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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 10.02.2005
Aktenzeichen: 13 U 167/04
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 55
Der Insolvenzverwalter kann die Haftung der Masse für Räumungskosten dadurch vermeiden, daß er die von der Schuldnerin in die gemieteten Räume eingebrachten Sachen freigibt.
Oberlandesgericht Stuttgart - 13. Zivilsenat - Im Namen des Volkes Urteil

13 U 167/04

In Sachen

wegen Forderung

Verkündet am: 10. Februar 2005

hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. Eberle, des Richters am Oberlandesgericht Wetzel und des Richters am Oberlandesgericht Andelfinger

auf die mündliche Verhandlung vom 13. Januar 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

I.

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der 2. Zivilkammer (ER) des Landgerichts Tübingen vom 6.8.2004

abgeändert

und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 35.802,16 zuzüglich Zinsen p.a. in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus jeweils € 8.950,54 seit 6.5.2003, 7.6.2003, 21.6.2003 und 26.11.2003 zu zahlen; im übrigen wird die Klage abgewiesen.

II.

Die weitergehende Berufung des Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin werden zurückgewiesen.

III.

Von den Kosten beider Instanzen trägt die Klägerin 76 %, der Beklagte 24 %.

IV.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Vollstreckung kann durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages geleistet wird.

V.

Die Revision wird zugelassen.

Streitwert der Berufung: € 148.404,29

Beschwer der Klägerin: € 112.602,13

Beschwer des Beklagten: € 35.802,16

Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt vom Beklagten als Insolvenzverwalter nach rechtskräftigem Räumungsurteil den Ersatz der Räumungskosten sowie Nutzungsentschädigung.

Die Klägerin überließ als Eigentümerin das streitgegenständliche Grundstück im Wege des Leasings an die xxx + xxx, die ihrerseits das Grundstück an die spätere Schuldnerin weitervermietete.

Ende 2001/Anfang 2002 fallierte die Schuldnerin. Der Beklagte wurde am 8.1.2002 als vorläufiger Insolvenzverwalter und mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 28.2.2002 als endgültiger Insolvenzverwalter eingesetzt.

Aufgrund Zahlungsverzuges kündigte die Klägerin der xxx mit am 20.2.2002 zugegangenen Schreiben fristlos. Mit gleicher Post informierte sie den Beklagten über die Kündigung.

Durch rechtskräftiges Urteil des LG Tübingen vom 31.1.2003 wurde der Beklagte zur Räumung und Herausgabe des Grundstücks verurteilt.

Durch Schreiben vom 16.4.2003 gab der Beklagte an die Schuldnerin die auf dem Grundstück befindlichen Gegenstände mit wenigen Ausnahmen frei und überreichte am 30.4.2003 unter Unterrichtung der Klägerin zunächst zwei Schlüssel und am 25.6.2003 die weiteren Schlüssel an die Schuldnerin.

Zu den Einzelheiten wird auf die Feststellungen im Urteil des Landgerichts verwiesen.

Das LG hat der Klage über € 148.404,29 (Räumungskosten € 76.800,00 + Nutzungsentschädigung € 71.604,29 für 3/03 - 10/03) hinsichtlich der Räumungskosten in voller Höhe und hinsichtlich der Nutzungsentschädigung teilweise (€ 35.802,16 für 3/03 - 6/03) stattgegeben. Es kommt hinsichtlich der Räumungskosten zu dem Ergebnis, dass der Beklagte angesichts seiner rechtskräftigen Verurteilung zur Räumung, die von ihm nicht erfüllt worden ist, zur Erstattung der Räumungskosten aus der Masse verpflichtet sei. Durch die Freigabe und die Gewahrsamsaufgabe nebst Schlüsselübergabe habe der Beklagte lediglich die Herausgabepflicht erfüllt, nicht aber die Räumungspflicht zum Erlöschen gebracht. Nutzungsentschädigung werde bis zur Herausgabe Ende Juni 2003 geschuldet. Für den nachfolgenden Zeitraum fehle es am Besitz des Beklagten. Wegen des fehlenden Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien greife auch der Anspruch aus § 546 a BGB nicht durch.

Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Berufung eingelegt. Er verfolgt mit seinem Hauptantrag das Ziel, daß die Klage abgewiesen wird. Die Klägerin hat Anschlußberufung eingelegt. Sie verfolgt das Ziel, dass der Beklagte in vollem Umfang, also auch wegen der Nutzungsentschädigung für 7/03 bis 10/03 verurteilt wird.

Der Beklagte trägt vor, Räumungskosten für die - wie hier - vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingebrachten Gegenstände und Betriebsmittel seien keine Masseverbindlichkeiten, sondern bloße Insolvenzforderungen. Daran ändere auch die rechtskräftige Verurteilung durch das Landgericht Tübingen zur Räumung nichts. Zum einen sei die dort erkannte Räumungsverpflichtung eine reine Standardfloskel, die die Verpflichtung zur Zahlung der Räumungskosten nicht berühre. Zum zweiten sei der Räumungstitel nicht hinreichend bestimmt, weil der Umfang der Räumungsverpflichtung nicht klar hervorgehe. Zum dritten gehe der Hinweis des Landgerichts auf § 546 BGB fehl, weil dort nur die Herausgabeverpflichtung angesprochen werde. Zum vierten sei seine Räumungsverpflichtung durch die Freigabe erloschen. Statt dies im Wege der Vollstreckungsgegenklage gegen den Räumungstitel geltend zu machen, könne er dies auch gegen den Anspruch auf Ersatz der Räumungskosten einwenden. Im übrigen führe das Urteil des Landgerichts zu einer ungewollten Umgehung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, weil die Klägerin über den Streit um die Herausgabeverpflichtung einen Titel über die Räumungskosten gegen die Masse erlange, während sie ohne einen derartigen Streit ihren diesbezüglichen Anspruch nur als eine reine Insolvenzforderung geltend machen könnte.

Die zugesprochene Nutzungsentschädigung werde von ihm nicht geschuldet, weil er angesichts der Freigabe und der Überlassung der Schlüssel die Räume der Klägerin nicht vorenthalten habe.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Tübingen

die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin trägt vor, der Beklagte schulde ihr auch Nutzungsentschädigung für den Zeitraum Juli 2003 bis Oktober 2003. Die vollständige Besitzaufgabe sei erst im Oktober 2003 erfolgt. Der mietvertragliche Anspruch der Leasingnehmerin gegen den Beklagten auf Rückgabe und Nutzungsentschädigung sei im Leasingvertrag an sie abgetreten worden.

Die Klägerin beantragt im Wege der Anschlussberufung,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Tübingen

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin € 148.404,29 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten p.a. über dem Basiszinssatz aus € 8.950,54 seit 6.5.2003, aus € 8.950,54 seit 7.6.2003, aus 8.950,54 seit 21.6.2003, aus € 44.752,70 seit 25.11.2003 und aus € 76.800,00 seit 16.3.2004 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Anschlussberufung zurückzuweisen.

II.

Die zulässige Berufung des Beklagten hat hinsichtlich der auferlegten Räumungskosten in Höhe von € 76.800,00 Erfolg. Im übrigen bleibt die Berufung des Beklagten ebenso wie die Anschlussberufung der Klägerin erfolglos.

1. Räumungskosten

Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch gem. §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB auf Ersatz der Räumungskosten in Höhe von € 76.800,00 aus der Masse. Vielmehr steht der Klägerin insoweit lediglich eine Insolvenzforderung zu, die sie durch Anmeldung zur Insolvenztabelle (§§ 174 ff. InsO) und - im Falle des Bestreitens des Beklagten - durch eine Feststellungsklage zur Insolvenztabelle (§§ 179 ff. InsO) verfolgen kann.

a) Der Beklagte war aufgrund des rechtskräftigen Urteils des Landgerichts Tübingen vom 31.1.2003 ausdrücklich verpflichtet, die streitgegenständlichen Räume bzw. das streitgegenständliche Grundstück nicht nur herauszugeben, sondern auch zu räumen.

Entgegen der Auffassung des Beklagten handelt es sich bei der neben der Herausgabeverpflichtung titulierten Räumungsverpflichtung nicht nur um eine bloße "Standardfloskel" des Gerichts. Vielmehr stützt sich das Landgericht in den Gründen des Räumungs-Urteils neben der Herausgabeverpflichtung gem. § 985 BGB ausdrücklich auf den vertraglichen Anspruch gem. § 546 BGB, der auch die Räumungsverpflichtung umfasst (Palandt, BGB, 64. Aufl. § 546 Rdnr. 5). Insoweit kann sich die Klägerin auf die Abtretung in § 12 des Leasingvertrages mit der Hauptmieterin xxx berufen.

Unzutreffend ist die Auffassung des Beklagten, der Räumungstitel sei nicht hinreichend bestimmt. Der Tenor bezeichnet die herauszugebenden Räume klar und deutlich. Es kann auch dahingestellt bleiben, ob es dem Tenor des Räumungstitels angesichts der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofes (BGHZ 150, Seite 305; BGHZ 148, Seite 252) an einer Differenzierung nach solchen Gegenständen mangelt, die der Beklagte zu räumen hat. Die Rechtskraft des Urteils greift hier mit der Folge durch, dass die Räumungsverpflichtung sämtliche Gegenstände umfasst, die seit Beginn des Mietverhältnisses in die streitgegenständlichen Räume bzw. auf das streitgegenständliche Grundstück verbracht worden sind, soweit dies nicht durch die Klägerin veranlaßt worden ist.

b) Der Beklagte hat jedoch vor der Ersatzvornahme durch die Klägerin im Oktober 2003 die Herausgabe- und Räumungspflicht dadurch erfüllt, daß er zum einen mit Schreiben vom 16.3.2003 an die Schuldnerin (Anlage K 12 Bl. 42 d.A.) die Freigabe der Gegenstände in den streitgegenständlichen Räumen bzw. auf dem streitgegenständlichen Grundstück erklärt hat und zum anderen den Gewahrsam am Grundstück durch die unstreitige Übergabe der Schlüssel an die Hauptmieterin xxx am 30.4.2003 und 25.6.2003 aufgegeben hat.

Mit der Freigabe gegenüber der Schuldnerin fallen die Gegenstände auf dem streitgegenständlichen Grundstück bzw. in den streitgegenständlichen Räumen in das insolvenzfreie Vermögen der Schuldnerin zurück, welche damit wieder die volle Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Gegenstände erlangt (OLG Rostock, ZinsO 2000, Seite 604). Die Räumung dieser Gegenstände obliegt damit wieder der Schuldnerin.

Zwar ist die Räumung der Gegenstände auf dem streitgegenständlichen Grundstück bzw. in den streitgegenständlichen Räumen zunächst zur Masseverbindlichkeit geworden. Dafür reicht der Umstand allein, dass der Insolvenzverwalter die von der Schuldnerin eingebrachten Sachen in Besitz nimmt, nicht aus. Es genügt jedoch für eine Haftung gemäß § 55 InsO, wenn der Verwalter die fraglichen Sachen für die Masse nutzt oder verwertet (BGHZ 150, 305). Davon muß angesichts der vorübergehenden Fortführung der Produktion durch den Beklagten zumindest hinsichtlich eines Teils der Gegenstände ausgegangen werden.

Der Beklagte kann jedoch durch seine Freigabe auch diese Masseverbindlichkeit beseitigen (offen gelassen in BGHZ 150, Seite 305). Das Insolvenzverfahren dient der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung. Der Insolvenzverwalter soll sich deshalb solcher Gegenstände in der Insolvenzmasse entledigen können, durch deren Verbleib die Masse geschmälert wird. Die von § 55 InsO bezweckte Schonung der Masse würde unterlaufen, wenn ihm im Falle der vorübergehenden Fortführung der Produktion die Freigabe mit entlastender Wirkung für die Masse verwehrt wäre. Denn die vorübergehende Fortführung der Produktion dient der Anreicherung der Masse. Demgegenüber würde die Klägerin aus diesem für sie zufälligen Umstand den Vorteil ziehen, dass der Räumungsanspruch und die hieraus erwachsenen Räumungskosten aus der Masse beglichen werden müssten, wodurch die Masse wiederum geschmälert würde, während die Klägerin ohne eine derartige Firmenfortführung auf eine bloße Insolvenzforderung verwiesen werden müsste.

Es kann offen bleiben, ob der Beklagte durch seine Freigabeerklärung auch die Haftung der Masse für die Räumung und die Räumungskosten hinsichtlich solcher Gegenstände und Stoffe beseitigen kann, die von ihm persönlich oder durch ihm zuzurechnende Handlungen eingebracht worden sind. Die Klägerin trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass derartige Gegenstände oder Stoffe von der kostenverursachenden Räumung betroffen waren (BGHZ 125, Seite 270). Sie hat sich aber darauf beschränkt, den gegenteiligen Vortrag des Beklagten (Bl. 88 d.A.), den dieser mit den schriftlichen Angaben des von ihm benannten Zeugen xxx (Bl. 46 d.A. d. AG Reutlingen - 1 M 3372/03 -) untermauert hat, mit Nichtwissen zu bestreiten (B. 97 d.A.). Dies genügt nicht.

2. Nutzungsentschädigung

Der Klägerin steht die zugesprochene Nutzungsentschädigung für die Monate März 2003 bis Juni 2003 in Höhe von monatlich € 8.950,54, insgesamt also € 35.802,16 zu. Weitergehende Nutzungsentschädigung, die mit der Anschlussberufung verfolgt wird, kann die Klägerin dagegen nicht verlangen.

Grundsätzlich steht der Klägerin aus abgetretenem Recht ein Anspruch auf Nutzungsentschädigung für die Dauer der Vorenthaltung der Räume bzw. des Grundstücks durch den Beklagten zu. Insoweit handelt es sich um eine Masseverbindlichkeit gem. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO (Münchener-Kommentar-Hefermehl, InsO § 55, Rdnr. 148).

Der Beklagte hat die streitgegenständlichen Räume bzw. das streitgegenständliche Grundstück bis einschließlich Juni 2003 vorenthalten.

Die Mietsache wird vorenthalten, wenn der Beklagte der Klägerin gegen deren Willen die tatsächliche Gewalt über die Sache nicht einräumt, d.h. den Rückgabeanspruch nicht erfüllt. Die Rückgabepflicht umfasst die Verschaffung des unmittelbaren Besitzes an der geräumten Mietsache. Dazu gehört die Übergabe sämtlicher Schlüssel (OLG Hamm NZM 2003, Seite 26).

Zwar hat der Beklagte die Freigabe der in den Räumen bzw. auf dem Grundstück verbliebenen Gegenstände bereits mit Schreiben vom 16. April 2003 an die Schuldnerin erklärt. Des weiteren hat er am 30. April 2003 auch einen Teil der Schlüssel an die Hauptmieterin xxx zurückgegeben. Die restlichen Schlüssel hat der Beklagte jedoch erst am 23.6.2003 an die Hauptmieterin zurückgegeben, so dass erst zu diesem Zeitpunkt die Vorenthaltung durch den Beklagten beendet worden ist.

Angesichts der Erfüllung der Räumungsverpflichtung durch die Freigabe besteht für den Zeitraum nach Rückgabe aller Schlüssel kein Anspruch auf Nutzungsentschädigung gegen die Masse. Insoweit kommt allenfalls eine bloße Insolvenzforderung in Betracht.

3. Die zugesprochenen Zinsen sind gem. §§ 280, 286, 288 BGB gerechtfertigt.

Der Zinsanspruch ist von der Klägerin schlüssig dargelegt worden. Die zugrunde liegenden Tatsachen sind vom Beklagten nicht bestritten worden.

4. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

5. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO vor. Die Fortbildung des Rechts erfordert eine Entscheidung des Revisionsgerichts, weil hinsichtlich der Frage der Wirkung der Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters auf die Räumungsverpflichtung von einer Vielzahl von Fällen mit vergleichbarer Konstellation auszugehen ist, über die - soweit ersichtlich (vgl. BGHZ 150, Seite 305) - bisher nicht höchstrichterlich entschieden worden ist.



Ende der Entscheidung

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