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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 15.10.2003
Aktenzeichen: 2 Ss 437/03
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 261
1. Das Gericht ist verpflichtet, die in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise in Verbindung mit den sonst festgestellten Tatsachen erschöpfend zu würdigen. Diese Würdigung ist in den Urteilsgründen darzulegen. Das bedeutet nicht, dass stets in allen Einzelheiten dargestellt werden muss, auf welche Weise das Gericht zu bestimmten Feststellungen gelangt ist. Keinesfalls genügt jedoch die bloße Wiedergabe der Aussagen von Angeklagten und Zeugen/innen.

2. Bei der Bewertung des Inhalts von Aussagen ist nicht in erster Linie festzustellen, wer die Unwahrheit gesagt hat, sondern - umgekehrt - was dafür spricht, dass eine Auskunftsperson die (irrtumsfreie) Wahrheit berichtet hat.


Oberlandesgericht Stuttgart - 2. Strafsenat - Beschluss

in der Strafsache gegen

wegen vorsätzlicher Körperverletzung,

Der 2. Strafsenat hat nach Anhörung des Generalstaatsanwalts am 15.Oktober 2003 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rottweil vom 25. Juni 2003 mit den Feststellungen

aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts

zurückverwiesen.

Gründe:

1. Der Angeklagte wurde vom Amtsgericht Horb am 23. Oktober 2002 wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen zu der Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 40,00 € verurteilt. Dagegen hat er vollumfänglich Berufung eingelegt. Die 12. Kleine Strafkammer des Landgerichts Rottweil hat das Rechtsmittel am 25. Juni 2003 "kostenpflichtig verworfen".

Die dagegen vom Angeklagten eingelegte zulässige Revision führt zur Aufhebung des Urteils.

2. Aus dem Grundsatz der umfassenden Beweiswürdigung (§ 261 StPO) folgt, dass das Gericht verpflichtet ist, die in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise in Verbindungen mit den sonst festgestellten Tatsachen erschöpfend zu würdigen. Diese erschöpfende Würdigung ist in den Urteilsgründen darzulegen (BGH NJW 80, 2423). Das bedeutet zwar nicht, dass in den Urteilsgründen stets in allen Einzelheiten dargestellt werden muss, auf welche Weise der/die Richter/in zu bestimmten Feststellungen gelangt ist. Keinesfalls genügt jedoch die bloße Wiedergabe der Aussagen von Angeklagten und Zeugen/innen, selbst dann nicht, wenn, wie vorliegend, ihr Inhalt - überflüssigerweise - breit wiedergegeben wird (BGH NStZ 85, 184; 96, 326; JZ 90, 297).

Vorliegend handelt es sich nicht um eine Beweiswürdigung im eigentlichen Sinne, sondern um eine Beweisdokumentation (vgl. BGH NStZ 98, 51). Das Urteil gibt lediglich die Angaben des Angeklagten sowie die Bekundungen der Zeugen und Zeuginnen wieder. Es wird dann festgestellt, dass sie - teilweise - glaubhaft seien. Auf welchem Weg der Tatrichter zu dieser Überzeugung gelangt ist, wird nicht mitgeteilt. Allein dies müsste jedoch Kern der Beweiswürdigung sein.

Nach einhelliger Rechtssprechung muss ein Urteil die Prüfung der Beweise aufgrund objektiver, rational einleuchtender und nachvollziehbarer Erwägungen erkennen lassen. Hinzukommen muss eine objektive, rational einleuchtende Beweiswürdigung. "Die zur richterlichen Überzeugung erforderliche persönliche Gewissheit des Richters setzt objektive Grundlagen voraus. Diese müssen aus rationalen Gründen den Schluss erlauben, dass das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt." (BGH StV 1993, 510 - wo auch ausdrücklich festgestellt ist, dass dies der Nachprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich ist.)

Das vorliegende Urteil nennt nahezu keinerlei objektive Kriterien, die zu einer hohen Wahrscheinlichkeit für die Zuverlässigkeit der einen oder der anderen Aussage führen könnten. Als einzige Andeutung findet sich unter III. 2. (Seite 5 unten) der Hinweis auf Übereinstimmung innerhalb der Angaben der Beteiligten aus dem Lager des Angeklagten. Bei einer Konstellation wie der vorliegenden, dass sich quasi zwei "Lager" gegenüberstehen, wäre dann aber besonders zu prüfen, ob Übereinstimmung nicht auch oder gerade ein Hinweis auf eine mögliche Absprache ist. (Freilich handelt es sich an dieser Stelle um Feststellungen zum Geschehen einige Zeit vor den Taten, aus denen jedenfalls auf den genaueren Ablauf der späteren Ereignisse ohnehin nur bedingt Schlüsse gezogen werden können.)

Abgesehen von der - arbeitsintensiven und meistens, so wie vorliegend, zum größten Teil überflüssigen (BGH NStZ 96, 326) - Wiedergabe des Inhalts der Angaben der Beteiligten findet sich im Urteil im Sinne einer Würdigung der Aussagen lediglich noch unter III.5. (Seite 8) die Formulierung, "es widerspricht jeder Lebenserfahrung und ist nicht nachvollziehbar, dass der Angeklagte während des gesamten Geschehens völlig ruhig und sachlich geblieben sein soll". Dies mag gedanklich nahe liegen, lässt jedoch ebenfalls keinen zwingenden Schluss auf den Ablauf der tätlichen Auseinandersetzung und nur sehr bedingt Schlüsse auf die Glaubhaftigkeit der Einlassung des Angeklagten zu.

In die gleiche Richtung deuten Formulierungen in der Urteilsbegründung wie, es sei "kaum denkbar, dass die Zeugen ..., soweit sie die Geschehnisse jeweils beobachtet haben (es fragt sich sogleich, wie weit jeweils welche/r Zeuge/in), den Angeklagten übereinstimmend zu Unrecht belasten". Eine solche generelle Behauptung kann nicht als objektives Kriterium dienen.

Das gilt umso mehr, als das Landgericht an derselben Stelle andeutet, dass möglicherweise an einzelnen Teilen der Angaben der Zeugen/innen Zweifel bestehen könnten: "Die Glaubwürdigkeit dieser Zeugen ist auch nicht dadurch erschüttert, dass sie jeweils angegeben haben, ...".

All dies drängt den Hinweis auf, dass es in der Regel nicht um die Prüfung der Glaubwürdigkeit der jeweiligen Auskunftsperson im Sinne einer personalen Eigenschaft geht, sondern um die Beurteilung, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, ob sie glaubhaft sind. Bei der Bewertung des Inhalts von Aussagen ist nicht in erster Linie festzustellen, wer gelogen hat, sondern - umgekehrt - was dafür spricht, dass eine Auskunftsperson die (irrtumsfreie) Wahrheit berichtet hat (BGH NStZ 2000,100; BGH 1 StR 88/03 - Beschluss vom 29. April 2003: "Entgegen einiger missverständlicher Formulierungen hat sich die Strafkammer ... nicht darauf beschränkt - was ... nicht ausreichen würde -, Umstände zu verneinen, die gegen die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen sprechen könnten. Sie hat vielmehr ... auf Umstände abgestellt, die die Richtigkeit der Aussage positiv bestätigen können.").

Zusammenfassend ist nochmals darauf hinzuweisen, eine Beweiswürdigung muss es für das Instanzgericht überprüfbar werden lassen, wie der/die Tatrichter/in zu dem jeweiligen Beweisergebnis gelangt ist (BGH NStZ 98, 51); das bedeutet bei der Würdigung von Aussagen, anhand welcher objektiver Kriterien eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Zuverlässigkeit der einen oder der anderen Aussage/n erlangt worden ist. Eine (erst recht eine gesamte) Wiedergabe des Inhalts der Angaben ist in der Regel entbehrlich. Insoweit genügt in den meisten Fällen eine kursive Zusammenfassung.



Ende der Entscheidung

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