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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 08.05.2007
Aktenzeichen: 1 Ws 127/07
Rechtsgebiete: GKG


Vorschriften:

GKG § 178 Abs. 1 Satz 1
Die Weigerung eines Verfahrensbeteiligten oder Zeugen, in der Hauptverhandlung die Schildmütze vom Kopf abzunehmen, stellt eine Ungebühr im Sinne des § 178 Abs. 1 Satz 1 GVG dar, wenn der Betreffende die Schildmütze weder aus gesundheitlichen, religiösen, kosmetischen oder sonstigen nachvollziehbaren Gründen trägt, sonder durch seine Weigerung bewusst provozieren will.
Oberlandesgericht Stuttgart - 1. Strafsenat - Beschluss

Geschäftsnummer: 1 Ws 126/07 1 Ws 127/07

vom 8. Mai 2007

in der Strafsache

Tenor:

Die sofortigen Beschwerden des Angeklagten gegen die beiden Ordnungsmittelbeschlüsse des Amtsgerichts S. vom 16. April 2007 werden als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seiner Rechtsmittel.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht - Schöffengericht - S. erließ in der Hauptverhandlung vom 16. April 2007 zwei Ordnungsmittelbeschlüsse wegen Ungebühr nach 178 GVG jeweils in Höhe von 200.- € Ordnungsgeld, im Uneinbringlichkeitsfall jeweils 4 Tage Ordnungshaft, gegen den Angeklagten.

Aus der gemäß § 182 GVG bei Verhängung solcher Ordnungsmittel vorgeschriebenen Protokollierung der zu Grunde liegenden Vorgänge ergeben sich folgende Sachverhalte:

1. Der Angeklagte erschien zur Hauptverhandlung mit einer Schildmütze auf dem Kopf. Er wurde vom Vorsitzenden aufgefordert, diese abzunehmen, was er verweigerte. Auch nachdem ihm vom Schöffengerichtsvorsitzenden für den Weigerungsfall ein Ordnungsgeld angedroht worden war und nachdem der Vertreter der Staatsanwaltschaft beantragt hatte, ein Ordnungsgeld in Höhe von 200.- € zu verhängen, blieb er bei seiner Weigerung, die Schildmütze abzunehmen. Nachdem dann seine Verteidigerin dem Antrag des Staatsanwalts entgegengetreten war, nahm der Angeklagte seine Mütze kurze Zeit ab, setzte sie danach aber wieder auf und nahm sie (auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung) nicht mehr ab. Das Schöffengericht erließ daraufhin den Beschluss, wonach gegen den Angeklagten wegen seiner Weigerung, die Schildmütze vom Kopf zu nehmen, ein Ordnungsgeld in Höhe von 200.- €, ersatzweise 4 Tage Ordnungshaft, angeordnet wird.

2. Im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung wurde der Zeuge vernommen, dessen Angaben den Angeklagten maßgeblich belasteten und auch zur Inhaftierung des Angeklagten geführt hatten. Gleich zu Beginn seiner Aussage, nachdem der Zeuge den ersten Satz gesagt hatte, der den Angeklagte belastete, redete der Angeklagte dazwischen. Der Schöffengerichtsvorsitzende verwarnte den Angeklagten und drohte ihm die Verhängung eines weiteren Ordnungsgeldes an. Im weiteren Verlauf des Wortwechsels erklärte der Angeklagte, der Zeuge habe ihn (den Angeklagten) auf türkisch beleidigt. Wiederholt ermahnte der Schöffengerichtsvorsitzende den Angeklagten, ruhig zu sein, sonst werde ein Ordnungsgeld gegen ihn verhängt werden. Gleichwohl redete der Angeklagte auch im Verlauf der weiteren Zeugenaussage dazwischen. Daraufhin beantragte der Vertreter der Staatsanwaltschaft, ein Ordnungsgeld in Höhe von 200.- €, ersatzweise 4 Tage Ordnungshaft, gegen den Angeklagten zu verhängen. Eine Stellungnahme der Verteidigerin dazu wurde nicht abgegeben. Das Schöffengericht erließ daraufhin den Beschluss, wonach gegen den Angeklagten ein Ordnungsgeld in Höhe von 200.- €, ersatzweise 4 Tage Ordnungshaft, angeordnet wird.

Mit den gegen beide Ordnungsmittelbeschlüsse eingelegten (sofortigen) Beschwerden macht die Verteidigerin bezüglich des ersten Ordnungsmittelbeschlusses geltend, das Tragen einer Mütze stelle keine unangemessene Kleidung dar. Es entspreche nicht mehr heutiger Gepflogenheit, zum Zeichen der Ehrerbietung den Hut oder eine andere Kopfbedeckung abzunehmen. Das Tragen einer Mütze könne nicht als Angriff auf die Ehre und Würde des Gerichts gewertet werden.

Bezüglich des zweiten Ordnungsmittelbeschlusses wird geltend gemacht, dem Angeklagten sei die strafprozessuale Reihenfolge zur Stellungnahme nicht bekannt gewesen. Dass das Verhalten des Angeklagten strafprozessualen Vorschriften zuwiderlaufe, rechtfertige dessen Ahndung mit Ordnungsmitteln nicht.

II.

Die sofortigen Beschwerden sind zulässig (§ 181 Abs. 1 und 3 GVG), haben in der Sache jedoch keinen Erfolg.

1. Nach § 178 GVG kann ein Ordnungsmittel verhängt werden, wenn der Betreffende sich in der Sitzung einer Ungebühr schuldig macht. Ungebühr ist ein erheblicher Angriff auf die Ordnung in der Sitzung (§ 176 GVG), auf deren justizmäßigen, nicht nur rein äußerlichen Ablauf, sondern auch auf den "Gerichtsfrieden" und damit auf die Ehre und Würde des Gerichts (OLG Stuttgart, NJW 1969, 627; Meyer-Goßner, StPO, 49. Auflage, Rn. 2 zu § 178 GVG). Die Vorschrift soll Reaktionsmöglichkeiten vor allem gegen tätliche oder verbale Angriffe und auch gegen Störungen eines ordnungsgemäßen Verhandlungsablaufs, gegen eine Behinderung oder Gefährdung der Wahrheitsfindung geben, und soll die Autorität des Gerichts vor Einbußen bewahren (OLG Stuttgart a. a. O.; Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Auflage, Rn. 2 zu § 178 GVG). Das ungebührliche Verhalten muss sich dementsprechend nicht direkt gegen das Gericht selbst wenden. Es genügt ein solches Verhalten gegenüber anderen Prozessbeteiligten oder gegen sonstige unbeteiligte Personen (OLG Hamm NJW 1969, 1920).

Das Dazwischenreden trotz wiederholter Abmahnung ist unter Anwendung dieser Grundsätze unzweifelhaft als Ungebühr im Sinne des § 178 Abs. 1 GVG anzusehen (OLG Hamm a. a. O.). Das gilt erst recht, wenn - wie vorliegend - ein Belastungszeuge dadurch irritiert oder gar verunsichert werden soll. Die sachliche, an der Wahrheitsfindung orientierte Sitzungsatmosphäre (OLG Stuttgart, Justiz 1986, 228) wurde durch das ungebührliche Verhalten des Angeklagten erheblich beeinträchtigt.

2. In der Rechtsprechung ist auch anerkannt, dass das äußere Erscheinungsbild eines Verhandlungsteilnehmers oder Zuhörers in ungebührlicher Weise die Würde des Gerichts und des Gerichtsverfahrens verletzen kann (OLG Koblenz NJW 1995, 977; OLG Hamm a. a. O.; Meyer-Goßner a. a. O. Rn. 2 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). An das äußere Erscheinungsbild der Prozessbeteiligten im Gerichtssaal und der Zuhörer dürfen aber keine übersteigerten, an den Anschauungen früherer Zeiten orientierte Anforderungen gestellt werden. Freizeitkleidung, Berufskleidung, kurze Hosen, "bauchfreie" Shirts u. ä. werden regelmäßig nicht als die Würde des Gerichts verletzend erachtet (OLG Koblenz, a. a. O). Etwas anderes gilt, wenn der Betreffende in einer aus dem Rahmen fallenden Bekleidung oder Erscheinung auftritt, um bewusst zu provozieren. Das kann vorliegend allein aus dem Umstand, dass der Angeklagte mit einer Schildmütze bekleidet zur Hauptverhandlung erschienen ist, nicht angenommen werden. Denn es ist unter Jugendlichen nicht unüblich, auch in geschlossenen Räumen eine Schildkappe, Kapuze oder Wollmütze auf dem Kopf zu behalten. Als Verfahrensbeteiligter oder Zeuge einer Gerichtsverhandlung erscheint diese Aufmachung allerdings unangemessen, sofern der Betreffende seine Kopfbedeckung nicht wegen gesundheitlicher, religiöser, kosmetischer oder sonstiger nachvollziehbarer Gründe erklären kann. Der Schöffengerichtsvorsitzende hat dementsprechend den Angeklagten aufgefordert, die Schildmütze abzunehmen. Nicht dessen Erscheinen in der Hauptverhandlung mit einer Schildmütze auf dem Kopf, sondern die provokative Weigerung des Angeklagten, diese ohne nachvollziehbare Begründung abzunehmen, und sein weiteres diesbezügliches Verhalten, wobei er die Schildmütze zeitweise abnahm, dann aber gleich wieder aufsetzte und - entgegen der Aufforderung des Schöffengerichtsvorsitzenden - aufbehielt, stellt eine deutliche Provokation und einen erheblichen Angriff auf die Würde des Gerichts dar. Deshalb hat das Schöffengericht zu Recht die Weigerung des Angeklagten, seine Schildmütze abzunehmen, als Ungebühr im Sinne des § 178 Abs. 1 GVG angesehen und mit einem Ordnungsmittel geahndet.

3. Auch Art und Maß der verhängten Ordnungsmittel sind nach Auffassung des Senats angesichts des aufgezeigten Verhaltens des Angeklagten gerechtfertigt. Bei einem gesetzlichen Rahmen von Ordnungsgeld bis zu 1.000.- € oder Ordnungshaft bis zu einer Woche (§ 178 Abs. 1 Satz 1 GVG) begegnet die Höhe des verhängten Ordnungsgeldes von jeweils 200.- € (im Uneinbringlichkeitsfall 4 Tage Ordnungshaft) keinen Bedenken, auch wenn der Angeklagte, der wegen gewerbsmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu der Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 10 Monaten (nicht rechtskräftig) verurteilt wurde, der schuldenfrei ist, und der vor seiner Inhaftierung mietfrei in einer Eigentumswohnung seiner Eltern lebte, zuletzt lediglich 700.- € monatlich Arbeitslosengeld bezog.

4. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung der Sach- und Rechtslage. Es wird in der Beschwerdebegründung verkannt, dass nicht "das Tragen einer Mütze ... als Angriff auf die Ehre und Würde des Gerichts gewertet" worden ist, sondern die provokative Weigerung, die Schildmütze abzunehmen. Dass der Angeklagte - wie protokolliert - während der Vernehmung des Zeugen deswegen ständig dazwischenredete, weil ihm "die prozessuale Reihenfolge" des Rederechts nicht bekannt gewesen sein will, ist fernliegend. Denn der Angeklagte wurde vom Schöffengerichtsvorsitzenden wiederholt abgemahnt, nicht mehr dazwischen zu reden. Außerdem wurde ihm die Verhängung eines Ordnungsmittels angedroht, wenn er sein störendes Verhalten fortsetzt.

Die angeordneten Maßnahmen stellen daher angemessene Ahndungen der Ungebühr des Angeklagten vor Gericht dar.

Ende der Entscheidung

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