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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 06.02.2001
Aktenzeichen: 14 U 49/00
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711

Entscheidung wurde am 14.09.2001 korrigiert: Titel durch Stichworte ersetzt
1. Eine periphere Kunststoffdauerkanüle darf nach dem jetzigen Stand der Medizin auch länger als 72 Stunden belassen werden.

2. Die Aufklärung über die Risiken vor dem Legen des Venenverweilkatheters ist noch rechtzeitig.


Revision (BGH VI ZR 118/01) zurückgenommen

Geschäftsnummer: 14 U 49/00 8 O 32/98 LG Tübingen

Oberlandesgericht Stuttgart - 14. Zivilsenat - Im Namen des Volkes Urteil

In Sachen

verkündet am 27. Februar 2001

hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 06. Februar 2001 unter Mitwirkung

der Vors. Richterin am Oberlandesgericht

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 17. Mai 2000 - AZ: 8 O 32/98 - wird

zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Siicherheitsleistung in Höhe von 20.000,-- DM abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Beschwer der Klägerin und Streitwert des Berufungsverfahrens: 140.000,- DM.

Tatbestand:

Die Klägerin macht gegenüber dem Beklagten, der Direktor der Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohren-Heilkunde T ist, Schadensersatzansprüche aus fehlerhafter ärztlicher Behandlung geltend.

Die privat krankenversicherte Klägerin, die seit 1995 unter einem Tinnitus auf beiden Ohren litt, suchte am 09.12.1996 die ambulante Sprechstunde des Beklagten auf. Nach Durchführung verschiedener Untersuchungen und dem Ausschluß eines Tumors als Ursache der Ohrgeräusche riet der Beklagte am 19.12.1996 zu einer ambulanten Infusionstherapie mit Rheomacrodex und Novocain. Diese Therapie wurde am 20.12.1996 begonnen. An diesem Tag erklärte der behandelnde Arzt Dr. P der Klägerin, daß für die Infusion entweder täglich neu in die Vene eingestochen oder aber eine Braunüle gelegt und für die Infusionstherapie belassen werden könne. Die Klägerin entschloß sich gegen einen täglich neu zu legenden Zugang. Dr. P legte nach dem Gespräch am rechten Unterarm der Klägerin einen Venenverweilkatheter und verabreichte die erste Infusion. Die Krankenakten enthalten im Verlaufsbericht folgenden Eintrag:

"Patientin erklärt sich mit den Risiken der in der Vene belassenen Virgo einverstanden und wünscht dies ausdrücklich.

Risiken: Infektion, Blutung, Wundheilstörung, Abszeß, Sepsis."

Unter dieser Eintragung befinden sich die Unterschriften von Dr. P und der Klägerin. Zwischen dem 21.12. und 26.12.1996 erhielt die Klägerin täglich jeweils eine weitere Infusion. Das Verbindungsstück zwischen der Braunüle und dem Infusionsschlauch wurde dabei nicht jeweils gesondert desinfiziert. Die Einstichstelle wurde täglich inspiziert. Nach Infusionsende wurde jeweils ein neuer Verband angelegt. Am Abend des 26.12.1996 fühlte sich die Klägerin unwohl; der rechte Arm schmerzte. Am 27.12.1996 klagte die Klägerin bei Frau Dr. Z über Kopfschmerzen und Übelkeit. Nach Kontrolle durch ein Audiogramm wurde die Infusionstherapie abgebrochen. Nachdem Frau Dr. Z die Venenverweilkanüle entfernt hatte, legte die damals als Krankenschwester tätige Zeugin H einen Salbenverband an.

Am 29.12.1996 begab sich die Klägerin wegen starker Rückenschmerzen in die Praxis von Frau Dr. C Der behandelnde Arzt Dr. B diagnostizierte einen grippalen Infekt, ein HWS/LWS-Syndrom und einen Tinnitus. Auf Schmerzen oder Besonderheiten am rechten Unterarm wurde Dr. B von der Klägerin nicht hingewiesen. Wegen starker Schmerzen im Bereich der linken Brust und der linken Schulter suchte die Klägerin sodann am 02.01.1997 ihren Hausarzt Dr. B auf, der die Klägerin wegen Verdachts auf einen eingeklemmten Nerv an die orthopädische Universitätsklinik T überwies. Dort wurde die Klägerin noch am selben Tag von Dr. B untersucht. Dr. B äußerte den Verdacht auf rheumatische Arthritis. Das Röntgen der Hände der Klägerin ergab keinen Befund. Auffälligkeiten bezüglich des rechten Unterarmes sind in den Krankenakten der Orthopädie nicht beschrieben. Am 04.01.1997 stellte sich die Klägerin wegen zunehmender Schmerzen im Bereich des Sternoclaviculargelenkes links vorzeitig in der Notfallambulanz der orthopädischen Universitätsklinik wieder vor. Nach einem schmerzbedingten Kollaps wurde sie stationär aufgenommen. Gegenüber dem behandelnden Arzt Dr. R berichtete die Klägerin bei einer erneuten Anamnese über einen entzündeten rechten Unterarm nach der Anlage des Venenverweilkatheters in der HNO-Klinik. In der Folgezeit nahmen die Schmerzen im Bereich der linken Clavicula weiter zu. Die Klägerin wurde auch antibiotisch behandelt. Wegen zunehmender Taubheit des gesamten rechten Unterarmes und einer Kraftlosigkeit der rechten Hand wurde am 10.01.1997 eine Skelettszintigraphie durchgeführt und am 11.01.1997 ein neurologisches Konsil eingeholt. Es bestand der Verdacht auf eine Plexusinfiltration. Am 24.01.1997 wurde die Klägerin durch die neurologische Universitätsklinik T übernommen. Dort wurden eine Plexus brachialis-Läsion rechts und eine septische Arthritis des Sternoclaviculargelenkes links behandelt. Nach dem Rückgang der Entzündungszeichen wurde die Klägerin am 31.01.1997 entlassen. Zur Durchführung einer Punktion des Sternoclaviculargelenkes wurde die Klägerin erneut vom 19.03. bis 08.04.1997 stationär in der orthopädischen Universitätsklinik T aufgenommen. Die Beschwerden besserten sich in der Folgezeit, jedoch verblieben Schmerzen und Mißempfindungen in der rechten Hand.

Die Klägerin hat vorgetragen, sie sei vor Beginn der Infusionsbehandlung und auch später mündlich nicht über die damit verbundenen Risiken aufgeklärt worden. Die im Verlaufsbericht enthaltene Unterschrift habe sie erst nach Beendigung der ersten Infusion am 20.12.1996 geleistet, wobei sie nur einen einzigen Satz unterschrieben habe, der ihr Einverständnis mit dem Risiko der Infusionsbehandlung betroffen habe. Ihr rechter Arm sei am 27.12.1996 nach Abnahme des Verbandes von oberhalb des Handgelenkes bis zum Ende des Ellenbogens rot und geschwollen gewesen, die Haut habe überall gespannt, der Unterarm sei zu diesem Zeitpunkt richtig hart gewesen.

Die Klägerin hat geltend gemacht, eine am Tag der Behandlung erteilte Aufklärung sei ohnehin unwirksam. Sie sei in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft behandelt worden. Eine Behandlung durch Dr. P bzw. Dr. Z sei vertraglich nicht abgesprochen gewesen. Im Verlaufe der Infusionstherapie sei mehrfach gegen Hygienevorschriften verstoßen worden. Insgesamt sei die Braunüle zu lange am Unterarm verblieben, obwohl deren Verweildauer 72 Stunden nicht habe überschreiten dürfen. Entgegen den Regeln der ärztlichen Kunst sei nach Abnahme der Braunüle eine Erregerbestimmung unterblieben. Die am 27.12.1996 erkennbare Infektion sei nicht richtig behandelt worden. Die fortbestehenden Beschwerden im Bereich der linken Schulter seien auf die Infusionsbehandlung zurückzuführen. Sie sei aufgrund der erlittenen Gesundheitsbeeinträchtigungen nicht mehr in der Lage, ihren Beruf als Bauzeichnerin wie gewohnt auszuüben. Schwere Lasten könne sie nicht mehr tragen. Es liege ein neurologischer Dauerschaden vor.

Wegen der erlittenen Beeinträchtigungen sei ein Schmerzensgeld in Höhe von 80.000,- DM angemessen. Wegen der noch nicht abgeschlossenen Entwicklung ihres materiellen Schadens sei die Feststellung der Ersatzpflicht hierfür auszusprechen.

Die Klägerin hat beantragt:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin wegen ärztlicher Fehlbehandlung in der Zeit zwischen dem 20. bis zum 27.12.1996 ein angemessenes Schmerzensgeld zu bezahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst 4 % Zinsen ab Rechtshängigkeit.

2. Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen materiellen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die ärztliche Fehlbehandlung zwischen dem 20. und 27.12.1996 entstanden ist und künftig entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf Dritte übergegangen ist.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat vorgetragen, die Klägerin sei schon vor der Infusionsbehandlung durch Dr. P über Risiken eines Venenverweilkatheters aufgeklärt worden. Die Klägerin habe die im Verlaufsbericht enthaltene Unterschrift vor Beginn der Infusionstherapie geleistet. Die Behandlung der Klägerin sei lege artis gewesen. Hygienevorschriften seien nicht verletzt worden. Am 27.12.1996 hätten keine Anhaltspunkte für eine Infektion bestanden. Eine Erregerbestimmung nach Entfernung der Braunüle sei nicht erforderlich. Die Braunüle sei nicht zu lange in der Vene belassen worden. Eine teilweise Erwerbsunfähigkeit und eine Beeinträchtigung in der Haushaltsführung und in der Freizeit sei nicht gegeben.

Die 8. Zivilkammer des Landgerichts T hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen Dr. P , Dr. Z , S H , E O und E Hu sowie durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens, welches der Sachverständige Prof. Dr. K mündlich erläutert hat. Das Landgericht hat die Klage durch Urteil vom 17.05.2000 abgewiesen mit der Begründung, eine ordnungsgemäße Aufklärung sei durch die glaubhafte Aussage des Zeugen Dr. P bewiesen, die durch die Bekundungen der übrigen Zeugen nicht erschüttert werde. Ein Behandlungsfehler sei nicht nachgewiesen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei ein Verstoß gegen Hygienestandards bei der Behandlung der Klägerin nicht festzustellen. Auch hätte nach seinen Erläuterungen Anlaß für die empirische Gabe eines Antibiotikums und eine bakteriologische Untersuchung der Katheterspitze nach deren Entfernung nur dann bestanden, wenn bei der Klägerin stark ausgeprägte lokale Symptome nach Anlage des Venenverweilkatheters aufgetreten wären, was die Klägerin jedoch nicht bewiesen habe.

Wegen Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Gegen dieses ihr am 29.05.2000 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 15.06.2000 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 14.09.2000 innerhalb der bis 14.09.2000 verlängerten Begründungsfrist begründet.

Die Klägerin hält in der Berufungsinstanz ihre Behauptung, ihr rechter Unterarm sei am 27.12.1996 bei Abnahme der Braunüle vom Handgelenk bis zum Ellenbogen rot und geschwollen gewesen und habe sich hart angefühlt, aufrecht. Nach den erstinstanzlichen Ausführungen des Sachverständigen sei daher eine katheterassoziierte Bakteriämie anzunehmen. Die Klägerin macht weiterhin geltend, daß hygienische Sorgfaltsregeln nicht eingehalten worden seien, weil entgegen den Richtlinien des Bundesgesundheitsamtes ein Wechsel der Verweilkanüle nicht spätestens nach 72 Stunden erfolgt sei. Sie beharrt auf ihrer Überzeugung, daß sie auf das Risiko eines dauerhaft gelegten Zugangs nicht hingewiesen worden sei und daß der entsprechende Eintrag in der Behandlungsdokumentation nicht vorhanden gewesen sei, als sie ihre Unterschrift geleistet habe. Ihre Darstellung werde durch die Angaben ihrer Tochter bestätigt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 17.05.2000 abzuändern und den Beklagten nach den erstinstanzlichen Klaganträgen zu verurteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückweisen.

Er bestreitet weiterhin die von der Klägerin behaupteten stark ausgeprägten lokalen Symptome am rechten Unterarm zum Zeitpunkt der Abnahme der Braunüle. Er betont unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens, daß ein Verstoß gegen Hygienestandards nicht vorliege. Der "Hygieneplan" der Hygienekommission an der Universitätsklinik T führe in der bis 1998 gültigen Fassung Maßnahmen bei peripheren Venenkathetern nicht gesondert auf. Hinsichtlich der Liegedauer peripherer Venenkatheter werde von der starren Festlegung einer maximalen Verweildauer abgesehen, weil die Liegedauer keinen eigenständigen Risikofaktor darstelle. Die ordnungsgemäße Aufklärung der Klägerin sei durch die Aussage des Zeugen Dr. P bewiesen.

Wegen der weitergehenden Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die im Senatstermin vom 06.02.2000 protokollierten Erklärungen der Klägerin Bezug genommen.

Der Senat hat zur Frage des Zustands des rechten Unterarmes der Klägerin am 27.12.1996 Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen S und R H Zur Frage, ob ausgehend von den Angaben der Zeugen die Behandlung der Klägerin am 27.12.1996 fehlerhaft war, wurde Beweis erhoben durch Einholung eines mündlichen Sachverständigengutachtens. Auf die protokollierten Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. K im Senatstermin vom 06.02.2001 wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das Landgericht hat in der angefochtenen Entscheidung die Haftung des Beklagten wegen fehlerhafter Behandlung und aus Aufklärungspflichtverletzung im Ergebnis zutreffend verneint.

I. Eine Haftung wegen fehlerhafter Behandlung ist nicht gegeben.

1. Zutreffend hat das Landgericht ausgeführt, daß die Durchführung der Infusionstherapie bei bestehendem Tinnitus indiziert war, daß das Vorliegen eines Antiphospholipidsyndroms nicht routinemäßig vor dem Legen einer Braunüle ausgeschlossen werden muß, daß ein Verstoß gegen Hygienestandards beim Anlegen des Venenverweilkatheters am 20.12.1996 und im Laufe der Behandlung nicht festzustellen ist, daß die Behandlung der Klägerin im Zeitraum zwischen dem 21.12. und dem 26.12.1996 dem medizinischen Standard entsprach, und daß der Beklagte die Umsetzung einzelner Behandlungsmaßnahmen auf nachgeordnetes Personal übertragen durfte. Auf die Ausführungen in der angegriffenen Entscheidung unter I. 1. bis 4. a) bis f) und 6. wird Bezug genommen.

Auch das Vorbringen der Klägerin in der Berufung zum Vorwurf des Belassens der Braunüle über mehr als 72 Stunden gibt keinen Anlaß zu einer abweichenden Beurteilung. Der Sachverständige Prof. Dr. K hat im Senatstermin unter Bezugnahme auf seine Ausführungen in erster Instanz noch einmal überzeugend dargestellt, daß die Empfehlung des Bundesgesundheitsamtes von 1985, wonach die Verweildauer peripherer Kunststoffdauerkanülen 72 Stunden nicht überschreiten soll, nicht mehr medizinischem Standard entspricht, weil nach neueren Erkenntnissen das Liegenlassen des Katheters zu keinem erhöhten Risiko für den Eintritt einer Phlebitis oder einer katheterassoziierten Infektion führt. Es widersprach deshalb nicht der ärztlichen Sorgfalt, wenn die Braunüle für die Infusionen länger als drei Tage liegen blieb. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Hygieneplan der Hygienekommission der Universitätsklinik T betreffend "Hygienemaßnahmen bei Injektionen und Infusionen" in der bis 1998 gültigen Fassung. Der Hygieneplan führt Maßnahmen bei peripheren Venenkathetern nicht gesondert auf und enthält keinen Hinweis auf eine Begrenzung der Verweildauer peripherer Kunststoffdauerkanülen.

2. Die Behandlung der Klägerin am 27.12.1996 ist auch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme des Senats nicht zu beanstanden.

a) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht für den Senat fest, daß der rechte Unterarm der Klägerin am 27.12.1996 nicht völlig reizfrei und unauffällig war, sondern daß er gerötet war und der Klägerin Schmerzen verursacht hat.

Die Zeugen H haben den Arm, der mit einem Salbenverband versorgt war, an diesem Tag nicht gesehen. Der Ehemann der Klägerin R H und die Tochter S H haben übereinstimmend bei ihrer Vernehmung geschildert, daß sie die Klägerin in der Nacht zum 27.12.1996 im Eßzimmer sitzend angetroffen hätten und die Klägerin auf eine Berührung durch die Tochter am rechten Arm geäußert habe, sie solle sie nicht anfassen, weil der Arm schrecklich schmerze. Beide Zeugen haben den rechten Unterarm der Klägerin erstmals zwei Tage später am 29.12.1996 gesehen, mithin zu einem Zeitpunkt, der nur bedingt Rückschlüsse auf den Morgen des 27.12.1996 zuläßt. Nach den Angaben beider Zeugen sei der Arm gerötet gewesen. Zwar gehen die Angaben der Zeugen zur Frage, in welchem Bereich der Unteram gerötet war, auseinander. Der Ehemann der Klägerin hat hierzu angegeben, die Oberseite des Armes gesehen zu haben, die gerötet und geschwollen gewesen sei, nach der Aussage der Tochter der Klägerin war die Innenseite des Unterarmes gerötet. Trotz dieser Diskrepanz in den Aussagen hat der Senat keinen Zweifel daran, daß der Unterarm der Klägerin am 29.12.1996 lokal begrenzte Entzündungszeichen aufwies, wenngleich die Schmerzsymptomatik gegenüber neu aufgetretenen Rückenschmerzen in den Hintergrund getreten war. Es ist nach einem Zeitablauf von über 4 Jahren naheliegend, daß sich die Zeugen an Einzelheiten eines Sachverhaltes, der zum damaligen Zeitpunkt nicht von besonderer Bedeutung war, nicht erinnern. Entscheidend ist, dass beide Zeugen sicher sagen konnten, daß der Arm nicht unauffällig war.

Der Senat zweifelt nicht an der Glaubwürdigkeit der Zeugen S und R H . Zwar waren die Aussagen der Zeugen zu den mehrere Jahre zurückliegenden Vorgängen auffallend übereinstimmend, zum Teil sogar fast wortgleich. Dennoch sieht der Senat darin keinen Anhaltspunkt für die Annahme einer abgesprochenen Aussage. Vielmehr liegt nahe, daß die Zeugen und die Klägerin die Vorgänge innerhalb der Familie - auch im Hinblick auf den Verhandlungstermin - immer wieder durchgesprochen haben, was unter Familienmitgliedern ein normales und geradezu zu erwartendes Verhalten darstellt.

Für die Glaubwürdigkeit der Zeitgen S und R H spricht auch die Aussage der Zeugin E Hu . Sie hat angegeben, daß sie generell Einstichstellen, die bei Entfernen der Braunüle völlig reizfrei seien, nur mit einem Pflaster versorge; wenn die Einstichstelle gerötet sei, eine Schwellung, Härtung oder Entzündung vorliege, lege sie einen Vetren-Salbenverband an. Da die Klägerin von der Zeugin Hu als behandelnde Krankenschwester unstreitig einen Vetren-Salbenverband angelegt bekam, steht auch nach den Angaben der Zeugin fest, daß der Arm der Klägerin bei Entfernen der Braunüle in einem Reizzustand war.

b) Der Zustand des rechten Unterarms der Klägerin, wie ihn die Zeugen S und R H geschildert haben, und der weitere Verlauf lassen nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. K im Senatstermin den sicheren Rückschluß zu, daß bei der Klägerin am 27.12.1996 eine oberflächliche lokale Phlebitis ohne besonders ausgeprägten Lokalbefund vorlag.

Anhaltspunkte für eine bakterielle Besiedelung als schwerwiegendere Verlaufsform sind nach den Feststellungen des Sachverständigen weder den Angaben der Zeugen noch den Krankenunterlagen zu entnehmen. Vielmehr schließt der konkrete Verlauf der Phlebitis bei der Klägerin eine schwerere Erscheinungsform aus. Nach den Angaben der Klägerin, ihres Ehemannes und ihrer Tochter sind die Entzündungszeichen und Beschwerden am rechten Unterarm nach wenigen Tagen bis um den Jahreswechsel abgeklungen. Demgegenüber halten nach den Ausführungen des Sachverständigen die Beschwerden bei der schwereren Verlaufsform über eine längere Zeit an. Die Krankenakten der orthopädischen Klinik der Universität T enthalten bezüglich der körperlichen Untersuchung der Klägerin am 02.01.1997 keinen Befund des rechten Armes. Das Röntgenbild der Hände vom 02.01.1997 wird als unauffällig bezeichnet. Ein völliges Abklingen der Symptome bis zum 02.01.1997 hält der Sachverständige bei Vorliegen einer schwereren Verlaufsform für ausgeschlossen. Nach seiner Einschätzung wären bei einer schwereren Verlaufsform sowohl bei der körperlichen Untersuchung als auch beim Röntgen der Hände deutliche Entzündungszeichen aufgefallen und dokumentiert worden. Solche behauptet die Klägerin für diesen Zeitpunkt aber selbst nicht mehr.

c) Die lokale oberflächliche Phlebitis ist nach den Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. K durch das Anlegen eines Salbenverbandes lege artis versorgt worden. Der Salbenverband soll die lokale Reizung beruhigen und zum Abklingen bringen. Diese Wirkung ist bei der Klägerin auch eingetreten.

Ob darüber hinaus erforderlich gewesen wäre, die Klägerin im Abstand von wenigen Tagen zur Kontrolle einzubestellen, was nach den Ausführungen des Sachverständigen bei sehr ausgeprägtem Befund angezeigt wäre, kann dahinstehen. Denn jedenfalls wäre das Unterlassen der Kontrolle ohne Auswirkung geblieben, weil sich die Phlebitis nach der eigenen Schilderung der Klägerin in den folgenden Tagen zurückgebildet hatte und schließlich ganz abgeklungen war.

Weitere Diagnose- und Therapiemaßnahmen wären, wie der Sachverständige im Senatstermin unter Bezugnahme auf sein schriftliches Gutachten erneut dargestellt hat, nur bei besonders schwerem und ausgeprägtem Lokalbefund und bei zusätzlichem Auftreten von Fieber erforderlich gewesen. Wie dargestellt, lag bei der Klägerin ein schwerer Lokalbefund nicht vor. Nach eigenen Angaben war sie fieberfrei; die Temperatur war nur am 27.12.1996 leicht erhöht auf 37,8 °C und somit subfebril.

3. Da es somit an einem Behandlungsfehler als Grundlage für den eingeklagten Anspruch fehlt, kommt es auf die Frage der Ursächlichkeit nicht entscheidend an. Aber auch diese wäre nicht erwiesen.

Nach den Ausführungen des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten könnte nur bei stark ausgeprägten lokalen Symptomen nach Anlage des peripheren Venenverweilkatheters das später aufgetretene Krankheitsbild als Folge einer katheterassoziierten Bakteriämie gewertet werden. Der Sachverständige hat klargestellt, daß die von der Klägerin und den Zeugen S und R H geschilderten Entzündungszeichen, die innerhalb weniger Tage abgeklungen sind, nicht als derartige stark ausgeprägte lokale Symptome anzusehen sind. Die beschriebenen Entzündungszeichen lassen auf eine lokal begrenzte oberflächliche Phlebitis, nicht jedoch auf eine schwerwiegendere Form mit bakterieller Besiedelung schließen, die Ausgangspunkt eines anderen infektiösen Geschehens sein könnte. Als Ursache der Beschwerden der Klägerin kommt nach der Auffassung am ehesten eine Autoimmunopathie im Sinne eines Antiphospholipidsymdroms in Betracht. Für diese Erkrankung sprächen die schon zu Beginn der Infusionsbehandlung erhobenen, aber erst nach deren Abschluß zur Verfügung stehenden Werte, die auffällig positive Autoantikörperwerte im Blut ergaben.

II. Das Landgericht hat in der angefochtenen Entscheidung die Haftung des Beklagten aus Aufklärungspflichtverletzung zutreffend verneint. Der Beklagte hat eine ausreichende Risikoaufklärung bewiesen.

1. Daß die Klägerin über die Risiken eines Venenverweilkatheters aufgeklärt wurde, ist durch die Angaben des Zeugen Dr. P nachgewiesen. Der Zeuge hat vor dem Landgericht ohne Einschränkung bestätigt, daß er die Klägerin am 20.12.1996 über die von ihm handschriftlich in die Krankenakten eingetragenen Risiken bei Belassen des Zugangs aufgeklärt hat. Er konnte sich daran erinnern, daß die Klägerin entgegen seiner Empfehlung, den Zugang täglich neu legen zu lassen, sich für die andere von ihm dargestellte Möglichkeit, das Belassen des Venenkatheters, entschieden hat. Zwar war sich Dr. P bezüglich des Zeitpunkts der schriftlichen Niederlegung und der zeitlichen Reihenfolge der mündlichen Erläuterung und der Niederschrift nicht absolut sicher (zu 90 %), er konnte jedoch mit Sicherheit bekunden, daß er die von ihm eingetragenen Risiken vor Legen des ersten Zugangs am 20.12.1996 mündlich erläutert hatte.

Die Klägerin hat die Aussage des Zeugen insofern bestätigt, daß auch sie einräumt, über die beiden Möglichkeiten des verbleibenden oder täglich neu zu legenden Zugangs von Dr. P vor dem Legen des Venenkatheters informiert worden zu sein. Ihr Vorbringen, Dr. P habe über Risiken überhaupt nichts gesagt, ist nicht geeignet, die Glaubwürdigkeit der in sich widerspruchsfreien Schilderung des Zeugen zur Aufklärung zu erschüttern, zumal sich die Unterschrift der Klägerin in den Krankenakten unter dem Aufklärungsvermerk befindet und kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich ist, daß die Krankenakten manipuliert worden wären oder Dr. P seine Eintragungen entgegen seiner Aussage nachträglich ergänzt hätte.

Auch die Bekundungen der Zeugin S H vor dem Landgericht sind nicht geeignet, Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen Dr. P zu begründen. Unstreitig war die Zeugin H bei dem von Dr. P geführten Aufklärungsgespräch am Vormittag des 20.12.1996 nicht zugegen. Soweit sie Angaben zu der von ihrer Mutter in der Klinik am 20.12.1996 geleisteten Unterschrift macht, ist nicht nachvollziehbar, wie die Zeugin sich nach Ablauf von mehreren Jahren derart detailliert an einen Sachverhalt erinnern sollte, der aus damaliger Sicht ohne besondere Bedeutung war. Auf die zutreffenden und überzeugenden Ausführungen der angefochtenen Entscheidung unter II. 1. a) wird vollumfänglich Bezug genommen.

2. Die von Dr. P geschilderte Aufklärung war inhaltlich ausreichend und geeignet, der Klägerin eine zutreffende Vorstellung über das Risikospektrum der bevorstehenden Infusionsbehandlung mittels eines Venenverweilkatheters zu vermitteln. Die Klägerin wurde zutreffend über die in den Krankenakten eingetragenen Komplikationsmöglichkeiten, nämlich Infektion, Blutung, Wundheilstörung, Abszeß und Sepsis unterrichtet.

3. Auch in zeitlicher Hinsicht ist die Aufklärung nicht zu beanstanden. Nach gefestigter Rechtsprechung ist bei ambulanten Eingriffen eine Aufklärung am Tage des Eingriffs ausreichend (zuletzt BGH NJW 2000, 1784, 1787 m. w. N.). Nach den Angaben des Zeugen Dr. P steht fest, daß die Klägerin jedenfalls mündlich über die relevanten Risiken vor Legen des ersten Zuganges am 20.12.1996 informiert war. Die Klägerin hatte im Verlaufe der Infusionstherapie im übrigen täglich die Möglichkeit, sich gegen den Venenverweilkatheter und für einen täglich neu zu legenden Zugang zu entscheiden. Daß sie dies nicht getan hat, zeigt, daß ihre Entscheidung nicht von zeitlichem Druck beeinflußt war.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.



Ende der Entscheidung

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