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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 22.12.2006
Aktenzeichen: 16 WF 289/06
Rechtsgebiete: ZPO, SGB XII


Vorschriften:

ZPO § 114
ZPO § 115 Abs. 3
SGB XII § 90 Abs. 2 Nr. 9
SGB XII § 90 Abs. 3
Lebensversicherungen, die der Altersersorgung eines selbstständig Erwerbstätigen dienen, stehen der Bewiiligung von Prozesskostenhilfe nicht grundsätzlich entgegen. Sie können vom Vermögenseinsatz auszunehmen sein.
Oberlandesgericht Stuttgart 16. Zivilsenat - Familiensenat -

Geschäftsnummer: 16 WF 289/06

Beschluss vom 22. Dezember 2006

In der Familiensache

wegen Prozesskostenhilfebeschwerde

hat der 16. Zivilsenat - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung von

Vors. Richter am Oberlandesgericht Amelung Richter am Oberlandesgericht Kodal Richter am Amtsgericht Bißmaier

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Staatskasse wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Ravensburg vom 9. Juni 2006 - 7 F 567/05 - dahin abgeändert, dass der Antragstellerin auferlegt wird, auf die Verfahrenskosten mit Wirkung ab dem 1. Februar 2007 monatliche Raten von 15,- € an die Landeskasse zu zahlen.

Gründe:

I.

Mit Beschluss vom 9. Juni 2006 bewilligte das Familiengericht der Antragstellerin ratenfreie Prozesskostenhilfe.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatskasse. Danach seien Fahrtkosten und weitere Werbungskosten mit monatlich höchstens 100,- € und weiteren 50,- € in Ansatz zu bringen. So Wohnkosten geltend gemacht würden, könnten die Gas- und Stromkosten nicht von den Einkünften abgesetzt werden. Im übrigen aber seien die Verfahrenskosten aus dem Vermögen zu zahlen. Hier komme ein Bausparvertrag in Betracht, ferner Lebens- bzw. Rentenversicherungen und Aktienpakete. Habe die Antragstellerin im nachhinein eine Miteigentumshälfte des Antragsgegners am vormals gemeinsamen Hausgrundstück übernommen, könne sich das nicht zu Lasten der Staatskasse auswirken.

Die Antragstellerin bringt vor, bereits ihre Einkünfte seien gering, was sich aus dem für den Veranlagungszeitraum 2004 ergangenen Einkommensteuerbescheid ergebe. Die Fahrtkosten fielen für tägliche Fahrten an, weil die Antragstellerin als freiberuflich tätige Dozentin auch für wenige Stunden umfassenden Unterricht von ihrem Wohnort nach R. und W. fahren müsse. Neben den Finanzierungskosten für das selbstbewohnte Haus müsse die Antragstellerin monatlich 268,82 € für verbrauchsunabhängige und verbrauchsabhängige Nebenkosten, Instandhaltungskosten sowie Beträge für ihre Altersversorgung aufwenden. Soweit Letzteres zu einer Vermögensbildung geführt habe, sei dieses gerade im Hinblick auf ihre selbständig ausgeübte Erwerbstätigkeit geboten und zumutbarer Weise nicht für die Tragung der Verfahrenskosten einzusetzen. Der erwähnte Bausparvertrag sei im übrigen aufgelöst.

Mit Beschluss vom 27. November 2006 half das Familiengericht der sofortigen Beschwerde nicht ab.

II.

Die sofortige Beschwerde der Staatskasse ist gemäß § 127 Abs. 3 Satz 1 ZPO statthaft und zulässig.

In der Sache erweist sich die sofortige Beschwerde als begründet. Der Antragstellerin war aufzuerlegen, auf die Verfahrenskosten Raten aus ihrem einzusetzenden Einkommen zu zahlen (§ 115 Abs. 2 ZPO). Ein Vermögenseinsatz, § 115 Abs. 3 ZPO, kam hingegen nicht in Betracht.

Die Antragstellerin hat für den durch sie zu tragenden Anteil der Verfahrenskosten ihr Vermögen einzusetzen, soweit das zumutbar ist (§ 115 Abs. 3 ZPO). Der Vermögenseinsatz scheitert vorliegend an den in § 90 SGB XII genannten Härtegründen, auf welche in § 115 Abs. 3 Satz 2 ZPO verwiesen ist.

Sie bewohnt ein eigengenutztes Hausgrundstück (§ 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII). Weder das Hausgrundstück noch ein Bausparvertrag stellen einsetzbares Vermögen dar. Vertragspartei des Bausparvertrags Nr. 5 488 955 5 01 bei der BHW Bausparkasse AG war Herr V. Ungeachtet des späteren Verwendungszwecks kann die Bausparsumme deshalb nicht durch die Antragstellerin als Vermögen im Sinne von § 115 Abs. 3 ZPO eingesetzt werden.

Die, 51-jährige, Antragstellerin ist selbständig erwerbstätig. Sie hat für ihr Alter anderweitig Vorsorge zu treffen als über die Entrichtung von Pflichtbeiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung. Dem trägt sie dadurch Rechnung, dass sie monatliche Beiträge in eine Rentenversicherung sowie eine Kapitallebensversicherung entrichtet. Der Vermögenseinsatz von Lebens- und Rentenversicherungen ist in der Rechtsprechung umstritten (verneinend für staatlich geförderte Verträge: Senat, FamRZ 2006, 1850; bejahend etwa OLG Brandenburg, FamRZ 2006, 1399 m. Anm. Zimmermann; OLG Frankfurt/M. FamRZ 2005, 466, mit Anm. Weil).

Rückkaufswert und Überschussanteile der Kapitallebensversicherung addieren sich vorliegend zu einem Gesamtwert von 9.204,90 €; die Rentenversicherung weist einen Rückkaufswert von 1.381,18 € auf. Mit Rücksicht auf die durch die Antragstellerin aufzubauende Altersversorgung wäre die Verwertung dieser vorgenannten Vermögensbestandteile unzumutbar. Gemäß § 90 Abs. 3 SGB XII darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies eine Härte bedeuten würde. Dies ist insbesondere der Fall, soweit eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde. So liegt es hier. Die Altersvorsorge kann bislang nicht als hinreichend angesehen werden, und zwar weder durch die insgesamt bislang antragstellerseits erworbenen Rentenanwartschaften der gesetzlichen Rentenversicherung (monatlich 288,32 €, Auskunft der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg, Regionalzentrum Ravensburg, vom 30. September 2005, unblattiert im Sonderheft Versorgungsausgleich) noch nach Durchführung des Versorgungsausgleichs, mit welchem zu ihren Gunsten Anrechte von insgesamt monatlich (305,88 € und 5,60 € =) 311,48 € ausgeglichen wurden. Die Hinzunahme der zu erwartenden Versicherungsleistungen ändert hieran nichts. Es bedarf noch weiterer Vermögensbildung, damit die Antragstellerin im Alter nicht auf staatliche Leistungen angewiesen ist. Der Einsatz der Renten- und Lebensversicherung ist deshalb mit Rücksicht auf die selbständig ausgeübte Erwerbstätigkeit unzumutbar.

Unzumutbar ist ferner der Einsatz von Namensaktien bei der Deutschen Post AG sowie bei der Deutschen Telekom AG, für welche ein Gesamtwert von (946,- € und 157,- € =) 1.103,- € nachgewiesen ist. Sparvermögen ist grundsätzlich einsetzbares Vermögen, auch wenn es der Altersversorgung zu dienen bestimmt ist (OLG Frankfurt/M. FamRZ 2005, 466, mit Anm. Weil). Für Aktienpakete gilt nichts anderes. Dem Vermögenseinsatz stehen jedoch die Voraussetzungen des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII entgegen, wonach der Einsatz eines kleineren Barbetrags unzumutbar ist. Das der Antragstellerin nach § 1 b der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII zu belassende Schonvermögen ist im Ergebnis nicht erreicht. Dieses Schonvermögen beträgt hier 2.856,- € (2.600 € + wegen des noch einkommenslosen Kindes 256,- €; zur Berechnung s. Senat, a.a.O.).

Sinn und Zweck dieses "Notgroschens" ist, zu verhindern, dass ein Vermögenseinsatz zur finanziellen Mittellosigkeit führt; deshalb wird der Einsatz kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte nicht verlangt (Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 90, Rz. 39). Die in § 90 SGB XII aufgezählten Ausnahmen vom Vermögenseinsatz gelten nebeneinander (OLG Köln, OLGReport Köln 2004, 60). Die Akten können deshalb nicht zur Zahlung des Verfahrenskosten herangezogen werden, auch wenn zusätzlich durch die Renten- und Lebensversicherung Vermögen zur Alterssicherung gebildet wurde.

Der Antragstellerin verbleibt nach § 115 Abs. 1 Satz 1 ZPO ein einzusetzendes Einkommen, welches zur Anordnung von Ratenzahlungen führte. Das Einkommen vermindert sich um die nach § 115 Abs. 1 Satz 3 ZPO abzusetzenden Beträge. Zum Nachweis ihrer Einnahmen legte die Antragstellerin den für den Veranlagungszeitraum 2004 ergangenen Einkommensteuerbescheid und Kontoauszüge vor; aktuellere Nachweise sind nicht vorgelegt. Aus den Kontoauszügen ergeben sich Einnahmen, die nicht lückenlos belegt sind. Die Belege betreffen nur die Monate Januar bis März, Juli und August sowie Oktober 2005. Aus diesen ergeben sich jedenfalls höhere Einnahmen als der für den Veranlagungszeitraum 2004 vorgelegte Steuerbescheid vermuten ließe, nämlich zunächst in Höhe von insgesamt 12.100,50 €:

Wegen Unvollständigkeit dessen kann auf die durch die Antragstellerin selbst mit monatsdurchschnittlich 1.128,- € angegebenen Einnahmen abgestellt werden. Der Unterschiedsbetrag zu dem sich anteilig aus den Vorjahres-Kontoauszügen ergebenden Monatsbetrag von (12.100,50 € / 12 =) 1.008,37 € mag sich aus den insofern noch fehlenden Nachweisen erklären.

Werbungskosten können mit (geschätzt) insgesamt monatlich 100,- € für Fahrtkosten und weiteren 50,- € angesetzt werden. Höhere Kosten hat die Antragstellerin nicht nachgewiesen. Das aber wäre unerlässlich gewesen (Zöller/Philippi, ZPO, 26. Auflage, § 115, Rz. 25). Die sich sodann ergebende Steuer schätzt der Senat auf monatlich 33,- €. Das Kindergeld von monatlich 308,- € tritt als Einkommen hinzu (vgl. BGH, FamRZ 2005, 605). Abzusetzen ist der persönliche Freibetrag von 380,- € sowie der Erwerbstätigenfreibetrag von 173,- €. Freibeträge für die Kinder kommen wegen deren eigener Einkünfte bzw. geleisteten Barunterhalts nicht in Betracht. Abzusetzen sind auch die bereits bei Verfahrensbeginn auf die Verbindlichkeiten bei der L-Bank geleisteten Zahlungen, monatlich aufgerundet 264,- €. Nach Verfahrensbeginn hinzugekommene Verbindlichkeiten bleiben hingegen ohne Berücksichtigung. Die laufenden Vorsorgeaufwendungen, vgl. bereits oben, werden mit monatlich aufgerundet 170,- € abgezogen.

Kosten für Unterkunft und Heizung, § 115 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, sind mit monatlich aufgerundet 244,- € nachgewiesen. Die Berücksichtigung von Kosten für Strom und Gas wird in Rechtsprechung und Literatur uneinheitlich gesehen, soweit diese nicht auf den Betrieb der Heizung sondern allein auf das Kochen entfallen. Für solche Kosten wird teilweise aus der Verweisung des § 115 ZPO auf die sozialhilferechtlichen Vorschriften gefolgert, jene seien von dem allgemeinen Lebensbedarf und mithin dem bereits belassenen persönlichen Freibetrag umfasst (so OLG Bamberg, FamRZ 2005, 1183; OLG Karlsruhe - 18. Zivilsenat -, FamRZ 2004, 465 f.; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 4. Auflage, Rz. 273; Zöller/Philippi, ZPO, 26. Auflage, § 115, Rz. 34; Musielak/Fischer, ZPO, 4. Auflage, § 115, Rz. 23). Nach anderer Auffassung steht der Wortlaut des § 115 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, "Kosten für Unterkunft und Heizung", einer Berücksichtigung der insgesamt anfallenden Kosten nicht entgegen (OLG Karlsruhe - 16. Zivilsenat -, FamRZ 1999, 599; im Ergebnis ebenso: Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 27. Auflage, § 115, Rz. 11).

Die die Antragstellerin treffenden Energiekosten (Strom: monatlich 59,- €, Gas: monatlich 119,- €) umfassen offensichtlich auch den Betrieb der Heizung. Insofern noch den Anteil zu berechnen oder zu schätzen, der alleine auf das Kochen entfällt, erachtet der Senat als nicht angezeigt. Es verbleibt nach alledem ein in Höhe von monatlich 22,- € einzusetzendes Einkommen, welches zur Ratenfestsetzung führt. Nach der Anlage zu § 115 Abs. 2 ZPO waren Raten von monatlich 15,- € festzusetzen. Das ergibt sich aus der folgenden Tabelle:

Nach Maßgabe dessen war der familiengerichtliche Beschluss dahin abzuändern, dass die Antragstellerin die auf sie anteilig entfallenden Verfahrenskosten ratenweise aus ihrem Einkommen zu zahlen hat. Eine Gebühr gemäß KV 1811 (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) wird nicht erhoben; Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet, § 127 Abs. 4 ZPO.

Ende der Entscheidung

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