Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 27.02.2002
Aktenzeichen: 1 Ss 519/00
Rechtsgebiete: StGB, StPO, MRK


Vorschriften:

StGB § 46 Abs. 2
StPO § 354 a
MRK Art. 6 Abs. 1 S. 1
Eine Verzögerung des Revisionsverfahrens um 16 Monate, die allein auf die Sachbehandlung im Bereich der Justiz zurückzuführen ist, kann zu einer Herabsetzung der Strafe durch das Revisionsgericht führen.
Oberlandesgericht Stuttgart - 1. Strafsenat - Beschluss

Geschäftsnummer: 1 Ss 519/00

In der Strafsache gegen

wegen fahrlässiger Tötung u.a.

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft und nach Anhörung des Beschwerdeführers und der Nebenkläger am 27. Februar 2002 einstimmig beschlossen:

Tenor:

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hechingen vom 16. Mai 2000 gemäß § 349 Abs. 4 StPO dahingehend abgeändert, dass der

Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt wird.

II. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

III. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels sowie die notwendigen Auslagen der Nebenkläger im Revisionsverfahren.

Gründe:

1. Der Angeklagte wurde am 28. Juni 1999 vom Amtsgericht Albstadt wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung in drei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 4 Monaten verurteilt. Zugleich wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen und der Führerschein eingezogen. Der Verwaltungsbehörde wurde untersagt, ihm vor Ablauf von - weiteren - elf Monaten, eine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Die unbeschränkte Berufung wurde am 16. Mai 2000 vom Landgericht Hechingen mit der Maßgabe verworfen, dass die Sperrfrist auf weitere drei Monate festgesetzt wurde. Die fristgerechte Revision des Angeklagten, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird, wurde am 04. August 2000 begründet und von der Staatsanwaltschaft am 30. August 2000 der Generalstaatsanwaltschaft vorgelegt. Am 28. Dezember 2001 gingen die Akten beim Oberlandesgericht mit dem Antrag, die Revision als unbegründet gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen, ein.

2. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsbegründung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufgedeckt (§ 349 Abs. 2 StPO).

3. Der Strafausspruch kann jedoch nicht bestehen bleiben, weil das Verfahren nach Erlass des Urteils des Landgerichts Hechingen am 16. Mai 2000 unvertretbar verzögert wurde; dies hat der Senat von Amts wegen entsprechend § 354 a StPO zu berücksichtigen. Der Angeklagte selbst kann den Verfahrensmangel nicht rügen, da er sich erst nach Ablauf der Frist zur Begründung des Rechtsmittels verwirklicht hat. Unberücksichtigt bleiben darf er jedoch nicht, weil das Beschleunigungsgebot in der Europäischen Menschenrechtskonvention zwingendes Recht darstellt und sein Geltungsbereich nicht bis zum Urteilserlass begrenzt ist. Die hiernach notwendige Anpassung des Revisionsrechts an die Gebote der MRK führt zu einer von einer Rüge unabhängigen Prüfungspflicht des Revisionsgerichts (BGH NStZ 1995, 335, 336; BGH wistra 1999, 57; BGH NStZ 2001, 52; BGH wistra 2001, 57).

Der seit der Verkündung des Urteils verstrichene Zeitraum von 19 Monaten bis zur Vorlage beim Revisionsgericht, den der Senat nach Auswertung des Akteninhalts im Freibeweis festgestellt hat, ist hier unangemessen lang. Diese erhebliche und nicht mehr hinnehmbare Verzögerung ist allein auf die Sachbehandlung im Bereich der Justiz zurückzuführen. Dieser Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK ist bei der Strafzumessung zu berücksichtigen (BGH wistra 2001, 57). Um eine weitere Verzögerung und damit eine Intensivierung des Verfahrensmangels zu vermeiden, ist im vorliegenden Fall eine abschließende Sachentscheidung des Revisionsgerichts geboten.

Unter Berücksichtigung des Gewichts der Verzögerung verringert der Senat deshalb die Freiheitsstrafe um 2 Monate auf 1 Jahr und zwei Monate.

Ende der Entscheidung

Zurück