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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 24.01.2002
Aktenzeichen: 16 UF 512/2001
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 93
ZPO § 307 Abs. 1
ZPO § 306 ZPO
ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2
ZPO § 542 Abs. 2
ZPO § 97 Abs. 2
ZPO § 543 Abs. 2
ZPO § 574 Abs. 2 u. 3 (n.F.)
ZPO § 708 Nr. 10
1. Anerkennt der (in der Vorinstanz erfolgreiche) Kläger / Rechtsmittel beklagte den Rechtsmittelantrag des Beklagten / Rechtsmittelklägers, so kann gegen ihn ein Anerkenntnisurteil ergehen.

2. In diesem Fall kommt die entsprechende Anwendung des § 93 ZPO in Betracht, wenn ein sofortiges Anerkenntnis vorliegt und der Rechtsmittelbeklagte zur Einlegung des Rechtsmittels keinen Anlass gegeben hat (etwa durch Erklärung des Verzichts auf seine Rechte aus dem Titel, soweit er angefochten werden soll).


Oberlandesgericht Stuttgart

Urteil vom 24.01.2002

Az.: 16 UF 512/2001

hat der 16. Zivilsenat - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung

des Richters am OLG Ziemer, des Richters am OLG Kodal und des Richters am AG Schiele

im schriftlichen Verfahren auf Grund der bis 09. Januar 2002 eingegangenen Schriftsätze

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Beklagten wird entsprechend dem Anerkenntnis der Klägerin das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Ravensburg vom 08.10.2001 teilweise wie folgt abgeändert:

Für die Zeit ab 01.11.2001 wird die Klage abgewiesen.

2. Es bleibt bei der Kostenentscheidung des Familiengerichts für die erste Instanz. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision und die Rechtsbeschwerde (zu Ziff. 2) werden zugelassen.

Berufungsstreitwert: 2.160 DM = 1.104 €

Tatbestand:

Die Parteien stritten im ersten Rechtszug zuletzt noch über Trennungsunterhalt für die Klägerin, die getrennt lebende Ehefrau des Beklagten, ab Mai 2001. Auf die am 03.09.2001 geschlossene mündliche Verhandlung hat das Familiengericht der Klägerin rückständigen Unterhalt für Mai/Juni 2001 von 300 DM (verlangt waren 570 DM) und ab 01.07.2001 monatlich 180 DM (verlangt waren 265 DM) zuerkannt und die weitergehende Klage abgewiesen. Mit Schriftsatz vom 06.11.2001, eingegangen am 07.11.2001, ließ der Beklagte hiergegen Berufung einlegen, die mit Schriftsatz vom 21.11.2001, eingegangen am 22.11.2001, begründet wurde. Er wendet sich nur gegen seine Verurteilung für die Zeit ab 01.11.2001 und beantragt sinngemäß, wie in der Urteilsformel erkannt.

Die Klägerin hat den - erst nachfolgend gestellten - Berufungsantrag bereits mit Schriftsatz vom 12.11.2001 unter Verwahrung gegen die Kosten anerkannt, und der Beklagte beantragt die Abänderung des angefochtenen Urteils gemäß dem Anerkenntnis der Klägerin.

Hintergrund ist unstreitig, dass die Klägerin, die zum Zeitpunkt der Trennung halbschichtig erwerbstätig war, ihre Arbeitgeberin nach mehrmonatigen Bemühungen, über die sie den Beklagten nicht informiert hatte, Ende September 2001 zu einer Umsetzung in eine Vollzeitarbeitsstelle ab Oktober 2001 bewegen konnte. Beide Parteien gehen davon aus, dass ihre Unterhaltsbedürftigkeit damit entfallen ist. Dem Beklagten teilte sie dies (mit Schriftsatz vom 09.11.2001, in dem sie gleichzeitig einen Verzicht auf ihre Rechte aus dem angefochtenen Urteil für die Zeit ab November 2001 erklären ließ) erst mit, nachdem dieser von dritter Seite von der Aufstockung ihrer Tätigkeit Nachricht bekommen hatte und sie mit Schriftsatz vom 06.11.2001 (wohl mit gleicher Post wie die Einlegung der Berufung) zu einer entsprechenden Auskunft hatte auffordern lassen.

Entscheidungsgründe:

Auf die form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung ist das angefochtene Urteil in der Hauptsache gemäß § 307 Abs. 1 (alle zitierten §§ sind solche der ZPO) entsprechend dem Anerkenntnis der Klägerin, das sich mit dem Berufungsantrag deckt, abzuändern.

Diese Rechtsfolge ist nicht unumstritten. Nach sogar überwiegender Meinung in Rechtsprechung (zuletzt Landesarbeitsgericht Chemnitz, Urt. v. 07.08.2000, 10 Sa 509/99 im Anschluss an OLG Braunschweig, NdsRpfl 1961, 245) und Schrifttum (Stein-Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 307 Rdz. 1; Zöller/Vollkommer, ZPO, 22. Aufl., § 306 Rdz. 1; Thomas-Putzo, ZPO, 23. Aufl., § 306 Rdz. 1) kann nur der Beklagte den Anspruch des Klägers anerkennen, nicht aber der Kläger den (Rechtsmittel -) Antrag des Beklagten/Rechtsmittelklägers (so aber Schumann, Die Berufung in Zivilsachen, 4. Aufl., Rdz. 624 ff.); ein solcher Antrag sei im Zweifel als Klageverzicht gemäß § 306 auszulegen (so ausdrücklich die zitierten Entscheidungen sowie Vollkommer und Thomas jeweils a.a.O.; abl. zu OLG Braunschweig a.a.O. AK-Fenge, § 306 Rdz. 9, aber ohne eigenen Lösungsvorschlag).

Soweit überhaupt, wird diese Auffassung damit begründet, dass der in § 307 Abs. 1 verwendete Terminus "Anspruch" begriffs- und somit inhaltsgleich sei mit dem nämlichen Begriff in § 253 Abs. 2 Nr. 2, der zweifelsfrei nur den (materiellen) Anspruch des Klägers meint. Nicht erklärt wird, warum das Gesetz in den benachbarten Bestimmungen der §§ 306, 307 Abs. 2 die Parteien beim Namen (Kläger/Beklagter) nennt und in letzterer den gleichfalls verwendeten Begriff "Anspruch" mit dem klarstellenden Zusatz "... des Klägers" versieht (der überflüssig ist, wenn sich dies von selbst versteht), diesen Zusatz aber in § 307 Abs. 1 nicht enthält und den Anerkennenden neutral als "eine Partei" bezeichnet. Kann die "eine Partei" zwingend nur der Beklagte sein, ist die unterschiedliche Wortwahl nicht plausibel.

Sinnvoll wird sie, wenn man auch ein Anerkenntnis des Klägers für möglich hält. Die einzige prozessuale Situation, in der dies vorstellbar ist, ist die gegebene: der Kläger hat ein - mindestens teilweise - obsiegendes Urteil erstritten, gegen das sich der Beklagte mit einem Rechtsmittel wendet. Mit dessen Einlegung wandeln sich die Parteirollen: der Beklagte wird zum Angreifer (Rechtsmittelkläger), der den - nunmehr anders verstandenen - "Anspruch" auf Beseitigung des ihm ungünstigen Rechtsfolgenausspruchs erhebt, der Kläger zum Verteidiger (Rechtsmittel beklagter). Der Gesetzeswortlaut steht einer solchen Auslegung nicht entgegen, das Wortlautargument spricht vielmehr, wenn man die Vorschrift im Kontext liest, eher für sie.

Für sie sprechen aber auch die besseren Sachgründe. Jede Umdeutung der Parteierklärungen muss den Parteien einen Rechtsfolgewillen unterstellen, den sie so nicht verlautbart haben. Die Rechtsfolgen, die sich aus einer Umdeutung ergeben, bleiben auch aus Sicht mindestens einer Partei hinter dem zurück, was sich Angreifer und Verteidiger im Falle einer zulässigen Erledigung durch Anerkenntnisurteil versprechen dürfen: der Angreifer erstrebt eine der Rechtskraft fähige Entscheidung über sein Rechtsschutzbegehren in der Hauptsache. Der Verteidiger nimmt dies hin, erspart dem Gegner darüber hinaus eine Sachprüfung (Schlüssigkeitsprüfung), eröffnet sich aber dafür die Möglichkeit einer ihm günstigen Kostenentscheidung nach § 93 (der in der gegebenen Konstellation entsprechend anzuwenden und wie folgt zu lesen wäre: "Hat der Rechtsmittelbeklagte nicht ... zur Einlegung des Rechtsmittels Veranlassung gegeben, so fallen dem Rechtsmittelkläger die Kosten des Rechtsmittels zur Last ..."). Die von der h.M. befürwortete Umdeutung der Erklärung des Klägers in einen Klageverzicht gibt zwar dem Beklagten, was er haben will, schneidet aber dem Kläger, der sich dem Berufungsbegehren unterwirft, den Einwand ab, er wäre dem Beklagten auch ohne eine Fortsetzung des Verfahrens im verlangten Umfang entgegen gekommen, so dass es der Einlegung eines Rechtsmittels nicht bedurft hätte, und damit die Möglichkeit einer Entscheidung über die Kosten entspr. § 93. Dessen Voraussetzungen werden zwar selten vorliegen, weil schließlich der Kläger das Verfahren in Gang gesetzt hat, das zu dem angefochtenen Urteil führt, doch sind auch Situationen vorstellbar, in denen der Kläger schutzwürdig erscheint (so in dem vom OLG Braunschweig a.a.O. entschiedenen Fall, in dem die erste Instanz dem Kläger mehr als beantragt zugesprochen hatte, wofür dieser sicherlich nichts konnte). Zwar wird die analoge Anwendung des § 93 auch im Bereich des § 306 für gewisse Fälle befürwortet (OLG Frankfurt, OLGZ 81, 99, 100; NJW-RR 1994, 62, 63), doch liegt dies deutlich ferner als nach der hier vertretenen Lösung (dagegen Musielak, ZPO, § 306 Rdz. 7).

Eine ebenfalls denkbare Umdeutung des Anerkenntnisses in eine Klagrücknahme (und des Antrags auf Anerkenntnisurteil in die erforderliche Zustimmung hierzu) verwehrt dem Beklagten den rechtskräftigen Ausspruch und dem Kläger wiederum die Möglichkeit einer ihm günstigen Kostenentscheidung. Letzteres gälte auch, wenn man das nichtstreitige Verhandeln des Klägers über den Berufungsantrag des Beklagten dem Nichtverhandeln gleichstellen und eine Versäumnisentscheidung nach § 542 Abs. 2 (=§ 539 Abs. 2 n.F.) befürworten wollte; zudem müsste sich der Rechtsmittelkläger in diesem Falle einer Schlüssigkeitsprüfung stellen, die ihm der Rechtsmittelbeklagte durch seine Erklärung ersparen will.

Hiernach spricht von der Sache her nichts dagegen und alles dafür, das Gesetz und die Parteien beim Wort zu nehmen.

Die Kostenentscheidung für die erste Instanz beruht auf § 92. Zu einer Abänderung der Entscheidung des Familiengerichts besteht kein Anlass, weil der Erfolg der Berufung auf Umständen beruht, die nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz eingetreten sind. Deshalb ist aber umgekehrt auch kein Raum für die Anwendung des § 97 Abs. 2. Vielmehr beruht die Kostenentscheidung für den zweiten Rechtszug auf § 91. § 93 (in spiegelbildlicher Umkehrung, s.o.) kommt nicht zur Anwendung, weil die Klägerin dem Beklagten bis zum vorletzten oder letzten Tag der Berufungsfrist keinen Anlass zu der Annahme gegeben hat, sie werde ihren titulierten Anspruch auf Unterhalt für die Zeit ab Ausweitung ihrer Erwerbstätigkeit freiwillig preisgeben. Zwar musste sie ihn über ihre diesbezüglichen Bemühungen nicht ungefragt informieren, so lange diese nicht zum Erfolg geführt hatten, wohl aber nach Aufnahme ihrer vollschichtigen Tätigkeit. Wenn sie dies nicht tat und der Beklagte dies wenige Tage vor Ablauf der Berufungsfrist von dritter Seite erfahren musste, konnte er nicht auf ihre Redlichkeit vertrauen und hatte Anlass zur Einlegung des Rechtsmittels.

Die Zulassung der Revision und der Rechtsbeschwerde ist nach §§ 543 Abs. 2, 574 Abs. 2 und 3 (n.F.) geboten, weil die oben ausführlich erörterte Rechtsfrage (Wirksamkeit des Anerkenntnisses als solches) für die Hauptsache und im Kostenpunkt entscheidungserheblich, über den Einzelfall hinaus von allgemeiner Bedeutung und, soweit ersichtlich, höchstrichterlich bisher ungeklärt ist. Sie ist nicht deshalb entbehrlich, weil eine Revision schon mangels Beschwer nicht in Betracht käme: materiell beschwert ist die Klägerin, weil die Entscheidung des Senats ihr ungünstiger ist als die des Familiengerichts; eine formelle Beschwer wäre jedenfalls gegeben, wenn ihr Anerkenntnis als unwirksam anzusehen wäre. Ebendies ist aber Gegenstand des klärungsbedürftigen Meinungsstreits.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10.

Ende der Entscheidung

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