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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 17.04.2001
Aktenzeichen: 14 U 74/00
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 1
BGB § 847
BGB § 852 Abs. 1
BGB § 284
BGB a. F. § 288
ZPO § 92 Abs. 1
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
ZPO § 713
1. Der Zahnart, der eine ältere, inzwischen weniger gebräuchliche und risikobehaftetere Methode anwenden will - hier 1994 ein subperiostales statt eines enossalen Implantats - muss über die Behandlungsalternative aufklären.

2. Die Aufklärung ist fehlerhaft, wenn die Risiken unzutreffend geschildert werden.

3. Der Zahnarzt kann seinen Honoraranspruch wegen des Aufklärungsmangels verlieren, wenn sich die gewählte Art der Versorgung als unbrauchbar erweist.


Oberlandesgericht Stuttgart - 14. Zivilsenat - Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 14 U 74/00

In Sachen

Verkündet am: 17.04.2001

wegen Arzthaftung

hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 13. März 2001 unter Mitwirkung

der Vors. Richterin am OLG des Richters am OLG des Richters am OLG

für Recht erkannt:

Tenor:

I.

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Rottweil vom 03.08.2000 (2 O 141/99) abgeändert:

1. Der Beklagte Ziff. 1 wird verurteilt, an die Klägerin 29.956,61 DM zzgl. 4 % Zinsen daraus seit 09. April 1999 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte Ziff. 1 verpflichtet ist, der Klägerin allen weiteren zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden aus der Oberkieferimplantatbehandlung von April 1994 bis Januar 1996 zu ersetzen, den materiellen Schaden jedoch nur, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

III.

Es tragen

1. in erster Instanz von den Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten der Klägerin diese 2/3, der Beklagte Ziff. 1 1/3, von den außergerichtlichen Kosten des Beklagten Ziff. 1 dieser 2/3, die Klägerin 1/3 und die Klägerin im Übrigen die außergerichtlichen Kosten der Beklagten Ziff. 2;

2. in zweiter Instanz die Klägerin 32 % und der Beklagte Ziff. 1 68 % der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Klägerin und des Beklagten Ziff. 1.

IV.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschwer für die Klägerin: 15.000,00 DM für den Beklagten Ziff. 1: 32.156,61 DM

Streitwert: 47.156,61 DM

Tatbestand:

Die Klägerin befand sich von 1990 bis 1996 in der zahnärztlichen Behandlung der Beklagten. Der Beklagte Ziff. 1 stellte 1990 einen horizontalen Knochenabbau im Oberkieferbereich und damit einhergehend eine fortgeschrittene Parodontitis mit Zahnlockerung fest. 1993 begann er nach einer Parodontalbehandlung mit einer Implantatbehandlung. Die Klägerin unterzeichnete ein schriftliches Aufklärungsformular zur Zahnimplantation, in dem es u. a. heißt "Über alternative Behandlungsmöglichkeiten ohne Implantate wurde ich informiert". Sie erhielt zunächst ein enossales Implantat im Unterkieferbereich und dann 1994 im vollkommen zahnlosen Oberkiefer ein subperiostales Implantat. Im Februar 1995 wurde der Zahnersatz endgültig eingegliedert. Die Klägerin litt danach an schmerzhaften Infektionen im Oberkiefer und suchte deshalb mehrfach den Beklagten Ziff. 1 auf. Die Rechnung über 14156,61 DM für das Oberkieferimplantat bezahlte die Klägerin. 1997 rieten der Praxisnachfolger des Beklagten Ziff. 1 und ein zugezogener Gutachter zur Entfernung der Implantate, die im April 1997 erfolgte. 1999 wurden sechs enossale Implantate eingebracht, von denen fünf Monate später eines nach einer Infektion wieder entfernt werden musste. Die Klägerin verlangte Rückzahlung der gezahlten 14156,61 DM Honorar und ein Schmerzensgeld von 30000,00 DM mit der Behauptung, der Beklagte Ziff. 1 habe ihr den Kieferaufbau mit anschließender enossaler Implantation nicht als ernsthafte Behandlungsalternative dargelegt und beim Auftreten von Probleme nicht adäquat reagiert, sondern sie bis August 1996 mit ihren Schmerzen allein gelassen. Der Beklagte behauptet, er habe die Klägerin über beide Alternativen ausreichend aufgeklärt, die Klägerin habe sich aus Kostengründen und wegen des wesentliche geringeren Zeitaufwandes für das subperiostale Implantat entschieden. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache teilweise Erfolg.

Der Beklagte Ziff. 1 schuldet der Klägerin aus der Behandlung deren Oberkiefers in der Zeit von April 1994 bis Januar 1996 gemäß §§ 823 Abs. 1 und 847 BGB Schmerzensgeld in Höhe von 15.000,00 DM und - zusätzlich wegen der Grundsätze über die Folgen einer positiven Forderungsverletzung - Rückzahlung des Honorars in Höhe von 14.156,61 DM, weil der Beklagte Ziff. 1 die Klägerin fehlerhaft über die Nachteile des gewählten subperiostalen Implantats im Vergleich zu der Methode des enossalen Implantates als echter Behandlungsalternative aufklärte und zudem die Klägerin fehlerhaft in der Zeit nach Einsetzung des subperiostalen Implantats behandelte.

Aus diesem Grunde ist auch der zulässig gestellte Feststellungsantrag begründet.

I.

Wegen unzureichender Aufklärung der Klägerin über die als echte Behandlungsalternative zur Wahl gestandenen Methode des enossalen Implantats handelte der Beklagte Ziff. 1, indem er ab April 1994, konkret ab Dezember 1994, mit der Eingliederung des subperiostalen Implantats im Oberkiefer der Klägerin begann, rechtswidrig.

1.

Zwar ist die Wahl der Behandlungsmethode primär Sache des Arztes, so dass er dem Patienten normalerweise nicht ungefragt erläutern muss, welche Behandlungsmethoden theoretisch in Betracht kommen und was für die eine und gegen die andere spricht, solange er eine Therapie anwendet, die dem medizinischen Standard genügt. Eine Aufklärung ist jedoch dann erforderlich, wenn Behandlungsalternativen zu jeweils wesentlich unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder wesentlich unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten (vgl. BGHZ 116, 379, 385: BGHZ 102, 17, 22 ff).

2.

Im vorliegenden Fall bestand nach Ansicht des Senats aufgrund folgender Gesichtspunkte eine Pflicht zur Aufklärung der Klägerin über die anstehenden Behandlungsalternativen:

a)

Der Beklagte Ziff. 1 sah sich selbst in der Pflicht, über Behandlungsalternativen aufzuklären. Dies belegen seine wiederholten Ausführungen im Rechtsstreit (vgl. so schon Schriftsatz vom 05.05.1999, S. 7 ff., Bl. 47 ff. d. A.), das von ihm selbst verfasste "Attest" vom 14.11.1993 (Anl. K 2, Bl. 19 d. A.) und auch die Heil- und Kostenpläne für Unter- und Oberkiefer vom 13.02.1993, die sowohl die subperiostale Implantat- als auch die "Sinuslift"-Lösung betrafen.

b)

Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. S. hat die beiden zu bedenkenden Alternativen (subperiostales und enossales Implantat nach "Sinus-Lift") in seinem schriftlichen Gutachten vom 11.01.2000 (S. 22) gegenübergestellt und die Forderung aufgestellt, Vor- und Nachteile beider Methoden müssten dem jeweiligen Patienten unterbreitet werden, was insbesondere deshalb gelte, weil das subperiostale Implantat nur selten angewandt und besonderen Indikationen vorbehalten sei, während demgegenüber bei der Klägerin der fortgeschrittene Knochenabbau zu berücksichtigen war, der vor einem enossalen Implantat zunächst einen sog. "Sinuslift" erfordert hätte. Letztere Methode hat der Sachverständige schon in seinem schriftlichen Gutachten (GA S. 22 und GA S. 28) als sog. "Golden Standard" bezeichnet, und zwar gerade auch bei einer Situation, wie sie bei der Klägerin anzutreffen war.

Der Beklagte Ziff. 1 hat zwar im zweiten Rechtszug zur Begründung seiner Berufung entscheidend darauf abgehoben, dass im Jahr 1993/1994 die vom Sachverständigen favorisierte Methode noch in den "Kinderschuhen" gesteckt habe. Gleichwohl hatte der Beklagte Ziff. 1 selbst schon im Jahr 1993 ausweislich des von ihm verfassten Heil- und Kostenplanes den sog. "Sinuslift" als Alternative ins Auge gefasst.

Im Rahmen der Erstattung des ergänzenden mündlichen Gutachtens vor dem Senat hat Prof. Dr. S. darauf abgehoben, dass schon in einem im Jahr 1994 erschienen Standardlehrbuch von R wie auch in anderen Lehrbüchern das subperiostale Implantat nicht mehr empfohlen wurde und sich in den Jahren 1993/1994 die Entwicklungslinien des subperiostalen Implantats und des enossalen Implantats in dem Sinne bereits schnitten, dass die Empfehlung zu einem subperiostalen Implantat im gleichen Maße abnahm, wie diejenige des enossalen Implantat zunahm. Unter Berücksichtigung des Alters des jeweiligen Patienten, des Zeitfaktors (12- bis 14-monatige Behandlungsdauer im Fall des enossalen Implantats und vorausgehender "Sinuslift"-Operation) sowie der beim enossalen Implantat deutlich höheren Kosten sei schon im Jahre 1994 der sog. "Sinus-Lift" mit nachfolgendem enossalen Implantat der "Golden Standard" gewesen, es sei denn, eine besondere Situation hätte das subperiostale Implantat nahegelegt. Notwendigerweise habe deshalb im Rahmen eines Aufklärungsgespräches darauf hingewiesen werden müssen, dass bei einem subperiostalen Implantat das Risiko einer chronischen Entzündung bestehe, dass die Misserfolgsquote beim subperiostalen Implantat so hoch wie bei keinem enossalen Implantat sei und dass im Falle einer Entzündung das gesamte subperiostale Implantat entfernt werden müsse, während das bei einem enossalen Implantat jeweils nur für das einzelne, vom Entzündungsprozess betroffene Implantatteil gelte. Prof. Dr. S. hat deshalb nachvollziehbar und überzeugend die Auffassung vertreten, dass auch schon im Jahre 1994 eher eine ablehnende Aufklärung gegen das subperiostale Implantat angezeigt gewesen wäre.

Schon in seinem schriftlichen Gutachten vom 11.01.2000 und bei dessen Erläuterung im Termin vor dem Landgericht am 03.07.2000 hatte Prof. Dr. S. die gravierenden Nachteile der subperiostalen Implantatslösung beschrieben, als da sind:

- zwei operative Eingriffe mit aufwändigem Verfahren

- Misserfolgsrate verhältnismäßig hoch

- Misserfolg bedeutet nicht selten erheblichen Verlust von Knochensubstanz,

- gutartige Verläufe bei subperiostalem Implantat von über 20 Jahren mal möglich (!),

- bei Auftreten einer Infektion Notwendigkeit der Herausnahme des gesamten Implantates im Gegensatz zur Notwendigkeit zur Herausnahme nur eines Implantatstiftes bei Infektion eines enossalen Implantates.

c)

Diesen Anforderungen ist der Beklagte Ziff. 1 schon nach seinem eigenen schriftsätzlichen und mündlichen Vortrag nicht gerecht geworden, so dass es einer Beweisaufnahme über den Hergang und Inhalt der der Klägerin zu Teil gewordenen Aufklärung nicht bedurfte.

aa)

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat hatte der Beklagte Ziff. 1 ausreichend Gelegenheit darzustellen, in weicher Weise er die Klägerin über die anstehenden Behandlungsalternativen aufgeklärt hat. Im Hinblick auf die Möglichkeit enossaler Implantate will er darauf hingewiesen haben, dass er hierfür wegen der Kieferknochenatrophie Knochenmaterial benötigt hätte, was einen Sinuslift erforderlich gemacht hätte. Daneben will er auf das subperiostale Implantat als andere Möglichkeit aufmerksam gemacht haben, das nach seiner Darstellung ein zwar einfaches, hingegen weniger riskantes Verfahren sei, weil "nicht so invasiv". Das andere (damit meinte der Beklagte Ziff. 1 ersichtlich das enossale Implantatsverfahren) habe er der Klägerin als "nicht so häufig angewendet" bezeichnet. Im Fall der Klägerin will er dieser auch erklärt haben, dass der Knochenaufbau damals noch "in den Kinderschuhen" gesteckt habe und 1993/1994 "noch nicht das gängigste Verfahren" gewesen sei. Auf die nochmalige Nachfrage, welche Risiken er der Klägerin im Hinblick auf das subperiostale Implantat mitgeteilt habe, will er der Klägerin das "Sinus-Lift"-Verfahren als seines Erachtens "riskanter" bezeichnet haben. Zu dieser Risikoeinschätzung sei er veranlasst gewesen, weil er damals vom Auftreten eines Kieferverlustes nach enossalem Implantat anderweit Kenntnis erlangt habe.

bb)

Diesen mündlichen Ausführungen entspricht auch in wesentlichen Zügen das, was der Beklagte Ziff. 1 schriftsätzlich hatte ausführen lassen:

(1)

Danach habe er der Klägerin neben dem subperiostalen Implantat auch andere Lösungsalternativen vorgeschlagen; ihr sei vielfach deutlich gemacht worden, dass jedwede Lösung in ihrem Fall große Risiken berge (Bl. 45 d. A.). Er habe der Klägerin die Methode der subperiostalen Implantation so geschildert, wie sie einzuschätzen ist, nämlich als eine der unsicheren Methoden der Implantologie, jedoch schnell und bei relativ geringen Kosten zum Ziel führend, wobei insbesondere erörtert worden sei, dass ein subperiostales Implantat eine schlechtere Prognose aufweise als enossale Implantate nach einem Kieferaufbau und dass in der Literatur Fälle bekannt seien, wonach derartige Implantate über 20 Jahre halten, weshalb sich die Klägerin gegen den deutlich aufwändigeren, teureren und in medizinischer wie finanzieller Hinsicht riskanteren Kieferaufbau mit späterer Implantation entschieden habe (vgl. Bl. 48 d. A.).

(2)

Im weiteren hat er vortragen lassen, die Klägerin habe die Alternative des enossalen Implantats nach vorhergegangenem Kieferknochenaufbau wegen des damit einhergehenden ebenfalls erheblichen Behandlungsrisikos, aber insbesondere mit Blick auf die finanziellen Kosten abgelehnt (Bl. 51 d. A.). Dies lässt darauf schließen, dass der Beklagte Ziff. 1 den (für die Klägerin fraglos wichtigen) Gesichtspunkt der finanziellen Belastung bei Wahl eines enossalen Implantats in den Vordergrund gerückt hat, die deutlich höhere Misserfolgsrate beim subperiostalen Implantat aber nicht ausreichend deutlich zum Ausdruck gebracht hat.

(3)

Weiter hat der Beklagte Ziff. 1 ausführen lassen, er habe die Klägerin im Rahmen der Beratungsgespräche darauf hingewiesen, dass die gewählte Implantatsbehandlung als Versuch eingestuft werden muss, in einem therapeutischen und finanziell überschaubaren Rahmen bei einem sehr weit fortgeschrittenen Krankheitsbild eine für die Klägerin akzeptable Lösung zu finden (vgl. Bl. 52 d. A.). Auch hier findet sich kein Wort zu der deutlich höheren Misserfolgsrate und insbesondere zu den daraus folgenden Konsequenzen, dass nämlich, wie später tatsächlich geschehen, nach Misserfolg des subperiostalen Implantats letztlich doch das enossale Implantat unausweichlich ist.

(4)

Schließlich wiederholt der Beklagte Ziff. 1 (vgl. Bl. 54 d. A.), dass lediglich die Wahl zwischen zwei risikobehafteten Therapiemöglichkeiten blieb, von denen die eine - die aus den vorgenannten Gründen nicht gewählt wurde - noch wesentlich aufwändiger und risikobehafteter, medizinisch und finanziell, war und ist und infolgedessen der andere Weg (subperiostales Implantat) eingeschlagen worden war. Auch daraus wird deutlich, dass der Beklagte Ziff. 1 den Weg des enossalen Implantats nach vorherigem Knochenaufbau als medizinisch risikobehafteter (!) angesehen hat und dementsprechend auch aufgeklärt hat.

Dies ist nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. S. nicht richtig gewesen.

d)

Das von der Klägerin am 01.03.1993 unterzeichnete, mit "Einwilligung zu einer Zahnimplantation" überschriebene Formblatt erläutert die mit der Zahnimplantation verbundenen Risiken nur oberflächlich. Vor- und Nachteile der einen oder anderen Lösung sind genausowenig beschrieben wie in dem Faltblatt, das sich in den Krankenunterlagen des Beklagten Ziff. 1 findet. In letzterem wird nur darauf hingewiesen, dass bei subperiostalen Implantaten entlang der Implantatstrebe Entzündungen auftreten können, die eine Entfernung des Implantats notwendig machen können, wodurch die Lebensdauer des Implantats sich verkürzen kann.

Die erteilte Einwilligung der Klägerin in die Versorgung mit einem subperiostalen Implantat ist daher mangels zutreffender Aufklärung über Behandlungsalternativen unwirksam. Infolge der dadurch gegebenen rechtswidrigen Behandlung seitens des Beklagten Ziff. 1 hat dieser vertraglich wie auch deliktisch für alle Folgen aus dieser Behandlung einzustehen.

II.

Der Beklagte Ziff. 1 hat die Klägerin darüber hinaus nach Eingliederung des subperiostalen Implantats ab Dezember 1994 fehlerhaft behandelt, nachdem bei der Klägerin Beschwerden im Oberkieferbereich auftraten. Der Beklagte Ziff. 1 hat der Klägerin nicht rechtzeitig zur Herausnahme des subperiostalen Implantats wegen des eingetretenen entzündlichen Prozesses geraten.

1.

Schon unter dem Datum vom 27.03.1995 ist in den Krankenunterlagen des Beklagten Ziff. 1 eine Schwellung im Oberkieferfrontbereich vermerkt, die mit Sobelin (Antibiotikum) und lokal desinfizierenden Maßnahmen behandelt worden ist.

Am 02.05.1995 ist wiederum Eiter festgestellt und nochmals Sobelin rezeptiert worden.

Am 12.06.1995 hat die Klägerin über eine Schwellung berichtet, die allerdings am Untersuchungstag nicht mehr zu erkennen war.

Im Januar 1996 wurde neuerlich Sobelin und Chlorhexamed verordnet.

Prof. Dr. S. hat in diesem Zusammenhang ausgeführt (GA S. 26), dass all diese Maßnahmen nur im Sinne eines "hinhaltenden Kampfes" angesehen werden können, da eine einmal eingetretene bakterielle Infektion - wie im vorliegenden Fall - bei einem subperiostalen Implantat weder durch lokale Maßnahmen noch durch einen chirurgischen Zweiteingriff beherrscht werden kann, weshalb die Entfernung des Fremdmaterials die einzige sichere Methode sei, den Entzündungsprozess zur Ausheilung zu bringen. Die Behandlung mit Sobelin, Chorhexamed und desinfizierenden Streifeneinlagen bezeichnete Prof. Dr. S. nur als sog. "symptomatische Therapie", während die Ursache der Entzündung bestehen bleibe und Reinfektionen die Regel seien. Zwar sei bei Entzündungserscheinungen die Entfernung des Implantats natürlich nicht der 1. oder auch nur der 2. Schritt; eine Empfehlung zur Herausnahme des Implantats hätte aber seitens des Beklagten Ziff. 1 spätestens Mitte/Ende 1995 erfolgen müssen.

Diesen auf den ersten Blick nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen steht der Beklagte Ziff. 1 auch heute noch ablehnend gegenüber, vertritt er doch in der Berufungserwiderung noch immer die Auffassung, er habe selbst im Januar 1996 noch keine Indikation für eine Entfernung des Implantats sehen müssen.

2.

Das damit festzustellende Versäumnis des Beklagten Ziff. 1 ist auch Ursache für die zusätzlichen Schmerzen der Klägerin geworden. Der Senat vermag der Argumentation des Landgerichts im angefochtenen Urteil, es könne nicht festgestellt werden, dass die Klägerin auf entsprechenden Rat des Beklagten Ziff. 1 sofort gehandelt und sich damit weitere Beeinträchtigungen erspart hätte, nicht zu folgen.

a)

Im Hinblick auf das Beweisband zwischen Unterlassung und Entschluss der Klägerin gilt zu Gunsten der Klägerin die Vermutung, dass sie sich aufklärungsrichtig verhalten hätte. Dies hat zur Folge, dass der Beklagte Ziff. 1 hätte dartun müssen, dass sich die Klägerin einem rechtzeitig erteilten Rat zur Herausnahme des subperiostalen Implantats widersetzt hätte. Dies ist nicht geschehen.

b)

Die vom Landgericht aus dem Verhalten der Klägerin im Jahr 1996 gezogenen Schlussfolgerungen hält der Senat nicht für stichhaltig. Dass die Klägerin nach dem Rat von Dr. S. im August 1996 nicht sofort aktiv geworden ist, ist deshalb nachvollziehbar, weil dieser Rat nicht von dem Arzt kam, demgegenüber sie lange Zeit Vertrauen hatte, sondern von dessen Praxisnachfolger, den sie bis dahin nicht kannte. Einsichtig ist daher, dass die Klägerin zunächst einmal weitere Erkundigungen einholen wollte. Dass sie sich nicht sogleich zur Entfernung des subperiostalen Implantats entschließen konnte, ist auch vor dem Hintergrund der von der Klägerin damals befürchteten finanziellen Probleme im Zusammenhang mit der dann anstehenden enossalen Implantatslösung erklärbar. Immerhin begab sie sich im November 1996 zu Dr. K. der ihr als Sachverständiger von der Bezirkszahnärztekammer benannt worden war. Anfang 1997 wandte sie sich an die Uniklinik wo schließlich am 03.04.1997 das subperiostale Implantat entfernt wurde. Eine in solch großem Maß zögerliche Reaktion der Klägerin, die darauf schließen lassen könnte, sie hätte sich einem rechtzeitig erteilten Rat ihres Arztes des Vertrauens, nämlich des Beklagten Ziff. 1, widersetzt, kann demnach nicht festgestellt werden.

3.

Ist demnach von der Vermutung auszugehen, die Klägerin hätte sich aufklärungsrichtig verhalten, kann auch angenommen werden, dass sich die Leidenszeit der Klägerin deutlich verkürzt hätte. Unterstellt werden kann auch aufgrund der eigenen Ausführungen des Beklagten Ziff. 1, dass dieser einen erteilten Rat zur Herausnahme des Implantats auch selbst alsbald hätte in die Tat umsetzen können.

III.

Nicht erfolgreich ist der weitere von der Klägerin erhobene Vorwurf, der Beklagte Ziff. 1 habe sie unzureichend über die Risiken des Rauchens im Zusammenhang mit der Implantatbehandlung aufgeklärt.

Ein etwaiger Behandlungsfehler aus dem Problemkreis der sog. therapeutischen Sicherungsaufklärung ist jedenfalls nicht kausal für die unglückliche Entwicklung des Gesundheitszustandes der Klägerin geworden, da schon aufgrund des schriftlichen Gutachtens vom 11.01.2000 (GA S. 26) nicht von irgendwelchen statistisch gesicherten Angaben über den Wert des Risikos "Rauchen" ausgegangen werden kann.

IV.

Die vom Beklagten Ziff. 1 schon in erster Instanz erhobene Verjährungseinrede greift nicht durch.

1.

Die materiellen Schadensersatzansprüche der Klägerin verjähren, da sie auch aufgrund der Grundsätze über die Folgen einer positiven Forderungsverletzung gerechtfertigt sind, erst nach 30 Jahren (vgl. § 195 BGB).

2.

Aber auch, soweit die Ansprüche der Klägerin darüber hinaus deliktsrechtlich begründet sind (insbesondere der Anspruch auf Schmerzensgeld), ist Verjährung bei Zustellung der Klage am 09.04.1999 noch nicht eingetreten gewesen.

Für die für den Beginn der Verjährungsfrist gemäß § 852 Abs. 1 BGB maßgebliche Kenntnis der Klägerin vom Schadenseintritt ist auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem sie von dem Abweichen vom ärztlichen Standard erfuhr (vgl. u. a. BGH NJW 1995, 776, 777). Dies war hier sicher nicht vor August 1996 der Fall, da die Klägerin bis zur Beendigung der Behandlung durch den Beklagten Ziff. 1 wegen des Umzuges nach Berlin im Januar 1996 in dessen Wirken noch volles Vertrauen gesetzt hatte und erst durch die Erkenntnisse seitens des Praxisnachfolgers im August 1996 davon erfahren haben kann, dass der Beklagte Ziff. 1 nicht ordnungsgemäß behandelt hatte.

V.

Im Hinblick auf das der Klägerin zustehende Schmerzensgeld hat der Senat zu berücksichtigen, dass die Implantatbehandlung des Oberkiefers der Klägerin von Anfang an rechtswidrig war, dass der Beklagte Ziff. 1 die Leidenszeit der Klägerin durch die fehlerhaft unterlassene Herausnahme des nicht mehr zu rettenden subperiostalen Implantats unnötig jedenfalls in der Zeit von Mitte/Ende 1995 bis April 1997 verlängerte. Mit zu berücksichtigen ist auch, was die Klägerin nach Auftreten der Beschwerden im Oberkieferbereich an Schmerzen und Beeinträchtigungen hinzunehmen hatte, insbesondere das wiederholte Auftreten von Eiter und die damit notwendig gewordene Einnahme von Antibiotika.

Den im Termin vom 14.06.1999 vor dem Landgericht Rottweil protokollierten Angaben der Tochter der Klägerin, die der Beklagte Ziff. 1 in der Folge nicht in Zweifel gezogen hat, ist zu entnehmen, dass sich ihre Mutter nach der Eingliederung des subperiostalen Implantats zunächst nur von Suppe und Brei ernähren konnte und sie dauernd Schwellungen im ganzen Gesicht hatte. U. a. sei es auf dem linken Jochbein zu einer Blasenbildung gekommen. Die linke Gesichtshälfte sei geschwollen gewesen. An den Haltepunkten des subperiostalen Implantats sei der Eiter richtiggehend "runtergelaufen". Das Zahnfleisch um die Haltepfosten habe sich deutlich zurückgebildet. Durch den aufgetretenen Eiter seien die Schwellungen noch verstärkt worden. Man habe ihrer Mutter ansehen können, dass es ihr nicht gut gehe. Im Zusammenhang mit familiären Problemen sei die Mutter durch die Zahnbehandlung "öfters am Rande" gewesen.

Auch unter Berücksichtigung des entfernt vergleichbaren Falles, der der Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln vom 25.02.1998 (NJW-RR 99, 388, 390) zu Grunde lag, hält der Senat unter Abwägung aller Gesichtspunkte ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.000,00 DM für angemessen.

VI.

Da sich die Leistung des Beklagten Ziff. 1 als für die Klägerin unbrauchbar (vgl. OLG Köln MedR 1994, 198 ff) herausstellte, hat sie auch Anspruch auf Rückzahlung des Honorars in Höhe von 14.156,61 DM. Dass die Leistung des Beklagten Ziff. 1 unbrauchbar war, bedarf nach allem keiner näheren Darlegung mehr.

Es kann dahingestellt bleiben, ob dann, wenn ein vorgenommener ärztlicher Eingriff mangels wirksamer Einwilligung sich als rechtswidrig darstellt, der Eingriff als solcher aber ärztlichem Standard entsprach, die unzureichende Aufklärung nicht zu einem Honorarverlust führt (vgl. OLG Köln, RR 99, 674 f.; OLG München VersR 1996, 233).

Der vom Senat zu entscheidende Sachverhalt unterscheidet sich von denjenigen der Entscheidungen des OLG Köln und des OLG München jedenfalls darin, dass dort die Auswirkungen einer unterlassenen Risikoaufklärung auf das ärztliche Honorar, hier aber eine unterlassene Aufklärung über Behandlungsalternativen zu beurteilen ist. Jedenfalls dann, wenn sich die (nach fehlerhafter Aufklärung der Klägerin) gewählte Art der Behandlung als später unbrauchbar erwiesen hat, wie geschehen, besteht kein Anspruch auf Honorar, so dass das tatsächlich gezahlte Honorar wieder an die Klägerin zurückzubezahlen ist.

VII.

Der Zinsanspruch rechtfertigt sich aus den §§ 284, 288 BGB (a. F.).

VIII.

Der Feststellungsantrag ist, ohne dass dies zu weiteren Ausführungen nötigt, zulässig und begründet.

IX.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711,713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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