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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 16.10.2003
Aktenzeichen: 1 Ws 281/03
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 117 Abs. 2 | |
StPO § 126 Abs. 2 | |
StPO § 310 |
Oberlandesgericht Stuttgart - 1. Strafsenat - Beschluss
Geschäftsnummer: 1 Ws 281/03
vom 16. Oktober 2003
in der Strafsache
wegen sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger
Tenor:
Die Beschwerde des Angeschuldigten vom 18. September 2003 gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Stuttgart vom 8. Juli 2003 wird als unzulässig verworfen.
Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Gründe:
I.
Gegen den Angeschuldigten besteht Haftbefehl des Amtsgerichts Stuttgart vom 8. Juli 2003, aufgrund dessen er sich seit diesem Tage in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart befindet.
Seine gegen diesen Haftbefehl gerichtete Beschwerde vom 22. Juli 2003 wurde durch Beschluss der 1. Strafkammer des Landgerichts Stuttgart als Beschwerdekammer am 30. Juli 2003 als unbegründet verworfen. Am 29. August 2003 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage zur 5. Strafkammer des Landgerichts Stuttgart; über die Eröffnung des Hauptverfahrens und die Fortdauer der Untersuchungshaft ist bisher noch nicht entschieden. Mit Schriftsatz vom 18. September 2003 legte der Angeschuldigte bei der 5. Strafkammer "Haftbeschwerde" ein. Die Strafkammer half der Beschwerde nicht ab und legte sie zur Entscheidung dem Oberlandesgericht vor, das mit Beschluss vom 30. September 2003 erklärte, die mit Schriftsatz vom 18. September 2003 eingelegte "Haftbeschwerde" sei nach Erhebung der Anklage in einen Antrag auf Haftprüfung durch das mit der Sache befasste Gericht nach § 117 Abs. 1 StPO umzudeuten und die Sache zur Durchführung des Haftprüfungsverfahrens an die 5. Strafkammer des Landgerichts Stuttgart zurückzugeben.
Nachdem der Verteidiger gegenüber dem Vorsitzenden der 5. Strafkammer ausdrücklich erklärt hatte, er habe mit seinem Schriftsatz vom 18. September 2003 - in Kenntnis der zwischenzeitlich erfolgten Anklageerhebung - weder weitere Beschwerde gegen den Beschluss der 1. Strafkammer vom 30. Juli 2003 einlegen noch bei der 5. Strafkammer einen Antrag auf Haftprüfung stellen wollen, er erstrebe vielmehr die Entscheidung des Oberlandesgerichts, legte der Vorsitzende die Akten erneut dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vor. Der Verteidiger hat auf Nachfrage gegenüber dem Senat erklärt, er habe mit seinem Schriftsatz vom 18. September 2003 aufgrund neuer, seinen Mandanten entlastender polizeilicher Erkenntnisse eine "getrennt zu betrachtende neue Beschwerde an die nunmehr zuständige 5. Strafkammer des Landgerichts Stuttgart" einlegen wollen.
II.
Das Rechtsmittel ist nicht zulässig.
1. Zwar wird in Rechtsprechung und Literatur gelegentlich die Auffassung vertreten, dass dem Beschuldigten auch nach Erhebung der Anklage zum Landgericht das Recht der Beschwerde gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts zustehen müsse, über die das Oberlandesgericht als Beschwerdegericht zu entscheiden habe.
a) Diese Ansicht wird zum Teil damit begründet, dass aus den §§ 117 Abs. 2, 304, 305 StPO zwingend das Recht des Beschuldigten folge, zu jeder Zeit und in jedem Stadium des Verfahrens das Rechtsmittel der Beschwerde gegen den Haftbefehl und eine Haftfortdauerentscheidung einzulegen. Liege eine Haftentscheidung des gem. § 126 Abs. 2 StPO mit Anklageerhebung zuständig gewordenen Landgerichts noch nicht vor, so müsse über die Beschwerde gegen die Entscheidung des Amtsrichters entschieden werden. Hierzu sei nicht das Landgericht, sondern gem. § 121 Abs. 1 Nr. 2 GVG das Oberlandesgericht berufen, weil das Landgericht, das gem. § 126 Abs. 2 StPO für erstinstanzliche Haftentscheidungen zuständig geworden sei, nicht gleichzeitig in derselben Sache Funktionen von zwei Instanzen wahrnehmen könne (so OLG Frankfurt, NJW 1973, 478, 479).
Diese Ansicht ist abzulehnen. Würde man mit dem OLG Frankfurt auch nach Anklageerhebung die Beschwerde gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts für zulässig erachten mit der Möglichkeit einer Abhilfe durch den Amtsrichter, so bestünde die erstinstanzliche Zuständigkeit des Amtsgerichts neben der mit Anklageerhebung gem. § 126 Abs. 2 StPO begründeten erstinstanzlichen Zuständigkeit der nunmehr mit der Sache befassten Strafkammer des Landgerichts. Eine solche doppelte erstinstanzliche Zuständigkeit zweier verschiedener Gerichte wird aber durch die in § 126 Abs. 2 StPO getroffene Zuständigkeitsregelung gerade ausgeschlossen (so auch OLG Stuttgart, Die Justiz 1977, 103, 104; OLG Hamm, NJW 1974, 157 f.; OLG Düsseldorf, StV 1993, 482; OLG Karlsruhe, StV 1994, 664, 665). Auch das Oberlandesgericht Frankfurt selbst hält an der Senatsentscheidung NJW 1973, 478 f. zwischenzeitlich nicht mehr fest (vgl. OLG Frankfurt, NJW 1985, 1233).
b) Abzulehnen ist auch die im Anschluss an Dünnebier (MDR 1968, 185, 186) vertretene Auffassung, bis zum Ergehen einer erstinstanzlichen Haftentscheidung des Landgerichts nach § 207 Abs. 4 StPO sei der Haftbefehl des Amtsgerichts als Haftbefehl des Landgerichts zu behandeln mit der Folge der Zuständigkeit des Oberlandesgerichts gem. § 121 Abs. 1 Nr. 2 GVG zur Entscheidung über die nach Anklageerhebung gegen den Haftbefehl eingelegte Beschwerde (OLG Karlsruhe, NStZ 1984, 183, 184). Diese Fiktion würde dazu führen, dass dem nach Anklageerhebung als Haftgericht zuständigen Landgericht jede eigene Entscheidungsbefugnis genommen wäre und über die angefochtene Haftentscheidung des Amtsgerichts sogleich das Oberlandesgericht zu entscheiden hätte. Dies widerspräche der vom Gesetz gewollten und sich aus § 125 Abs. 1 und 2 StPO ergebenden Zuständigkeitsregelung, der der Gedanke zugrunde liegt, dass die sachgerechteste Haftentscheidung von dem mit der Haftsache befassten Gericht zu erwarten ist (so auch OLG Karlsruhe, Die Justiz 1986, 144).
Da auch Dünnebier dies erkennt, verlangt er einschränkend, dass das Landgericht, da mit der Beschwerde seine Entscheidung begehrt wird, nicht nur - wie im vorliegenden Fall - eine nicht beschwerdefähige Nichtabhilfeentscheidung trifft, sondern sich ausdrücklich zu dem Haftbefehl verhält und es dann dem Beschwerdeberechtigten überlässt, im Falle der Bestätigung des Haftbefehls weitere Beschwerde zum Oberlandesgericht einzulegen (Dünnebier, aaO, S. 186).
2. Der Senat ist deshalb in Übereinstimmung mit der weit überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur der Auffassung, dass einem Untersuchungsgefangenen nach Erhebung der Anklage zum Landgericht eine Beschwerde gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts nicht (mehr) zusteht. Ebenso wie im Falle einer vor Anklageerhebung eingelegten, noch unerledigt gebliebenen Beschwerde gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts ist die entsprechende Eingabe deshalb grundsätzlich in einen Antrag auf Haftprüfung umzudeuten (vgl. für viele OLG Karlsruhe, NJW 1972, 1723; OLG Karlsruhe, Die Justiz 1973, 253; OLG Stuttgart, Die Justiz 1977, 103, 104; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, SchlHA 1990, 114, 115; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Januar 1992 - 3 Ws 45/92 -, zitiert nach JURIS; OLG Karlsruhe, StV 1994, 664, 665; OLG Celle, NdsRpfl 1995, 111, 112; KK-Boujong, StPO, 5. Aufl., Rdnr. 8 zu § 126; a.A. z.B. Wankel in KMR, Rdn. 13 zu § 126). Der Senat hatte deshalb die Sache durch Beschluss vom 30. September 2003 zunächst zur Durchführung des Haftprüfungsverfahrens an die 5. Strafkammer des Landgerichts Stuttgart zurückgegeben.
Nachdem der Verteidiger des Angeschuldigten nunmehr jedoch ausdrücklich erklärt hat, seine Eingabe vom 18. September 2003 sei nicht als Haftprüfungsantrag gemeint gewesen, er habe vielmehr aufgrund neuer polizeilicher Erkenntnisse, die seinen Mandanten entlasteten, Beschwerde gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Stuttgart vom 8. Juli 2003 einlegen wollen und erstrebe eine Entscheidung des Oberlandesgerichts, scheidet eine Umdeutung aus. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt in entsprechender Anwendung des § 140 BGB zwar auch im Verfahrensrecht der Grundsatz, dass eine fehlerhafte Prozesshandlung in eine prozessual zulässige, den gleichen Zwecken dienende umzudeuten ist (vgl. hierzu u.a. BGH, NJW 2001, 1217). Dies setzt jedoch voraus, dass diese Umdeutung dem mutmaßlichen Willen des Erklärenden entspricht. Hat - wie im vorliegenden Fall - der Beschwerdeführer sich ausdrücklich gegen eine Umdeutung gewandt, ist diese ausgeschlossen und seine Beschwerde gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts, die ihm im jetzigen Verfahrensstadium nicht (mehr) zusteht, als unzulässig zu verwerfen.
Die nicht begründete Nichtabhilfeentscheidung der Strafkammer kann, wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 30. September 2003 ausgeführt hat, nicht als beschwerdefähige Entscheidung angesehen werden, da sie als solche offensichtlich nicht gedacht und auch nicht in der entsprechenden Form erlassen und bekannt gemacht worden ist.
Der Senat verkennt nicht, dass diese Verfahrensweise zu einer in Untersuchungshaftsachen unangemessenen Verfahrensverzögerung führen kann (Schlothauer/Weider, Untersuchungshaft, 3. Aufl., Rdn. 796). Es liegt jedoch in der Hand des Angeschuldigten, zur Vermeidung größerer Verzögerungen entweder die anlässlich der Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § 207 Abs. 4 StPO ohnehin zu treffende Haftentscheidung der Strafkammer abzuwarten oder im Wege der Haftprüfung nach § 117 Abs. 1 StPO Antrag auf Aufhebung bzw. Außervollzugsetzung des Haftbefehls zu stellen und dann gegen eine mögliche negative Entscheidung der Strafkammer Beschwerde einzulegen, anstatt die sofortige Entscheidung des Oberlandesgerichts, das unter Einhaltung des Instanzenzuges erst gegen die Entscheidung der Strafkammer angerufen werden kann, zu verlangen.
Ende der Entscheidung
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