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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 04.12.2000
Aktenzeichen: 1 Ws 222/00
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 172 Abs. 1 Satz 1
Begeht der Geschäftsführer oder Generalbevollmächtigte einer GmbH eine Untreue zum Nachteil der Gesellschaft, so ist nur diese unmittelbar Verletzte im Sinne von § 172 Abs. 1 Satz 1 StPO; die Gesellschafter sind als nur mittelbar Verletzte im Klageerzwingungsverfahren nicht antragsberechtigt.
Oberlandesgericht Stuttgart - 1. Strafsenat - Beschluss

Geschäftsnummer: 1 Ws 222/00 23 Zs 963/00 GStA Stuttgart 155 Js 44115/00 StA Stuttgart

vom 04. Dezember 2000

in der Anzeigesache

wegen Untreue.

Tenor:

Der Antrag des Anzeigeerstatters auf gerichtliche Entscheidung gegen den Beschwerdebescheid der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart vom 12. Oktober 2000 wird als unzulässig verworfen.

Gründe:

I.

Der Anzeigeerstatter hielt als Gesellschafter bis Anfang 1994 mit seinen beiden Söhnen jeweils 33 1/3 % der Geschäftsanteile der Fa. M. Sch. Gmbh in B. D.; ab dem 17. Februar 1994 reduzierten sich die Beteiligungen auf jeweils 19,5 %. Der Beschuldigte war ab 1990 Geschäftsführer dieser GmbH; am 16. März 1993 legte er die Geschäftsführung nieder, blieb aber aufgrund eines Beratervertrages Generalbevollmächtigter der Fa. M. Sch. Gmbh, der insbesondere für den Verkauf zuständig war.

Am 03. Mai 1990 wurde die Fa. M. Sch. Vertriebs Gmbh mit Sitz in A./S. gegründet, an der die Fa. M. Sch. Gmbh B. D. zunächst mit 51 %, der Beschuldigte mit 20 % sowie zwei weitere Gesellschafter beteiligt waren. Der Beschuldigte war ab dem 23. November 1990 (weiterer) Geschäftsführer der Fa. M. Sch. Vertriebs GmbH in A.. Insbesondere orderte er für diese Gesellschaft die Ware, die über die Fa. M. Sch. Gmbh in B. D. eingekauft wurde, war also für den Verkauf bei "M. West" und für den Einkauf bei "M. Ost" gleichermaßen zuständig.

Der Partnerschafts- und Kooperationsvertrag zwischen beiden Unternehmen sah bei Verkäufen von "M. West" an "M. Ost" Aufschläge auf die Einkaufspreise von 10 % für Altware und von 15 % für Neuware vor.

Der Anzeigeerstatter wirft dem Beschuldigten vor, unter Verstoß gegen den Partnerschafts- und Kooperationsvertrag und unter Verstoß gegen seine Pflichten als Geschäftsführer bzw. ab 16. März 1993 als Generalbevollmächtigter der Fa. M. Sch. Gmbh in B. D. Ware zu einem bei weitem zu niedrigen Preis für "M. Ost" bei "M. West" bezogen zu haben. Dadurch sei bei der Firma M. Sch. Gmbh in B. D. und letztlich auch beim Anzeigeerstatter als Gesellschafter ein Schaden entstanden, der sich allein für das Geschäftsjahr 1993/1994 auf insgesamt 14,8 Mio. DM belaufe. Der Beschuldigte sei sonach der Untreue zum Nachteil des Anzeigeerstatters hinreichend verdächtig.

II.

Der nach § 172 Abs. 2 und 3 StPO form- und fristgerecht gestellte Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist nicht zulässig; der Anzeigeerstatter ist nicht Verletzter (§ 172 Abs. 1 Satz 1 StPO) des dem Beschuldigten zur Last gelegten Vergehens der Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB.

1. Der Begriff des Verletzten wird außer in §§ 171 Satz 2, 172 Abs. 1 Satz 1 StPO an verschiedenen Stellen der Strafprozessordnung (§§ 22 Nr. 1, 61 Nr. 2, 111 g Abs. 1, 111 h Abs. 1, 111 k Abs. 1, 374 Abs. 1, 403) verwendet; er kann je nach Zielrichtung und Zweck der Vorschrift unterschiedliche Bedeutung haben (vgl. BGHSt 4, 202; 5, 85; KK, StPO, 4. Auflage, § 172 Rdnr. 18). Ziel der Auslegung des Verletztenbegriffs im Klageerzwingungsverfahren muss es sein, einerseits dem Legalitätsprinzip so weit wie möglich zum Durchbruch zu verhelfen, andererseits aber die vom Gesetz nicht gewollte Popularklageerzwingung zu verhindern.

a) Bei der Auslegung des Verletztenbegriffs sind Entscheidungen zu anderen Bestimmungen der Strafprozessordnung allerdings wenig hilfreich. So hat der Bundesgerichtshof (BGHSt 1, 298) zu §§ 22 Nr. 1 StPO entschieden, dass der Gesellschafter einer GmbH bei Schädigung der Gesellschaft nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar Verletzter sei. Zu § 61 Nr. 2 StPO hat der Bundesgerichtshof (BGHSt 4, 202) bei Schädigung einer GmbH die Verletzteneigenschaft eines GmbH-Gesellschafters im Gegensatz zum Reichsgericht (RGSt 69, 127) bejaht, weil es ihm nicht sachgemäß erschien, die Frage des Eideszwangs von der rein begrifflichen Unterscheidung zwischen unmittelbar und mittelbar Verletztem abhängig zu machen.

Nachdem die für die Bestimmung der Verletzteneigenschaft zu verschwommene, alttestamentarisch anmutende Formel vom "als berechtigt anzusehenden Vergeltungsbedürfnis" (vgl. Eb. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO, 1957, § 171 Rdnr. 12, § 172 Rdnr. 15; OLG Braunschweig NdsRPfl 1965, 17; OLG Celle NdsRPfl 1954, 209; OLG Bremen NJW 1950, 960) als nicht brauchbar verworfen worden war, haben zahlreiche Oberlandesgerichte als Verletzten im Sinne von § 172 Abs. 1 Satz 1 StPO denjenigen angesehen, der durch die schädigende Handlung - ihre Begehung unterstellt - unmittelbar in seinen Rechten, Rechtsgütern oder rechtlich anerkannten Interessen beeinträchtigt ist (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1995 49; OLG Karlsruhe NJW 1986, 1277; OLG Koblenz NJW 1985,1409; OLG Hamm NJW 1972, 1874; OLG Köln NJW 1972, 1338; OLG Stuttgart NJW 1969, 569; ebenso Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Auflage, § 172 Rdnr. 9; Rieß in LR, StPO, 24. Auflage, § 172 Rdnr. 52; Pfeiffer, StPO, 2. Auflage § 172 Rdnr. 3; KK, StPO, 4. Auflage, § 172 Rdnr. 19). Diese Abgrenzung gibt zwar keine absolute Sicherheit, lässt jedoch bei Orientierung an den Wertentscheidungen des geltenden Rechts häufig schon eine Abgrenzung zu. In Zweifelsfällen muss auf die Schutzzwecklehre zurückgegriffen werden; danach ist unmittelbar Verletzter nur derjenige, dessen Rechte durch die übertretene Norm - jedenfalls auch - geschützt werden sollen (vgl. KK a.a.O. unter Hinweis auf BGHSt 18, 283). Allein auf den Gesichtspunkt des Schutzzwecks stellen F (JZ 1974, 7 f.) und B (JR 1980, 480 f.) ab, die als Verletzten im Sinne von § 172 Abs. 1 Satz 1 StPO nur denjenigen anerkennen wollen, der dem Schutzzweck der verletzten Norm unterfällt.

b) Bei der Schädigung von juristischen Personen wie Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung durch Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder oder durch Geschäftsführer hat sich noch keine gefestigte Auffassung gebildet. Während R (LR, StPO, 24. Auflage, § 172 Rdnr. 88) wegen der breiten Streuung des Aktienbesitzes einer Publikumsgesellschaft bezweifelt, ob der einzelne Aktionär noch als unmittelbar Verletzter angesehen werden könne, weil dies einer Popularklageerzwingung nahekomme, hat das OLG Braunschweig (wistra 1993, 31) die Eigenschaft der (Klein-)Aktionäre als unmittelbar Verletzte einer Schädigung der Aktiengesellschaft verneint, weil das Aktiengesetz in § 117 Abs. 1 Satz 2 und § 147 die Ersatzansprüche der Aktionäre zugunsten derjenigen der Aktiengesellschaft starken Beschränkungen unterwerfe (zustimmend KK, StPO, 4. Auflage, § 172 Rdnr. 30 a; Plöd in KMR, Stand Juli 1999, § 172 Rdnr. 31). Das OLG Braunschweig hat in dieser Entscheidung im Anschluss an H (GA 1988, 493 f.) zur Feststellung, welche Person durch eine Norm unmittelbar geschützt ist, auf die zivilrechtliche Regelung abgestellt. Dies erscheint sinnvoll, da das Vermögen von juristischen und von natürlichen Personen sowohl durch die Strafrechtsordnung wie auch durch die Zivilrechtsordnung geschützt wird. Derjenige, dem die Zivilrechtsordnung eigene Ansprüche gegen den Schädiger zuerkennt, ist danach auch unmittelbar Verletzter im Sinne von § 172 Abs. 1 Satz 1 StPO. Dabei ist auf spezialgesetzliche Regelungen wie vertypte vertragliche Schadensersatzansprüche abzustellen, nicht auf Schadensersatzansprüche nach §§ 823 Abs. 2, 826 BGB, da diese deliktischen Anspruchsgrundlagen, die an das Strafrecht anknüpfen, die Gefahr eines Zirkelschlusses heraufbeschwören würden (vgl. Haas a.a.O. S. 498, 499).

2. Eine solche spezialgesetzlich geregelte Schadensersatzregelung enthält § 43 Abs. 2 GmbH-Gesetz; danach haftet der pflichtwidrig und schuldhaft handelnde Geschäftsführer oder Generalbevollmächtigte einer GmbH (vgl. Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz, 14. Auflage, § 43 Rdnr. 1) der Gesellschaft im Wege der Organhaftung für den ihr zugefügten Schaden (vgl. BGH ZIP 1989, 1392). Das Gesetz selbst entscheidet also die Frage, wer unmittelbar Verletzter einer Untreue des Geschäftsführers oder Generalbevollmächtigten ist; unabhängig von der Gesellschafteranzahl, die ohnehin kein praktikables Abgrenzungskriterium für die Frage der Unmittelbarkeit der Schädigung darstellt, ist die juristische Person als solche unmittelbar Verletzte, ihre Gesellschafter sind nur mittelbar Verletzte. Danach muss Antragstellerin im Klageerzwingungsverfahren die durch ihre Organe (§ 35 GmbH-Gesetz) - unter Ausschluss des beschuldigten Geschäftsführers oder Generalbevollmächtigten - im Verfahren handlungsfähige Gesellschaft sein; der einzelne Gesellschafter ist nicht antragsberechtigt.

Eine Ausnahme kann nur dann gelten, wenn eine Einmann-GmbH geschädigt wurde, bei der faktisch die juristische und die dahinterstehende natürliche Person identisch sind. In diesen Fällen, in denen die Rechtsprechung (vgl. die Nachweise bei Lutter/Hommelhoff a.a.O. § 13 Rdnrn. 11 f.) abweichend von § 13 Abs. 2 GmbH-Gesetz die Durchgriffshaftung auf den Einmanngesellschafter zugelassen hat, wird dieser konsequenterweise bei Schädigungen durch Dritte als berechtigt angesehen werden müssen, einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unmittelbar Verletzter im eigenen Namen zu stellen.

3. Die Fa. M. Sch. Gmbh, die zur behaupteten Tatzeit drei Gesellschafter hatte und heute mindestens vier Gesellschafter hat, war und ist nach § 13 Abs. 1 GmbH-Gesetz eine eigenständige juristische Person, die durch Untreue des Beschuldigten als ihres Geschäftsführers bzw. Generalbevollmächtigten in ihrem Vermögen unmittelbar geschädigt worden sein soll. Sie ist daher durch ihre Gesellschaftsorgane (Geschäftsführer) auch im Verfahren über die Klageerzwingung antragsberechtigt. Dem nur mittelbar geschädigten Anzeigeerstatter als einem der Gesellschafter steht ein solches Antragsrecht nicht zu. Sein Antrag auf gerichtliche Entscheidung musste daher als unzulässig verworfen werden.

Ende der Entscheidung

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