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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 18.11.2003
Aktenzeichen: 16 WF 112/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 567
ZPO § 707
ZPO § 769
ZPO § 793
Gegen einen erstinstanzlichen Beschluss nach § 769 ZPO ist kein ordentliches oder außerordnetliches Rechtsmittel statthaft. Behauptete Verstöße gegen Verfahrensgrundrechte (rechtlliches Gehör) sind durch - fristgebundene - Gegenvorstellung zu rügen und ggf. innerhalb der Instanz zu korrigieren (Änderung der bisherigen Rechtsprechung des Senats; Anschluss an BGHZ 150; OLG Frankfurt, NJW-RR 2003, 140).
Oberlandesgericht Stuttgart - 16. Zivilsenat - Familiensenat - Beschluss

Geschäftsnummer: 16 WF 112/03

in Sachen

wegen Abänderung von Kindesunterhalt;

hier: einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung

hat der 16. Zivilsenat - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung

...

am 18. November 2003

beschlossen:

Tenor:

Auf die Gegenvorstellung des Beklagten wird der Beschluss des Einzelrichters vom 4. Juli 2003 wie folgt abgeändert:

1. Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Ulm vom 27.5.2003 wird kostenpflichtig als unzulässig verworfen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Beschwerdewert: bis 150 ,- €.

Gründe:

Die Gegenvorstellung des Beklagten gegen den Beschluss des Einzelrichters vom 4.7.2003 führt nicht zu einem Erfolg in der Sache selbst, sondern nur zu einer Klarstellung des erkennenden Teils (Verwerfung als unzulässig) und zur Zulassung der Rechtsbeschwerde.

1. Die Parteien streiten im Abänderungsverfahren über Kindesunterhalt für den Beklagten, den Sohn des Klägers aus geschiedener Ehe, der bei der sorgeberechtigten Mutter lebt. Ausgangstitel ist ein Vergleich vor dem Amtsgericht - Familiengericht - Ulm vom 1.12.1998, 3 F 850/98, worin sich der Kläger zur Zahlung von 170 % des Regelbetrags abzüglich des hälftigen Kindergeldes an den Beklagten verpflichtet hat. Der Vergleich weist seine Grundlagen nicht aus. Der Kläger erstrebt eine Herabsetzung auf 114 % des Regelbetrags abzüglich des nach § 1612 b Abs. 5 BGB anrechenbaren Kindergeldes ab Klageeinreichung, der Beklagte die Abweisung der Klage.

Unter dem 14.3.2003 unterbreitete das Familiengericht den Parteien einen Vergleichsvorschlag in Beschlussform dahingehend, dass eine Herabsetzung auf 150% des Regelbetrags abzüglich des hälftigen Kindergeldes vereinbart werden solle. Hierbei setzte es sich mit den beiderseitigen Einkommensberechnungen auseinander, bezeichnete einige Streitpunkte als zweifelhaft und aufklärungsbedürftig und regte zur Vermeidung eines sonst erforderlichen Sachverständigengutachtens eine Kompromisslösung an. In der Folgezeit beantragte der Kläger, die Zwangsvollstreckung aus dem Ausgangsvergleich einstweilen einzustellen. Der Beklagte trat diesem Antrag entgegen. Beide Parteien trugen zum Sachverhalt, insbesondere zu den Einkünften und berücksichtigungsfähigen Abzügen des Klägers, ergänzend vor.

Durch Beschluss vom 27. 5. 2003 stellte das Familiengericht die Zwangsvollstreckung aus dem Ausgangsvergleich für die Zeit ab 4.9.2002 vorläufig ein, soweit der Titel über 150% des jeweiligen Regelbetrags, abzüglich des jeweils hälftigen Kindergeldes hinausgeht, und zwar gegen Sicherheitsleistung "in Höhe des insoweit vollstreckbaren Betrags". Zur Begründung heißt es: "Nach Abwägung der beiderseitigen Umstände, wozu insbesondere auf den Beschluss vom 14.3.2003 Bezug genommen wird (Blatt 203/204 der Akten), erscheint es angebracht, dem Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung teilweise bis auf 150% des Regelbetrags herab zu folgen". Gegen den ihm am 3.6.2001 zugestellten Beschluss legte der Beklagte sofortige Beschwerde ein, die am 13.6.2003 beim Oberlandesgericht Stuttgart einging, und rügte, dass der Beschluss keine nachvollziehbare Begründung enthalte, greifbar gesetzwidrig erscheine und unter Verletzung des rechtlichen Gehörs ergangen sei.

Durch Beschluss des Einzelrichters vom 4.7.2003 wurde die "außerordentliche" Beschwerde des Beklagten kostenpflichtig zurückgewiesen. Der Einzelrichter nahm Bezug auf die ständige Rechtsprechung des Senats, wonach ein erstinstanzlicher Beschluss, der über einen Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gem. § 769 ZPO oder in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift entscheidet, analog § 707 Abs. 2 Satz 2 ZPO grundsätzlich nicht, sondern nur ausnahmsweise dann (fristgebunden) anfechtbar sei, wenn er greifbar gesetzwidrig sei oder wenn das Erstgericht die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens grob fehlerhaft verkannt habe. Diese Voraussetzungen hat der Einzelrichter verneint. Die Bezugnahme im angefochtenen Beschluss auf die frühere Stellungnahme des Gerichts zur Sache hat er zur Begründung für ausreichend gehalten; dem rechtlichen Gehör sei Genüge getan worden; beide Parteien hätten sich zur Sache äußern können. Die Beschwerdeentscheidung ist den Parteien unter dem 4.7.2003 formlos übermittelt worden.

Mit Schriftsatz vom 4.9.2003, eingegangen am 8.9.2003, erhob der Beklagte hiergegen Gegenvorstellung. Der Einzelrichter habe den Kern des Beschwerdevorbringens verkannt. Nach Meinung des Beschwerdeführers sei das rechtliche Gehör, dessen Verletzung (nunmehr auch durch die zweite Instanz) er weiterhin rügt, nicht schon dann ausreichend gewahrt, wenn den Parteien vor einer gerichtlichen Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werde, sondern nur, wenn eine solche Stellungnahme auch sachlich geprüft und bei der Entscheidung berücksichtigt werde. Dies könne der angefochtenen Entscheidung des Familiengerichts nicht entnommen werden. Weder diese noch der Beschluss vom 14.3.2003, auf den das Familiengericht Bezug genommen hat, lasse nachvollziehbar erkennen, wie es gerade auf den Betrag von 150% des Regelbetrags gekommen sei.

Der Einzelrichter hat durch Beschluss vom 12.11.2003 die Entscheidung über die Gegenvorstellung des Beklagten gem. § 568 Satz 2 ZPO dem Senat übertragen.

2. Der Senat hat zunächst geprüft, ob an der Auffassung festzuhalten ist, dass Entscheidungen nach § 769 ZPO nicht mit einem ordentlichen Rechtsmittel anfechtbar sind, und bejaht dies weiterhin. Die Frage ist in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten (Nachweise bei Zöller/Herget, ZPO, 23. Aufl., § 769 ZPO Rdnr. 13). Für die Anfechtbarkeit spricht, dass sie in Abs. 2 der Vorschrift nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist und § 793 ZPO gegen Entscheidungen, die im Zwangsvollstreckungsverfahren ohne mündliche Verhandlung ergehen können, generell die sofortige Beschwerde zulässt. Dagegen spricht die weithin inhaltsgleiche Regelung in § 707 ZPO, dessen Abs. 2 Satz 2 eine Anfechtung des Beschlusses ausdrücklich nicht zulässt, obwohl die Interessenlage der Beteiligten derjenigen, die sich in den Fällen des § 769 ZPO ergibt, in jeder Hinsicht vergleichbar ist. Der Senat hält daran fest, dass diese Regelung analogiefähig ist und auf Entscheidungen nach § 769 ZPO entsprechende Anwendung findet. Methodische Bedenken daraus, dass der Gesetzgeber im Zuge der ZPO-Reform keine Angleichung vorgenommen hat, greifen nicht durch (vgl. OLG Frankfurt, NJW-RR 2003, 140, 141).

3. Bisher hat der Senat in einschlägigen Fällen jedoch die Möglichkeit einer außerordentlichen Beschwerde bejaht, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer greifbaren Gesetzesverletzung, insbesondere der Verletzung eines Verfahrensgrundrechts (rechtliches Gehör), oder grob fehlerhaftem Ermessensgebrauch beruhte. Daran wird nicht festgehalten.

Der BGH - 9. Zivilsenat - hat mit Beschluss vom 7. März 2002 (BGHZ 150, 133), dem sich andere Senate des BGH angeschlossen haben, ausgesprochen, dass ein außerordentliches Rechtsmittel zum BGH auch dann nicht statthaft sei, wenn die Entscheidung ein Verfahrensgrundrecht des Beschwerdeführers verletzt oder aus sonstigen Gründen "greifbar gesetzwidrig" ist. In einem solchen Fall sei die angefochtene Entscheidung durch das Gericht, das sie erlassen hat, auf (fristgebundene) Gegenvorstellung zu korrigieren. Das BVerfG hat durch Plenarentscheidung vom 30.4.2003, FamRZ 2003, 995, dem Gesetzgeber aufgegeben, bis zum 31.12.2004 eine fachgerichtliche Abhilfemöglichkeit für den Fall zu schaffen, dass ein Gericht in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Für den Fall, dass der Gesetzgeber keine rechtzeitige Neuregelung trifft, hat es angeordnet, dass das Verfahren auf Antrag vor dem Gericht fortzusetzen sei, dessen Entscheidung wegen einer behaupteten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör angegriffen wird. Der Antrag sei binnen 14 Tagen seit Zustellung der Entscheidung zu stellen (a.a.O. S. 999).

Das OLG Frankfurt - 26. Zivilsenat - hat sich mit Beschluss vom 29. August 2002 (NJW-RR 2003, 140) der Rechtsprechung des BGH auch für die erste Beschwerdeinstanz angeschlossen und hält in Fällen, in denen schon gegen den Beschluss der ersten Instanz kein ordentliches Rechtsmittel stattfindet (wozu es auch Beschlüsse nach § 769 ZPO rechnet), bei behaupteter Verletzung von Verfahrensgrundrechten nur die Gegenvorstellung an den iudex a quo für zulässig. Dem schließt sich der Senat an. Wenn ein ordentliches Rechtsmittel nicht statthaft ist, ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die Angelegenheit nicht als bedeutend genug angesehen hat, um die höhere Instanz damit zu befassen. Die Korrektur einer Gehörsverletzung hat dann innerhalb der Instanz zu erfolgen (ebenso jetzt Zöller/Herget, ZPO, 24. Aufl., § 769 Rdnr. 13).

Die sofortige Beschwerde des Beklagten ist deshalb als unzulässig zu verwerfen. Dies hat allerdings zur Konsequenz, dass das Familiengericht eine Gegenvorstellung des Beklagten noch sachlich zu prüfen hätte. Denn dass der Beklagte nicht innerhalb einer Frist von zwei Wochen sich zu einer Gegenvorstellung entschlossen hat, sondern den Weg der außerordentlichen Beschwerde beschritten hat, kann ihm angesichts der bisherigen Rechtsprechung des Senats nicht als Versäumnis angelastet werden.

4. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 3, 97 Abs. 1, 574 Abs. 3 ZPO. Die Frage der Anfechtungsmöglichkeiten gegen einen Beschluss nach § 769 ZPO ist streitig und bedarf höchstrichterlicher Klärung.

Ende der Entscheidung

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