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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 16.12.2002
Aktenzeichen: 2 Ss 535/02
Rechtsgebiete: GVG, StPO, StGB, GG


Vorschriften:

GVG § 189 Abs. 2
StPO § 337
StGB § 46
StGB § 47
StGB § 242
GG Art. 20
1. Zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Ausnahmefall vorliegt, in dem das Beruhen des Urteils auf der fehlenden Vereidigung des Dolmetschers ausgeschlossen werden kann.

2. Bei einem Diebstahl geringwertiger Sachen unterliegt die Verhängung einer Freiheitsstrafe gemäß § 47 StGB wegen des zu beachtenden Übermaßverbots strengen Anforderungen (vgl. Senatsbeschluss vom 04. Juli 2002 in NJW 2002, 3188).


Oberlandesgericht Stuttgart - 2. Strafsenat - Beschluss

Geschäftsnummer: 2 Ss 535/02

in der Strafsache

wegen Diebstahls

Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts hat nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft am 16. Dezember 2002 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Spaichingen vom 07. Januar 2002 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Spaichingen zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Spaichingen hat die Angeklagte wegen in einem Selbstbedienungsgeschäft begangenen Diebstahls geringwertiger Sachen (eine Packung "Mini-Salami" im Wert von DM 7,58 und ein wertmäßig nicht beziffertes Kinder-T-Shirt) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Dagegen richtet sich die Revision der Angeklagten, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. In verfahrensrechtlicher Hinsicht wird beanstandet, dass in der Hauptverhandlung vom 07. Januar 2002 für die der deutschen Sprache nicht mächtige Angeklagte eine Dolmetscherin tätig geworden sei, die entgegen § 189 GVG weder vereidigt worden sei, noch sich auf einen allgemein geleisteten Eid berufen habe.

II.

Der innerhalb der Revisionsbegründungsfrist erklärte Übergang von der rechtzeitig eingelegten Berufung zur (Sprung-)Revision war zulässig (vgl. BGHSt 40, 395).

Die Revision hat bereits mit der in zulässiger Weise erhobenen, auf die fehlende Vereidigung der Dolmetscherin gemäß. § 189 GVG gerichteten Verfahrensrüge Erfolg. Dies führt zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz (§ 354 Abs. 2 StPO).

Der gerügte Verfahrensverstoß liegt vor. Das Hauptverhandlungsprotokoll vom 07. Januar 2002 enthält ausdrücklich den Vermerk, dass die Dolmetscherin nicht vereidigt wurde. Zwar hatte das Amtsgericht in der (ausgesetzten) ersten Hauptverhandlung vom 26. November 2001 die Dolmetscherin gemäß. § 189 GVG vereidigt. Eine Dolmetscherin, die nicht nach § 189 Abs. 2 GVG allgemein beeidigt worden ist, muss aber für jede einzelne Hauptverhandlung besonders vereidigt werden (§ 189 Abs. 1 GVG; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 189 GVG Rdnr. 1). Wird sie, wie hier, für eine neue Hauptverhandlung in derselben Sache ein zweites Mal zugezogen, ist die Vereidigung - gegebenenfalls mit der Erleichterung der §§ 67, 72 StPO - zu wiederholen (vgl. BayObLG MDR 1979, 696).

Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das Urteil auf dem Verfahrensfehler beruht. Nach dem Protokoll und den schriftlichen Urteilsgründen muss davon ausgegangen werden, dass die Dolmetscherin in der Hauptverhandlung wesentliche Angaben der Angeklagten übersetzt hat.

Obwohl es sich nach dem Gesetz nur um einen relativen Revisionsgrund handelt, wird grundsätzlich angenommen, dass ein Urteil in der Regel auf einer fehlenden Dolmetschervereidigung nach § 189 GVG beruht; nur in Ausnahmefällen wird ein Beruhen ausgeschlossen (vgl. BGH NStZ 1998, 204; OLG Köln NStZ-RR 2002, 247; OLG Celle StraFO 2002, 134). Eine derartige Ausnahme von diesem Grundsatz ist hier nicht gegeben. Im Gegensatz zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs (NStZ 1998, 204) liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich etwa um eine Dolmetscherin handelte, die bereits jahrelang beanstandungsfrei bei Gericht übersetzte, die überhaupt allgemein vereidigt war, sich immer wieder auf den Eid berufen hatte und diese Berufung lediglich in einem Einzelfall versehentlich unterblieben ist. Soweit der Bundesgerichtshof (BGHR GVG § 189 Beeidigung 2) eine weitere denkbare Ausnahme eines Beruhens auf der fehlenden Vereidigung bejaht hat, wenn die Übersetzung ein einfach gelagertes Geschehen betrifft, die Übertragung aus einer gängigen Fremdsprache (dort: Englisch) erfolgt und die Richtigkeit der Übersetzung durch einen Angeklagten selbst leicht kontrollierbar ist, verneint der Senat das Vorliegen einer solchen Ausnahme. Er ist nicht der Auffassung, dass hier die Richtigkeit der Übersetzung der Aussage aus der französischen in die deutsche Sprache für die aus Togo stammende Angeklagte leicht überprüfbar war. Zu ihren Deutschkenntnissen schweigt das angefochtene Urteil. Nach dem Revisionsvorbringen ist davon auszugehen, dass die Angeklagte tatsächlich nicht der deutschen Sprache mächtig gewesen ist. Hinzukommt, dass sie in der Hauptverhandlung (noch) nicht verteidigt war.

Entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft kann auch nicht aus dem Umstand, dass die Angeklagte die Tat gestanden hat, mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass das Urteil auf der Verletzung des § 189 GVG beruht. In einem derartigen Fall mag die Verneinung der Beruhensfrage allenfalls bei einfach gelagerten Sachverhalten bzw. Verfahren denkbar sein, bei denen der Inhalt der Übersetzung durch die Aussage (zumindest) eines weiteren Zeugen oder durch ein anderes Beweismittel bestätigt wird (vgl. BGHR GVG § 189 Beeidigung 2). Vorliegend beruhen die Feststellungen zwar auf dem "aus freien Stücken" abgelegten Geständnis der Angeklagten. Mit welchem genauen Aussageinhalt sie die ihr zur Last gelegte Tat eingeräumt hat, sei es, dass sie den Sachverhalt in allen Einzelheiten vorgetragen oder aber nur eine pauschale Erklärung zum Tatvorwurf abgegeben hat, erschließt sich aus den schriftlichen Urteilsgründen nicht hinreichend deutlich. Vielmehr ergibt sich aus der Beweiswürdigung, dass sich das Amtsgericht ausdrücklich mit dem gesamten Aussageverhalten der Angeklagten zunächst "gegenüber der Polizei", dann in der (ausgesetzten) ersten Hauptverhandlung und zuletzt in der erneut anberaumten Hauptverhandlung auseinander gesetzt hat, um nach einer Gesamtschau die Überzeugung von der Glaubhaftigkeit ihrer letzten Einräumungen zu gewinnen und die davon abweichenden Angaben in der (ausgesetzten) ersten Hauptverhandlung als Schutzbehauptung zu werten. Da das Amtsgericht keine weiteren Zeugen vernommen und auch keine dahingehenden Vernehmungsniederschriften verlesen hat, muss der Senat davon ausgehen, dass die früheren, auch anderslautenden Einlassungen der Angeklagten - gegebenenfalls nach komplexen Vorhalten - durch ihre eigene Aussage in prozessordnungsgemäßer Weise in die (zweite) Hauptverhandlung eingeführt wurden und gemäß § 261 StPO auf ihren Beweiswert zu prüfende Gegenstände der Beweiswürdigung waren.

Es ist nicht auszuschließen, dass diese für die Angeklagte wichtigen Umstände der Hauptverhandlung durch die Dolmetscherin, hätte sie den nach § 189 Abs. 1 GVG vorgeschriebenen Eid geleistet oder sich nach § 189 Abs. 2 GVG auf einen allgemein geleisteten Eid tatsächlich berufen, gewissenhafter als geschehen übersetzt worden wären (vgl. BGH StV 1996, 531).

Da bereits die Rüge der Verletzung des § 189 GVG durchdringt, bedurfte es keiner Auseinandersetzung mit der weiteren erhobenen Sachrüge, insbesondere zur aufgeworfenen Frage, ob das Strafmaß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt.

III.

Das angefochtene Urteil gibt jedoch Anlass zu folgenden Hinweisen für die neue Hauptverhandlung:

1. Der neue Tatrichter wird den bisher nicht mitgeteilten Wert des ebenfalls entwendeten Kinder-T-Shirts zu ermitteln haben, um den Unrechtsgehalt der Tat vollständig zu erfassen.

2. Falls die Angeklagte erneut des Diebstahls geringwertiger Sachen schuldig sein sollte, wird der neue Tatrichter Gelegenheit haben, die Strafzumessungserwägungen rechtsfehlerfrei darzulegen.

Im Falle strafschärfender Verwertung von Vorstrafen muss im Urteil nicht nur der jeweilige Zeitpunkt der Verurteilung, die Art und Höhe der erkannten Strafe und der Stand der Vollstreckung aufgeführt werden, sondern der Tatrichter muss außerdem auch das der Vortat jeweils zugrundeliegende Tatgeschehen einschließlich der Tatzeit mitteilen und sich mit diesem auseinandersetzen, soweit es einschlägig ist.

Im Rahmen der Strafzumessung wird zu berücksichtigen sein, dass nach der zunächst fehlerhaften Zustellung des Urteils am 06. März 2002 die Revisionsbegründungsfrist erst am 08. Juli 2002 ablief und im Anschluss bis zum Eingang der Akten bei der Generalstaatsanwaltschaft am 13. November 2002 eine weitere nicht unerhebliche Verzögerung des Revisionsverfahrens um mehrere Monate eintrat, die allein auf die Sachbehandlung im Bereich der Justiz zurückzuführen ist. Ferner werden die Umstände zu beachten sein, dass die Angeklagte, die Mutter zweier kleiner Kinder ist, in der Vergangenheit auch eine verlängerte Bewährungszeit durchgestanden hat, ihre letzte einschlägige Vorverurteilung wegen Diebstahls geringwertiger Sachen vom 22. Juli 1998 stammt, die hiesige Tatzeit heute bereits über 18 Monate zurückliegt und das Tatunrecht wegen der bloß abstrakten Warenwert-Entziehung im Supermarkt als gering anzusehen ist.

Ausdrücklich zu erörtern sein wird, ob die - ganz allgemein strengen Anforderungen unterliegende - Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf die offenbar wegen Besonderheiten in ihrer Persönlichkeit in ärztlicher Behandlung befindliche Angeklagte wirklich unerlässlich ist (§ 47 StGB). In diesem Zusammenhang wird der Tatrichter die Rechtsprechung des Senats zum Übermaßverbot bei der Verhängung einer Freiheitsstrafe wegen Diebstahls geringwertiger Sachen zu beachten haben (vgl. Beschluss vom 04. Juli 2002, NJW 2002, 3188).

Ende der Entscheidung

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