich niedergelassenen Firma beteiligen konnten. Dieses Unternehmen besaß eine österreichische Konzession zur Veranstaltung von Oddset-Sportwetten, also von Wetten über Sportereignisse - vor allem Fußballspiele -, über deren Spielergebnisse, Halbzeitstände, Toranzahl im Spiel, Trefferquote zur Halbzeit u. ä., wobei im Erfolgsfall im Gegensatz zur Toto-Wette ein nach vorgegebenen Quoten errechneter Gewinn ausgezahlt wird. Auf das Wettangebot und die Wettquoten hatte der Angeklagte keinen Einfluss.

In der Kooperationsvereinbarung verpflichtete sich die vom Angeklagten betriebene KG, nur Oddset-Sportwetten der Firma zu vermitteln. Er hatte hierzu in seinen Räumlichkeiten vier Computerterminals mit Internetzugang auf Rechnung der KG aufgestellt, die die Kunden auch zum Abschluss von Wetten benutzen konnten. Für solche Kunden, die das Internet nicht selbständig nutzen konnten oder wollten, stand eine Mitarbeiterin der KG zur Verfügung. Die KG als Betreiberin, die als Einmalbetrag 5.000,00 € pro Internetterminal an die Firma bezahlte, rechnete mit dieser die Wetteinsätze und die Gewinne sowie ihre Provisionen einmal im Monat ab, wobei sie auszuzahlende Gewinne vorschoss.

Vor Anmeldung seines Gewerbes hatte sich der Angeklagte im Internet auf web-Seiten von Rechtsanwälten, die sich mit der Frage der Zulässigkeit der Vermittlung von ausländischen Sportwetten, deren Veranstalter über eine entsprechende Konzession ihres Heimatlandes verfügten, informiert. Nachdem er bei der Anmeldung auch von dem zuständigen Mitarbeiter der Stadt darauf hingewiesen worden war, dass er zwar Sportwetten vermitteln, jedoch nicht selbst veranstalten dürfe, ging er davon aus, sich rechtmäßig zu verhalten. Als ihm am 7. November 2002 anlässlich einer Kontrolle von einem Kriminalbeamten erklärt worden war, dass er für den Betrieb eine behördliche Erlaubnis benötige, wandte er sich sofort an einen Rechtsanwalt. Von diesem erhielt er die Auskunft, dass es zur Frage der Zulässigkeit der Vermittlung von Oddset-Sportwetten ausländischer Wettanbieter aus EU-Mitgliedstaaten mit einer dort erteilten Konzession zwar sich widersprechende Rechtsauffassungen gebe, viele Gerichte jedoch die Vermittlung von Sportwetten nicht als strafbares Veranstalten eines Glücksspiels einstuften und dass beim Bundesverfassungsgericht Verfahren zur Klärung der Rechtslage anhängig seien, weshalb er ihm zur Weiterführung seines Betriebes rate. In der Folgezeit wurde der Angeklagte von seinem Rechtsanwalt laufend über neue Urteile deutscher Zivil-, Straf- und Verwaltungsgerichte sowie über das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 6. November 2003 - Gambelli (NJW 2004, 139) informiert, mit denen der Rechtsanwalt seine Rechtsauffassung begründete.

Nach den Urteilsfeststellungen betreibt der Angeklagte nach wie vor das Internetcafé für die Firma und vermittelt dabei auch weiterhin Oddset-Sportwetten für die Firma in Österreich. Eine verwaltungsrechtliche Untersagungsverfügung wurde bisher nicht erlassen.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist nicht begründet.

Zu Recht hat das Landgericht den Angeklagten jedenfalls deswegen aus Rechtsgründen freigesprochen (§ 267 Abs. 5 S. 1 StPO), weil er - die objektive Strafbarkeit seines Verhaltens nach § 284 Abs. 1 und 3 StGB unterstellt - einem unvermeidbaren Verbotsirrtum im Sinne von § 17 S. 1 StGB erlegen ist.

1. Es kann dahingestellt bleiben ob - wie das Amtsgericht und das Landgericht angenommen haben - im Anschluss an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Fall Zenatti - GewArch 2000, 19 und Fall Gambelli - NJW 2004, 139) die Verbotsnorm des § 284 StGB, soweit es um die in Deutschland stattfindende Vermittlung von Sportwetten eines in einem anderen Mitgliedsstaat der EU ansässigen und dort konzessionierten Wettveranstalters geht, unanwendbar ist, da ihre Anwendung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die durch den EG-Vertrag in Art. 43 und 49 Abs. 1 gewährleistete Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit sowohl der österreichischen als auch des Angeklagten als Komplementär und Geschäftsführer der Firma darstellt. Für vergleichbare Fälle haben auch das Landgericht Hamburg im Beschluss vom 12. November 2004 (NStZ-RR 2005, 44), das Landgericht München I im Beschluss vom 27. Oktober 2003 (NJW 2004, 171), das Landgericht Wuppertal im Beschluss vom 17. August 2004 - 30 Qs 3/04, das Landgericht Baden-Baden im Beschluss vom 2. Dezember 2004 - 2 Qs 157/04, das Sächsische Oberverwaltungsgericht im Beschluss vom 22. Dezember 2004 - BS 28/04, das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht im Beschluss vom 18. Januar 2005 - 3 MB 80/04 sowie der Hessische Verwaltungsgerichtshof im Beschluss vom 9. Februar 2004 (GewArch 2004, 153) in diesem Sinne entschieden.

Die Literatur hat sich dieser Auffassung großen Teils angeschlossen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 53. Auflage, § 284 Rdn.7; Eser/Heine in Schönke/Schröder, StGB, 27. Auflage, § 284 Rdn. 22 a; Lackner/Kühl, StGB, 25. Auflage, § 284 Rdn. 12; Barton/Gercke/Janssen wistra 2004, 321; Janz NJW 2003, 1701; Lesch Gew-Arch 2003, 324; Hoeller/Bodemann NJW 2004, 125).

Dagegen hatte der Bundesgerichtshof (NJW 2004, 2158 - 1. Zivilsenat und NStZ 2003, 372 - 4. Strafsenat) in Fällen ungenehmigter Sportwetten § 284 StGB als europarechtlich und verfassungsrechtlich unbedenklich für anwendbar gehalten.

2. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01 (NJW 2006, 1261) das in Bayern durch das dortige Staatslotteriegesetz errichtete staatliche Wettmonopol, das dem in Baden-Württemberg nach dem Staatslotteriegesetz vom 14. Dezember 2004 (GBl S. 894) geltenden nahezu inhaltsgleich entspricht, für einen in seiner gegenwärtigen gesetzlichen und tatsächlichen Ausgestaltung unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG und damit für verfassungswidrig gehalten, ohne daran allerdings das Verdikt der Nichtigkeit zu knüpfen. Den an entsprechender beruflicher Tätigkeit interessierten Bürgern sei der strafbewehrte Ausschluss gewerblicher Wettangebote durch private Wettunternehmer nur dann zumutbar, wenn das bestehende Wettmonopol auch in seiner konkreten Ausgestaltung der Vermeidung und Abwehr von Spielsucht und problematischem Spielverhalten diene. Das derzeit im Rahmen des staatlichen Wettmonopols errichtete Sportwettenangebot sei jedoch nicht konsequent am Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und Bekämpfung der Wettsucht ausgerichtet; das tatsächliche Erscheinungsbild, insbesondere die breit angelegte Werbung, entspreche vielmehr der wirtschaftlich effektiven Vermarktung einer grundsätzlich unbedenklichen Freizeitbeschäftigung. Die Vorschrift des § 284 StGB beseitige das verwaltungsrechtliche Defizit des - auf dem Lotteriestaatsvertrag der Bundesländer beruhenden - Staatslotteriegesetzes nicht, da sie keine inhaltlichen Vorgaben für die Ausgestaltung des Wettangebots enthalte. Die Unverhältnismäßigkeit der konkreten tatsächlichen und rechtlichen Ausgestaltung des Wettmonopols erfasse auch den Ausschluss der Vermittlung anderer als der vom Freistaat Bayern veranstalteten Wetten. Ein verfassungsmäßiger Zustand könne sowohl durch eine Ausgestaltung des Wettmonopols, die wirklich der Suchtbekämpfung diene, als auch durch eine gesetzlich normierte und kontrollierte Zulassung gewerblicher Veranstaltung durch private Unternehmen erreicht werden.

Für die Beobachtung der neuen Entwicklung und die Neuregelung hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber eine Frist bis zum 31. Dezember 2007 gesetzt; in der Zwischenzeit dürfe die private Wettvermittlung weiter unterbunden werden. Ob in der Übergangszeit eine Strafbarkeit nach § 284 StGB gegeben sei, unterliege der Entscheidung der Strafgerichte (Rdn. 159).

Damit hat das Bundesverfassungsgericht - entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft - nicht über die zwischenzeitliche und erst recht nicht über die vor seinem Urteil liegende Strafbarkeit der privaten Sportwettenvermittlung entschieden. Es hat diese Frage vielmehr offen gelassen und folgt seiner früheren Rechtsprechung (Beschluss vom 27. April 2005 - 1 BvR 223/05 = GewArch 2005, 246), in der es in einem Verfahren über den vorläufigen Rechtsschutz bei privater Wettvermittlung ausgeführt hatte, dass eine Strafbarkeit nach § 284 StGB umso unsicherer prognostiziert werden könne, je mehr die Anwendbarkeit der Strafnorm selbst - z.B. aus europarechtlichen Gründen - zweifelhaft sei. Angesichts der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Sache Gambelli (NJW 2004, 139) und ihrer Rezeption durch Rechtsprechung und Literatur (siehe oben II 1) könnten erhebliche Zweifel an der gemeinschaftsrechtlichen Vereinbarkeit des § 284 StGB auch nicht ohne Verstoß gegen das Willkürverbot ausgeschlossen werden. Der EuGH (a.a.O.) halte die Erforderlichkeit einer Strafsanktion auch dann für überprüfungsbedürftig, wenn der Leistungserbringer, an den vermittelt werde, im Mitgliedstaat der Niederlassung einer Kontroll- und Sanktionsregelung unterliege.

Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 28. März 2001 (NJW 2001, 2648 ff.), in der es um die Fernhaltung privater Veranstalter von Oddset-Wetten in Bayern ging, darauf abgestellt, dass § 284 StGB verwaltungsrechtlich als Verbotsnorm gelte; zugleich hat es den Gesetzgeber jedoch aufgefordert, weitere Erfahrungen mit Oddset-Wetten - auch hinsichtlich privater Veranstalter im Ausland - zu gewinnen und seine Einschätzung über den Ausschluss privater Veranstalter und Vermittler zu überprüfen. Der Gesetzgeber müsse ermitteln, ob das staatliche Monopol wirklich geeignet sei, die mit der Veranstaltung von Glücksspielen verbundenen Gefahren einzudämmen. Bei der mit aggressiver Werbung einhergehenden extremen Ausweitung des Spielangebots könne davon keine Rede mehr sein.

3. Nach den rechtsfehlerfreien Urteilsfeststellungen zum subjektiven Tatbestand ist der Angeklagte hinsichtlich des Unrechts seiner Tat - falls diese objektiv überhaupt strafbar war - einem unvermeidbaren Verbotsirrtum erlegen und hat damit ohne Schuld gehandelt (§ 17 Satz 1 StGB).

Bei der Frage, ob und warum einem Täter die Unrechtseinsicht gefehlt hat, ist die spezifische Rechtsgutsverletzung des in Betracht kommenden Straftatbestandes besonders zu beachten (Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl., § 17 Rdn. 4 m.w.N.). Die vom Bundesgerichtshof (BGHSt 2, 194) aufgestellte Forderung, der Täter müsse "sein Gewissen anspannen" und "alle seine Erkenntniskräfte und sittlichen Wertvorstellungen" einsetzen, kann bei den weit auseinanderstrebenden Wertvorstellungen der heutigen pluralistischen Gesellschaft nur noch im Kernbereich des Strafrechts aufrechterhalten werden, der - wie Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit und Eigentum - von der Verfassung verbindlich vorgegeben wird. Der Bereich des - wenn auch mit Kriminalstrafe bedrohten - Verwaltungsunrechts, zu dem auch das Glücksspielverbot des verwaltungsakzessorischen § 284 StGB gehört, unterfällt anderen Maßstäben. Hier wird die Gewissensanspannung häufig keine eindeutigen Erkenntnisse erbringen; an ihre Stelle tritt daher stärker als in anderen Bereichen die Pflicht des Normadressaten zur sorgfältigen Erkundigung über die Rechtslage bei einem zuverlässigen Rechtskundigen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl., § 17 Rdn. 9 ff.; Cramer/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl., § 17 Rdn. 18, jeweils m.w.N.). So darf sich ein selbst nicht Rechtskundiger, der eine derartige Norm übertritt, in der Regel auf die Auskunft eines Rechtsanwalts verlassen, den er ohne Verschulden als kompetent angesehen hat, beispielsweise auf die Auskunft eines Spezialanwalts für das in Frage stehende Rechtsgebiet. Auf die Auskunft eines Sachbearbeiters der zuständigen Behörde muss der Normadressat vertrauen dürfen, da ansonsten die Strafbarkeit von nicht zum Kernbereich des kriminellen Unrechts gehörenden Verhaltensweisen nicht im voraus zuverlässig zu beurteilen wäre. Die vorherige Berechenbarkeit staatlicher Sanktionen durch eindeutige Gesetzesformulierung und eindeutige Auslegung durch staatliche Behörden und Gerichte zählt jedoch - wie das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG beweist - zu den Wesenselementen des Rechtsstaats.

Allerdings kann - worauf die Generalstaatsanwaltschaft abstellt - die Kenntnis des Normadressaten, dass die Rechtsprechung zu einer bestimmten Rechtsfrage kontrovers ist, im Einzelfall zu einem bedingten Unrechtsbewusstsein führen, wenn dieser nur hofft, das ihm an sich bekannte Strafgesetz greife nicht ein (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl., § 17 Rdn. 9 b m.w.N.). Dies war hier nach den Urteilsfeststellungen (UA S. 16 bis 19) jedoch nicht der Fall. Vielmehr hat der Angeklagte vom zuständigen Sachbearbeiter der Stadt Heidenheim und von einem bundesweit bekannten Rechtsanwalt für das Recht der Sportwetten die Auskunft erhalten, die von ihm praktizierte Vermittlung von Sportwetten über das Internet an einen in Österreich konzessionierten Veranstalter sei nicht strafbar. Der EuGH hatte in zwei Entscheidungen erhebliche Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Strafbarkeit von Verstößen gegen das staatliche Wettmonopol geäußert, solange statt der Suchtprävention die willkommene Einnahmequelle im Vordergrund stehe und in der Öffentlichkeit, insbesondere in den Medien, nahezu uneingeschränkt Werbung für Sportwetten getrieben werden dürfe. Diese in sich widersprüchliche Sachlage hatte auch das Landgericht Ellwangen im Auge, als es zur Straflosigkeit des Angeklagten wegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums gelangte.

Der Senat verkennt nicht, dass die Ordnungsbehörden sowie die Verwaltungsgerichte und der Verwaltungsgerichtshof des Landes Baden-Württemberg stets von einem wirksamen Verbot derartiger Sportwetten ausgegangen sind. Ihre Entscheidungen bezogen sich jedoch nur auf die ordnungsrechtliche, nicht auf die strafrechtliche Seite des Verbots. Völlige Klarheit herrschte jedoch auch in der Verwaltungsgerichtsbarkeit des Landes nicht; so hat das Verwaltungsgericht Stuttgart im Beschluss vom 27. Juli 2005 - 5 K 1054/05 den Ausgang des Hauptsacheverfahrens bei der Untersagung von Internetvermittlung von Sportwetten als "offen" bezeichnet. Der VGH Baden-Württemberg hat mit einer Entscheidung hierzu ebenso wie der erkennende Strafsenat in vorliegender Sache bis zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 (NJW 2006, 1261) zugewartet.

Das angeführte Urteil des Bundesverfassungsgerichts enthält zur Strafbarkeit von Altfällen keine Äußerung und für die Zeit bis zur gesetzlichen Neuregelung, also bis spätestens Ende 2007, nur die Bemerkung, o b in der Übergangszeit eine Strafbarkeit nach § 284 StGB gegeben sei, unterliege der Entscheidung der Strafgerichte. Dabei ist angesichts der strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts an den Gesetzgeber (Suchtprävention, Eindämmung der Werbung) zu erwarten bzw. im Sinne einer Suchtprävention zu befürchten, dass dieser - was in seinem politischen Ermessen steht - das staatliche Wettmonopol für Sportwetten aufgibt und die dem Angeklagten jetzt vorgeworfene gewerbliche Tätigkeit mit gewissen Kontrollmechanismen erlauben wird. Überdies ist zu befürchten, dass die Bundesländer die hohen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts nicht erfüllen können und dass dieses Gericht im Jahre 2008 das in § 284 StGB enthaltene Verbot und das staatliche Wettmonopol für verfassungswidrig u n d nichtig erklären wird; auch dann wäre das inkriminierte Verhalten des Angeklagten ab dem Jahre 2008 erlaubt. Bei diesen nicht fern liegenden Fallgestaltungen würde der Angeklagte entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft jetzt für ein Verhalten bestraft, das in Kürze nicht mehr strafbar wäre. Damit wird die Voraussehbarkeit der Strafbarkeit seines Verhaltens für den Angeklagten von jetzt an noch unabsehbarer.

Der Senat ist daher mit der Vorinstanz der Auffassung, dass das Risiko einer extrem unklaren Rechtslage, wie sie hier von Behörden und Gerichten geschaffen wurde, nicht einseitig dem Normadressaten aufgebürdet werden darf (vgl. Cramer/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl., § 17 Rdn. 21 m.w.N.). In einem Rechtsstaat darf nur ein Verhalten bestraft werden, das vorher für die Betroffenen als strafbares Unrecht erkennbar gewesen ist.

Ende der Entscheidung

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