Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 20.09.2005
Aktenzeichen: 16 UF 175/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1587 a Abs. 3
BGB § 1587 a Abs. 4
Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung bei der Daimler Chrysler Unterstützungskasse GmbH sind im Leistungsstadium volldynamisch.
Oberlandesgericht Stuttgart - 16. Zivilsenat - Familiensenat - Beschluss

vom 20. September 2005

Geschäftsnummer: 16 UF 175/05

in der Familiensache

wegen Versorgungsausgleichsbeschwerde

hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung

des Vors. Richters am Oberlandesgericht Amelung, des Richters am Oberlandesgericht Kodal, der Richterin am Oberlandesgericht Hütter,

ohne mündliche Verhandlung

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Böblingen vom 22.06.2005 in seiner Ziffer 2, 2. Absatz, dahin

abgeändert,

dass sich der durch erweitertes Splitting auszugleichende Teilbetrag von 6,84 € auf 12,21 € erhöht.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

3. Beschwerdewert: 2.000 €.

Gründe:

Die gemäß §§ 629 a Abs. 2, 621 e Abs. 1 und 3 ZPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und begründete und somit zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Regelung des Versorgungsausgleichs im Urteil des Familiengerichts führt in der Sache zu deren Abänderung in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang.

I.

Das Familiengericht hat die am 12.11.1991 geschlossene Ehe der Parteien auf den im Januar 2005 zugestellten Scheidungsantrag der Ehefrau geschieden (insoweit ist das Urteil nicht angefochten) und hierbei den Versorgungsausgleich dahin geregelt, dass zu Gunsten der Ehefrau in Höhe von monatlich 158,77 € das Splitting (§ 1587 b Abs. 1 BGB) und in Höhe weiterer 6,84 € das erweiterte Splitting gemäß § 3 b Abs. 1 Nr. 1 VAHRG stattfindet. Eingeleitet wurde das Verfahren durch einen am 14.12.2004 zugestellten, später zurückgenommenen Scheidungsantrag des Ehemannes.

Gegen die ihr am 28.06.2005 zugestellte Entscheidung hat die Ehefrau mit am 04.07.2005 beim Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz Beschwerde eingelegt und sie sogleich begründet. Sie rügt eine unrichtige Dynamisierung des für den Ehemann bestehenden Anrechts auf betriebliche Altersversorgung bei der Daimler Chrysler Unterstützungskasse GmbH und beantragt, den Teilausgleich nach § 3 b VAHRG in Höhe von 12,21 € (letzter Antrag) durchzuführen. Die übrigen Beteiligten haben sich nicht geäußert.

II.

Die Beschwerde ist begründet. Nach den insoweit nicht angefochtenen Feststellungen des Familiengerichts haben die Parteien in der Ehezeit vom 01.11.1991 bis zum 30.11.2004 (§ 1587 Abs. 2 BGB; entscheidend ist die Zustellung desjenigen Scheidungsantrags, der das Verfahren zuerst in Gang gebracht hat, vgl. BGH, FamRZ 1982, 153) ausgleichspflichtige Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 504,66 € (Ehemann) bzw. 187,13 € (Ehefrau) erworben. Der Ehemann verfügt überdies über eine unverfallbare Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung bei der Daimler Chrysler Unterstützungskasse GmbH. Sie richtet sich auf Leistungen für den Fall des Alters und der Invalidität. Die regelmäßige Altersgrenze für die Anwartschaft des Ehemannes, der dem Betrieb seit 05.11.1990 angehört, ist die Vollendung des 65. Lebensjahrs. Die Ehefrau hat eine Anwartschaft auf Betriebsrente bei der Unterstützungskasse der Fa. J. B. GmbH & Co. KG, bei der sie seit 01.11.1999 beschäftigt ist. Das Familiengericht hat beide Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung als unverfallbar und im Anwartschafts- wie im Leistungsstadium als statisch angesehen. Die Ehefrau hält hingegen die Anwartschaft des Ehemannes gegenüber der Daimler Chrysler Unterstützungskasse GmbH im Leistungsstadium für dynamisch und verweist hierzu auf eine Entscheidung des OLG Stuttgart, 18. Zivilsenat, vom 14.09.2004, 18 UF 62/2004.

Die Rüge hat Erfolg. Nach den vom 18. Zivilsenat getroffenen Feststellungen werden die von der Daimler Chrysler Unterstützungskasse GmbH bezahlten Renten gemäß § 16 BetrAVG zwar nur alle drei Jahre, dies aber regelmäßig und in einem Umfang erhöht, der den Betriebsrentnern eine regelmäßige Rentensteigerung zukommen lässt, die mit der Dynamik der gesetzlichen Rentenversicherung und der Beamtenversorgung zumindest annähernd Schritt hält, und zwar selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Anpassung bei den Betriebsrenten in zwei von drei Jahren unterbleibt. Die letzten Anpassungen erfolgten 1994 um 6,45 %, 1997 um 4,70 %, 2000 um 3,61 % und 2003 um 4,35 %. Um den wirklichen Wert der Rentenleistungen zu ermitteln, genügt es nicht, das Endergebnis zu vergleichen, weil dies kaschieren würde, dass der Betriebsrentner in zwei von drei Jahren "auf der Stelle tritt"; vielmehr scheint es dem Senat geboten, auch zu überprüfen, welche Rentenleistungen dem Pensionär in guten wie in schlechten Jahren insgesamt tatsächlich zugeflossen wären, und die Endsummen zu vergleichen.

Verglichen mit den Rentensteigerungen in der gesetzlichen Rentenversicherung und der Beamtenversorgung ergibt sich für den 12-Jahres-Zeitraum von 1993 bis 2004 (je einschließlich) folgendes Bild, wobei unterstellt wird, dass der Rentenzahlbetrag vor der ersten Anpassung 1993 100 € monatlich betragen soll: Betriebsrente Daimler

 Betriebsrente Daimler   
 Steigerung in % Jahresbetrag
Ausgangswert: 100,00 
    
1989 100,00 
1990 100,00 
1991 100,00 
19920,000100,00 
19930,000100,001200,00
19946,450106,451277,40
19950,000106,451277,40
19960,000106,451277,40
19974,700111,451337,40
19980,000111,451337,40
19990,000111,451337,40
20003,610115,471385,64
20010,000115,471385,64
20020,000115,471385,64
20034,350120,491445,88
20040,000120,491445,88
    
Summe  16093,08

 gesetzliche Rentenversicherung   
 Anpassung in % Jahresbetrag
Ausgangswert: 100,00 
    
Jahr   
19893,00103,00 
19903,10106,19 
19914,70111,18 
19922,88100,00 
19934,36104,361.252,32
19943,39107,901.294,80
19950,50108,441.301,28
19960,95109,471.313,64
19971,65111,281.335,36
19980,44111,771.341,24
19991,34113,271.359,24
20000,60113,951.367,40
20011,91116,131.393,56
20022,16118,641.423,68
20031,04119,871.438,44
20040,00119,871.438,44
    
Summe  16.259,40

 Beamtenversorgung   
 Anpassung in %  
Ausgangswert: 100,00 
    
Jahr   
19891,30101,30 
19901,60102,92 
19915,80108,89 
19925,30100,00 
19932,90102,901.234,80
19941,90104,861.258,32
19953,10108,111.297,32
19960,00108,111.297,32
19971,30109,521.314,24
19981,50111,161.333,92
19992,80114,271.371,24
20000,00114,271.371,24
20011,70116,211.394,52
20022,10118,651.423,80
20031,74120,711.448,52
20041,25122,221.466,64
    
Summe  16.211,88

Die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung hätte sich in 12 Jahren von 100,00 € auf 119,87 € monatlich, die Beamtenpension auf 122,22 €, die Betriebsrente auf 120,49 € erhöht. Die Summe der in 12 Jahren ausbezahlten Renten hätte nur um maximal 166 € differiert, das sind, bezogen auf die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung als Richtwert, rund 1 % des Gesamtzahlbetrages bzw. knapp 9 % der Steigerungsbeträge. Zum Vergleich: Eine progressive Steigerung der Renten um 1 % jährlich, die der BGH mittlerweile als volldynamisch anerkannt hat (Beschluss vom 07.07.2004, FamRZ 2004, 1474), hätte in 12 Jahren zu einer Monatsrente von 112,67 € und zu einem Gesamtzahlbetrag von rund 15.370 € (rund 700 € weniger als die Betriebsrente) geführt. Hiernach ist die Betriebsrente der Daimler Chrysler Unterstützungskasse GmbH in der Tat im Leistungsstadium als volldynamisch anzusehen.

Ihre Umrechnung nach der Barwertverordnung ist hier erforderlich, weil das Leistungsstadium noch nicht erreicht ist, und ist nach §§ 1587a Abs. 3 Nr. 2, Abs. 4 BGB, 2 Abs. 2 Barwertverordnung i.V.m. der Tabelle 1 hierzu, 1 Rentenanpassungsverordnung 2002 sowie unter Verwendung der Umrechnungsfaktoren für den Versorgungsausgleich in der Rentenversicherung gemäß der für das Kalenderjahr des Endes der Ehezeit maßgeblichen Bekanntmachung vorzunehmen.

Der Jahresbetrag der mitgeteilten Anwartschaft beträgt 4.092 €. Der Altersfaktor nach der Tabelle 1 zur Barwertverordnung für den am Ende der Ehezeit 37 Jahre alten Ehemann beträgt 2,5. Durch Multiplikation beider Werte und Erhöhung um 65 % nach § 2 Abs. 2 S. 3 Barwertverordnung (Volldynamik im Leistungsstadium!) errechnet sich ein Barwert von 16.879,50 €.

Die Umrechnung in Entgeltpunkte durch Multiplikation mit dem für 2004 maßgeblichen Umrechnungsfaktor von 0,0001742628 führt zu 2,9415 Entgeltpunkten. Durch Multiplikation mit dem fürs 2. Halbjahr 2004 maßgeblichen aktuellen Rentenwert von 26,13 € ergibt sich eine dynamische Anwartschaft von 76,86 €.

Der Ehemann gehört dem Betrieb seit Anfang November 1990 an und vollendet sein 65. Lebensjahr im Dezember 2031. Bei einem Ausscheiden zu diesem Zeitpunkt wird er insgesamt 494 Monate betriebsangehörig gewesen sein, wovon die Zeit von November 1991 bis November 2004, insgesamt 157 Monate, in die Ehezeit fallen. Der Ehezeitanteil der Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung beläuft sich auf 157 : 494 = 31,78 % von 76,86 €, das sind 24,43 €.

Im Gegensatz zur Auffassung des Familiengerichts ist die Anwartschaft der Ehefrau auf betriebliche Altersversorgung noch nicht unverfallbar, weil die Voraussetzungen der Übergangsregelung des § 30 f BetrAVG, die auf sie Anwendung findet, weil die Versorgungszusage aus der Zeit vor der Änderung des § 1 b Abs. 1 BetrAVG zum 01.01.2001 datiert, noch nicht vorliegen (keine zehnjährige Betriebszugehörigkeit, kein Bestand der Versorgungszusage für fünf Jahre seit 01.01.2001). Die Versorgungsordnung selbst sieht keine günstigeren Voraussetzungen für die Unverfallbarkeit vor als die gesetzliche Regelung. Dies ergibt sich auch aus der Auskunft des Versorgungsträgers und ist von der zuständigen Sachbearbeiterin auf telefonische Nachfrage auch nochmals bestätigt worden. Sie bleibt daher im öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich derzeit nach § 1587 a Abs. 2 Nr. 3 S. 3 BGB außer Betracht.

Der insgesamt ausgleichspflichtige Ehemann hat sowohl innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung als auch im Bereich der nach dem VAHRG auszugleichenden Anrechte die werthöheren erworben. Erstere unterliegen dem Teilausgleich nach § 1587 b Abs. 1 BGB, den das Familiengericht unangefochten und rechnerisch richtig in Höhe der Hälfte des insoweit bestehenden Wertunterschiedes von 158,77 € durchgeführt hat; dieser Teil der Entscheidung wird von der Beschwerde nicht berührt. Der weitere Ausgleich (des von der Beschwerde erfassten Anrechtes bei der Daimler Chrysler Unterstützungskasse GmbH) ist ermessensfehlerfrei durch erweitertes Splitting gemäß § 3 b Abs. 1 Nr. 1 VAHRG durchgeführt worden, allerdings in zu geringer Höhe; richtigerweise beläuft sich der Teilausgleich insoweit auf (24,43 € : 2 =) 12,21 €.

Durch den weiteren Ausgleich wird auch der Höchstbetrag der für die Ehefrau zu übertragenden Anwartschaften von 496,61 € nicht überschritten.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 93 a ZPO, 49 Nr. 3 GKG. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor. Die Frage der Dynamik der Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung bei der Daimler Chrysler Unterstützungskasse GmbH ist zwar von erheblicher praktischer Bedeutung, doch liegt die Prognoseentscheidung auf tatrichterlichem Gebiet; die Voraussetzungen hierfür sind durch die höchstrichterliche Rechtsprechung, der der Senat folgt, hinreichend geklärt.



Ende der Entscheidung

Zurück