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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 17.08.2009
Aktenzeichen: 12 W 42/09
Rechtsgebiete: GVG, SGG


Vorschriften:

GVG § 13
SGG § 51
Überträgt eine Behörde die Erfüllung einer öffentlich-rechtlichen Pflicht an ein privates Unternehmen, so ist die Aufgabenübertragung zu Grunde liegende Vereinbarung zwischen der Behörde und dem Unternehmen jedenfalls dann ein öffentlich-rechtlicher Vertrag, wenn sich die Behörde zumindest zeitweilig aus der Aufgabenerfüllung zurückzieht und das private Unternehmen zur Einhaltung der für die Behörde geltenden öffentlich-rechtlichen Bestimmungen verpflichtet wird.
Oberlandesgericht Stuttgart 12. Zivilsenat Beschluss

Geschäftsnummer: 12 W 42/09

17. August 2009

In Sachen

wegen Forderung

hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart ohne mündliche Verhandlung unter Mitwirkung von

Vors. Richter am Oberlandesgericht Oleschkewitz, Richter am Oberlandesgericht Seichter, Richter am Landgericht Patschke

beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde des Klägers sowie die Anschlussbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Einzelrichters der 15. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 08.06.2009 - 15 O 214/08 - werden zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

4. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 13.000,-- € festgesetzt.

Gründe:

A.

1.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der O., die u.a. auf dem Gebiet der Vermittlung von Arbeitnehmern tätig war. Beklagt ist die B...

Die Insolvenzschuldnerin schloss mit der Beklagten am 23.01. bzw. 02.02.2004 einen Vertrag zur Beauftragung Dritter mit der Vermittlung nach § 37 SGB III (in der damals geltenden Fassung). Gegenstand des Vertrages war die Unterstützung der Beklagten bei ihren Vermittlungstätigkeiten durch Durchführung von Maßnahmen. Konkret wurde der Leistungsgegenstand in § 15 des Vertrages wie folgt umschrieben:

"(1) Der Auftraggeber beauftragt den Auftragnehmer mit der Vermittlung der von ihm in der Größenordnung des als Anlage beigefügten Los- und Preisblattes zugewiesenen Bewerber der angeführten Zielgruppen in betriebliche Ausbildungsverhältnisse und/oder sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse im ersten Arbeitsmarkt.

(2) Die Beauftragung des Dritten umfasst alle Tätigkeiten, die zum Erfolg im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB III führen. Art und Umfang richten sich nach den individuellen Erfordernissen. Wie der Ermittlungserfolg herbeigeführt wird, bleibt dem Auftragnehmer überlassen. Die vom Auftragnehmer zu erreichende Eingliederungserwartung ist dem beigefügten Losblatt zu entnehmen."

Als Vergütung war eine Aufwandspauschale sowie ein Erfolgshonorar vereinbart. Vertragsbestandteile waren nach § 2 des Vertrages in der genannten Reihenfolge die Bedingungen des Vertrages und dessen Anlagen, die Leistungsbeschreibung zur Ausschreibung, das Angebot der Insolvenzschuldnerin vom 20.11.2003 auf der Grundlage der Leistungsbeschreibung, die VOL/B in der jeweils aktuellen Fassung sowie im Übrigen die Bestimmungen des BGB.

Die Insolvenzschuldnerin war nach § 6 des Vertrages zur Einhaltung der bei der Vermittlungstätigkeit relevanten gesetzlichen Bestimmungen verpflichtet. Im Einzelnen wurde hierzu im Vertrag u.a. Folgendes geregelt:

"(1) Der Auftragnehmer ist verpflichtet, die bei seiner Vermittlungstätigkeit relevanten gesetzlichen Bestimmungen zu beachten. Richten sich dabei gesetzliche Bestimmungen an den Auftraggeber, so gelten sie auch für den Auftragnehmer entsprechend. Dies gilt insbesondere für die §§ 35 Abs. 2 Satz 2 und 36 SGB III. Der Auftragnehmer darf für seine Tätigkeit weder vom Arbeitgeber noch vom zugewiesenen Bewerber eine Vergütung erheben."

(2) Der Auftragnehmer ist verpflichtet, die datenschutzrechtlichen Bestimmungen, insbesondere die Vorschriften zum Sozialdatenschutz, einzuhalten. ..."

Der Kläger macht mit der Klage Honorarforderungen von insgesamt 62.176,52 € geltend. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Beide Parteien sind der Auffassung, dass der ordentliche Rechtsweg gegeben sei. Es handele sich nicht um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit. Der zwischen ihnen geschlossene Vertrag sei privatrechtlicher Natur. Es liege kein Über- und Unterordnungsverhältnis vor. Unerheblich sei, dass hierdurch eine öffentliche Aufgabe erfüllt werde. Es handele sich um ein Beschaffungsgeschäft. Auch mit Blick auf die vorangegangene Ausschreibung sei daher zwingend von einem privatrechtlichen Vertrag auszugehen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass der Vertrag auf die Vorschriften des BGB verweise und - wie in privatrechtlichen Verträgen üblich - ein Gerichtsstand vereinbart worden sei.

2.

Das Landgericht hat im angefochtenen Beschluss den Zivilrechtsweg für unzulässig erklärt und das Verfahren an das Sozialgericht Düsseldorf verwiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen auf die zum inhaltsgleichen Vertrag ergangene Entscheidung des OLG Celle vom 12.12.2008 - 11 W 43/08 (OLGR Celle 2009, 111) verwiesen.

3.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Klägers. Er vertritt weiterhin die Auffassung, dass der ordentliche Rechtsweg gegeben sei. Zur Begründung wird ausgeführt, dass die mit der Klage geltend gemachten Honoraransprüche privatrechtlicher Natur seien. Daneben wird der erstinstanzliche Vortrag vertieft.

Der Kläger beantragt,

den Beschluss des Landgerichts Stuttgart aufzuheben.

Die Beklagte hat Anschlussbeschwerde eingelegt mit dem Ziel, dass der Zivilrechtsweg für zulässig erklärt wird. Sie verweist zur Begründung auf ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

B.

I.

Die sofortige Beschwerde des Klägers ist zulässig. Sie ist nach § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG statthaft und wurde innerhalb der Frist des § 569 Abs. 1 ZPO eingelegt. Die Anschlussbeschwerde der Beklagten ist ebenfalls zulässig. Die Beschwer der Beklagten folgt aus einer möglichen Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (vgl. Münchener Kommentar/Zimmermann, ZPO, 3. Aufl., § 17a GVG Rn. 32).

II.

Die Beschwerden sind jedoch nicht begründet. Das Landgericht hat zutreffend entschieden, dass der Rechtsweg zu den Sozialgerichten (§ 51 Abs. 1 Nr. 4 SGG) gegeben ist. Anders als die Parteien meinen, liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor.

1.

Ob eine Streitigkeit öffentlich- oder bürgerlich-rechtlich ist, richtet sich, wenn - wie hier - eine ausdrückliche Rechtswegszuweisung des Gesetzgebers fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (GmS-OBG NJW 1986, 2359; BVerwG NJW 2007, 2275). Insoweit kommt es darauf an, ob der streitgegenständliche Vertrag öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Natur ist. Daher ist - anders als der Kläger meint - nicht auf den Inhalt des streitgegenständlichen Anspruchs abzustellen.

2.

Bei der Frage der Einordnung eines Vertrages als öffentlich-rechtlich oder privat-rechtlich Vertrag ist der Vertragsgegenstand maßgeblich. Dieser bestimmt sich wiederum danach, ob die Vertragsabmachungen mit ihrem Schwerpunkt öffentlich-rechtlich oder privat-rechtlich ausgestaltet sind (BGH NJW 2003, 888, 889; BSG v. 12.05.1998 - B 11 SF 1/97 R). Im konkreten Fall liegt der Schwerpunkt im öffentlichen Recht.

a)

Der Umstand, dass die Parteien zueinander nicht in einem Subordinationsverhältnis stehen, schließt die Annahme einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit nicht aus. Vielmehr kann auch in einem Gleichordnungsverhältnis ein öffentlich-rechtlicher Vertrag anzunehmen sein. Dies ist dann der Fall, wenn die das Rechtsverhältnis beherrschenden Rechtsnormen nicht für jedermann gelten, sondern Sonderrecht des Staates oder sonstiger Träger öffentlicher Aufgaben sind, das sich zumindest auf einer Seite nur an Hoheitsträger wendet (BVerwG NJW 2007, 2275; BSG vom 12.05.1998, B 11 SF 1/97 R) Dies ist vorliegend der Fall.

Die Beklagte hat der Insolvenzschuldnerin durch den streitgegenständlichen Vertrag die ihr nach § 35 Abs. 1 SGB III a.F. obliegende öffentlich-rechtliche Pflicht der Arbeitsvermittlung übertragen. Zwar lässt die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe nicht zwingend auf den öffentlich-rechtlichen Charakter der ergriffenen Maßnahmen schließen (GmS-OBG NJW 1986, 2359; BGH NJW 2003, 888, 889; BSG v. 12.05.1998 - B 11 SF 1/97 R). Das konkrete Vertragsverhältnis ist aber nicht darauf beschränkt, dass sich die öffentliche Hand - wie etwa bei der Durchführung von Ausbildungsmaßnahmen (hierzu BSG v. 12.05.1998 - B 11 SF 1/97 R) - bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben Privater bedient. Vielmehr ist im vorliegenden Fall die Insolvenzschuldnerin als privates Unternehmen in die Aufgabenstellung der Beklagten eingetreten.

Zwar oblag es zunächst der Entscheidung der Beklagten, welcher Arbeitsloser der Insolvenzschuldnerin zugewiesen wurde. Im Falle der Zuweisung trat dann aber die Insolvenzschuldnerin an die Stelle der Beklagten, während diese sich für die Dauer der Zuweisung aus der Vermittlung zurückgezogen hat (so auch OLG Celle, OLGR 2009, 111). Der Arbeitssuchende musste sich, wenn nicht ein wichtiger Grund i.S.v. § 37 Abs. 1 Satz 3 SGB III a.F. vorlag, an die Insolvenzschuldnerin wenden. Er konnte den öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Vermittlungsleistungen nach § 3 SGB III nicht mehr gegen die Beklagte geltend machen. Umgekehrt konnte auch die Insolvenzschuldnerin nicht wie ein Privater am Markt agieren. Zwar hatte sie keinerlei Hoheitsbefugnisse. Sie war aber nach § 6 Abs. 1 des Vertrages zur Beachtung sämtlicher für die Beklagte im Rahmen der Vermittlungstätigkeit geltenden öffentlich-rechtlichen Bestimmungen verpflichtet.

b)

Anders als die Parteien meinen, kann auch aus dem Umstand, dass die Leistungen zuvor ausgeschrieben wurden, nicht auf einen privatrechtlichen Vertrag geschlossen werden. Es gibt keinen allgemeinen Grundsatz, dass ein Vertrag privatrechtlicher Natur ist, wenn zuvor ein Ausschreibungsverfahren stattgefunden hat (vgl. auch OLG Celle, OLGR 2009, 111). Wie dargelegt liegt im vorliegenden Fall gerade kein Beschaffungsgeschäft vor, in dem die Beklagte - vergleichbar einem Privaten - Leistungen auf dem Markt nachfragt.

c)

Dass in dem Vertrag ergänzend auf Vorschriften des BGB verwiesen wird, ist unerheblich, nachdem auch § 61 Satz 2 SGB X für den öffentlich-rechtlichen Vertrag die Bestimmungen des BGB für anwendbar erklärt. Zudem ist zu berücksichtigen, dass in dem streitgegenständlichen Vertrag auch auf Vorschriften des SGB X Bezug genommen wird. So richtet sich etwa die Kündigung aufgrund § 5 des Vertrages nach §§ 92 ff. SGB X.

d)

Auch dass die Parteien in § 12 des streitgegenständlichen Vertrages eine Gerichtsstandsvereinbarung getroffen haben, steht dem öffentlich-rechtlichen Charakter nicht entgegen. Mit der Vereinbarung haben die Parteien nur die örtliche Zuständigkeit geregelt. Dass § 59 SGG eine solche Gerichtsstandsklausel nicht zulässt, ist unerheblich (vgl. BGH v. 20.05.2009 - XII ZB 166/08 Tz. 17).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO. Als Streitwert wurden 1/5 des Werts der Hauptsache angesetzt (vgl. BGH NJW-RR 2006, 286).

Die Rechtsbeschwerde war nach § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG zuzulassen. Die Frage der Einordnung von Verträgen nach § 37 SGB III a.F. wird obergerichtlich unterschiedlich beurteilt (für eine Zulässigkeit des Zivilrechtsweges OLG Schleswig vom 09.06.2009 - 16 W 61/09), so dass die Frage grundsätzliche Bedeutung hat. Aufgrund einer Vielzahl von noch anhängiger Verfahren ist die grundsätzliche Bedeutung auch nicht durch die Aufhebung der Vorschrift entfallen.

Ende der Entscheidung

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