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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 04.12.2009
Aktenzeichen: 12 W 59/09
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 114
ZPO § 485
ZPO § 490
1. Wird Prozesskostenhilfe für die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens beantragt, sind nicht die Erfolgsaussichten einer beabsichtigten Klage, sondern die des Beweisverfahrens ausschlaggebend. Daher kann Prozesskosenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussichten einer beabsichtigten Klage nur verneint werden, wenn ein Anspruch offensichtlich besteht.

2. Auch bei der Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Mutwilligkeit kann grundsätzlich nicht auf die Erfolgsaussichten eines etwaigen Hauptprozesses abgestellt werden.


Oberlandesgericht Stuttgart 12. Zivilsenat Beschluss

Geschäftsnummer: 12 W 59/09

4. Dezember 2009

In Sachen

wegen Prozesskostenhilfebeschwerde

hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart ohne mündliche Verhandlung durch Richter am Oberlandesgericht Seichter - als Einzelrichter -

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Ulm vom 1. September 2009 - 3 OH 1/09 - abgeändert.

1. Die Antragstellerin erhält Prozesskostenhilfe für die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens gegen die Antragsgegnerin gemäß den im Schriftsatz vom 14.10.2009 (Bl. 152 ff. d. A.) gestellten Anträge bewilligt.

2. Der Antragstellerin wird Rechtsanwalt ..., zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts beigeordnet.

3. Die Antragstellerin hat keine Raten oder sonstige Leistungen aus ihrem Vermögen zu bezahlen.

Gründe:

A.

Die Antragstellerin beauftragte zusammen mit Frau S. mit Vertrag vom 26.06.2006 die Antragsgegnerin mit der Herstellung und Lieferung eines Hauses nach dem System "M. B." der Firma K. GmbH & Co. KG. Die Lieferung der Bauteile erfolgte am 24.08.2006. Die Montage führte im Auftrag der Bauherren der vormalige Antragsgegner Ziff. 2, J. G., durch.

Die Antragstellerin behauptet, dass das Haus erhebliche Mängel aufweise. Sie beantragt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens.

Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegen getreten. Sie behauptet, dass sie ihre vertraglichen Pflichten vollständig und ordnungsgemäß erfüllt habe. Im Übrigen sei zwischen den Parteien vereinbart worden, dass Gewährleistungsansprüche nur gegen die Firma K. M. geltend gemacht werden könnten.

Das Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen, da die Rechtsverfolgung mutwillig sei. Die vorgetragenen Mängel beträfen die Montage der Bauteile, die seitens der Antragsgegnerin nicht geschuldet gewesen sei. Eine Partei, die ein selbstständiges Beweisverfahren selbst bezahlen müsste, würde davon absehen, wenn nicht ersichtlich sei, dass Gewährleistungsansprüche bestünden.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde, wobei im Beschwerdeverfahren der Antrag gegen den vormaligen Antragsgegner 2 zurückgenommen wurde und die Beweisfragen eingeschränkt wurden. Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass die Beweisfragen Mängel der Statik, der Baukonstruktion und der Bauteile beträfen. Hierfür sei zumindest auch die Antragsgegnerin verantwortlich.

Die Antragsgegnerin hat im Beschwerdeverfahren keine Stellungnahme abgegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

B.

I.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie ist nach § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthaft und wurde fristgerecht eingereicht und begründet.

II.

Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Der Antragstellerin ist Prozesskostenhilfe für die zuletzt gestellten Anträge zu bewilligen.

1. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein selbständiges Beweisverfahren ist - wovon auch das Landgericht im Ansatzpunkt zutreffend ausgegangen ist - nicht ausgeschlossen (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 27. Aufl., § 490 Rn. 5 m. w. N.).

2.

Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor (§ 114 ZPO).

a)

Die Antragstellerin ist bedürftig.

b)

Der beabsichtigte Antrag auf Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens hat hinreichende Aussicht auf Erfolg.

aa)

Wird Prozesskostenhilfe für die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens beantragt, sind nicht die Erfolgsaussichten einer beabsichtigten Klage sondern nur die des Beweisverfahrens ausschlaggebend (OLG Hamm BauR 2005, 1360; OLG Celle BauR 2004, 1659). Insoweit kommt es darauf an, ob ein rechtliche Interesse an der Beweiserhebung gemäß § 485 Abs. 2 ZPO vorliegt. Dabei ist der Begriff des rechtlichen Interesses weit zu fassen. Insbesondere ist es dem Gericht grundsätzlich verwehrt, bereits im Rahmen des selbstständigen Beweisverfahrens eine Schlüssigkeits- oder Erheblichkeitsprüfung vorzunehmen. Zwar kann ein rechtliches Interesse dann verneint werden, wenn ein Rechtsverhältnis, ein möglicher Prozessgegner oder ein Anspruch nicht ersichtlich ist. Dabei kann es sich aber nur um völlig eindeutige Fälle handeln, in denen evident ist, dass der behauptete Anspruch keinesfalls bestehen kann (BGH NJW 2004, 3488).

bb)

Ausgehend hiervon kann ein rechtliches Interesse hinsichtlich der zuletzt gestellten Anträge nicht verneint werden. Die Aktivlegitimation der Antragstellerin folgt aus § 432 BGB, nachdem sie den Vertrag zusammen mit Frau S. geschlossen hat. Ob die Beteiligten das Objekt in Wohnungseigentum überführt haben, ist für die vertraglichen Ansprüche unerheblich. Was die behaupteten Mängel anbelangt, so ist es zumindest nicht evident, dass die Antragsgegnerin hierfür nicht verantwortlich ist. Dass Gewährleistungsansprüche gegen die Antragsgegnerin vollständig ausgeschlossen sind, kann dem Vertrag nicht entnommen werden.

c)

Die Rechtsverfolgung ist hinsichtlich der zuletzt gestellten Anträge auch nicht mutwillig.

aa)

Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann auch bei der Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Mutwilligkeit grundsätzlich nicht auf die Erfolgsaussichten eines etwaigen Hauptprozesses abgestellt werden, da dies dem Wesen der Prozesskostenhilfe widersprechen würde. Das Grundgesetz gebietet - wenn auch keine völlige Gleichstellung - eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (BVerfG FamRZ 2007, 1876). Wenn es aber - wie dargelegt - bei der Entscheidung über einen Antrag nach § 485 ZPO nicht auf die Erfolgsaussichten eines Hauptsacheprozesses ankommt, würde eine im Rahmen der Mutwilligkeit durchgeführte Schlüssigkeits- und Erheblichkeitsprüfung den Zugang einer bedürftigen Partei zu einem selbständigen Beweisverfahren grundlegend erschweren und damit dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit widersprechen.

bb)

Andere Anhaltspunkte für eine Mutwilligkeit bestehen nicht. Zwar hat die Antragstellerin doch sehr umfangreiche Beweisfragen gestellt. Allerdings trägt sie auch erhebliche Mängel an dem Bauwerk vor. Dem Hilfsbedürftigen darf nicht verwehrt werden, den weitestgehenden Rechtsschutz zu wählen (Zöller/Philippi, a.a.O., § 114 Rn. 33).

III.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Eine Kostenerstattung scheidet aus (§ 127 Abs. 4 ZPO). Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, besteht nicht.

Ende der Entscheidung

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