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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 09.02.2007
Aktenzeichen: 1 Ws 34/07
Rechtsgebiete: RVG


Vorschriften:

RVG Nr. 4141
Die zusätzliche Gebühr der Nr. 4141 RVG entsteht nur, wenn im Zeitpunkt der Revisionsrücknahme konkrete Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass im Fall der Fortführung des Revisionsverfahrens eine Hauptverhandlung durchgeführt worden wäre.
Oberlandesgericht Stuttgart - 1. Strafsenat - Beschluss

Geschäftsnummer: 1 Ws 34/07

vom 09. Februar 2007

in der Strafsache

hier: Vergütung des Pflichtverteidigers

Tenor:

Die Beschwerde des Pflichtverteidigers Rechtsanwalt xxx gegen den Beschluss des Landgerichts xxx vom xxx wird als unbegründet verworfen.

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer war Pflichtverteidiger in dem Strafverfahren vor dem Landgericht xxx , in dem der damalige Angeklagte am 28. Juli 2006 wegen acht Diebstahlsfällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren 3 Monaten verurteilt wurde. Gegen dieses Urteil legte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 01. August 2006 rechtzeitig Revision ein, beantragte gleichzeitig, das angefochtene Urteil aufzuheben und rügte "die Verletzung formellen und materiellen Rechts". Mit einem weiteren Schriftsatz vom 08. August 2006 nahm er die Revision zurück und teilte mit, dass ihn sein Mandant nunmehr - seiner Empfehlung folgend - ermächtigt habe, das Rechtsmittelverfahren zu beenden. Das schriftliche Urteil ging drei Wochen später - am 29. August 2006 - bei der Geschäftsstelle des Landgerichts ein. Ebenfalls mit einem Schriftsatz vom 08. August 2006 beantragte der Pflichtverteidiger, die Gebühren und Auslagen für seine Tätigkeit im Revisionsverfahren in Höhe von brutto 1.118,55 € festzusetzen. Die darin enthaltene Zusatzgebühr nach Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 3 VV RVG in Verbindung mit Nr. 4130 VV RVG in Höhe von 412.- € netto wurde vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abgesetzt. Die dagegen eingelegte Erinnerung des Pflichtverteidigers wurde durch Beschluss des Landgerichts xxx vom 29. Dezember 2006, der in Dreierbesetzung erging, verworfen. Die dagegen mangels Zustellung in freier Frist nach §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 3 RVG zulässig eingelegte Beschwerde, über die der Senat gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 1 RVG ebenfalls in Dreierbesetzung zu entscheiden hatte, hat in der Sache keinen Erfolg.

II.

Die Zusatzgebühr nach Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 VV RVG entsteht, wenn "durch die anwaltliche Mitwirkung die Hauptverhandlung entbehrlich" wird, weil "sich das gerichtliche Verfahren durch Rücknahme ... der Revision des Angeklagten... erledigt" hat, wobei eine entsprechende verfahrensfördernde Tätigkeit des Verteidigers "ersichtlich" sein muss.

In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist streitig, in welches Verfahrensstadium das Revisionsverfahren gelangt sein muss, und ob über die vom Verteidiger beeinflusste Revisionsrücknahme hinaus eine Revisionshauptverhandlung angestanden haben muss, um den Verteidiger mit dieser Zusatzgebühr zu honorieren. Unstreitig besteht der Sinn dieser so genannten Befriedungsgebühr nach Nr. 4141 VV RVG darin, eine Hauptverhandlung mit dem damit verbundenen Entlastungseffekt für die Revisionsgerichte zu vermeiden, und den Verteidiger für seine diesbezüglichen Tätigkeiten und für den Verlust der Hauptverhandlungsgebühr zu entschädigen. Bei der Normierung dieses Anliegens hat der Gesetzgeber allerdings nicht bedacht, dass im Revisionsverfahren eine Hauptverhandlung auf die Revision des Angeklagten hin ohnehin nur in ganz seltenen Ausnahmefällen stattfindet.

Dementsprechend soll es für die Entstehung dieser Befriedungsgebühr nach einer weiten Auslegung der Norm genügen, dass die Revision unabhängig vom Stand des Revisionsverfahrens zurück genommen wird und der Verteidiger vorträgt, er habe dies seinem Mandanten empfohlen (so OLG Düsseldorf 1 Ws 288/05 in www.burhoff.de). Danach genügt es, dass die Revision eingelegt und wieder zurück genommen wurde, selbst wenn die Revision nicht einmal begründet worden war.

Andere Obergerichte verlangen, dass die Revision darüber hinaus wenigstens zulässig i. S. d. §§ 344, 345 StPO eingelegt worden sein muss, das heißt auch (wenigstens mit der allgemeinen Sachrüge) begründet worden sein muss (so OLG Braunschweig Ws 25/06; KG Berlin 5 Ws 311/05, 4 Ws 28/06; OLG Hamm 2 Ws 134/06 jeweils in www.burhoff.de; OLG Stuttgart 2 Ws 43/06). Sonst hätte nämlich nicht einmal die theoretische Möglichkeit bestanden, dass eine Revisionshauptverhandlung anberaumt worden wäre, weil die Revision als unzulässig hätte verworfen werden müssen und das Revisionsverfahren in der Regel noch nicht einmal beim Revisionsgericht angelangt wäre.

Der Senat ist demgegenüber mit der wohl überwiegenden Meinung der Obergerichte der Auffassung, dass die Gebühr nach Rücknahme der Revision nur entstehen kann, wenn nicht nur eine zulässig eingelegte - das heißt auch begründete - Revision zurück genommen wurde, sondern darüber hinaus auch konkrete Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass im Falle der Fortführung des Revisionsverfahrens eine Hauptverhandlung durchgeführt worden wäre (OLG Zweibrücken 1 Ws 164/05; OLG Saarbrücken 1 Ws 58/06; KG Berlin 4 Ws 57/06; OLG Hamm 4 Ws 144/06 jeweils in www.burhoff.de). Solche Anhaltspunkte können sich beispielsweise aus einem entsprechenden Antrag in der Zuschrift des Generalstaatsanwalts oder daraus ergeben, dass ein Hauptverhandlungstermin anberaumt worden ist. Nach dem Obersatz der Nr. 4141 VV RVG ist die entscheidende Voraussetzung für das Entstehen der Gebühr nämlich die Entbehrlichkeit der Hauptverhandlung durch die anwaltliche Tätigkeit. Mit der Zusatzgebühr soll das Entfallen der Hauptverhandlungsgebühr kompensiert werden. Der Gebührenanreiz wird also gerade an die Vermeidung der Hauptverhandlung geknüpft. Dies kommt - außer im Obersatz - auch in Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 3 2.HS der Regelung zum Ausdruck. Deswegen genügt es nicht, dass durch die Revisionsrücknahme nur die theoretische Möglichkeit einer Hauptverhandlung entfällt. Vielmehr muss die Kausalitätsfrage zwischen dem Entfallen der Hauptverhandlung und der Rücknahme der Revision gesondert geprüft werden. Diese Prüfung setzt zum einen voraus, dass das Revisionsverfahren beim Revisionsgericht angekommen ist, und dass nach dem Sachstand im Zeitpunkt der Rücknahme der Revision eine Hauptverhandlung terminiert oder aus anderen Gründen zu erwarten war.

Dass die Befriedungsgebühr unter diesen Voraussetzungen nur in wenigen Fällen im Revisionsstrafverfahren zur Anwendung kommen kann, ist nicht unbillig, sondern eine logische Folge davon, dass die Hauptverhandlung im Revisionsverfahren im Gegensatz zu den weiteren Anwendungsgebieten der Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 3 VV RVG im Strafbefehls- und Berufungsverfahren, in denen eine Hauptverhandlung nach Rechtsmitteleinlegung zwingend ist, den Ausnahmefall darstellt. Im Gegenteil würde die oben dargestellte weite Auslegung der Norm zu der unbilligen Konsequenz führen, dass der Verteidiger, der die Revision zurück nimmt, gebührenrechtlich besser gestellt wäre, als derjenige, der die Revision durchführt. Denn bei einer Rücknahme der Revision würde der Wegfall einer Hauptverhandlung als theoretische Möglichkeit für die Zubilligung der Gebühr für ausreichend erachtet, während bei Durchführung der Revision eine Hauptverhandlungsgebühr nach §§ 349 Abs. 2 und 4 StPO regelmäßig nicht anfallen würde. In der weiteren Konsequenz würde dies dazu führen, dass Revisionen - ohne damit Hauptverhandlungen zu ersparen - vor allem aus gebührenrechtlichen Gründen eingelegt und wieder zurück genommen würden, was dem Wortlaut der Gebührennorm widersprechen und entgegen dem Sinn und Zweck der Befriedungsgebühr zu einer Mehrbelastung der Tatgerichte führen würde (so auch OLG Hamm 4 Ws 144/06 a. a. O.).

Im vorliegenden Fall ist die Gebühr der Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 3 VV RVG also nicht entstanden, weil keinerlei Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass durch die Revisionsrücknahme eine Hauptverhandlung entbehrlich geworden ist, zumal das Revisionsverfahren noch nicht einmal zum Revisionsgericht gelangt und das angefochtene Urteil noch gar nicht schriftlich abgefasst war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2 RVG.

Ende der Entscheidung

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