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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 15.09.2008
Aktenzeichen: 2 Ws 252/08
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 456 a Abs. 2 Satz 4 |
Oberlandesgericht Stuttgart - 2. Strafsenat - Beschluss
Geschäftsnummer: 2 Ws 252/08
vom 15. September 2008
in der Strafvollstreckungssache gegen
wegen schweren Bandendiebstahls u. a.
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - H. vom 7. August 2008 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Gründe:
I.
1.
Das Amtsgericht - Bezirksjugendschöffengericht - M. hatte den Beschwerdeführer am 9. Juni 1999 wegen gemeinschaftlichen schweren Bandendiebstahls in Tateinheit mit gemeinschaftlicher versuchter Nötigung, gemeinschaftlichen Bandendiebstahls in einem minder schweren Fall, wegen gemeinschaftlicher versuchter Nötigung sowie wegen gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen Diebstahls in zwei Fällen unter Einbeziehung des Strafbefehls des Amtsgerichts W. vom 21. Januar 1999 (Cs 52 Js 989/99) zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Verurteilte hatte sich vom 8. Januar 1999 bis zum 8. November 1999 in Untersuchungshaft befunden, ab 9. November 1999 verbüßte er die vorgenannte Strafe.
Mit Verfügung des Regierungspräsidiums K. vom 4. Januar 2000 wurde der Verurteilte aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Mit Entschließung vom 11. Januar 2000 sah die Staatsanwaltschaft M. gemäß § 456a StPO von der Vollstreckung der Strafe ab, frühestens jedoch vom Tage der Abschiebung an. Gleichzeitig ordnete sie die Fortsetzung der Vollstreckung für den Fall an, dass der Verurteilte vor Eintritt der Strafvollstreckungsverjährung in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zurückkehrt. Auf Anweisung der Staatsanwaltschaft wurde dem Verurteilten die Verfügung vom 11. Januar 2000 am 28. Januar 2000 zugestellt und er wurde durch den Beamten S. der Vollzugsgeschäftsstelle der Justizvollzugsanstalt S. H. ausweislich des Protokolls wie folgt belehrt:
"Vorgeführt erscheint der gemäß § 456a StPO zu entlassende B., B..
Die Verfügung der Staatsanwaltschaft M. vom 12. Januar 2000 wird ausgehändigt. Er wird über die Bedeutung des Absehens von der Vollstreckung gemäß § 456a StPO sowie darüber belehrt, dass die Vollstreckung der Reststrafe erfolgt, wenn er in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zurückkehrt. Eine eventuelle Befristung der Ausweisung durch die Ausländerbehörde steht einer Nachholung nicht im Wege.
Er erklärt: Ich habe die Verfügung vom 12. Januar 2000 durchgelesen und verstanden.
Unterschrift des Verurteilten .
Unterschrift des Vollzugsbediensteten S.".
Der Verurteilte wurde am 17. Juli 2000 nach Jugoslawien abgeschoben. Am 19. Juli 2000 erließ die Staatsanwaltschaft M. Vollstreckungshaftbefehl.
Am 3. Dezember 2007 reiste der Verurteilte nach Deutschland ein. Er wurde auf Grund des Haftbefehls des Amtsgerichts N. (5 Gs 895/07) in Untersuchungshaft genommen, da er ca. 7 kg Kokaingemisch in einem Versteck in seinem Kraftfahrzeug bei einer Kontrolle mit sich geführt hatte. Er wurde deshalb inzwischen vom Landgericht O. (noch nicht rechtskräftig) zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.
In Unterbrechung der Untersuchungshaft verbüßt der Beschwerdeführer seit 26. Februar 2008 den noch nicht vollstreckten Strafrest von 355 Tagen aus dem Urteil des Amtsgerichts M. vom 9. Juni 1999, nunmehr in der Justizvollzugsanstalt S. H.. Zwei Drittel dieser Strafe waren am 16. April 2008 verbüßt, das Strafende ist auf den 14. Februar 2009 vorgemerkt.
2.
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 29. Februar 2008 erhob der Verurteilte Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe. Die Staatsanwaltschaft M. half den Einwendungen mit Entschließung vom 23. Juni 2008 nicht ab und legte die Akten der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts H. zur Entscheidung vor. Diese hatte zudem über die Frage einer Strafaussetzung zur Bewährung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe zu entscheiden.
Die Strafvollstreckungskammer wies durch Beschluss vom 7. August 2008 die Einwendungen des Verurteilten gegen die Nachholung der Vollstreckung zurück. Sie ist Ansicht, der Verurteilte sei ordnungsgemäß über die Folgen einer Rückkehr nach Deutschland vor Eintritt der Vollstreckungsverjährung belehrt worden. Zwar sei der Verurteilte nicht in seiner Muttersprache belehrt worden, er sei der deutschen Sprache jedoch ausreichend mächtig gewesen. Die Strafvollstreckungskammer begründet dies insbesondere damit, dass er ab 20. Dezember 1999 in den Hauptschulkursus der JVA A. aufgenommen worden war und sich in den Strafakten mehrere vom Verurteilten in deutscher Sprache verfasste Schreiben befinden. Bei der Einlassung des Verurteilten, er sei vor seiner Entlassung von einem Vollzugsbeamten dahingehend belehrt worden, dass er fünf Jahre nach der Abschiebung wieder nach Deutschland einreisen könne, handele es sich um eine Schutzbehauptung.
Die vorzeitige bedingte Entlassung des Verurteilten lehnte die Strafvollstreckungskammer im Beschluss vom 7. August 2008 ab, da der dringende Verdacht bestünde, dass der Verurteilte in jüngster Zeit in schwerwiegender Weise straffällig geworden sei. Dies ergebe sich aus dem Urteil des Landgerichts O. Die fehlende Rechtskraft des Urteils stehe einer Verwertung im Rahmen des § 57 StGB nicht entgegen.
Gegen diesen Beschluss legte der Verurteilte sofortige Beschwerde ein. Er begründet diese damit, dass er vor seiner Abschiebung nicht ordnungsgemäß über die 10 Jahre betragende Vollstreckungsverjährungsfrist belehrt worden sei. Zudem hätte die Vollstreckungsbehörde im Hinblick auf die mangelhafte Belehrung zumindest in Ausübung ihres pflichtgemäßen Ermessens von der Anordnung der Nachholung der Vollstreckung absehen müssen. Die Strafvollstreckungskammer habe in keiner Weise dem Umstand Rechnung getragen, dass die Tat, deretwegen die Strafvollstreckung erfolge, mehr als neun Jahre zurückliegt und der Verurteilte mit seiner Ehefrau und den gemeinsamen zwei kleinen Kindern in S. lebt.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg.
1. Zu Recht hat die Strafvollstreckungskammer die Vollstreckbarkeit der Reststrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts . vom 9. Juni 1999 bejaht. Sie war für die Entscheidung über die Einwendungen des Verurteilten gegen die Anordnung der Vollstreckungsbehörde nach § 456a Abs. 2 StPO, die Freiheitsstrafe weiter zu vollstrecken, gemäß § 458 Abs. 2 in Verbindung mit § 462 Abs. 1, 462 a Abs. 1 StPO zuständig.
1.1. Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen liegen vor. Die mit dem seit 9. November 1999 rechtskräftigen Urteil gegen den Beschwerdeführer verhängte Gesamtfreiheitsstrafe ist noch nicht vollständig verbüßt. Sie ist weder ausgesetzt noch erlassen; Gnade und Amnestie sind nicht gewährt worden. Vollstreckungsverjährung ist nicht eingetreten.
Der Verurteilte ist im Sinne des § 456a Abs. 2 StPO zurückgekehrt, als er am 3. Dezember 2007 von den Niederlanden kommend die Grenze zur Bundesrepublik Deutschland überquerte und bei Bad Bentheim einer Kontrolle unterzogen wurde.
Der Vollstreckung steht § 456a Abs. 2 S. 4 StPO nicht entgegen, da der Beschwerdeführer in Übereinstimmung mit dieser Vorschrift von der Staatsanwaltschaft in ihrem Schreiben vom 11. Januar 2000 darüber belehrt wurde, dass die Vollstreckung nachgeholt wird, "wenn er nach der Abschiebung in die Bundesrepublik Deutschland zurückkehrt". Zwar erfolgte die schriftliche Belehrung versehentlich nicht in der Muttersprache des Beschwerdeführers. Mit ausführlicher und zutreffender Begründung - die in der sofortigen Beschwerde auch nicht angegriffen wird - ist die Strafvollstreckungskammer davon ausgegangen, der Beschwerdeführers sei der deutschen Sprache in ausreichendem Umfang mächtig gewesen. Dies belegt auch der Umstand, dass der Verurteilte im Protokoll der Verfügungseröffnung erklärte, er habe die Belehrung verstanden.
Die Behauptung des Beschwerdeführers, über die protokollierte Belehrung hinaus habe er von dem zuständigen Beamten einen rechtsfehlerhaften oder zumindest missverständlichen Hinweis auf die Dauer der Vollstreckungsverjährung erhalten, ist nicht erwiesen, so dass dieser Gesichtspunkt einer Nachholung der Vollstreckung der restlichen Freiheitsstrafe nicht entgegensteht. Der Senat hat eine dienstliche Stellungnahme des Vollzugsbeamten Schreyer zu der am 28. Januar 2000 stattgefundenen Eröffnung der Verfügung der Staatsanwaltschaft M. eingeholt. Nachvollziehbar äußerte JS S., er habe lediglich den Inhalt des zu eröffnenden Schriftstücks wiedergegeben, eine Erklärung zur Dauer der Vollstreckungsverjährung habe er schon deshalb nicht abgegeben, da er darüber keine Kenntnisse habe.
Entgegen der Ansicht der Verteidigung braucht die Dauer der Vollstreckungsverjährung oder deren Eintritt in der Verfügung der Staatsanwaltschaft, in der von der weiteren Vollstreckung nach § 456a StPO abgesehen wird, nicht genannt zu werden und muss auch nicht Gegenstand der Belehrung sein.
Zweck des § 456 Abs. 2 S. 4 StPO ist es sicherzustellen, dass der Verurteilte über die ihm im Fall seiner Rückkehr drohenden Maßnahmen belehrt wird (vgl. Bundestagsdrucksachen 10/2720 S. 16 unter Bezugnahme auf OLG Stuttgart, Justiz 1981, 217), denn dem ausländischen Gefangenen wird die Rechtsnatur einer Verfügung nach § 456a Abs. 1 StPO nicht ohne Weiteres verständlich sein. Er wird zwar in der Regel wissen, dass er sich strafbar macht, wenn er entgegen einer Ausweisung nach Deutschland zurückkehrt, er wird sich jedoch ohne entsprechende Belehrung nicht darüber im Klaren sein, dass er darüber hinaus auch die frühere Strafe weiter verbüßen muss. Eine über die Verdeutlichung dieser Sanktionsmöglichkeit hinaus gehende Belehrung, wann der Verurteilte wieder zurückkehren kann, ohne sich der Gefahr der Nachholung der Vollstreckung auszusetzen, ist dem Gesetzeszweck nicht geschuldet.
Eine konkrete Berechnung der Vollstreckungsverjährung vorab ist der Staatsanwaltschaft zudem auch nicht möglich, da etwa gemäß § 79a Nr. 3 StGB für die Dauer einer festgestellten Inhaftierung im Ausland die Verjährung für die inländische Strafe ruht. Ebenso ruht die Verjährung, wenn sich der Verurteilte etwa im Ausland in einer stationären Drogentherapie befindet (vgl. Jung, StV 2007, 106 (107)).
Es ist daher die Obliegenheit des Verurteilten, sich vor einer Rückkehr nach Deutschland bei der zuständigen Staatsanwaltschaft zu erkundigen, ob Vollstreckungsverjährung eingetreten ist oder ob die Staatsanwaltschaft in Ausübung ihres pflichtgemäßen Ermessens von einer weiteren Vollstreckung absieht.
1.2. Entgegen der Auffassung der Verteidigung ist es nicht zu beanstanden, dass die Vorweganordnung nach § 456a Abs. 2 S. 3 StPO der Staatsanwaltschaft vom 11. Januar 2000 bzw. 19. Juli 2000, anders als andere Ermessensentscheidungen keine Begründung enthält. Grundsätzlich sind Ermessensentscheidungen zu begründen, um dem Gericht eine Überprüfung auf Ermessensfehlgebrauch zu ermöglichen (vgl. KG Berlin, 5 Ws 479/05 m.w.N., zitiert nach Juris). Hier war die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung aber eindeutig und es waren keine Umstände bekannt, die angesichts der Art und Schwere der Taten und anderer berücksichtigungsfähiger Tatsachen eine Begründung der regelmäßig zu treffenden Vorweganordnung erfordert hätten (KG Berlin, a.a.O.), Hinzu kommt, dass der nach § 456a Abs. 2 StPO eingeräumte Ermessensspielraum durch § 17 Abs. 2 StVollstrO - wonach die Vollstreckung für den Fall der Rückkehr nachgeholt werden soll - dahingehend eingegrenzt wird, dass die Nachholungsanordnung der Regelfall ist (vgl. OLG Karlsruhe, NStZ-RR 1999, 222 m.w.N.). Denn der ausländische Strafgefangene ist durch § 456a Abs. 1 StPO gegenüber anderen Strafgefangenen privilegiert, die nur unter den Voraussetzungen des § 57 StGB entlassen werden können. Kehrt der ausgewiesene Verurteilte freiwillig zurück, unterwirft er sich wieder der deutschen Rechtsordnung und muss dann allen anderen abgeurteilten Straftätern in einer vergleichbaren Situation rechtlich gleichgestellt werden. Dazu gehört auch die Gleichstellung hinsichtlich des bisher noch nicht verbüßten Teils der Strafe (OLG Karlsruhe, a.a.O.; OLG Hamburg, NStZ-RR 1999, 123 (125)). Dies rechtfertigt es, grundsätzlich die Nachholung der Vollstreckung anzuordnen.
Mit ihrer Entschließung vom 23. Juni 2008 hat die Staatsanwaltschaft die bis dahin vorgetragenen Einwendungen der Verteidigung erwogen und gewichtige Umstände, welche die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs unangebracht erscheinen ließen, verneint. Sie hat damit dem Erfordernis der neuen bzw. ergänzenden Ermessenausübung nach Rückkehr des Verurteilten genügt. Bei dieser Ermessensausübung sind die Zeitspanne zwischen der Entlassung aus der Strafhaft und besondere Umstände bei der Rückkehr zu berücksichtigen (vgl. OLG Hamburg, NStZ-RR 1999, 123 (125)). Eine fehlerhafte Ermessensentscheidung kann in der Entschließung - insb. unter Berücksichtigung des Umstandes, dass bei der Kontrolle des Verurteilten in seinem Fahrzeug versteckt ca. sieben Kilogramm Kokaingemisch sichergestellt werden konnten - nicht gesehen werden.
2. Mit zutreffender Begründung, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt, hat die Strafvollstreckungskammer das Vorliegen eine positive Sozialprognose als unabdingbare Voraussetzung für eine bedingte Entlassung gemäß § 57 Abs. 1 StGB beim Beschwerdeführer verneint.
Ende der Entscheidung
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