Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 29.03.2001
Aktenzeichen: 11 UF 331/2000
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1381
Zur Veröffentlichung des Urteils 11 UF 331/00 Leistungsverweigerung wegen grober Unbilligkeit

Leitsatz:

Beruht der Zugewinn des Ausgleichspflichtigen auf einer Abfindung für materielle oder immaterielle Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall, so kann es im Hinblick auf den Gesichtspunkt der längerfristigen Absicherung der Versorgungslage des Ausgleichspflichtigen angemessen sein, ihm gemäß § 1381 BGB ein weitreichendes Leistungsverweigerungsrecht wegen grober Unbilligkeit des Zugewinnausgleichs zuzubilligen.


Oberlandesgericht Stuttgart - 11 Zivilsenat - - Familiensenat - Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 11 UF 331/2000 1 F 189/99 AG Leonberg

Verkündet am: 29.03.2001

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (Krauß) JS'in

In der Familiensache

wegen: Ehescheidung u.a.

Sachverhalt:

Die Antragsgegnerin nimmt den Antragsteller im Scheidungsverbundverfahren auf Zugewinnausgleich in Anspruch. Der Antragsteller wurde im Februar 1993 bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt und ist seither querschnittsgelähmt. Zum Ausgleich von materiellen und immateriellen Unfallschäden erhielt er im Oktober 1994 von der Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers eine Abfindungszahlung von 350.000,-- DM, die in seinem Endvermögen noch in Höhe von rund 345.000,-- DM vorhanden war. Der sich rechnerisch ergebende Zugewinnausgleichsanspruch der Antragsgegnerin in Höhe von rund 173.000,-- DM beruht im Wesentlichen auf der Abfindung. Der Antragsteller ist der Auffassung, dass die Abfindung nicht in den Zugewinnausgleich einzubeziehen sei, Jedenfalls aber ein Leistungsverweigerungsrecht im Umfang der gesamten Ausgleichsforderung bestehe.

Gründe:

Der Antragsteller kann die Zugewinnausgleichsforderung der Antragsgegnerin in Höhe des Betrages von 120.000,-- DM verweigern, weil der Ausgleich insoweit grob unbillig wäre (§ 1381 BGB). Damit steht der Antragsgegnerin ein Ausgleichsanspruch in Höhe von 52.899,04 DM zu.

1.

Die Vermögenswerte sowohl des Anfangsvermögens (§ 1374 BGB) als auch des Endvermögens (§ 1376 BGB) beider Parteien und die sich daraus gemäß § 1378 Abs. 1 BGB ergebende Ausgleichsforderung der Antragsgegnerin in Höhe von 172.899,04 DM sind vom AG zutreffend festgestellt. Sie sind in der Berufung auch nicht - rechnerisch - angegriffen.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers unterliegt die Zahlung der Haftpflichtversicherung, die der Antragsteller als Abfindung für seine immaterieller und materiellen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 20.02.1993 erhielt, dem Zugewinnausgleich. Dies entspricht der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der der Senat folgt, Der BGH hat entschieden, dass sowohl die Zahlung eines unfallbedingten Schmerzensgeldes (BGH FamRZ 1981, 755) als auch die Abfindung für einen unfallbedingten Verdienstausfall (BGH FamRZ, 1982, 148) in den Zugewinnausgleich fallen und eine Sonderbehandlung nicht gerechtfertigt ist. Noch in seinem Urteil v. 20.9.1995 (BGHZ 130, 377, 381) hat der BGH diese Rechtsprechung bestätigt. Damit sind solche Vermögenswerte nicht gemäß § 1374 Abs. 2 BGB dem Anfangsvermögen hinzuzurechnen und auch nicht vom Endvermögen in Abzug zu bringen,

2.

Dem Grunde nach zurecht macht der Antragsteiler ein Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 1381 BGB geltend. Nach Auffassung des Senats ist er jedoch nicht berechtigt, die rechnerische Ausgleichsforderung der Antragsgegnerin in voller Höhe zu verweigern. Unter Abwägung aller Umstände des Falles ist es vielmehr angemessen, dem Antragsteller einen Abzug von 120.000,-- DM zuzubilligen.

a)

Der BGH hat in den bereits zitierten Entscheidungen darauf hingewiesen, dass die im Einzelfall auftretenden Härten im Rahmen der Billigkeitsregelung des § 1381 BGB korrigiert werden könnten. Der Senat schließt sich dieser Auffassung an.

Bei der danach gebotenen umfassenden Interessenabwägung ist jedoch zu beachten, dass eine Herabsetzung der Ausgleichsforderung nur insoweit in Betracht kommt, als das rechnerische Ausgleichsergebnis grob unbillig ist. Grobe Unbilligkeit ist nur in dem Umfang anzunehmen, in dem die ungeschmälerte Durchführung des Versorgungsausgleichs dem Gerechtigkeitsempfinden in unerträglicher Weise widersprechen würde. Dieser Maßstab ist strenger als bei § 242 BGB oder § 1579 BGB (vgl. Palandt, 60. Aufl. § 1381 BGB Rdn. 2).

b)

Entsprechend dem Vorbringen des Antragsteilers geht der Senat davon aus, dass jedenfalls die in seinem Endvermögen vorhandenen beiden Guthaben bei der D Bank in Luxemburg und der K B in Höhe von insgesamt rund 345.000,-- DM aus der Zahlung stammen, die der Antragsteller aufgrund der zwischen ihm und der A Versicherung abgeschlossenen schriftlichen Vereinbarung v. 10.10.1994 in Höhe von (restlichen) 350.000,-- DM erhalten hat. Der dahingehende Vortrag des Antragstellers ist nachvollziehbar und plausibel und von der Antragsgegnerin auch nicht substantiiert bestritten.

Der Zugewinn des Antragstellers und die Ausgleichsforderung der Antragsgegnerin beruhen also im wesentlichen auf der Abfindung, die der Antragsteller für seine Ansprüche aus dem Unfall erhalten hat.

Die zwischen den Parteien umstrittene weitere Frage, welcher Anteil auf das Schmerzensgeld entfällt (nach der schriftlichen Bestätigung der Allianz vom 26.1.2001, wo das Schmerzensgeld mit 400.000,-- DM beziffert wird, möglicherweise der Gesamtbetrag) und welcher Anteil den materiellen Schadensersatz betrifft, hat nach Auffassung des Senats keine entscheidende Bedeutung. Bei der gemäß § 1381 BGB zu treffenden Billigkeitsentscheidung kommt es weniger darauf an, aus welcher Art des Schadensersatzes die auszugleichenden Vermögenswerte herrühren. Tragender Gesichtspunkt ist vielmehr die Frage, inwieweit dem Antragsteiler bei einer Gesamtabwägung zuzubilligen ist, die rechnerisch geschuldete Ausgleichszahlung im Interesse seiner zukünftigen finanziellen Absicherung einzubehalten.

c)

Bei der gebotenen Interessenabwägung lässt sich der Senat von folgenden Überlegungen leiten:

Obwohl die Versicherungsleistung güterrechtlich zunächst als gewöhnlicher ehelicher Vermögenserwerb zu behandeln ist, darf bei der Beurteilung im Rahmen von § 1381 BGB nicht übersehen werden, dass sie der Sache nach dazu bestimmt war, allein dem Antragsteller einen immateriellen und materiellen Ausgleich für die schweren Unfallfolgen zu bieten, die er davongetragen hat und an denen er bis zu seinem Lebensende physisch und psychisch zu leiden haben wird. Zwar ist der Antragsteller durch den Bezug der Erwerbsunfähigkeitsrente, der laufenden Schadensersatzleistungen, die ihm aufgrund der Vereinbarung reit der Allianz zustehen, sowie der Zinserträge aus angelegtem Kapital weitgehend finanziell abgesichert; er erhält monatlich 2.578,-- DM Rente, 3.202,-- DM Verdienstausfall- und 2.850,-- DM Mehrbedarfsentschädigung sowie Zinserträge in beträchtlicher Höhe (der Antragsteller hat zuletzt einen auf das Jahr 1999 bezogenen Betrag von 6.214,03 DM genannt). Er hat aber plausibel und überzeugend dargetan, dass er nicht unerhebliche Aufwendungen für alternative Heil- und Behandlungsmethoden hat, die durch die genannten Schadensersatzleistungen nicht gedeckt und versicherungsrechtlich auch nicht erstattungsfähig sind. Außerdem birgt die in ihrer weiteren Entwicklung nicht zuverlässig absehbare unfallbedingte Invalidität des Antragsteilers die Gefahr, dass er zum völligen Pflegefall werden könnte, was dann zu neuen finanziellen Belastungen führen würde.

Dem Antragsteller muß deshalb zur längerfristigen Absicherung der eigenen Versorgungslage zugebilligt werden, dass er seinen Zugewinn in angemessenem Umfang als Vermögensreserve behält. Dieses Anliegen ist umso mehr gerechtfertigt, als die Schadensersatzleistung der Allianz auch tatsächlich den Charakter einer Abfindung für die Zukunft haben sollte, was sich aus der Korrespondenz, die der Vereinbarung vom 10.10.1934 vorausging, und vor allem aus der Vereinbarung selbst ergibt, die mit "Vergleich und Abfindungserklärung" überschrieben ist.

Andererseits kann bei der Abwägung nicht außer Betracht bleiben, dass die Antragsgegnerin durch den Unfall vom 24.2.1993 und dessen Folgen persönlich, insbesondere psychisch, mitbetroffen war, solange sie die eheliche Lebens- und Schicksalsgemeinschaft mit dem Antragsteller teilte; Unfall und Unfallfolgen bedeuteten auch für sie einen schwerwiegenden Einschnitt in ihre Lebensgestaltung und Lebensplanung. Dies gilt vor allem für die Zeit bis zur endgültigen Trennung der Parteien im Juli 1996, also für einen Zeitraum von mehr als 3 Jahren. Es steht deshalb nicht in einem unerträglichen Widerspruch zum Gerechtigkeitsempfinden, wenn die Antragsgegnerin an der Abfindungszahlung in angemessenem Umfang partizipiert, indem der Zugewinnausgleich teilweise durchgeführt wird.

Eine Einschränkung für die Anwendung des aus § 1381 BGB folgenden Leistungsverweigerungsrechtes ergibt sich außerdem daraus, dass das AG seine - mit der Berufung unangefochtene und damit rechtskräftige - klagabweisende Entscheidung zum nachehelichen Unterhalt unter Berücksichtigung des Ergebnisses beim Zugewinnausgleich getroffen hat. Die Zinserträge, die die Antragsgegnerin aus der Anlage des Ausgleichsbetrages erzielen könnte, sind ihr als bedarfsdeckend angerechnet worden. Dieses Zusammenspiel mit der rechtskräftig abgewiesenen Klage der Antragsgegnerin auf nachehelichen Unterhalt ist ein weiterer Gesichtspunkt, der es nach Auffassung des Senat gebietet, der Antragsgegnerin einen angemessenen Ausgleichsbetrag zu belassen.

Zugunsten der Antragsgegnerin ebenfalls, zu berücksichtigen ist die lange Ehedauer von rund 28 1/2 Jahren und die Tatsache, daß sie während der Ehe den 1976 geborenen Sohn und die 1979 geborene Tochter der Parteien erzogen und betreut hat.

Bei der Billigkeitsabwägung offen bleiben kann die Streitfrage, ob die Antragsgegnerin - wie vom Antragsteller behauptet - eine überwiegende Verantwortung für die Beziehungsstörungen und persönlichen Konflikte trifft, die nach dem Unfall zwischen den Parteien entstanden sind. Ein Fehlverhalten im persönlichen Bereich hätte nur dann Bedeutung, wenn es dem ausgleichsberechtigten Ehegatten in einer besonders gravierenden Form zur Last fiele (vgl. Palandt, a.a.O. Rdn. 15). Dies kann schon wegen der Ausnahmesituation, in der sich beide Parteien nach dem Unfall objektiv befanden, nicht angenommen werden.

d)

Bei Gewichtung und Abwägung der widerstreitenden Interessen unter Beachtung des Maßstabes der groben Unbilligkeit kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass es im Hinblick auf den schwerwiegenden Gesichtspunkt der längerfristigen Absicherung seiner Versorgungslage zwar gerechtfertigt ist, dem Antragsteller einen überwiegenden Teil des rechnerischen Ausgleichsanspruches zu belassen; dass es andererseits aber mit dem Gerechtigkeitsempfinden im Einklang steht, wenn die dargelegten Belange der Antragsgegnerin und auch der Grundgedanke des Zugewinnausgleichs, beide Ehegatten gleichberechtigt am ehelichen Vermögenszuwachs teilhaben zu lassen, gebührend berücksichtigt werden. Der Senat erachtet es deshalb für angemessen, den Einbehalt des Antragstellers auf 120.000,-- DM, also auf rund 70 % der Ausgleichsforderung, zu bemessen.

Ende der Entscheidung

Zurück