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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 17.11.2004
Aktenzeichen: 1 Ws 252/04
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 111 b | |
StPO § 111 d | |
StPO § 111 e |
2.Der dingliche Arrest in das Vermögen des Angeklagten zur Sicherung der vor-aussichtlichen Kosten des Strafverfahrens wirkt über die Urteilsrechtskraft hin-aus; er ist jedoch aufzuheben, sobald ein vollstreckbarer Kostenansatz bei der Gerichtskasse vorliegt.FalseFalseFalse1.2
Oberlandesgericht Stuttgart - 1. Strafsenat - Beschluss
Geschäftsnummer: 1 Ws 252/04
vom 17. November 2004
in der Strafsache gegen
wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes u.a.,
Tenor:
1. Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Stuttgart wird der Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 27. August 2004 aufgehoben.
2. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wird der folgende dingliche Arrest erlassen:
Zur Sicherung der voraussichtlich entstehenden Kosten des Strafverfahrens 16 KLs 115 Js 98875/02 des Landgerichts Stuttgart wird der dingliche Arrest in Höhe von 12.000 € in das sichergestellte Vermögen des Verurteilten angeordnet.
Durch Hinterlegung eines Geldbetrages in Höhe von 12.000 € wird die Vollziehung des Arrestes gehemmt und der Verurteilte berechtigt, die Aufhebung des vollzogenen Arrestes zu beantragen.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Verurteilte.
Gründe:
I.
Mit Urteil vom 27. November 2003 hat das Landgericht Stuttgart den Angeklagten wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes in fünf Fällen und wegen gemeinschaftlicher schwerer räuberischer Erpressung in 15 Fällen, davon in sieben Fällen in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, zu der Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt. Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die auf die Anordnung von Sicherungsverwahrung zielte, hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 22. Oktober 2004 (1 StR 140/04 ) als unbegründet verworfen.
Weder das Landgericht noch der Bundesgerichtshof haben eine Verfallsanordnung hinsichtlich der sichergestellten Vermögenswerte des Verurteilten (50.000 € und Gebrauchsgegenstände im Wert von ca. 25.000 €) getroffen oder sich zum Absehen von einer Verfallsanordnung (§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB) im Hinblick auf die Schadensersatzansprüche der Verletzten (beraubte Banken) im Urteil geäußert. Bereits durch Beschluss vom 30. Januar 2003 hatte das Amtsgericht Stuttgart insoweit den dinglichen Arrest zu Gunsten von 20 beraubten Banken in Höhe von 1.827.250,50 € in das Vermögen des Verurteilten angeordnet. Hierauf hatten die ... einen Titel in Höhe von 10.000 € (netto) und die ... einen Titel in Höhe von 49.000 € (netto) gegen den Verurteilten erwirkt.
Den Antrag der Staatsanwaltschaft vom 25. August 2004, zur Sicherung der voraussichtlich entstehenden Kosten des Strafverfahrens den dinglichen Arrest in Höhe von 12.000 € in das Vermögen des Verurteilten anzuordnen, hat die erkennende Strafkammer des Landgerichts Stuttgart durch Beschluss vom 27. August 2004 abgelehnt.
II.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist zulässig (§ 304 Abs. 1 StPO) und auch begründet.
1. Das Landgericht hat seine ablehnende Entscheidung damit begründet, die vorläufig gesicherten Gläubiger (Verletzte oder Staatskasse) des dinglichen Arrestes vom 30. Januar 2003 seien derzeit noch nicht eindeutig festgelegt; auch erlösche der dingliche Arrest erst mit Rechtskraft des gesamten Urteils.
Das erste Argument trifft nach dem eindeutigen, nicht auslegungsfähigen Wortlaut der Arrestanordnung des Amtsgerichts nicht zu; die vorläufige Maßnahme diente zur Sicherung der den Verletzten (beraubte Banken) aus den Straftaten erwachsenen zivilrechtlichen Ansprüche und richtete sich in Höhe der gesamten Tatbeute von 1.827.250,50 € gegen das Vermögen des Verurteilten.
Das zweite Argument des Landgerichts trifft zu. Der dingliche Arrest und die damit verbundene Beschlagnahme von Vermögensgegenständen (§§ 111 b Abs. 2 und 5, 111 d, 111 e Abs. 1 StPO) erlöschen, wenn das Gericht im Urteil ausdrücklich oder stillschweigend von der Anordnung des Verfalls im Interesse der Verletzten absieht und wenn das Verfahren in dieser Lage in vollem Umfang rechtskräftig abgeschlossen wird. Denn in einer solchen Fallkonstellation lässt sich ohne nähere Prüfung zweifelsfrei erkennen, dass die Beschlagnahme gegenstandslos geworden ist (vgl. OLG Düsseldorf NJW 1995, 2259 m.w.N.).
Der vom Amtsgericht Stuttgart angeordnete dingliche Arrest ist sonach hier mit Rechtskraft des Urteils am 22. Oktober 2004 erloschen.
2. Damit ist jedoch die beschwerdegegenständliche Frage, ob wegen der voraussichtlich entstehenden Verfahrenskosten von (mindestens) 12.000 € jetzt noch - nach Urteilsrechtskraft - der dingliche Arrest in die sichergestellten Vermögensgegenstände des Verurteilten angeordnet werden kann, noch nicht beantwortet. Der Senat bejaht diese Frage.
§ 111 d Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO lässt den dinglichen Arrest wegen der voraussichtlich entstehenden Kosten des Strafverfahrens zu, jedoch erst dann, wenn gegen den Beschuldigten ein auf Strafe lautendes Urteil ergangen ist. § 111 d Abs. 3 StPO gestattet die Aufhebung einer hierauf gegründeten Vollziehungsmaßnahme, soweit der Beschuldigte den Pfändungsgegenstand zur Aufbringung der Kosten seiner Verteidigung, seines Unterhalts oder des Unterhalts seiner Familie benötigt. Die Regelung, die der Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 MRK) und dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) Rechnung trägt, reicht über die Rechtskraft des Urteils hinaus, weil der dingliche Arrest nach § 111 d StPO sonst - insbesondere bei sofortigem Rechtsmittelverzicht des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft - nur Augenblickscharakter hätte und seinen Sicherungszweck, der Staatskasse zu den Kosten des Strafverfahrens zu verhelfen, verfehlen würde. Die an Sinn und Zweck der Vorschrift ausgerichtete Auslegung von § 111 d StPO ergibt daher, dass der dingliche Arrest hinsichtlich der Verfahrenskosten so lange aufrechterhalten werden darf und muss, bis der Arrestgrund (§§ 111 d Abs. 2 StPO, 917 ZPO) weggefallen ist. Das ist immer dann der Fall, wenn die Gerichtskasse - nach Urteilsrechtskraft - durch den Kostenansatz (§§ 4 Abs. 2, 5 Abs. 1 GKG) im Besitz eines zwar anfechtbaren, aber nach §§ 1 Abs. 1 Nr. 4, 5 Satz 1 Justizbeitreibungsordnung ohne weiteres vollstreckbaren Titels über die Verfahrenskosten ist. Denn ab diesem Zeitpunkt bedarf es der Sicherung durch den dinglichen Arrest nicht mehr (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 1996, 255; Nack in Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Aufl., § 111 e Rdnr. 15).
Das vorliegende Verfahren ist noch nicht in das Stadium des Kostenansatzes gelangt, sodass eine Sicherung des staatlichen Verfahrenskostenanspruchs durch dinglichen Arrest geboten ist.
3. Bei dieser Sach- und Rechtslage konnte der Senat als Beschwerdegericht gemäß § 309 Abs. 2 StPO in der Sache selbst erkennen. Er hat, da die Voraussetzungen der §§ 111 b Abs. 2 und 5, 111 d, 111 e Abs. 1 StPO, 917 ZPO vorliegen, den beantragten dinglichen Arrest wegen der Verfahrenskosten erlassen. Es ist zu befürchten, dass der Verurteilte vor Zahlung der Verfahrenskosten seine Vermögenswerte veräußern oder beiseite schaffen wird, um die Durchsetzung des staatlichen Anspruchs auf die Verfahrenskosten zu vereiteln oder wesentlich zu erschweren. Etwaige bereits erfolgte Pfändungen durch die ... oder durch die ... stehen dem dinglichen Arrest nicht entgegen; sie könnten sich erst im Vollstreckungsverfahren auswirken.
Die Abwendungsbefugnis des Verurteilten beruht auf §§ 111 d Abs. 2 StPO, 923, 934 Abs. 1 ZPO.
Ende der Entscheidung
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