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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 31.07.2006
Aktenzeichen: 2 Ss 346/06
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 183 Abs. 3
1. Zu den erforderlichen Feststellungen im Rahmen der Prognoseentscheidung des § 183 Abs. 3 StGB.

2. Zur Anwendung des § 183 Abs. 3 StGB bei der Verurteilung zu einer Gesamtstrafe, wenn der Schwerpunkt auf der exhibitionistischen Tat


Oberlandesgericht Stuttgart

- 2. Strafsenat -

Beschluss

Geschäftsnummer: 2 Ss 346/06

24 Js 19381/05 StA Stuttgart

in der Strafsache gegen

wegen exhibitionistischer Handlungen u.a.

Der 2. Strafsenat hat nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft am 31. Juli 2006 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 04. Mai 2006 mit den Feststellungen aufgehoben,

soweit dem Angeklagten Strafaussetzung zur Bewährung versagt wurde.

In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Stuttgart zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt verurteilte den Angeklagten am 6. Oktober 2005 wegen einer exhibitionistischen Handlung sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten. Auf die Berufung des Angeklagten, die wirksam auf die Verurteilung wegen Körperverletzung beschränkt worden war, änderte das Landgericht Stuttgart das Urteil dahingehend ab, dass der Angeklagte wegen der o.g. Straftaten zu der Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt wurde. Die Gesamtfreiheitsstrafe wurde aus der bereits rechtskräftigen Einzelstrafe für die exhibitionistische Handlung von 6 Monaten und einer Einzelstrafe für die Körperverletzung von 60 Tagessätzen zu je 60 Euro gebildet.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:

1. Am 5. Februar 2005 gegen 15.30 Uhr entblößte der Angeklagte im Kaufpark in sein Geschlechtsteil und manipulierte daran, um sich sexuell zu erregen. Dabei fixierte er die ganze Zeit eine Gruppe von drei Jugendlichen in seiner Nähe. Es war ihm daher bewusst, dass er von der 15 Jahre alten Geschädigten beobachtet wurde, worauf es ihm zu seiner Erregung ankam. Die Geschädigte verspürte Ekel und informierte ihre beiden Begleiter über das Verhalten des Angeklagten. Diese riefen dem Angeklagten zu, worauf dieser sich entfernte, noch bevor sie ihn auf sein Verhalten ansprechen konnten.

2. Kurz nach 17.00 Uhr kehrten die drei Jugendlichen in den Kaufpark zurück, wo sie den Angeklagten erneut antrafen und ihn wegen des o.g. Tatgeschehens zur Rede stellen wollten. Der Angeklagte, der diese Absicht der Jugendlichen bemerkte, rannte davon, verfolgt von den Jugendlichen, die ihm zuriefen, stehen zu bleiben. Ein Jugendlicher holte den Angeklagten ein und legte ihm die Hand auf die Schulter, um ihn zum Anhalten zu bewegen. Daraufhin versetzte der Angeklagte seinem Verfolger einen Faustschlag ins Gesicht. Nach einem zweiten Faustschlag ins Gesicht ging der Jugendliche zu Boden. Obwohl der Angeklagte nunmehr ungehindert die Flucht hätte fortsetzen können, kniete er sich über den auf dem Rücken liegenden Jugendlichen und versetzte ihm weitere Schläge gegen Kopf und Körper, durch die beim Geschädigten schmerzhafte Prellungen im Gesicht und Nasenbluten verursacht wurden.

Mit seiner zulässigen Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Er beantragt, das Urteil des Landgerichts Stuttgart in vollem Umfang aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen.

II.

Das Rechtsmittel ist teilweise begründet. Die zulässige Sachrüge führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache, soweit dem Angeklagten Strafaussetzung zur Bewährung versagt wurde.

1. Die Strafkammer hat die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 StGB verneint. Die schlechte Kriminalprognose wurde darauf gestützt, dass der Angeklagte in der Vergangenheit immer wieder straffällig geworden sei, zunächst wegen sieben Diebstählen in der Zeit von 1985 bis 2001, die mit Geldstrafen oder Bewährungsstrafen geahndet wurden, und sodann wegen einschlägiger Straftaten. So war der Angeklagte am 18. September 2003 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei tateinheitlichen Fällen zu der Freiheitsstrafe von 3 Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Dieses Urteil war in eine weitere Verurteilung vom 6. April 2004 wegen einer exhibitionistischer Handlung einbezogen worden. Gegen den Angeklagten wurde eine sechsmonatige Freiheitsstrafe verhängt und zur Bewährung ausgesetzt. Im Hinblick auf diese Tat stand der Angeklagte zur Tatzeit unter Bewährung. Schließlich war ein weiteres gegen den Angeklagten gerichtetes Strafverfahren wegen exhibitionistischer Handlungen vom 22. September 2004 am 6. Juni 2005 gem. § 154 StPO vorläufig eingestellt worden. Diese Tat hatte der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung eingeräumt. Darüber hinaus stellte das Landgericht dem Angeklagten eine negative Sozialprognose, da seine Situation am Arbeitsplatz schlecht und seine weitere berufliche Existenz gefährdet sei. Auch seine Ehe und seine familiäre Situation seien erheblichen Belastungen ausgesetzt. Somit seien weder das berufliche noch das familiäre Umfeld geeignet, ihm einen stabilisierenden Rahmen zu bieten, was ja auch die Vielzahl der - auch in relativ kurzen Zeitabständen begangenen einschlägigen - Taten belege.

Zur Frage des § 183 Abs. 3 StGB hat das Landgericht ausgeführt, dass seine Voraussetzungen nicht vorlägen. Der Angeklagte führe zwar Therapiegespräche. Diese reichten jedoch im Hinblick darauf, dass lediglich alle drei Wochen ein Gespräch stattfinde, nicht aus, zumal Behandlungsziel nicht die Beseitigung der Neigung zu exhibitionistischen Handlungen sei, sondern vielmehr seine Depressionen.

2. Diese Feststellungen rechtfertigen zwar die Annahme einer schlechten Sozialprognose i.S. d. § 56 Abs. 1 StGB. Die Strafkammer hat aber die Frage der Anwendbarkeit des § 183 Abs. 3 StGB rechtsfehlerhaft abgelehnt.

a) Nach § 183 Abs. 3 StGB kann das Gericht die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe auch dann zur Bewährung aussetzen, wenn zu erwarten ist, dass der Täter erst nach einer längeren Heilbehandlung keine exhibitionistischen Handlungen mehr vornehmen wird. § 183 Abs. 3 StGB erweitert damit die Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung für exhibitionistische Täter mit regelmäßig sehr hoher Rückfallgefahr (BGHSt 34, 150; BGH NJW 1998, 3429; StV 1996, 605 f.; NStZ-RR 2003, 110). Insofern ist § 183 Abs. 3 StGB gegenüber § 56 Abs. 1 StGB eine Sonderregelung mit der Folge, dass eine Aussetzung auch dann in Betracht kommt, wenn im Zeitpunkt der Urteilsfindung noch akute Wiederholungsgefahr besteht (BGH NJW 1980, 649). Hier ist eine Strafaussetzung insbesondere mit der Weisung zulässig, sich einer Heilbehandlung zu unterziehen (§ 56 c Abs. 3 Nr. 1 StGB), weil die Heilungschancen dann größer sind als im Strafvollzug. Voraussetzung ist aber, dass nach längerer - also auch zeitlich nicht von vornherein absehbarer, mehrere Jahre dauernder - Heilbehandlung, ein Behandlungserfolg zu erwarten ist (Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 183 Rn 10; Schall, JR 1997, 399). Das bedeutet, dass der Täter behandlungswillig und behandlungsfähig sein muss. Einer günstigen Prognose i.S.d. § 183 Abs. 3 StGB bei Einwilligung des Täters steht auch nicht entgegen, dass ein Therapieplatz nicht gesichert oder die Kostenfrage für eine Therapie noch offen ist (BGH NJW 1998, 3429). Gelangt das Gericht - gegebenenfalls nach sachverständiger Beratung - zu der Überzeugung, dass auch nach längerer Heilbehandlung mit einem Behandlungserfolg nicht gerechnet werden kann, kommt eine Strafaussetzung nach § 183 Abs. 3 StGB nicht in Betracht.

Das Gericht muss sich beim Vorliegen einer exhibitionistischen Handlung in den Urteilsgründen somit eingehend mit den Voraussetzungen des § 183 Abs. 3 StGB auseinandersetzen und dabei die einschlägigen Vorverurteilungen und ihre näheren Begleitumstände, die Erfolgsaussicht einer Therapie, insbesondere auch die Therapiebereitschaft, die Therapiebedürftigkeit und die Therapiefähigkeit darlegen, damit dem Revisionsgericht eine Überprüfung auf Rechtsfehler möglich ist.

Die hierzu erforderlichen Feststellungen lässt das Urteil vermissen. Das Landgericht lehnt § 183 Abs. 3 StGB mit der Begründung ab, dass der Angeklagte die falsche, weil nicht zielgerichtete Therapie absolviere, die auch in zeitlicher Hinsicht nicht ausreichend sei, seine Neigung zu exhibitionistischen Handlungen zu behandeln. Aus dem Urteil ergibt sich jedoch nicht, ob es eine geeignete Sexualtherapie gibt und ob der Angeklagte bereit wäre, sich einer solchen zu unterziehen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass entsprechende Heilbehandlungsversuche offensichtlich aussichtslos wären, z.B. weil der Angeklagte eine geeignete Sexualtherapie schon einmal erfolglos unternommen hätte. Ebenfalls äußert sich das Urteil nicht dazu, ob dem Angeklagten etwa im Zusammenhang mit früheren Strafaussetzungen zur Bewährung entsprechende Weisungen erteilt wurden oder wegen seines fehlenden Einverständnisses nicht erteilt werden konnten (BGH StV 1996, 606; BGH 26. 7. 1988 - 4 StR 333/88).

b) Der Anwendung des § 183 Abs. 3 StGB im vorliegenden Fall steht nicht entgegen, dass der Angeklagte nicht nur wegen einer exhibitionistischen Tat, sondern zusätzlich wegen einer tatmehrheitlich begangenen Körperverletzung verurteilt wurde.

Bei § 183 Abs. 3 StGB handelt es sich um eine Spezialvorschrift für den exhibitionistischen Täter, die aus dem System der §§ 56 ff. StGB herausfällt (Tröndle/Fischer, 53. Aufl. 2006, § 183 Rn 13). Der Gesetzgeber ging davon aus, dass der Grund für diese Vorschrift die besonderen Verhältnisse beim Exhibitionismus seien. Einer hohen Rückfallwahrscheinlichkeit korrespondierten eine nur geringe Schwere der Rechtsgutsverletzung sowie die Möglichkeit einer Therapie. Beim Täter handle es sich in aller Regel nicht um eine anti- oder asoziale, sondern um eine wegen erheblicher emotioneller oder neurotischer Störungen hilfs- und behandlungsbedürftige Persönlichkeit. Deshalb könne die Wiederholungsgefahr während der Bewährungszeit hingenommen werden. Die erweiterte Aussetzungsmöglichkeit nach § 183 Abs. 3 StGB hat der Gesetzgeber auch im Rahmen der verschiedenen Reformen der Sexualdelikte nicht geändert (s. dazu BGH NStZ-RR 2005, 12 m.w.N.).

Diesem Normzweck muss auch dann soweit als möglich Rechnung getragen werden, wenn eine Tat nach § 183 StGB mit einer anderen Straftat zusammentrifft und allein deshalb eine höhere Gesamtstrafe verhängt wird. Voraussetzung ist jedoch, dass der Schwerpunkt des kriminellen Unrechts auf der exhibitionistischen Handlung liegt und dass bei isolierter Betrachtung der anderen Tat eine Wiederholung nicht zu erwarten ist. Das ist der Fall, wenn die Einsatzstrafe dem Strafrahmen des § 183 Abs. 1 StGB zu entnehmen ist und die andere Einzelstrafe die Gesamtstrafe nur geringfügig erhöht. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass der Angeklagte bislang nicht wegen Körperverletzungsdelikten auffällig geworden ist, so dass diese Tat, die lediglich mit einer Geldstrafe sanktioniert wurde, für die Entscheidung des Landgerichts, die Strafe nicht zur Bewährung auszusetzen, ersichtlich keine Rolle gespielt hat.

c) Diese Auslegung steht nicht zu § 183 Abs. 4 Nr. 1 StGB in Widerspruch, denn dort geht es um Taten, die als exhibitionistische Handlungen unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt strafbar sind. In diesen Fällen soll die kriminalpolitisch wünschenswerte Aussetzung nicht an einer rechtlich verschiedenen Einordnung des Exhibitionismus scheitern (Tröndle/Fischer, a.a.O., Rn 12).

d) Über die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung muss deshalb erneut entschieden werden. Dem Senat ist eine eigene Sachentscheidung verwehrt, weil das Landgericht die notwendigen Feststellungen i.S.d. § 183 Abs. 3 StGB nicht getroffen hat.

III.

Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen, weil die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).



Ende der Entscheidung

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