Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 26.08.2003
Aktenzeichen: 1 Ws 231/03
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 305 a Abs. 1 Satz 2
StPO § 453 Abs. 2 Satz 2
1. Die nachträgliche Abänderung von Bewährungsauflagen kann nur dann mit der Beschwerde angefochten werden, wenn eine Ermessensüberschreitung des erstinstanzlichen Gerichts vorliegt.

2. Die Bewährungsauflage, gemeinnützige Arbeit zu leisten, kann jedenfalls nach teilweiser Erfüllung nur dann abgeändert werden, wenn neu entstandene oder dem Gericht bekannt gewordene Tatsachen dies rechtfertigen. Geleistete Arbeitsstunden dürfen nur dann nicht anerkannt werden, wenn die Arbeitsleistung dem Sinn und Zweck der Auflage zuwider läuft.


Oberlandesgericht Stuttgart - 1. Strafsenat - Beschluss

1 Ws 231/03 24 StA-Ws 528/03 GStA Stuttgart 155 Js 33364/97 StA Stuttgart

vom 26. August 2003

in der Strafsache gegen

wegen Beihilfe zur Untreue

Tenor:

Auf die Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Stuttgart vom 04. August 2003

aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe:

I.

Die Wirtschaftsstrafkammer hat den Beschwerdeführer am 05. Februar 2001 wegen zweifacher Beihilfe zur Untreue rechtskräftig zu einem Jahr und 6 Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und ihm durch Bewährungsbeschluss vom selben Tage u.a. auferlegt, 200 Stunden gemeinnütziger Arbeit bei einer von der Kammer noch zu bestimmenden gemeinnützigen Einrichtung abzuleisten oder die Arbeitsauflage durch Bezahlung von 10.000 € an eine solche Einrichtung abzuwenden. Nach einer Anmahnung der Wirtschaftsstrafkammer an den Verurteilten vom 17. April 2003 ging am 25. April 2003 ein Telefax der LAV bei der Strafkammer ein, wonach sich der Verurteilte umgehend nach Erhalt seiner Arbeitsauflage an diese gewandt und man dort großes Interesse an seiner Mitarbeit habe. Noch unter dem Datum vom 25. April 2003 teilte die Wirtschaftsstrafkammer dem Verurteilten schriftlich mit, dass nicht er, sondern sie die begünstigte gemeinnützige Einrichtung bestimme. Nachdem am 19. Mai 2003 die Gerichtshilfe der Staatsanwaltschaft die Vermittlung einer gemeinnützigen Einrichtung übernommen und der Verurteilte mit dieser Kontakt aufgenommen hatte, gelang es ihm, durch die Darstellung der von ihm beabsichtigten Arbeiten für die LAV, der Wirtschaftsstrafkammer nahezubringen, dass diese Arbeiten es ihm erleichtern würden - etwa durch Schaffung neuer Geschäftskontakte im Medienbereich, wo er bis zum Zusammenbruch seiner Unternehmen tätig gewesen war - auch beruflich wieder Fuß zu fassen.

Mit Beschluss vom 10. Juni 2003 hat die Wirtschaftsstrafkammer unter Hintanstellung entgegenstehender Bedenken den Verurteilten angewiesen, 200 Stunden gemeinnützige Arbeit bei der LAV nach näherer Weisung durch die Staatsanwaltschaft - Gerichtshilfe - abzuleisten; zugleich wurde letztere ersucht, die Auflagenerfüllung im Einvernehmen mit der begünstigten Einrichtung zeitlich und inhaltlich näher zu bestimmen, durch geeignete Überprüfungsmaßnahmen zu überwachen sowie der Kammer vierteljährlich über die Auflagenerfüllung zu berichten. Die LAV wurde gleichzeitig gebeten, die abzuleistenden Arbeitsstunden im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft - Gerichtshilfe - und dem Verurteilten zeitlich und inhaltlich zu gestalten, die erbrachten Arbeitsleistungen nach Tag, Anzahl der Stunden und in diesen Stunden geleisteter Arbeit listenmäßig zu erfassen und diese Liste monatlich der Staatsanwaltschaft - Gerichtshilfe - mitzuteilen, um dieser die unmittelbare Überprüfung der Auflagenerfüllung sowohl in zeitlicher wie in inhaltlicher Hinsicht zu ermöglichen. Nur wenn die letzteren beiden Voraussetzungen gegeben seien, könnten erbrachte Arbeitsleistungen als Erfüllung der Bewährungsauflage anerkannt werden.

Ausweislich einer schriftlichen Mitteilung der Staatsanwaltschaft - Gerichtshilfe - vom 31. Juli 2003 sind weder der Verurteilte noch die LAV an sie herangetreten, um mit ihr Einvernehmen darüber zu erzielen, wann und wo der Verurteilte Arbeiten welcher Art zu erbringen habe; auch der erbetene Tätigkeitskatalog sei nicht vorgelegt worden, sondern lediglich eine auf den 29. Juli 2003 datierte "Arbeitsstundenaufstellung", die dem Verurteilten für die Zeit vom 18. Juni 2003 bis zum 21. Juli 2003 insgesamt 85 1/2 für die LAV geleistete Arbeitsstunden bescheinigte.

Die Wirtschaftsstrafkammer hat hieraus auf ein kollusives Verhalten des Verurteilten und des Vorsitzenden der Fördervereinigung der LAV, W., abgeleitet; beide hätten Kontrollen umgehen wollen. Die LAV müsse daher als unzuverlässig angesehen werden.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Wirtschaftsstrafkammer die Bestimmung der LAV als Begünstigte der Arbeitsauflage aufgehoben, die Nichtanrechnung der bescheinigten 85 1/2 Arbeitsstunden auf die Arbeitsauflage angeordnet und den Verurteilten angewiesen, sich zur Abwendung eines Widerrufsverfahrens binnen einer Woche nach Beschlusszustellung bei der Staatsanwaltschaft - Gerichtshilfe - zur Zuweisung einer Arbeitsstelle zu melden. Zugleich wurde diese Behörde ersucht, dem Verurteilten eine Arbeitsstelle zuzuweisen und dies sowie eine etwaige Arbeitsaufnahme der Kammer mitzuteilen; dem Verurteilten wurde auferlegt, binnen 2 Wochen ab Zustellung eines die Arbeitsanweisung bestätigenden Kammerbeschlusses mit der Erfüllung der Arbeitsauflage zu beginnen. Ferner wurde dem Verurteilten für den Fall der Zuwiderhandlung angedroht, ohne weitere Vorankündigung Termin zur Anhörung zum Widerruf der Strafaussetzung zu bestimmen.

II.

1. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Verurteilten ist zulässig. Nach §§ 305 a Abs. 1 Satz 2, 453 Abs. 2 Satz 2 StPO kann die Beschwerde allerdings nur darauf gestützt werden, dass eine getroffene Bewährungsanordnung gesetzwidrig ist. Dies ist dann der Fall, wenn die getroffene Anordnung im Gesetz nicht vorgesehen, wenn sie unverhältnismäßig oder unzumutbar ist, oder sonst die Grenzen des dem erstinstanzlichen Gericht eingeräumten Ermessens überschreitet (vgl. Fischer in KK, StPO, 5. Auflage, § 453 Rdn. 13; Meyer-Goßner, StPO, 46. Auflage, § 453 Rdn. 12; Pfeiffer, StPO, 4. Auflage, § 453 Rdn. 5, jeweils m.w.N.). Ansonsten verbleibt es bei der in § 305 a Abs. 1 Satz 2 StPO bestimmten Regel, die mit Bewährungsanordnungen verbundenen Ermessensentscheidungen der ersten Instanz zu überlassen (vgl. OLG Stuttgart, NStZ 2000, 500 m.w.N.).

Die hier von der Wirtschaftsstrafkammer getroffene Ermessensentscheidung, der LAV die Vergünstigung der Arbeitsleistung des Verurteilten zu entziehen, die nach der Bescheinigung vom 29. Juli 2003 geleistete Arbeit nicht auf die Arbeitsauflage anzurechnen und den Verurteilten - bei Androhung eines Widerrufsverfahrens - zur Kontaktaufnahme mit der Staatsanwaltschaft - Gerichtshilfe - zwecks Zuweisung einer neuen Arbeitsstelle zu zwingen, überschreitet die Grenzen des dem erstinstanzlichen Gericht eingeräumten Ermessens bei weitem. Sie lässt besorgen, dass die Wirtschaftsstrafkammer ihren - ohnehin nur unter Hintanstellung von Bedenken gefassten - Beschluss vom 10. Juni 2003 ohne Vorliegen einer ausreichenden tatsächlichen Grundlage hierfür zurückgenommen hat. Die Beschwerde des Verurteilten ist sonach zulässig.

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Zwar kann das Gericht nach § 56 e StGB Bewährungsauflagen (§ 56 b StGB) und Bewährungsweisungen (§ 56 c StGB) nachträglich ändern oder aufheben. Auch dieses dem Gericht gesetzlich eingeräumte Ermessen ist jedoch rechtstaatlich gebunden. Sinn der Vorschrift ist es, Auflagen und Weisungen während der Bewährungszeit den wechselnden Verhältnissen, also dem Bewährungsfortschritt oder -rückschritt anzupassen; es muss sich die objektive Situation oder der Informationsstand des Gerichts in tatsächlicher Hinsicht geändert haben (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 51. Auflage, § 56 e Rdn. 1). Dass das Gericht anderen Sinnes geworden ist, reicht nicht aus.

Die Ausführungen der Wirtschaftsstrafkammer legen die Besorgnis nahe, dass sie formale Verstöße des Verurteilten, der die Arbeitsaufnahme nicht rechtzeitig mitgeteilt hat oder hat mitteilen und bescheinigen lassen und so eine Kontrolle seiner bisherigen Arbeitsleistung durch die Staatsanwaltschaft - Gerichtshilfe - zeitweise vereitelt hat, zum Anlass nimmt, die Leistungsempfängerin zu wechseln und dem Verurteilten die geleisteten 85 1/2 Arbeitsstunden rückwirkend abzuerkennen. Das ist ermessensfehlerhaft; eine solche Entscheidung käme nur in Betracht, wenn der Verurteilte eine völlig andere Arbeit als die im Schriftwechsel mit dem Vorsitzenden der Fördervereinigung der LAV ins Auge gefasste ausgeübt hätte, wenn also die geleistete Arbeit dem Sinn und Zweck der Arbeitsauflage zuwider gelaufen wäre.

Das ist nach der Bescheinigung vom 29. Juli 2003 nicht der Fall. Diese enthält nicht nur die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden, sondern auch Datum, zeitlichen Umfang und Art der Tätigkeiten, die der Verurteilte vom 18. Juni 2003 bis zum 21. Juli 2003 abgeleistet hat. Er hat dabei - trotz körperlicher Defizite - sowohl bei der Erstellung eines Geräte- und Vereinsheims der LAV mitgeholfen als auch einen Informations- und Werbefilm der LAV erstellt. Sollte er, der früher schon im Medienbereich beruflich tätig war, dabei neue Kontakte geknüpft und einen beruflichen Neuanfang vorbereitet haben, so könnte ihm dies - entgegen der Auffassung der Wirtschaftsstrafkammer - ebenso wenig zum Vorwurf gemacht werden wie die Durchsetzung seines Vorschlags, die Arbeitsstunden bei der LAV abzuleisten. Denn die Wirtschaftsstrafkammer hat sich im Beschluss vom 10. Juni 2003 letztlich seinem Vorschlag angeschlossen; darauf durfte und darf der Verurteilte vertrauen. Die Wirtschaftsstrafkammer hat nunmehr jedoch gänzlich aus dem Blickfeld verloren, dass gerade die Tätigkeit des Verurteilten für die LAV in hohem Maße geeignet war, zu seiner Resozialisierung beizutragen; dieser allgemein anerkannte Strafzweck (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 51. Auflage, § 46 Rdn. 3 m.w.N.) gilt auch für Bewährungsauflagen.

Die dem angefochtenen Beschluss zugrunde liegende Vermutung, der Verurteilte habe mit dem ehrenamtlichen Vorsitzenden der Fördervereinigung der LAV, dem W., in kollusiver Weise zusammengewirkt, um sich auflagenwidrige Vorteile zu verschaffen, findet in den aktenkundigen Tatsachen ebenso wenig eine Stütze wie der Vorwurf, die LAV sei nicht als zuverlässig anzusehen. Der Senat sieht für eine derartige Abqualifizierung, die auch auf die Verlässlichkeit der Arbeitsbescheinigung vom 29. Juli 2003 ausstrahlt, keine rechtfertigenden Gründe. Die Wirtschaftsstrafkammer hätte ein insoweit bei ihr vorhandenes Misstrauen leicht dadurch beheben können, dass sie - mit oder ohne Einschaltung des Verurteilten - den Aussteller der Bescheinigung um eine Ergänzung bat oder die als Zeugen angebotenen weiteren Mitarbeiter der Fördervereinigung der LAV schriftlich befragte. Das hat sie nicht getan, sondern auf der Grundlage einer nicht durch Tatsachen belegten Vermutung den Leistungsempfänger ausgewechselt und den Verurteilten durch die Nichtanerkennung der geleisteten Arbeitsstunden abgestraft. Bei einem lediglich formalen Verstoß wie dem vorliegenden - Arbeitsbeginn und teilweise Arbeitsleistung ohne rechtzeitige Mitteilung an die Staatsanwaltschaft - Gerichtshilfe - und an die Wirtschaftsstrafkammer - war eine solche Abstrafung der Leistungsempfängerin und des Verurteilten nicht gerechtfertigt, weil die Auflagenerfüllung nach Aktenlage durch die zeitweise fehlende Kontrollmöglichkeit in der Sache nicht gelitten hat.

III.

Der dargestellte Ermessensfehler der Wirtschaftsstrafkammer führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses in allen Punkten; es bedarf beim gegenwärtigen Erkenntnisstand für die weitere Erfüllung der Arbeitsauflage weder einer neuen Arbeitsstelle noch eines Bestätigungsbeschlusses der Wirtschafsstrafkammer noch der Androhung eines Widerrufsverfahrens. Der Verurteilte und die Leistungsempfängerin werden allerdings daran erinnert, dass sie ihren Mitteilungspflichten künftig pünktlich nachkommen müssen.

Ende der Entscheidung

Zurück