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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 31.10.2008
Aktenzeichen: 17 UF 234/08
Rechtsgebiete: HKiEntÜ


Vorschriften:

HKiEntÜ Art. 3
HKiEntÜ Art. 4
HKiEntÜ Art. 13
Zur Rückführung von Kindern nach Thailand nach Sorgerechtsverletzung der Mutter.
Oberlandesgericht Stuttgart 17. Zivilsenat - Familiensenat -

Geschäftsnummer: 17 UF 234/08

Beschluss vom 31. Oktober 2008

In dem Verfahren

betreffend die Kinder

wegen Rückführung nach dem Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25. Oktober 1980 (HKiEntÜ)

hat der 17. Zivilsenat - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung von

Richterin am Oberlandesgericht Köblitz Richter am Oberlandesgericht Bißmaier Richter am Oberlandesgericht Schindler

beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Stuttgart vom 9. Oktober 2008 (20 F 1111/08) wird zurückgewiesen.

2. Die sofortige Vollziehung des Beschlusses des Amtsgerichts - Familiengericht - Stuttgart vom 9. Oktober 2008 (20 F 1111/08) wird angeordnet.

3. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.

4. Der Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Beschwerdewert: 3.500,-- €.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat dem Antrag des Kindesvaters (Antragstellers) stattgegeben, die gemeinsamen Kinder der Beteiligten, .........unter Anwendung der Vorschriften des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführungen vom 25. Oktober 1980 (HKiEntÜ) zu ihm nach Thailand zurückzuführen. Das Familiengericht hat die Herausgabe der Kinder angeordnet und weitere Bestimmungen zur Vollstreckung seines Beschlusses getroffen. Die Kindesmutter (Antragsgegnerin) wendet sich gegen diese Entscheidung mit der sofortigen Beschwerde und beantragt ferner den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit welcher ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder vorläufig übertragen werden solle.

Der Senat entscheidet ohne erneute Anhörung der Beteiligten, nachdem die Antragsgegnerin im ersten Rechtszug richterlich angehört worden ist, der Sachverhalt umfänglich aufgeklärt ist und die Beschwerde im Ergebnis nichts dartut, was eine erneute Anhörung der Beteiligten geboten hätte.

II.

Die nach § 40 Abs. 2 Satz 1 IntFamRVG zulässige sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin ist unbegründet. Das Amtsgericht hat die Rückführung der Kinder zu Recht angeordnet. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Antragsgegnerin erschüttern die angefochtene Entscheidung nicht. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Begründung des Beschlusses verwiesen, der sich der Senat anschließt. Im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen ist ergänzend Folgendes auszuführen:

1.

Das Zurückhalten der Kinder in der Bundesrepublik Deutschland mit dem Ziel des dauerhaften Aufenthalts war widerrechtlich nach Art. 3 Satz 1 lit. a HKiEntÜ. Vorauszusetzen ist die Verletzung eines nach dem Recht des Herkunftsstaats bestehenden Sorgerechts (vgl. Palandt/Heldrich, BGB, 67. Aufl., Anh zu Art. 24 EGBGB (IPR), Rn. 58, 69). Sorgerechtsinhaber für.................sind deren Eltern gemeinsam.

2.

Versagungsgründe nach Art. 13 Satz 1 HKiEntÜ sind nicht dargetan und auch nicht erkennbar. Eine Entscheidung nach dem HKiEntÜ ist keine Sorgeentscheidung (Art. 19 HKiEntÜ). Nicht zu fragen ist deshalb, welche Entscheidung zur Aufenthaltsbestimmung dem Kindeswohl am besten gerecht wird. Art. 13 Satz 1 HKiEntÜ steht der Rückführung vielmehr nur dann entgegen, falls die Antragsgegnerin nachweist, dass a) der Antragsteller das Sorgerecht tatsächlich nicht ausgeübt hat oder b) die Rückgabe der Kinder mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens verbunden oder sie auf andere Weise in eine unzumutbare Lage gebracht werden. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.

a) Zwar beruft sich die Antragsgegnerin darauf, der antragstellende Vater habe sein (Mit-) Sorgerecht nicht ausgeübt. Der Sinn des HKiEntÜ besteht indes gerade darin, dass die Kinder in den Ursprungsstaat zurückgelangen, damit dort über das Sorgerecht entschieden wird. Auch das setzt eine Rückkehr zu dem dort verbliebenen Elternteil voraus, der die gebotenen Anträge stellen kann. Deshalb kommt es für die Entscheidung über den Rückführungsantrag weder darauf an, wer bislang als Hauptbezugsperson der Kinder gelten kann noch wo sie sich zeitlich überwiegend aufgehalten haben. Vor der Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland (April 2008) hatten ....................ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Thailand. Nicht erheblich ist deshalb die - durch Vorlage mehrerer Stellungnahmen untermauerte - Einlassung der Antragsgegnerin, die drei Kinder hätten sich bereits in der Bundesrepublik Deutschland eingelebt.

Erkennbar bezieht sie sich damit auf die soziale Integration der Kinder. Für die Frage des gewöhnlichen Aufenthalts (vgl. hierzu: OLG Frankfurt, FamRZ 2006, 883) kommt es hierauf wegen des durch Art. 4 Satz 1 HKiEntÜ festgelegten Zeitpunkts nicht an. Eine Entscheidung über die elterliche Sorge ist indes, wie ausgeführt, nicht zu treffen.

Das bezieht sich zugleich auf die Frage, ob der Kindesvater erziehungsgeeignet ist. Die Antragsgegnerin möchte dieses erkennbar in Abrede stellen, zugleich wegen solcher Umstände, welche ihr selbst spätestens bei Eheschließung bekannt gewesen waren. Die weiteren sorgerechtsrelevanten Gesichtspunkte sind durch die Gerichte des Ursprungsstaats ebenso zu prüfen und zu beantworten wie gegebenenfalls Fragen der wirtschaftlichen Lebensgrundlage der Familie.

Fehlschlagen muss der Versuch der Antragsgegnerin, die Abänderung der angefochtenen Entscheidung mit der von ihr geäußerten Befürchtung zu erreichen, bei einer Rückführung nach Thailand habe sie bei der dort zu treffenden Sorgerechtsregelung kein rechtsstaatliches Verfahren zu erwarten. Für den Senat besteht kein Anlass für entsprechende Befürchtungen. Die Mutter beruft sich insoweit auf keine eigenen Erfahrungen. Thailand ist Vertragsstaat des HKiEntÜ. Ihr ist unbenommen, sich in dem zu führenden Sorgerechtsverfahren anwaltlich vertreten zu lassen (vgl. auch OLG Nürnberg, FamRZ 2000, 369; OLG Hamm, FamRZ 1999, 948, 949).

b) Die Ausnahmeklauseln in Art. 13 HKiEntÜ tragen ebenso wie diejenige des Art. 20 HKiEntÜ der Tatsache Rechnung, dass ein Zurückbringen der Kinder an ihren letzten gewöhnlichen Aufenthaltsort im Einzelfall mit dem Kindeswohl unvereinbar sein kann. Die Rückführung eines Kindes darf insbesondere unterbleiben, wenn die Rückgabe das Kind in eine unzumutbare Lage brächte oder das Kind sich der Rückgabe in einer angesichts seines Alters und seiner Reife beachtlichen Weise widersetzt (BVerfG, FamRZ 1999, 85, 87).

Typische Belastungen entstehen allerdings gerade daraus, dass sich entführte Kinder in der Regel mit dem entführenden Elternteil identifizieren und alle Kräfte daran setzen, sich in die neue Situation einzufinden, Fuß zu fassen und soziale Kontakte zu knüpfen.

Eine Rückführung ist daher zwangsläufig mit psychischen Belastungen verbunden. Der Senat geht davon aus, dass die Kinder über durchaus gute Bindungen zu beiden Eltern verfügen. Deren Aufgabe ist deshalb, ihnen zu vermitteln, warum die Rückführung erforderlich ist.

Die Kindesmutter hat sich durch ihr eigenmächtiges Verhalten über die Belange der Kinder hinweggesetzt, die einen Anspruch darauf haben, dass bei Streit zwischen den Eltern ein thailändisches Gericht im Sorgerechtsverfahren die dem Kindeswohl entsprechenden Entscheidungen trifft. Daher ist die Rückführung erforderlich.

3.

Von einer Anhörung der Kinder hat das Familiengericht zu Recht abgesehen. Zwar verlangt Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG, dass die betroffenen Kinder im Sorgerechtsverfahren angehört werden. Rückführungsentscheidungen nach dem HKiEntÜ sind jedoch nach Art. 19 HKiEntÜ nicht als Sorgerechtsentscheidungen anzusehen, weil jene erst die Voraussetzungen dafür schaffen sollen, dass das international zuständige Gericht über das Sorgerecht entscheiden kann (vgl. BVerfG, FamRZ 1997, 1269, 1270). Eine Anhörung entführter Kinder ist deshalb im Verfahren nach dem HKiEntÜ grundsätzlich nicht erforderlich (vgl. BVerfGE 99, 145 = FamRZ 1999, 85).

Die Bestellung eines Verfahrenspflegers war nicht geboten. Umstände für die Annahme, dass der zurückgelassene Elternteil die Interessen seiner Kinder aus dem Blick verlieren könnte (vgl. BVerfGE 99, 145 = FamRZ 1999, 85; BVerfG, FamRZ 2006, 1261), sind nicht gegeben. Auch für die Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens bestand kein Anlass. Ein solches Gutachten mag im Rahmen des Sorgerechtsstreits einzuholen sein, über welchen allerdings, wie ausgeführt, im Ursprungsstaat zu entscheiden ist. Die Beteiligung des Jugendamts schließlich ist in § 9 IntFamRVG als lediglich unterstützende Begleitung vorgesehen, nicht aber zwingend vorgeschrieben (vgl. Wicke/Reinhardt, JAmt 2007, 453, 458).

Zur Durchsetzung der Rückführungsentscheidung hat das zuständige Jugendamt allerdings die dort benötigten Informationen zu erhalten (Wicke/Reinhardt, a.a.O.), was erforderlichenfalls noch herbeizuführen sein wird.

Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin war zurückzuweisen.

4.

Auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung war zurückzuweisen. Es fehlt bereits an der Anhängigkeit eines korrespondierenden Verfahrens in der Hauptsache (§§ 620, 620 a ZPO). Die Regelung des Sorgerechts und Regelungen nach dem HKiEntÜ betreffen verschiedene Gegenstände. Im Übrigen aber ist den deutschen Gerichten eine Sorgeentscheidung verwehrt, solange der Rückführungsantrag anhängig ist (Art. 16 HKiEntÜ).

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 51 Abs. 2 IntFamRVG; § 13 a FGG; §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 2 KostO, 24 Satz 1 RVG. Auch in der Beschwerdeinstanz entspricht es der Billigkeit, der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, weil sie die Kinder widerrechtlich in die Bundesrepublik Deutschland verbracht hat und ihre Beschwerde erfolglos war.

Zugleich war die sofortige Vollziehbarkeit der angefochtenen Entscheidung anzuordnen, damit die Rückführung der Kinder durchsetzbar ist (§ 40 Abs. 3 IntFamRVG).

Ende der Entscheidung

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