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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 27.11.2003
Aktenzeichen: 18 WF 190/03
Rechtsgebiete: BGB, GewSchG
Vorschriften:
BGB § 1361 b | |
GewSchG § 1 |
2) Die Wahrung der Belange des im Haushalt lebenden Kindes kann die befristete Zuweisung der Ehewohung an den betreuenden Elternteil rechtfertigen, auch wenn diese im Alleineigentum des Antragsgegners steht.
3) Bei Erlass einer Schutzanordnung nach § 1 Abs. 1 GewSchG ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.
Oberlandesgericht Stuttgart - 18. Zivilsenat - - Familiensenat - Beschluss
vom 27. November 2003
In der Familiensache
wegen Ehescheidung
hier: Zuweisung der Ehewohnung und Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz
hat der 18. Zivilsenat - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung
beschlossen:
Tenor:
1. Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Amtsgerichts Balingen - Familiengericht vom 22.09.2003 (3 F 293/02) in seiner Ziffer 2.
abgeändert
und wie folgt neu gefasst:
Dem Antragsgegner wird untersagt, ohne Zustimmung der Antragstellerin das Wohngebäude in H. zu betreten.
Der Antrag der Antragstellerin auf Anordnung eines Näherungsverbots wird zurückgewiesen.
2. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde des Antragsgegners
zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
4. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird wie folgt festgesetzt:
a) Wohnungszuweisung: 3.000,00 € b) Betretens- und Näherungsverbot: 500,00 €
Gründe:
I.
Die Parteien sind getrenntlebende Eheleute. Aus ihrer Ehe ist das gemeinsame Kind A., geb. 21.10.1996 hervorgegangen. Das FamG hat im Rahmen des Scheidungsverbundsverfahrens durch einstweilige Anordnung vom 22.09.2003 das Anwesen in H. der Antragstellerin zusammen mit dem gemeinsamen Kind zur alleinigen Nutzung zugewiesen und außerdem dem Antragsgegner untersagt, ohne Zustimmung der Antragstellerin das Hausgrundstück zu betreten, sich der Antragstellerin weniger als 100 m zu nähern und sich in weniger als 100 m Umkreis des Grundstücks aufzuhalten. Diese Anordnung wurde vorläufig für die Dauer von fünf Monaten begrenzt.
Dem ging voran, dass es am 24.08.2003 zu nächtlicher Stunde zwischen den Eheleuten zu einer auch tätlich ausgetragenen Streitigkeit über die Frage kam, ob das Fenster des gemeinsam benutzten Schlafzimmers geöffnet bleiben oder geschlossen werden sollte. Die Antragstellerin hat hierbei durch Arztattest und Fotoaufnahmen dokumentierte Blutergüsse und eine Schwellung am rechten Ober- und Unterarm davongetragen. Sie bringt in ihrer eidesstattlichen Versicherung hierzu vor, der Antragsgegner habe ihren Arm, nachdem sie aus dem ehelichen Schlafzimmer geflüchtet sei, zwischen Tür und Türrahmen des Kinderzimmers eingeklemmt und sie außerdem dabei ins Gesicht geschlagen. Der Antragsgegner bestreitet diesen Ablauf und gibt an, die vom Arzt festgestellten Blutergüsse am Arm der Antragstellerin seien entstanden, als er diese festhielt, nachdem sie zuvor auf ihn eingeschlagen habe. Er räumt ein, der Antragstellerin im Liegen einen Stoß versetzt zu haben, nachdem sie ihn zuvor mit üblen Beschimpfungen und Beleidigungen belegt habe.
Mit seiner sofortigen Beschwerde beantragt der Antragsgegner die Aufhebung des familiengerichtlichen Beschlusses und die Zurückweisung des Antrags. Die Antragstellerin verteidigt die angefochtene Entscheidung.
II.
Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners ist gem. § 620c S. 1 ZPO zulässig. Die angefochtene Entscheidung erging aufgrund mündlicher Verhandlung des Familiengerichts vom 09.09.2003. Das Rechtsmittel ist begründet, soweit das Familiengericht gegen den Antragsgegner ein Näherungsverbot verhängt hat. Bezüglich der Zuweisung der Ehewohnung an die Antragstellerin und des Betretensverbots ist die Beschwerde hingegen nicht begründet.
Rechtsgrundlage für die Wohnungszuweisung während der Dauer des Getrenntlebens ist der durch das Gesetz zur Verbesserung des zivilrechtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei der Trennung neu gefasste § 1361b BGB. Nach Abs. 1 der Vorschrift kann bei Getrenntleben der Ehegatten oder bei Trennungsabsicht auch nur eines Ehegatten der Antragsteller verlangen, dass ihm der andere die Ehewohnung oder einen Teil derselben zur alleinigen Benutzung überlässt. Voraussetzung hierfür ist, dass die Zuweisung notwendig ist, um eine unbillige Härte zu vermeiden. Damit enthält die Neufassung von § 1361b Abs. 1 S. 1 BGB eine Absenkung der Eingriffsschwelle gegenüber der bis 31.12.2001 geltenden Fassung, wonach die Wohnungszuweisung nur zur Vermeidung einer schweren Härte möglich war (hierzu Bundestags-Drucksache 14/5420, S. 33; Johannsen/Henrich/Brudermüller, Eherecht, 4. Auflage, § 1361b Rn. 2, Schumacher, FamRZ 2002, 645, 456). Das Vorliegen einer unbilligen Härte kann sich nach § 1361b Abs. 1 S. 2 BGB auch daraus ergeben, dass das Wohl von im Haushalt lebenden Kindern beeinträchtigt ist. Gem. § 1361b Abs. 2 S. 1 BGB ist bei vorangegangener Gewalttätigkeit durch den Antragsgegner dem geschädigten Ehegatten die Wohnung zur alleinigen Benutzung zu überlassen. Nach Satz 2 der Vorschrift ist der Anspruch auf alleinige Wohnungszuweisung bei vorangegangener Gewalttätigkeit oder Bedrohung durch den Antragsgegner nur dann ausgeschlossen, wenn keine weiteren Verletzungen oder widerrechtlichen Drohungen zu besorgen sind, es sei denn, dass dem verletzten Ehegatten das weitere Zusammenleben mit dem anderen wegen der Schwere der Tat nicht zuzumuten ist. Die Neufassung von § 1361b BGB hat zur Konsequenz, dass in Fällen, in denen bereits nach § 1361b Abs. 1 a. F. BGB ein Wohnungszuweisungsgrund bejaht wurde, nach neuem Recht ein solcher erst recht gegeben ist. In den Grenzfällen nach altem Recht, insbesondere solchen, in denen der Antrag auf Alleinzuweisung der Ehewohnung abgewiesen und stattdessen eine Aufteilung vorgenommen wurde, werden nach der nunmehr geltenden Rechtslage zumindest bei vorangegangener Gewaltanwendung oder Gewaltdrohung die Voraussetzungen von § 1361b Abs. 1 BGB für Alleinzuweisung der Ehewohnung an den Antragsteller meist zu bejahen sein.
Nach dem Dafürhalten des Senats liegen aufgrund der Auseinandersetzung der Eheleute vom 24.08.2003 die Voraussetzungen für eine Alleinzuweisung des ehelichen Hauses an die Antragstellerin vor. Der Antragsgegner räumt ein, gegen die Antragstellerin tätlich geworden zu sein. Auf sein Vorbringen zu den Ursachen des Konflikts kommt es nicht entscheidend an (OLG Schleswig OLGR 2003, 464). Die mündliche Verhandlung vor dem Senat hat außerdem ergeben, dass zwischen den Eheleuten weiterhin ein hohes Maß an Spannungen besteht, so dass im Falle eines Wohnens unter einem Dach, auch bei getrennten Lebensbereichen, die Gefahr weiterer Gewalttätigkeiten besteht. Jedenfalls hat der Antragsgegner den ihm aufgrund § 1361b Abs. 2 S. 2 BGB obliegende Nachweis, dass keine weiteren Verletzungen oder Bedrohungen zu erwarten sind (hierzu Brudermüller, FamRZ 2003, 1705, 1708), nicht geführt.
Bei der gebotenen Gesamtabwägung ist im vorliegenden Fall gem. § 1361b Abs. 1 S. 2 BGB auch das Wohl des gemeinsamen Sohnes A., welcher hauptsächlich von der Antragstellerin betreut wird, zu berücksichtigen. Es ist zu befürchten, dass dessen seelisches Wohlbefinden durch das Miterleben (weiterer) tätlicher Auseinandersetzungen unter den Ehegatten schwer beeinträchtigt wird. Dieser Gesichtspunkt wiegt die im Rahmen des Wohnungszuweisungsverfahrens gem. § 1361 b Abs. 1 S. 3 BGB ebenfalls zu berücksichtigende Eigentümerstellung des Antragsgegners in Bezug auf das streitgegenständliche Hausgrundstück zumindest gegenwärtig auf. Dabei berücksichtigt der Senat, dass zwischen den Parteien in der mündlichen Verhandlung Einvernehmen darüber erzielt werden konnte, dass die Antragstellerin sich nachdrücklich um eine andere Wohnmöglichkeit bemüht, damit sie nach Ablauf der Zuweisungsdauer von fünf Monaten aus dem Anwesen ausziehen kann. Für die Zeit bis dahin verzichtet der Senat darauf, der Antragstellerin gem. § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB die Zahlung einer Nutzungsvergütung aufzuerlegen, weil der Antragsgegner andernfalls verpflichtet sein könnte, erhöhten Ehegattentrennungsunterhalt an die Antragstellerin zu bezahlen.
Gem. § 1361 b Abs. 3 S. 1 BGB hat der Antragsgegner alles zu unterlassen, was geeignet ist, die Ausübung des der Antragstellerin zugewiesenen Alleinnutzungsrechts am ehelichen Anwesen zu erschweren oder zu vereiteln. Hierbei erscheint es dem Senat angezeigt, ein Betretensverbot in Bezug auf das Wohngebäude auszusprechen. Weitergehende, auf § 1 Abs. 1 S. 3 GewSchG zu stützende Maßnahmen gegen den Antragsgegner erscheinen dem Senat hingegen nicht geboten zu sein. Dies gilt insbesondere für das im angefochtenen Beschluss enthaltene Verbot, sich der Antragstellerin (als Person) auf weniger als 100 m zu nähern und sich in weniger als 100 m Umkreis des Grundstücks aufzuhalten (sog. Bannmeile, hierzu Johannsen/Henrich/Brudermüller, Rn. 58; vgl. auch OLG Köln FamRZ 2003, 319). Die getroffene Anordnung des Familiengerichts begegnet Bedenken im Hinblick auf das auch im Rahmen von § 1 GewSchG zu beachtende Gebot der Verhältnismäßigkeit. Im Übrigen hat die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zu erkennen gegeben, dass sie weitergehende Schutzanordnungen über das Betretensverbot hinaus selbst nicht (mehr) für erforderlich hält. In diesem Punkt ist der angegriffene Beschluss daher abzuändern.
Weil die Beschwerde zur teilweisen Abänderung der einstweiligen Anordnung führte, entspricht es der Billigkeit, die Kosten in zweiter Instanz gegeneinander aufzuheben.
Bei der Festsetzung des Gegenstandswerts der Beschwerde ist hinsichtlich der Wohnungszuweisung der dreifache Monatsbetrag des Wohnwerts des recht großzügigen Anwesens, den der Senat auf mtl. 1.000,00 € schätzt, zugrunde zu legen. Der Gegenstandswert der Schutzanordnung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist in Anlehnung an § 8 Abs. 3 BRAGO mit 500,00 € zu bemessen.
Ende der Entscheidung
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