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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 22.08.2000
Aktenzeichen: 14 U 17/99
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
1. Die digitale interne Austastung des mütterlichen Beckens gehört zum Umfang der vorgeburtlich geschuldeten Diagnostik. Auf die äußeren Beckenmaße kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.

2. Bei einer unterlassenen internen Austastung haftet der Arzt nicht, wenn kein relatives Mißverhältnis zwischen knöchernem Becken der Mutter und dem Kopf des Kindes besteht.


Oberlandesgericht Stuttgart - 14. Zivilsenat - Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 14 U 17/99 15 O 281/97 LG Stuttgart

In Sachen

verkündet am 22. August 2000

Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 25.07.00 unter Mitwirkung

der Vors. Richterin am OLG

des Richters am OLG

des Richters am OLG

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 22.01.99 - 15 O 281/97 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten der Berufung tragen die Kläger.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 50.000,00 abwenden, wenn nicht die Beklagten vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Wert der Berufung bis zur Antragstellung 600.000,00 DM; danach 400.000,00 DM; Beschwer der Rechtsnachfolger des Klägers Ziff. 1 und der Klägerin Ziff. 2 : jew. über 60.000,00 DM.

Tatbestand:

Die Kläger zu 1 begehren als Rechtsnachfolger ihres Sohnes M D H (bis zu seinem Tod am 02.11.99 der Kläger Ziff. 1, Kind) Ersatz des ihm aus fehlerhaftem Geburtsmanagement entstandenen materiellen und immateriellen Schadens; die Klägerin Ziff. 2 - Mutter des Kindes - verlangt Zahlung eines Schmerzensgeldes wegen der Folgen einer nachgeburtlich aufgetretenen Blutung. Die Beklagte Ziff. 1 ist Träger des Kreiskrankenhauses L, in welchem die Geburt stattfand. Die Beklagten Ziff. 2 und 3 waren an der Geburt als Oberärztin bzw. Stationsarzt beteiligt, der Beklagten Ziff. 4 leitete die Anästhesie der Klägerin Ziff. 2, die Beklagte Ziff. 5 war an der postpartalen Versorgung des Kindes beteiligt.

Die Klägerin Ziff. 2 wurde Ende 1993 - im Alter von 30 Jahren - zum ersten Mal schwanger. Errechneter Geburtstermin war der 09.09.94. Die Schwangerschaft verlief komplikationslos.

Wegen Terminsüberschreitung wurde die Klägerin Ziff. 2 am 20.09.94 in die Frauenklinik des Kreiskrankenhauses L stationär aufgenommen. Es wurde ein Oxytocin-Belastungstest durchgeführt, bei weichem unter CTG-Kontrolle Syntocinon gegeben wurde. Der Fetus reagierte unauffällig. Eine Amnioskopie war nicht möglich. Die bei einer Ultraschalluntersuchung erhobenen Werte ließen ein Geburtsgewicht von etwa 4.000 g erwarten. Die Klägerin Ziff. 2 blieb unter CTG-Überwachung weiter im Krankenhaus. Am Vormittag des 21.09.94 wurde der Versuch gemacht, die Geburt mit Prepdil-Gel einzuleiten. Der Vaginalbefund - Portio 1 cm, Kopf im Becken fest aufgesetzt - blieb unverändert. Das CTG war unauffällig.

Am Vormittag des 22.09.94 wurde eine Minprostin-Tablette vaginal gelegt, um erneut Wehen zur Geburtseinleitung auszulösen. Am Nachmittag nahm die Klägerin Ziff. 2 ein Entspannungsbad und erhielt 2 Buscopan-Zäpfchen. Um 19.45 Uhr kam es zum Blasensprung mit Abgang von hellem Fruchtwasser; Wehentätigkeit setzte ein. Um 21.00 war der vaginale Befund noch unverändert; der Kopf des Feten wurde als "fest BE (im Beckeneingang) aufgesetzt" beschrieben. Gegen 21.45 Uhr ging die Klägerin Ziff. 2 auf die Toilette. Um 22.00 Uhr kehrte sie zurück. Die deshalb unterbrochene CTG-Schreibung wurde um 22.04 Uhr fortgesetzt. Die vaginale Untersuchung der Klägerin Ziff. 2 ergab einen Muttermundsbefund von 3 cm, "mittelsäumig straff, Kopf - 1". Die Klägerin Ziff. 2 hatte erbrochen und über Preßdrang in der Wehe berichtet. Die Hebamme lagerte die Schwangere in das Kreisbett um; das CTG wurde deshalb um 22.07 Uhr abgestellt. Um 22.10 Uhr rief sie den Beklagten Ziff. 3, den zuständigen Stationsarzt, der einen venösen Zugang legen sollte, um einen Buscopantropf anzuhängen. Um 22.15 Uhr wurde das CTG wieder angestellt; die Herztöne waren auf 80-90 Schläge pro Minute abgefallen. Zu diesem Zeitpunkt erschien der Beklagte Ziff. 3 im Kreissaal; er stellte bradycarde Herztöne und "kräftige Wehen" fest. Er verabreichte zur Wehenhemmung 1 Ampulle Dilatal und führte eine Beckenhoch- und Seitenlagerung durch. Die Klägerin Ziff. 2 erhielt ferner Sauerstoff. Die vaginale Untersuchung durch den Beklagten Ziff. 3 ergab einen straff befundeten Muttermund von 3-4 cm und einen Stand des kindlichen Kopfes von - 1. Die Herztöne sanken trotz der ergriffenen Maßnahmen um 22.20 Uhr auf 60 Schläge pro Minute ab. Der Beklagte Ziff. 3 ordnete deshalb die Notsectio an und verständigte die Oberärztin (die Beklagte Ziff. 2), den Anästhesisten (den Beklagten Ziff. 4) und den OP-Pfleger. Vermerkt ist eine Rasur und nach Umlagerung um 22.27 Uhr die direkte Fahrt in den OP. Um 22.28 Uhr trafen der Anästhesist und der OP-Pfleger ein, um 22.30 die Beklagte Ziff. 2. Sie führte eine vaginale Untersuchung durch; dabei war der Muttermund bis auf einen schmalen Saum vollständig, der Kopf stand im "BE tief". Die Herzfrequenz betrug 60 Schläge pro Minute. Um 22.35 Uhr wurde die Klägerin Ziff. 2 intubiert; die Sectio begann um 22.37 Uhr, die Geburt des Kindes erfolgte um 22.39 Uhr. Es war "blau-asphyktisch" und atmete zunächst nicht. Die Erstversorgung übernahm der Beklagte Ziff. 4, der es absaugte und mit Maske beatmete. Er rief die Beklagte Ziff. 5. Hierzu ist im Narkoseprotokoll vermerkt: "22.42 Uhr Anruf, 22.45 Uhr Ankunft, 22.46 Uhr ITN". Im Partogramm ist vermerkt: "... gegen 23.00 Uhr von Frau Dr. H - Intubation". Das Kind war 55 cm lang und wog 3.990 g. Der Apgarwert betrug 3/3/5. Unmittelbar nach der Geburt aus der Nabelschnurarterie entnommene Blutproben ergaben bei der Untersuchung um 23.45 und 23.57 Uhr pH-Werte von 6,75 und 6,63.

Die um 22.36 Uhr verständigten Kinderärzte des Kreiskrankenhaus B trafen um 23.01 Uhr ein. Das Kind wurde von ihnen in die Kinderklinik verlegt. Wegen des Aufnahmebefunds und des weiteren Verlauf der Behandlung wird auf den Tatbestand des Urteils des Landgerichts Bezug genommen.

Das Kind war seit seiner Geburt infolge der hypoxischen Hirnschädigung geistig und körperlich auf das Schwerste geschädigt. Es konnte nicht selbständig sitzen, laufen, essen oder greifen und wurde ernährt mittels Bauchsonde und Flüssignahrung. Es litt unter einer schweren linksbetonten Tetraspastik. Häufig kam es zu Bronchitiden und Lungenentzündungen. Das Kind war bis zu seinem Tod vollständig pflegebedürftig.

Bei der Versorgung der Uterotomiewunde kam es zu einer atonischen Nachblutung. Diese konnte trotz Gabe von 5 Einheiten Syntocinon nicht gestoppt werden. Die Klägerin Ziff. 2 verlor weiter erhebliche Mengen an Blut. Die Gebärmutter reagierte auch nicht auf die Anlage einer Nalador-Tropfinfusion. Der inzwischen herbeigerufen Chefarzt Dr. W übernahm die Operation. Wegen Eintritts eines lebensbedrohlichen Zustands wurden die Gebärmutter und der rechte Eileiter entfernt. Dadurch konnte die Blutung beherrscht werden.

Der Kläger Ziff. 1 hat vorgetragen, wegen der Übertragung, der als eng anzusehenden knöchernen Verhältnisse und der Größe seines Kopfes sei eine primäre Schnittentbindung angezeigt gewesen. Die Beckendiagnostik sei fehlerhaft unterlassen worden. Die Beckenmaße der Klägerin Ziff. 2 sprächen eindeutig gegen eine vaginale Entbindung. Jedenfalls hätte das vaginale Entbindungskonzept früher aufgegeben werden müssen. Ferner sei das zeitliche Management des Notfall-Kaiserschnitts fehlerhaft gewesen. Der Entschluß sei zu spät gefaßt worden. Die Reanimationsmaßnahmen seien unzureichend und verzögert vorgenommen worden. Die Gabe von Natriumbicarbonat sei absolut indiziert gewesen.

Die Klägerin Ziff. 2 hätte über die Möglichkeit einer primären Schnittentbindung aufgeklärt werden müssen. Im Fall der Aufklärung hätte sie sich für die Durchführung einer Schnittentbindung entschieden.

Das fehlerhafte Geburtsmanagement sei für seine Schädigung ursächlich. Bei primärer Schnittentbindung hätte der Sauerstoffmangel völlig vermieden werden können. Ein Schmerzensgeld von 350.000,00 DM sei angemessen.

Die Klägerin Ziff. 2 hat vorgetragen, die atonische Nachblutung sei durch eine fehlerhafte Überdosierung von Halothan im Rahmen der Narkose zurückzuführen. Die Überwachung sei mangelhaft gewesen. Deshalb habe man das Nachlassen des Uterustonus zu spät festgestellt. Syntocinon und Nalador seien zu spät verabreicht worden. Ein Schmerzensgeld von 80.000,00 DM sei angemessen.

Die Kläger haben beantragt,

1. die Beklagten Ziff. 1, 2 und 3 als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger Ziff. 1 ein angemessenes Schmerzensgeld zu bezahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zuzüglich 8 % Zinsen hieraus seit 03.09.96;

2. die Beklagten Ziff. 1, 4 und 5 als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin Ziff. 2 ein angemessenes Schmerzensgeld zu bezahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zuzüglich 8 % Zinsen hieraus seit 08.08.97;

3. festzustellen, daß die Beklagten Ziff. 1, 2 und 3 als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger Ziff. 1 sämtlichen materiellen Schaden zu ersetzen, der diesem durch fehlerhaftes Geburtsmanagement im Kreiskrankenhaus Leonberg in der Zeit vom 20.09.94 bis 22.09.94 entstanden ist und künftig entsteht, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind/übergehen.

Die Beklagten haben beantragt

die Klage abzuweisen.

Sie haben vorgetragen, das Geburtsmanagement sei ordnungsgemäß gewesen. Es habe bis zum späten Abend des 22.09.94 keine Indikation zu einer Kaiserschnittentbindung vorgelegen. Die Notsectio und die Behandlung des Kindes im Anschluß an die Geburt seien fehlerfrei erfolgt.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. H, welches dieser in der mündlichen Verhandlung vom 11.12.98 erläutert hat.

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 22.01.99 abgewiesen. Es vermochte - dem Sachverständigen folgend - Fehler bei der Leitung der Geburt des Kindes und seiner postpartalen Betreuung sowie bei der Versorgung der Klägerin Ziff. 2 nicht festzustellen. Gegen dieses den Klägern am 25.01.99 zugestellte Urteil haben sie am 22.2.99 Berufung eingelegt und diese am 22.04.99 - innerhalb verlängerter Frist - begründet.

Die Kläger tragen vor, das Landgericht habe sich bei seiner Beurteilung in verfahrensfehlerhafter Weise mit den Äußerungen des Privatsachverständigen nicht auseinandergesetzt. Danach habe eine Beckendiagnostik durchgeführt werden müssen. Daraus folgten Beweiserleichterungen. Die Beckenmaße der Klägerin Ziff. 2 seien eindeutig pathologisch gewesen. Es habe zwischen den Beckenmaßen und dem ungewöhnlich großen Kopf des Kindes - mit einem Umfang von unstreitig 37 cm - ein relatives Mißverhältnis bereits im Beckeneingang bestanden, welches die Indikation für eine primäre Sectio gegeben habe. Zumindest sei die Schnittentbindung eine ernsthafte Alternative zur vaginalen Geburt gewesen.

Im übrigen wird das erstinstanzliche Vorbringen vertieft.

Hinsichtlich der Behandlung der Klägerin Ziff. 2 sei der gynäkologische Sachverständige nicht hinreichend kompetent gewesen. Auch wäre es bei einer primär vorgenommenen Schnittentbindung nicht zu der Atonie gekommen. Im Hinblick auf den am 02.11.99 eingetretenen Tod des Kindes sei ein Schmerzensgeld von 150.000,00 DM angemessen.

Die Kläger beantragen,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils,

1. die Beklagten Ziff. 1, 2 und 3 als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger Ziff. 1 (seine Rechtsnachfolger) ein angemessenes Schmerzensgeld zu bezahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zuzüglich 8 % Zinsen hieraus seit 03.09.96;

2. die Beklagten Ziff. 1, 4 und 5 als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin Ziff. 2 ein angemessenes Schmerzensgeld zu bezahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zuzüglich 8 % Zinsen hieraus seit 08.08.97;

3. festzustellen, daß die Beklagten Ziff. 1, 2 und 3 als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger Ziff. 1 sämtlichen materiellen Schaden zu ersetzen, der diesem durch fehlerhaftes Geburtsmanagement im Kreiskrankenhaus L in der Zeit vom 20.09.94 bis 22.09.94 entstanden ist und künftig entsteht, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

hilfsweise,

den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Stuttgart zurückzuverweisen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für richtig. Sie tragen vor, es habe bis zur Notfallsituation keine Indikation für eine Schnittentbindung vorgelegen. Auf die Notfallsituation sei zeitgerecht und richtig reagiert worden. Die Beklagte Ziff. 5 habe das Kind 7 Minuten nach der Geburt intubiert. Die Behandlung der Klägerin Ziff. 2 sei korrekt gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens in beiden Rechtszügen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. F, das dieser im Termin vom 25.07.00 erläutert hat. Hierauf wird verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässigen Berufungen der Rechtsnachfolger des Kindes und der Klägerin Ziff. 2 bleiben ohne Erfolg. Das Landgericht hat die Klagen zurecht abgewiesen. Es bestand weder bei Aufnahme der Klägerin Ziff. 2 noch vor der Notfallsituation am späten Abend des 22.09.94 eine Indikation zur Vornahme eines primären oder sekundären Kaiserschnitts, auch nicht im Sinne einer aufklärungspflichtigen echten Alternative zur vaginalen Geburt. Die Geburtsleitung und die postpartale Betreuung des Kindes hat in allen Punkten den Anforderungen entsprochen. Dies gilt auch für die Behandlung der Mutter bei der durchgeführten Kaiserschnittentbindung und der dabei aufgetretenen atonischen Blutung.

I. Berufung der Erben des Kindes

Nach dem Ergebnis der ergänzenden Begutachtung vermag der Senat nicht festzustellen, daß vor der Geburt ein relatives Mißverhältnis zwischen dem Becken der Mutter und dem Kopf des Kindes, aus dem sich eine Kaiserschnitt-Indikation ergeben hätte, übersehen wurde. Ein solches Mißverhältnis ist nicht festzustellen. Zeitliche Verzögerungen im Geburtsmanagement, die für die Schädigung des Kindes hätten ursächlich sein können, lagen nicht vor. Die postpartale Betreuung des Kindes war suffizient und hat zu seiner Schädigung nicht beigetragen.

1.

Wie der vom Senat beauftragte Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, gehört die digitale interne Beckenaustastung auch heute noch zum Umfang der vorgeburtlich geschuldeten Diagnostik, die entweder durch den Frauenarzt anläßlich der Vorstellung zur Geburt in der Geburtsklinik oder aber spätestens bei Klinikaufnahme durch einen erfahrenen Geburtshelfer erfolgen sollte (abweichend der erstinstanzliche Sachverständige Prof. Dr. H Bl. 106). Diese Untersuchung mag bei der Mutter des Kindes zunächst unterblieben sein, weil bei ihrer Aufnahme vorrangig die Voraussetzungen für eine Einleitung der vaginalen Geburt geprüft werden sollten. Ob sie später - noch rechtzeitig - nachgeholt worden ist, kann offen bleiben, da diese Untersuchung, wäre sie durchgeführt worden, keinen Anlaß zur Feststellung eines relativen Mißverhältnisses zwischen knöchernem Becken der Mutter und Kopf des Kindes ergeben hätte. Nur in diesem Fall wäre die Indikation zu einem primären Kaiserschnitt zu erwägen gewesen.

Bei der Mutter des Kindes war das Becken, wie sich aus dem von der Klägerseite vorgelegten CT-Befund der radiologischen Universitätsklinik T (Bl. 126 und 157) ergibt, nicht pathologisch verengt. Auch die vom Sachverständigen Prof. Dr. F am 04.07.00 durchgeführte gynäkologische Untersuchung hat aufgrund der äußeren Beckenmessung und der digitalen Beckenaustastung keine Hinweise auf eine solche Pathologie des knöchernen Beckens ergeben (Gutachten Bl. 255). Im Termin vor dem Senat hat dies der Sachverständige bestätigt (Bl. 279 f.).

Auf die äußeren Beckenmaße kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Für die Frage, ob vaginal oder abdominell entbunden werden soll, kommt es auf die Verhältnisse im sog. "kleinen Becken an; demgegenüber hat sich der Privatsachverständige vorwiegend mit den externen Beckenmaßen beschäftigt (Prof. Dr. F Bl. 280). Im übrigen lagen auch die vom Sachverständigen gemessenen äußeren Beckenmaße noch im Toleranzbereich der Norm (Termin Bl. 281).

Körper und Kopf des Kindes waren nach dem Ergebnis der am 20.09.94 durchgeführten sonographischen Untersuchung nicht überdurchschnittlich groß. Das hat Prof. Dr. F anhand der gemessenen Werte für den biparietalen Schädeldurchmesser und den Thoraxquerdurchmesser eindeutig festgestellt. Danach war - unter Berücksichtigung einer Fehlerwahrscheinlichkeit von 20% - prospektiv nicht mit der Geburt eines makrosomen Kindes zu rechnen. Eine primäre Indikation zur Vornahme einer Sectio hat danach nicht vorgelegen.

Allein der Umstand, daß eine "zierlich" gebaute Patientin ein durchschnittlich großes Kind zur Welt bringen soll, gibt - ohne ersten Tastbefund, der auf eine Verengung des knöchernen Beckens hinweist - keine Indikation für eine Geburt durch Kaiserschnitt. Dasselbe gälte für den Fall, daß ein gemessener fetaler Wert deutlich über dem Durchschnitt gelegen hätte, was nicht der Fall war. In diesem Zusammenhang sind das Alter der Mutter und die Überschreitung des errechneten Termins ohne Bedeutung.

2.

Es hat danach - weder bei Aufnahme der Mutter noch im weiteren Verlauf der Geburt bis zur Notfallsituation am späten Abend des 22.09.94 - eine Situation vorgelegen, in weicher der Kaiserschnitt als echte Alternative zur vaginalen Geburt in Betracht gekommen wäre und deshalb eine entsprechende Aufklärung geschuldet war (vgl. Geiß/Greiner, Arzthaftplichtrecht 3. Aufl. 1999 S. Rn. 35 mit Darstellung der Fälle aus der Rechtsprechung).

Wenn - wie im vorliegenden Fall - von unauffälligen Verhältnissen im Beckenbereich auszugehen ist, entscheidet sich anhand des Ablaufs der Geburt, ob und wann von dem Konzept der vaginalen Entbindung abzugehen ist oder die Kaiserschnittentbindung als echte Alternative in Betracht kommt. Bezogen auf den Ablauf wird in diesem Zusammenhang von protrahierter Geburt oder von sekundärer Wehenschwäche gesprochen. Liegt ein verzögerter Verlauf der Geburt vor, ist - unabhängig vom Höhenstand oder der Muttermundsweite - zu entscheiden, ob die Indikation für eine sekundäre Sectio vorliegt. Danach entscheidet der Verlauf der Geburt selbst darüber, ob der Geburtshelfer von der vaginalen Entbindung auf die Vornahme eines Kaiserschnitts umstellen muß (schriftliches Gutachten Bl. 257). Letztlich kommt es auf den Zustand des Feten an, ob an der vaginalen Entbindung festgehalten werden darf oder das Entbindungskonzept zu ändern ist (der Sachverständige Prof. Dr. F im Termin Bl. 279).

Wenn konkrete Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, daß eine solche Situation bevorsteht, wird der Geburtshelfer mit der Frau das weitere Vorgehen besprechen und zu einer sekundären Sectio raten (schriftliches Gutachten Bl. 258). Unterbleibt in dieser Situation eine Aufklärung der Mutter, kann die Fortsetzung der Geburt - wegen unzureichender Aufklärung über einen Kaiserschnitt als echte Alternative zur vaginalen Entbindung - die Haftung des Geburtshelfers begründen.

Im vorliegenden Fall hat es - vor der eingetretenen Notlage - keine Situation gegeben, in welcher eine sekundäre Sectio angezeigt gewesen wäre oder das Gespräch über eine mögliche dahingehende Entwicklung hätte gesucht werden müssen.

Noch um 21.45 Uhr waren die Verhältnisse völlig normgerecht; der Blasensprung lag erst 2 Stunden zurück. Der Fetus hatte innerhalb dieses Zeitraums den Beckeneingang bis auf die Ebene - 1 passiert. Angesichts einer fehlenden Pathologie auf Seiten der Mutter - etwa durch auftretendes Fieber - oder des Kindes - etwa durch Herzfrequenzänderungen - war zu diesem Zeitpunkt nichts zu veranlassen (der Sachverständige zusammenfassend Bl. 283).

Die akute Situation trat erst um 22.15 Uhr - oder kurz davor - ein, als die Herztöne nach der Fortsetzung der CTG-Schreibung auf 80-90 Schläge pro Minute gefallen waren (der Sachverständige Bl. 281 f.).

3.

Der Entschluß zur Notsectio ist angesichts des dokumentierten Verlaufs, der insoweit auch nicht von der Klägerseite in Zweifel gezogen wird, rechtzeitig erfolgt. Wie der vom Senat beauftragte Sachverständige ausgeführt hat, muß in einem Zeitraum ab etwa 22.12 Uhr, als das CTG abgestellt war und die Hebamme die Mutter in das Kreißbett lagerte, eine durch Sauerstoffmangel bedingte fetale Notsituation aufgetreten sein (der Sachverständige im Termin Bl. 282). Die Notlage zeigte sich erstmals um 22.15 Uhr, als das CTG wieder angestellt wurde. Der Stationsarzt, der Beklagte Ziff. 3, kam hinzu, als diese Situation eintrat. Die danach von ihm ergriffenen Maßnahmen zur Behebung der Mangelsituation - Tokolyse, Beckenhoch- und Seitenlagerung - waren richtig und sind zeitgerecht ergriffen worden; insbesondere durfte er nach Durchführung der Tokolyse 2 - 3 Minuten abwarten, um bei einem ausbleibenden Erfolg die Notfallsectio zu veranlassen (Termin Bl. 282). Er hat sodann um 22.20 Uhr und somit rechtzeitig die Indikation zur Notsectio gestellt. Auch der weitere Ablauf mit einer EE-Zeit von weniger als 20 Minuten hält sich in der Regelspanne und ist nicht zu beanstanden (schriftliches Gutachten Bl. 258 f.).

4.

Auch die postpartale Betreuung des stark deprimierten Kindes ist regelgerecht erfolgt. In der Primärversorgung geht um die Herstellung der Vitalfunktionen. Dazu müssen zunächst die Atemwege freigemacht und Sauerstoff zugeführt werden. Gelingt dies durch Maskenbeatmung nicht in ausreichendem Maße, muß das Kind intubiert werden. Dies ist kurze Zeit nach der Geburt durch die hinzugerufene Beklagte Ziff. 5 geschehen. Der Senat konnte sich davon anhand der Dokumentation überzeugen, die die Beklagte Ziffer 5 auf dem Anästhesieprotokoll ("22.42 Uhr Anruf, 22.45 Uhr Ankunft, 22.46 Uhr ITN") vermerkt hat. Sie hat das Kind intubiert. Die Abkürzung "ITN" kann sich nicht auf die Klägerin Ziff. 2 beziehen, die in intubiertem Zustand entbunden worden war und anschließend operativ versorgt wurde. Die Beatmung des Kindes war auch erfolgreich, da bei Eintreffen der Pädiater eine Sauerstoffsättigung von 96-98% bestanden hat und bei Eintreffen in der Kinderklinik das Basendefizit lediglich - 12 betrug und der pH-Wert - ohne Ausgleich durch Pufferung - auf 7,28 angestiegen war. Daraus kann abgeleitet werden, daß die Erstversorgung des Kindes suffizient und erfolgreich war (der Sachverständige im Termin Bl. 284).

Ohne Bedeutung ist der Umstand, daß der pH-Wert des nach der Geburt entnommenen Nabelschnur-Arterienbluts erst mit Verzögerung - um 23.45 Uhr - bestimmt worden ist; denn eine Blindpufferung war bereits 1994 nicht mehr üblich.

5.

Der deletäre Ausgang der Geburt gibt keinen Anhaltspunkt für ein fehlerhaftes Geburtsmanagement. Trotz raschen ärztlichen Eingreifens kann es zu einer sehr schweren cerebralen Schädigung gekommen, auch wenn die Mehrzahl reif geborener Kinder eine Situation, wie sie hier das Neugeborene erlitten hat, ohne schwere Schäden überstehen (der Sachverständige Bl. 284). Eine mögliche Erklärung kann die Schwankungsbreite in der Toleranz jedes Neugeborenen auf Sauerstoffmangelsituationen sein. Im Ergebnis kommt es auf eine Klärung dieser Frage nicht an.

II. Berufung der Klägerin Ziff. 2

Auch der vom Senat beauftragte Sachverständige verneint - wie schon der in erster Instanz tätige Sachverständige - einen Zusammenhang zwischen der Dosierung des Anästhetikums und der atonischen Nachblutung (Gutachten Bl. 260). Ebenfalls richtig dosiert waren die verabreichten Gaben von Syntocinon und Nalador. Diese Feststellung erfolgte nach Rücksprache des Sachverständigen mit dem Leitenden Arzt für Anästhesiologie am Klinikum.

Die Berufungen sind daher zurückzuweisen.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

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