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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 16.02.2000
Aktenzeichen: 17 UF 234/99
Rechtsgebiete: ZPO, ALG, BGB, FGG, VAHRG, SGB VI


Vorschriften:

ZPO § 516 Hs. 2
ZPO § 621 e Abs. 3
ZPO § 629 a Abs. 2 Satz 1
ZPO § 621 e Abs. 2 Satz 1
ZPO § 546 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Satz 3
ALG § 43
ALG § 43 Abs. 1
ALG § 43 Abs. 1 Satz 1
ALG § 43 Abs. 1 Satz 2
BGB § 1587 b Abs. 1
BGB § 1587 b Abs. 2
BGB § 1587 b Abs. 3
BGB § 1587 b Abs. 3 Satz 3
BGB § 1587 b Abs. 3 Satz 1
BGB § 1587 b Abs. 4
BGB § 1587 Abs. 1
BGB § 1587 a Abs. 1
BGB § 1587 a Abs. 2 Nr. 1
BGB § 1587 a Abs. 2 Nr. 2
FGG § 53 b Abs. 2 Satz 2
FGG § 20 Abs. 1
FGG § 13 a Abs. 1 Satz 2
VAHRG § 1 Abs. 2
VAHRG § 1 - 3 b
VAHRG § 1 Abs. 1
VAHRG § 1 Abs. 3
SGB VI § 50
1. Wird ein Versorgungsträger vom Familiengericht im Versorgungsausgleichsverfahren nicht beteiligt, so findet § 516 Hs. 2 ZPO (Fünf-Monats-Frist) für den Beginn der Beschwerdefrist keine Anwendung.

2. Die in § 43 Abs. 1 S. 1 ALG enthaltene Möglichkeit der Realteilung für Anrechte bei der Landwirtschaftlichen Alterskasse gewährt für den Wertausgleich keinen absoluten Vorrang im gesetzlichen Rangfolgesystem (§§ 1587 b Abs. 1, Abs. 2 BGB, 1, 2, 3 b VAHRG).


Oberlandesgericht Stuttgart - 17. Zivilsenat - - Familiensenat - Beschluß

Geschäftsnummer: 17 UF 234/99 4 F 9/98 AG Rottweil

vom 16. Februar 2000

In der Familiensache

wegen Versorgungsausgleichs

hat der 17. Zivilsenat - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am OLG Borth,

des Richters am OLG Schwarz und

des Richters am OLG Stößer

beschlossen:

Tenor:

1. Die Beschwerde der Landwirtschaftlichen Alterskasse Württemberg gegen Ziff. 2 des Urteils des Amtsgerichts Rottweil - Familiengericht - (2 F 9/98)wird zurückgewiesen.

2. Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der weiteren Beteiligten.

3. Die weitere Beschwerde wird zugelassen.

Wert des Beschwerdeverfahrens: 1.000,- DM

Gründe:

I.

Mit Antrag vom 20. Januar 1998 hat die Antragstellerin beim Amtsgericht Rottweil - Familiengericht - die Scheidung ihrer Ehe beantragt. Diesem Antrag hat das Amtsgericht Rottweil - Familiengericht - durch Urteil vom 30.9.1998 entsprochen und gleichzeitig den öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich in der Weise durchgeführt, daß es von dem Versicherungskonto der Antragstellerin in der gesetzlichen Rentenversicherung auf das Versicherungskonto des Antragsgegners in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 1587 b Abs. 1 BGB eine monatliche Rentenanwartschaft der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 17,13 DM übertrug. Diesem Ausgleich lag zugrunde, daß die Antragstellerin in der Ehezeit (1.7.1985 bis 28.2.1998) in der gesetzlichen Rentenversicherung eine Anwartschaft in Höhe von monatlich 67,10 DM und bei der Landwirtschaftlichen Sozialversicherung Württemberg (LAK) ein Anrecht in Höhe von 102,21 DM nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) erworben hat. Der Antragsgegner hat in der Ehezeit lediglich Anrechte bei der Landwirtschaftlichen Sozialversicherung Württemberg in Höhe von 135,06 DM erworben.

Gegen den vom Amtsgericht angeordneten Ausgleich im Wege des Splittings nach § 1587 b Abs. 1 BGB wendet sich die LAK mit ihrer Beschwerde vom 28.5.1999, die beim Oberlandesgericht Stuttgart am 10.6.1999 einging.

II.

Die Beschwerde der LAK ist zulässig. Zwar ging die Beschwerde erst am 10.6.1999 beim OLG Stuttgart ein. Die in §§ 621 e Abs. 3, 516 Hs.2 ZPO enthaltene Fünf-Monatsfrist steht dem nicht entgegen, da der LAK das Urteil des Amtsgericht Rottweil vom 10.9.1998 nie zugestellt wurde (und diese von dem Urteil wohl erst aufgrund des Vollzugs der Entscheidung des Amtsgerichts Rottweil zum Versorgungsausgleich durch den zuständigen Rentenversicherungsträger Kenntnis erlangt hat). Nach Ansicht des Senats greift diese Bestimmung, nach der die Rechtsmittelfrist spätestens 5 Monate nach Verkündung des Urteils zu laufen beginnt, bei der vorliegenden Sachlage nicht ein. Denn der dieser Bestimmung zugrunde liegende Regelungszweck besteht darin, daß es einer Partei, die in einem gerichtlichen Verfahren streitig verhandelt hat, zugemutet werden kann, sich nach dem Inhalt einer in diesem Verfahren zu erwartenden Entscheidung zu erkundigen. Dies gilt aber nicht, wenn der Betroffene mangels Beteiligung oder ordnungsgemäßer Ladung zu einem Termin weder vom Verfahren noch von einem Verkündungstermin Kenntnis erlangt hat (BGH NJW 1989, 1432, 1433; NJW-RR 1994, 1022; Musielak-Ball, § 516 ZPO, Rn 8 m.w.N.). Diese Grundsätze sind auch auf den Fall der fehlenden Beteiligung eines Versorgungsträgers im Verfahren zur Durchführung des Versorgungsausgleichs anzuwenden. Zwar hat die LAK gemäß § 53 b Abs. 2 Satz 2 FGG als Auskunftsperson Kenntnis von dem Verfahren erlangt. Das Familiengericht hat diese aber nicht formell am Verfahren beteiligt, obwohl in der erteilten Auskunft vom 18.6.1998 ausdrücklich um die Zusendung der Schriftstücke zu dem den Versorgungsausgleich betreffenden Verfahren gebeten wurde. Im Hinblick hierauf mußte die LAK nicht mit der Verkündung einer Entscheidung zum Versorgungsausgleich rechnen und hatte auch keinen Anlass, sich über den Fortgang des Verfahrens zu unterrichten. Die Beschwerde wurde deshalb fristgerecht eingelegt (s. auch OLG München FamRZ 1991, 1460, a.A. OLG Frankfurt/M FamRZ 1985,613).

Ferner ist die Beschwerdebefugnis der LAK gemäß § 20 Abs. 1 FGG gegeben, der grundsätzlich das Vorliegen einer Rechtsbeeinträchtigung verlangt. Im Bereich des Versorgungsausgleichs genügt es allerdings, daß der beschwerdeführende Versorgungsträger geltend macht, daß das Familiengericht nicht eine dem Gesetz entsprechende Anordnung getroffen hat (BGH FamRZ 1982, 155; 1990, 1099). Eine solche Rechtsbeeinträchtigung behauptet die LAK, da sie vorbringt, der öffentlich-rechtliche Versorgungsausgleich dürfe nicht nach § 1587 b Abs. 1 BGB, sondern müsse gemäß § 43 ALG im Wege der Realteilung im Sinne des § 1 Abs. 2 VAHRG durchgeführt werden. Daß tatsächlich eine Rechtsverletzung nicht gegeben ist (was im folgenden ausgeführt wird), führt nicht bereits zur Unzulässigkeit der Beschwerde, weil diese im Rahmen der Begründetheit des Rechtsmittels zu prüfen ist. Es reicht aus, daß wenigstens eine Rechtsverletzung als möglich angenommen werden kann (Bassenge/Herbst, 8. Auflage, § 20 FGG Rn 10).

III.

Die Beschwerde der LAK ist jedoch nicht begründet. Das Amtsgericht hat mit zutreffender Begründung den Wertausgleich nach § 1587 b Abs. 1 BGB durchgeführt und zu Recht darauf hingewiesen, daß die Regelungen des VAHRG zum Ausgleich erst nach dem § 1587 b Abs. 1, 2 BGB zum Zuge kommt.

Das System des Ausgleichs von Anrechten nach § 1587 Abs. 1 BGB ist in § 1587 b Abs. 1 - 3 BGB sowie in den §§ 1 - 3 b VAHRG geregelt. Wesentliches Merkmal dieses Ausgleichssystems ist zunächst der Grundsatz des Einmalausgleichs, was in den §§ 1587 a Abs. 1, 1587 b Abs. 3 Satz 3 BGB ausdrücklich angeordnet wird. Ferner bestimmt sich der Wertausgleich nach einem bindenden Rangfolgesystem, das in den §§ 1587 b Abs. 1, 2 BGB, 1, 2, 3 b VAHRG geregelt ist (siehe hierzu Schwab/Hahne 4. Aufl., Teil VI Rn 156, 158 f.). Danach geht der Ausgleich gemäß § 1587 b Abs. 1, 2 BGB deshalb den durch das VAHRG eingeführten Ausgleichsformen vor (siehe BGH FamRZ 1983, 1003). Vorliegend bedeutet dies, daß der von der Antragstellerin abzugebende Ausgleichsbetrag nach § 1587 a Abs. 1 BGB in Höhe von 17,13 DM bereits im Rahmen des Splittings nach § 1587 b Abs. 1 BGB vollständig ausgeglichen werden kann, weil die Anrechte der Antragstellerin aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht durch Anrechte des Antragsgegners gemäß § 1587 a Abs. 2 Nr. 1, 2 BGB aufgezehrt werden. Ferner folgt aus § 1587 b Abs. 3 Satz 1 BGB, der durch § 1 Abs. 1 VAHRG ersetzt wurde, daß das Ausgleichssystem der §§ 1 Abs. 2, 3; 2, 3 b Abs. 1 VAHRG erst dann eingreift, wenn der Ausgleich nicht nach § 1587 b Abs. 1, 2 BGB vorzunehmen ist, sondern andere auszugleichende Anrechte vorliegen.

Dieses Ausgleichssystem des BGB und des VAHRG wird nicht durch die Regelung des § 43 Abs. 1 ALG verändert; vielmehr bestimmt diese Regelung nur im Verhältnis von § 1 Abs. 2 VAHRG (Realteilung) zu § 1 Abs. 3 VAHRG (analoges Quasisplitting), daß die Realteilung vorrangig durchzuführen ist, wenn beide Ehegatten berücksichtigungsfähige Anrechte nach dem ALG erworben haben. § 43 Abs. 1 ALG gliedert sich damit in das Ausgleichssystem des § 1587 b Abs. 1, 2 BGB und des § 1 Abs. 2, 3 VAHRG ein (anders OLG Stuttgart, 16 UF 314/98, das einen Vorrang des § 43 ALG annimmt, diese Frage aber nicht erörtert). Dieses Verständnis erschließt sich auch aus den Gesetzesmaterialien. In der Gesetzesbegründung zu § 43 ALG (s. Regierungsentwurf der Bundesregierung vom 13.10.1993 - Bundestagsdrucksache 12/5889, Seite 6 - in Verbindung mit dem Gesetzesentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. vom 21.9.1993 Bundestagsdrucksache 12/5700) wird ausgeführt, daß diese Bestimmung die soziale Sicherung geschiedener Ehegatten verbessern soll, indem das vorhandene System der Realteilung in den Fällen des § 43 Abs. 1 ALG erweitert wird, wenn ein Ausgleich nach § 1 Abs. 3 VAHRG möglich wäre. Hierdurch soll ein Wechsel in ein anderes, dem Ausgleichsberechtigten unbekanntes Sozialversicherungssystem vermieden werden. Dagegen kann aus dieser Begründung nicht ein genereller Vorrang vor den anderen vorrangigen Ausgleichsregelungen des BGB entnommen werden. Gegen einen absoluten Vorrang der Realteilung nach § 43 Abs. 1 Satz 1 ALG spricht auch die Regelung des § 43 Abs. 1 Satz 2 ALG, die auf Antrag eines Ehegatten auch einen Ausgleich nach § 1 Abs. 3 VAHRG ermöglicht, wenn beim Ausgleichsberechtigten auch Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben wurden. In der Begründung des Regierungsentwurfs wird hierzu darauf hingewiesen, daß der Vorrang der Realteilung jedenfalls dann nicht mehr durchgreift, wenn der Berechtigte (auch) einem anderen Versorgungssystem angehört, so daß ihm ein Wahlrecht eröffnet wird. Auch aus dieser (den konkreten Fall nicht betreffenden) Regelung ergibt sich, daß der Realteilung nach § 43 Abs. 1 Satz 1 ALG kein genereller Vorrang zukommt.

Die Vornahme des Splittings nach § 1587 b Abs. 1 BGB ist auch nicht unwirtschaftlich im Sinne des § 1587 b Abs. 4 BGB. Der Antragsgegner hat nach der vom Senat eingeholten Auskunft in der gesetzlichen Rentenversicherung 135 Beitragsmonate zurückgelegt. Er erfüllt damit die Wartezeit von 5 Jahren gemäß § 50 SGB VI, so daß der Berechtigte jedenfalls mit Erreichen des 65. Lebensjahres eine Rente wegen Alters erlangen kann.

Die Entscheidung zu den Kosten folgt aus § 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG. Die weitere Beschwerde ist nach §§ 629 a Abs. 2 Satz 1, 621 e Abs. 2 Satz 1, 546 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Satz 3 ZPO zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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