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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 28.06.2000
Aktenzeichen: 2 Ss 289/2000
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 46
StPO § 267 Abs. 3
Wird ein Urteil auf die Revision des Angeklagten aufgehoben und wendet der neu entscheidende Tatrichter einen wesentlich niedrigeren Strafrahmen an als den, der dem früheren Urteil zugrunde lag, hält er aber an der früher erkannten Strafe fest, muss er diese Entscheidung eingehend und nachvollziehbar begründen. Dies gilt vor allem dann, wenn zur Strafrahmenmilderung weitere, bisher nicht berücksichtigte Strafmilderungsgründe hinzutreten.
Oberlandesgericht Stuttgart - 2. Strafsenat - Beschluss

Geschäftsnummer: 2 Ss 289/2000 4 Ns 12 Js 2420/99 LG Ravensburg 11 Ds 12 Js 2420/99 AG Ravensburg 12 Js 2420/99 StA Ravensburg

in der Strafsache gegen

M. K.,

wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.

Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts hat am 28. Juni 2000 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Beschwerdeführers gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 22. Februar 2000 unter Aufrechterhaltung der getroffenen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Ravensburg zurückverwiesen.

Gründe:

Der Angeklagte wurde am 23. Juni 1999 durch das Amtsgericht - Strafrichter -Ravensburg wegen tatmehrheitlicher Vergehen der Körperverletzung und der gefährlichen Körperverletzung gemäß §§ 223, 224, 230, 53, 21 StGB zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt. Hiergegen legte er Berufung ein. Mit Urteil vom 22. September 1999 verwarf das Landgericht Ravensburg dieses Rechtsmittel kostenpflichtig mit der Maßgabe, dass der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchter Körperverletzung gemäß §§ 223, 22, 224, 53 StGB zu der Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten zwei Wochen verurteilt wird. Hiergegen legte der Angeklagte Revision ein. Mit Beschluss vom 28. Dezember 1999 hob der Senat das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 22. September 1999 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen auf. In diesem Umfang wurde die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Ravensburg zurückverwiesen. Die weitergehende Revision des Angeklagten wurde verworfen. Grund der Aufhebung im Rechtsfolgenausspruch war gewesen, dass die Voraussetzungen der alkoholbedingt verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) keine hinreichende Prüfung gefunden hatten. Die erneuerte Berufungshauptverhandlung führte mit Urteil vom 22. Februar 2000 dazu, dass das Landgericht nunmehr - sachverständig beraten - die Voraussetzungen des § 21 StGB bejahte und die jeweiligen Strafrahmen der §§ 223, 224 Abs. 1 1. Alt. StGB über §§ 21, 49 Abs. 1 StGB milderte. Bei den bereits im ersten Berufungsurteil festgesetzten Einzelfreiheitsstrafen (9 Monate und 1 Monat) verblieb es ebenso wie bei der dort gebildeten Gesamtstrafe. Mit der erneuten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel zu verwerfen.

Die Revision hat vorläufigen Erfolg; sie führt zur Aufhebung des angefochtener Urteils und zur Zurückverweisung der Sache. Zwar greift die Verfahrensrüge sowie die Beanstandung, § 46 a StGB habe zu Unrecht keine Anwendung gefunden, nicht Platz. Insoweit tritt der Senat der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft bei. Indes leidet das Urteil an einem Darlegungsmangel:

Wird - wie hier mit Senatsbeschluss vom 28. Dezember 1999 geschehen - ein Urteil auf die Revision des Angeklagten aufgehoben und trifft der neu entscheidende Tatrichter Feststellungen, welche die Tat in einem wesentlich milderen Licht erscheinen lassen und ihm, wie vorliegend, einen wesentlich niedrigeren Strafrahmen vorschreiben als den, der im früheren Urteil geboten war, hält er aber dennoch eine gleich hohe Strafe für erforderlich, muss er diese Entscheidung eingehend und nachvollziehbar begründen. Die ursprüngliche Bewertung der Tat und die Strafzumessung in der angefochtenen Entscheidung sind zwar kein Maßstab für die neue Strafzumessung. Diese unterliegt lediglich den Schranken des - hier nicht berührten - Verschlechterungsverbots. Der Angeklagte hat jedoch einen Anspruch darauf, zu erfahren, warum er, obwohl ein wesentlich geminderter Strafrahmen Anwendung gefunden hat, gleich hoch bestraft wird. Die besondere Begründung einer solchen Strafzumessung ist auch deshalb erforderlich, weil andernfalls die spezialpräventive Wirkung der Verurteilung in Frage gestellt sein kann. Wird in verschiedenen Abschnitten ein und desselben Verfahrens die Tat eines Angeklagten trotz unterschiedlicher für die Strafzumessung bedeutsamer Umstände, die sogar zu einer Verringerung des Strafrahmens führen, ohne ausreichende Begründung mit der gleich hohen Strafe belegt, so kann auch bei einem verständigen Angeklagten der Eindruck entstehen, dass die Strafe nicht nach vom Gesetz vorgesehenen oder sonst allgemein gültigen objektiven Wertmaßstäben bestimmt wurde (BGH NJW 1983, 54 = JR 1983,375 zu Anm. Terhorst; KK-Engelhardt, StPO 4. Aufl. § 267 Rdnr. 25; vgl. auch OLG Köln VRS 7, 116; Mösl NStZ 1982, 453; Seibert DRiZ 1960, 365). Jenen Begründungsmangel, der die Verletzung sachlichen Rechts einschließt (OLG Köln a.a.O.), sieht der Senat im vorliegenden Fall verwirklicht. Die Strafkammer hat nicht kenntlich gemacht, warum es auch angesichts des gegenüber dem aufgehobenen Urteil geminderten Strafrahmens bei den dort erkannten Einzelfreiheitsstrafen zu bewenden habe. Solche besondere Begründung wäre allenfalls dann entbehrlich gewesen, wenn die früher festgesetzten Strafen deutlich im unteren Bereich des Vertretbaren gelegen hätten oder wenn, gemessen an den Strafzumessungserwägungen des aufgehobenen Urteils, deutliche Erschwernisse eingetreten und dargestellt worden wären. Jene Ausnahmegestaltungen liegen hier aber nicht vor. Die bislang erkannten Freiheitsstrafen waren keinesfalls auffallend niedrig. Zusätzliche erschwerende Umstände für die Strafzumessung hatte die zweite Berufungshauptverhandlung nicht zu Tage gefördert. Im Gegenteil: Zu Gunsten des Angeklagten weist das angefochtene Urteil zwei neu hinzugekommene Kriterien aus, nämlich die mittlerweile verdrängte Alkoholproblematik und den Eintritt in die Wiedergutmachung des dem Geschädigten B. zugefügten immateriellen Schadens. Das aufgehobene Urteil hatte zudem maßgeblich auf die nach § 224 StGB verwirkte Mindestfreiheitsstrafe von sechs Monaten abgehoben und diese um drei Monate überschritten. Dem neuen Tatrichter stand demgegenüber ein Strafrahmen zur Verfügung, der bei einem Monat begann. Bei dieser Sachlage hätte es eingehender und nachvollziehbarer Begründung bedurft, dass und warum es gleichwohl bei neun Monaten Freiheitsstrafe zu bewenden hatte.

Über die Strafzumessung muss deshalb neu verhandelt und entschieden werden. Die insoweit im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen, insbesondere zum konsumierten Alkohol und seinen Auswirkungen waren aufrechtzuerhalten. Die kommende Hauptverhandlung kann sich auf deren Neubewertung beschränken, wobei zusätzlich der bisherige Verfahrensablauf und dessen vom Angeklagten nicht zu vertretende Zeitdauer zu berücksichtigen sein werden.

Ende der Entscheidung

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