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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 17.03.2003
Aktenzeichen: 17 UF 259/02
Rechtsgebiete: GVG, ZPO, StAG
Vorschriften:
GVG § 119 Abs. 1 Nr. 1 a | |
ZPO § 621 e Abs. 4 | |
StAG § 4 Abs. 3 | |
StAG § 19 |
2. Keine Entlassung eines nach dem 01.01.2000 in Deutschland geborenen Kindes ausländischer Eltern aus der deutschen Staatsangehörigkeit, wenn das Kind weiterhin seinen gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geburtsland beibehalten soll.
Oberlandesgericht Stuttgart - 17. Zivilsenat - - Familiensenat - Beschluss
Geschäftsnummer: 17 UF 259/02
vom 17.03.2003
In Sachen
wegen vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung der Entlassung aus der deutschen Staatsangehörigkeit
hat der 17. Zivilsenat - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung
des Richters am OLG Weiss, des Richters am OLG Grauer und des Richters am OLG Streicher
beschlossen:
Tenor:
1. Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 02.10.2002 (15 F 1137/02) wird zurückgewiesen.
2. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei.
Auslagen der Beteiligten werden nicht erstattet.
Gründe:
I.
Die Eltern des am 20.06.2001 in Stuttgart geborenen Kindes C. D. sind türkische Staatsangehörige. Der Vater lebt seit 1988 in Deutschland, die Mutter seit 1997. Zur Familie gehört noch die Tochter C. (geboren am 02.02.1997).
Die Eltern wehren sich gegen den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ihres Kindes nach § 4 Abs. 3 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG). Sie haben daher am 16.08.2001 gegenüber der Landeshauptstadt Stuttgart - Amt für öffentliche Ordnung - den Verzicht auf die deutsche Staatsbürgerschaft für ihren Sohn erklärt und beantragen hierzu die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts (§ 19 StAG).
Das Amtsgericht hat nach persönlicher Anhörung der Eltern deren Erklärung über den Verzicht des Kindes auf die deutsche Staatsbürgerschaft nicht genehmigt. Gegen die am 09.10.2002 zugestellte Entscheidung, die das Amtsgericht in seiner Funktion als Familiengericht getroffen hat, haben die Eltern am 05.11.2002 beim Amtsgericht "Widerspruch" eingelegt, der beim Senat am 07.11.2002 eingegangen ist. Sie erstreben weiterhin die gerichtliche Genehmigung des von ihnen erklärten Verzichts auf die deutsche Staatsangehörigkeit für ihren Sohn. Sie machen geltend, dass ihr Sohn gegen den erklärten Willen der sorgeberechtigten Eltern nicht gezwungen werden könne, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen.
Der Senat entscheidet ohne erneute Anhörung der Antragsteller, nachdem sie in 1. Instanz persönlich angehört worden sind und im Beschwerdeverfahren keine neuen Gesichtspunkte vorbringen.
II.
1.
Das Oberlandesgericht - Familiensenat - ist als Beschwerdegericht zuständig für die Entscheidung über den "Widerspruch" der Eltern, nachdem in 1. Instanz das Amtsgericht in seiner Funktion als Familiengericht entschieden hat (§ 119 Abs. 1 Nr. 1a GVG), obwohl nach § 19 StAG das Vormundschaftsgericht für die Entscheidung über die Genehmigung der Entlassung eines Kindes aus der deutschen Staatsangehörigkeit zuständig ist. Gegen die im 1. Rechtszug ergangenen Endentscheidungen des Familiengerichts in Sachen der elterlichen Sorge findet gemäß § 621e Abs. 1 ZPO die Beschwerde statt. Das von den Eltern als "Widerspruch" bezeichnete Rechtsmittel ist daher als Beschwerde gegen die erstinstanzliche Entscheidung zu behandeln. Die Beschwerde der Eltern ist auch zulässig, da sie rechtzeitig beim Beschwerdegericht eingegangen und begründet worden ist (§§ 621e Abs. 3, 517, 520 Abs. 1 ZPO).
Der Senat hat auch in der Sache zu entscheiden, da wegen § 621e Abs. 4 ZPO die Unzuständigkeit des Familiengerichts nicht gerügt werden kann und demzufolge eine mit der Unzuständigkeit des erstinstanzlichen Gerichts begründete Abgabe, Verweisung oder Zurückverweisung an das zuständige (Vormundschafts-)Gericht ausscheidet (Zöller-Philippi, 23. Aufl., § 621e Rn. 50; Thomas-Putzo, 24. Aufl., § 621e, Rn. 13; Bergerfurth, Rechtsmittelreform und Scheidungsverfahren in FamRZ 2001, 1494).
2.
In der Sache ist die Beschwerde der Eltern unbegründet. Das Amtsgericht hat zu Recht keine Genehmigung für die Entlassung des Kindes aus der deutschen Staatsangehörigkeit erteilt.
Nach § 4 Abs. 3 des StAG erwirbt (seit 01.01.2000) ein in Deutschland geborenes Kind ausländischer Eltern - neben der Staatsangehörigkeit seiner Eltern - zusätzlich die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn wenigstens ein Elternteil seit 8 Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und eine Aufenthaltsberechtigung oder seit 3 Jahren eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt. Die Entlassung des Kindes aus der deutschen Staatsangehörigkeit kann nur von dem gesetzlichen Vertreter des Kindes beantragt werden, der hierzu die Genehmigung des deutschen Vormundschaftsgerichts benötigt (§ 19 StAG). Über die bei der Entscheidung über die Genehmigung zu beachtenden materiellen Gesichtspunkte sagt das Gesetz nichts (Hailbronner/Renner; Staatsangehörigkeitsrecht, 3. Aufl., § 19 StAG, Rn. 8; Makarov/v. Mangoldt, Gemeinschaftskommentar zum Staatsangehörigkeitsrecht, § 19 StAG, Rn. 7). In allen Fällen, in denen nach dem Gesetz Eltern für ihre Kinder eine Entscheidung zu treffen haben und hierzu die Genehmigung des Vormundschafts- oder des Familiengerichts benötigen (vgl. §§ 1631b, 1643, 1821, 1822 Nr. 1, 3, 5, 8 bis 11 BGB), ist auf das Kindeswohl als allgemeines Prinzip abzustellen (§ 1697a BGB). Hiernach ist diejenige Entscheidung zu treffen, die unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten sowie der berechtigten Interessen der Beteiligten dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Staatliche Interessen, wie sie speziell in § 22 StAG angesprochen werden, sind dagegen nicht tangiert.
Die Vorschrift des § 4 Abs. 3 StAG, wonach in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern neben ihrer ausländischen Staatsangehörigkeit mit der Geburt auch die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben, wurde eingeführt durch das Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15.07.1999 (BGBl 1999, I, 1618); sie ist in Kraft seit 01.01.2000. Mit der Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit bei der Geburt soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers die Integration der hier aufwachsenden Kinder ausländischer Eltern in die deutschen Lebensverhältnisse verbessert werden (Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 3. Aufl., § 4 Rn. 68). Der Gesetzgeber geht damit von der nicht zu beanstandenden Überzeugung aus, dass es für die Integration eines hier geborenen Kindes, welches auch weiterhin in Deutschland aufwachsen soll und dessen Eltern (oder zumindest ein Elternteil) bereits seit über 8 Jahren seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, förderlich ist, wenn es die Staatsangehörigkeit seines Geburtsortes hat. Der Beschwerdeführer lebt bereits seit 14 Jahren in Deutschland; nach eigener Bekundung will er auch die nächsten 8 bis 10 Jahre mit seiner Familie in Deutschland bleiben. Es ist daher grundsätzlich zum Wohl des Kindes, wenn es die Staatsangehörigkeit seines Geburtslandes, in dem es weiterhin leben soll, behält.
Eine Entlassung des Kindes aus der deutschen Staatsangehörigkeit käme hiernach nur in Betracht, wenn ihre Beibehaltung für das Kind aus besonderen Gründen nachteilig wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall. Auch die Eltern haben keine Gründe aufgezeigt, unter welchen Umständen sich die deutsche Staatsangehörigkeit des Kindes nachteilig auswirken würde. Sie betonen lediglich ihre Rechte als Eltern und ihre ideologischen Vorbehalte gegen den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft. Diese Gesichtspunkte berühren aber gerade nicht das Wohl des Kindes. Dieses hat vielmehr objektiv ein Interesse daran, dass sein Status in Deutschland durch die deutsche Staatsangehörigkeit verbessert wird und es sich erst nach Erreichen der Volljährigkeit entscheiden muss, ob es die deutsche oder die ausländische Staatsangehörigkeit behalten will (§ 29 StAG). Da das Kind aufgrund seiner Abstammung die türkische Staatsangehörigkeit besitzt (und die deutsche Staatsangehörigkeit nur zusätzlich erhält), bleibt die einheitliche Staatsangehörigkeit der Familie der Beschwerdeführer gewahrt.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 131 Abs. 3 KostO und auf § 13a Abs. 1 FGG.
Ende der Entscheidung
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