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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 07.07.2008
Aktenzeichen: 2 Ss (29) 209/08
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 329 Abs. 1 Satz 1 | |
StPO § 412 Satz 1 |
Oberlandesgericht Stuttgart - 2. Strafsenat - Beschluss
Geschäftsnummer: 2 Ss (29) 209/08
In der Strafsache
wegen übler Nachrede
hat der 2. Strafsenat nach Anhörung der G. am 7. Juli 2008 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Tenor:
Auf die Revision der Angeklagten werden das Urteil des Landgerichts H. vom 21. Dezember 2007 und das Urteil des Amtsgerichts B. vom 6. Juli 2005 mit ihren Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts B. zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht B. verhängte durch Strafbefehl vom 23. Juni 2004 gegen die Angeklagte wegen übler Nachrede in zwei Fällen zum Nachteil ihres geschiedenen Ehemannes eine Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30 €. Auf ihren zulässigen Einspruch hin bestimmte das Amtsgericht Termin zur Durchführung der Hauptverhandlung auf den 06. Juli 2005. Zu diesem Termin erschien die Angeklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht. Daraufhin wurde der Einspruch verworfen. Sie war der Hauptverhandlung ferngeblieben, nachdem ihr ein Verteidiger trotz entsprechenden Antrags nicht beigeordnet worden war. Die Berufung der Angeklagten wurde durch Urteil des Landgerichts H. am 21. Dezember 2007 verworfen.
Mit ihrer Revision beanstandet die Angeklagte das Verfahren und rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Die G. beantragt die Verwerfung der Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO.
II.
Die zulässige Revision rügt unter anderem, das Amtsgericht habe den Einspruch der Angeklagten unter Verletzung der §§ 140 Abs. 2, 412 Satz 1, 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen. Diese Verfahrensrüge ist in einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO noch entsprechenden Weise ausgeführt, da sich die zur Begründung der Verfahrensrüge erforderlichen Umstände aus den Feststellungen im angefochtenen Urteil ergeben, die aufgrund der zugleich erhobenen Sachrüge heranzuziehen sind (Gössel in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 329, Rn. 99 mit zahlreichen Nachweisen, zuletzt Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 06.03.2008, 1 Ss 362/06, recherchiert über Juris).
Die Rüge hat auch in der Sache Erfolg. Das Amtsgericht durfte den Einspruch der Angeklagten nicht verwerfen, da diese im Sinne der §§ 412 Satz 1, 329 Abs. 1 Satz 1 StPO genügend entschuldigt war.
1.
Ohne Rechtsfehler hat die Strafkammer auf der Grundlage des in der Hauptverhandlung erstatteten Sachverständigengutachtens die Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten bejaht. Zutreffend sind auch die Feststellungen, dass der Strafbefehl ordnungsgemäß erlassen und zugestellt und der Einspruch in zulässiger Weise erhoben worden ist. Schließlich hat das Landgericht in nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass die Angeklagte im Termin vom 06.07.2005 trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen ist.
2.
Indes ist das Nichterscheinen der Angeklagten genügend entschuldigt im Sinne der §§ 412, 329 Abs. 1 Satz 1 StPO.
Das Ausbleiben der Angeklagten ist entschuldigt, wenn ihr bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles daraus billigerweise kein Vorwurf gemacht werden kann. Als Entschuldigungsgründe können alle Umstände in Betracht kommen, die die Angeklagte am Erscheinen hinderten oder die es bei Abwägung der widerstreitenden Interessen oder Pflichten als unzumutbar erscheinen lassen (Gössel in Löwe-Rosenberg, aaO, Rn. 35). So liegt der Fall hier.
Der Angeklagten wurde trotz ihres entsprechenden Antrages kein Verteidiger bestellt, obwohl nach der Gesamtschau aller Umstände die Mitwirkung eines Verteidigers zur Sicherstellung eines fairen Verfahrens und zur Sicherstellung der Verteidigungsinteressen der Angeklagten notwendig war. Dies ergibt sich zunächst daraus, dass der Verletzte als Nebenkläger aufgetreten ist und sich eines Rechtsanwaltes als Beistand bedient hat. Zwar hebt das Gesetz als Fall der notwendigen Verteidigung nach der Generalklausel des § 140 Abs. 2 StPO nur den Fall besonders hervor, dass dem Verletzten vom Gericht ein Rechtsanwalt als Verteidiger bestellt worden ist (s. hierzu Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 140 Rn. 31 m.w.N.). Die Fähigkeit eines Beschuldigten, sich selbst zu verteidigen, kann aber auch dann erheblich eingeschränkt sein, wenn der Verletzte sich auf eigene Kosten eines Rechtsanwaltes als Beistand bedient. Deshalb ist auch in diesen Fällen dem Angeklagten in der Regel ein Verteidiger beizuordnen (OLG Saarbrücken, NStZ 2006, 718 m.w.N.). Die Verteidigungsmöglichkeiten der Angeklagten waren darüber hinaus gravierend eingeschränkt, weil es sich bei dem Nebenkläger um den geschiedenen Ehemann der Angeklagten handelt, mit dem diese in den letzten beiden Jahrzehnten wiederholt erbitterte, jahrelang gerichtlich ausgetragene Auseinandersetzungen hatte. Das Landgericht hat festgestellt (UA S. 9, 21), dass die Angeklagte wegen der Art und des Umfangs der mit dem Geschädigten geführten Auseinandersetzungen besonderen psychischen Beeinträchtigungen ausgesetzt ist. Hieraus ergibt sich ein besonderes Schutzbedürfnis und ein Grund für die Erforderlichkeit der Verteidigerbestellung. Hinzu kommt, dass für die Hauptverhandlung der Direktor des Amtsgerichts Besigheim als Zeuge geladen war, von dem die Angeklagte sich in der Vergangenheit ungerecht behandelt fühlte.
Unter diesen Umständen war das Ausbleiben der Angeklagten im Sinne des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO bzw. § 412 Satz 1 StPO genügend entschuldigt. Die Notwendigkeit der Verteidigerbestellung im Sinne von § 140 Abs. 2 Satz 2 StPO ergab sich hier aus den genannten Gründen gerade auch aus der Schutzbedürftigkeit der Angeklagten gegenüber anderen Beteiligten in der Hauptverhandlung. Es widerspräche dieser gesetzlichen Wertung, der Angeklagten ein Erscheinen in der Hauptverhandlung ohne diesen Schutz zuzumuten.
Auf der Verkennung dieser Voraussetzung der Verfahrensvorschriften der §§ 412, 329 Abs. 1 Satz 1 StPO können die Urteile beruhen. Unter Aufhebung beider Urteile ist die Sache daher an das Amtsgericht zurückzuverweisen (Löwe-Rosenberg, aaO., § 412 Rn. 52 m.w.N.).
Ende der Entscheidung
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