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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 13.03.2002
Aktenzeichen: 20 U 67/01
Rechtsgebiete: GmbHG, DÜG, ZPO, InsO


Vorschriften:

GmbHG § 30
GmbHG § 30 Abs. 1
GmbHG § 31
GmbHG § 32
GmbHG § 32 a
GmbHG § 32 a Abs. 3 Satz 2
GmbHG § 32 b
DÜG § 1
ZPO § 4
ZPO § 91
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
ZPO § 712
ZPO § 712 Abs. 1
ZPO § 712 Abs. 1 Satz 1
InsO § 19 Abs. 2 Satz 2
1. Die Annahme, ein Darlehen habe Eigenkapitalersatzfunktion mit der Folge, dass in entsprechender Anwendung von § 30 GmbHG ein Auszahlungsverbot besteht, setzt die Feststellung voraus, dass sich die Gesellschaft zu einem bestimmen Zeitpunkt in einer Krise befunden hat und dass der Gesellschafter-Gläubiger das Darlehen trotz Kenntnis der Krise hat stehen lassen, obwohl er sie hätte erkennen und darauf durch Abzug seiner Mittel reagieren können. Eine Krise, die diese Umqualifizierung rechtfertigt, liegt vor, wenn die Gesellschaft entweder kreditunwürdig oder insolvenzreif, d.h. überschuldet oder zahlungsunfähig war.

2. Bei bis zum Inkrafttreten der InsO verwirklichten Tatbeständen liegt eine Überschuldung nach dem maßgeblichen zweigliedrigen Überschuldungsbegriff nur vor, wenn das Vermögen bei Ansatz von Liquidationswerten die bestehenden Verbindlichkeiten nicht decken würde (rechnerische Überschuldung) und die Finanzkraft der Gesellschaft mittelfristig nicht zur Fortführung des Unternehmens reicht (Fortbestehensprognose) (Anschluss BGHZ 119, 201, 214; BGH, ZIP 2001, 839).

3. a) Die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzungen liegt bei der Gesellschaft, die sich zur Abwehr des Zahlungsanspruchs darauf beruft (Anschluss BGH ZIP 2001, 839).

b) Zur Darlegung der rechnerischen Überschuldung genügen eine Unterbilanz und ihre Fortschreibung nicht; ihnen kommt allenfalls indizielle Bedeutung zu. Es bedarf der Vorlage eines Überschuldungsstatus, in dem Rangrücktrittserklärungen nicht zu passivieren sind (Anschluss BGH ZIP 2001, 235).


Geschäftsnummer: 20 U 67/01

Urteil OLG Stuttgart vom 13.03.02

Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 15.06.2001 - 12 O 82/01 - abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 66.908,93 nebst Zinsen aus € 46.016,27 in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG vom 01.07.2000 bis 31.12.2001 und in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz des Bürgerlichen Gesetzbuchs seit 01.01.2002 zu bezahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von € 90.000,-- abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Streitwert in beiden Instanzen und Beschwer für die Beklagte: DM 90.000,-- = € 46.016,27

Tatbestand:

Der Kläger macht gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung eines Darlehens nebst Zinsen geltend.

Die Beklagte war zunächst ein Tochterunternehmen der niederländischen N. B.V. Diese errichtete 1992 bei S. eine Golfanlage und gründete für deren Betrieb die Beklagte. Das Stammkapital der Beklagten beträgt 1 Mio. DM. Die N. B.V hat mittlerweile ihre Anteile auf die N. GmbH übertragen, die sie weiter auf die C. PLC übertragen hat.

Mit notariellem Vertrag vom 10.11.1993 erwarb der Kläger eine Gründereinheit (sogenannter Foundershare) mit folgenden Bestandteilen:

- einem Geschäftsanteil im Nennbetrag von 3.300,-- DM an der Beklagten,

- einem vom Kläger zu gewährenden verzinslichen Darlehen in Höhe von 90.000,-- DM,

- zwei stillen Beteiligungen an der Beklagten in Höhe von jeweils 3.000,-- DM,

- zwei Nutzungsberechtigungsverträgen im Wert von jeweils 2.850,-- DM.

Nach dem als Anl. D. der notariellen Urkunde beigefügten Darlehensvertrag wurde das Darlehen befristet bis zum 30.06.2000 gewährt. Die Zinsen von 7 % p.a. waren mit der Rückzahlung des Darlehens fällig. Der Kläger hat den Darlehensbetrag an die Beklagte ausgezahlt.

Insgesamt wurden 75 solcher Gründereinheiten an Minderheitsgesellschafter verkauft, die damit jeweils 0,33 % des Stammkapitals zeichneten.

Die Bilanz der Beklagten wies für 1996 einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag in Höhe von 3.753.187,25 DM aus, für 1997 einen solchen von ca. 7,8 Mio. DM und für 1999 einen solchen von ca. 9,345 Mio. DM. Für Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern und verbundenen Unternehmen in Höhe von insgesamt über 13 Mio. DM bestehen Rangrücktrittserklärungen.

Auf einer Gesellschafterversammlung vom 09.03.1998 stimmten 69 der 75 Gründungsgesellschafter einem Sanierungskonzept zu, das vorsah, die Darlehen der Gründungsgesellschafter zinslos zu stellen und die Rückzahlung bis längstens 31.12.2007 zu stunden. Der Kläger stimmte dem nicht zu. In der Folgezeit veräußerten die meisten Gründungsgesellschafter ihre Geschäftsanteile an die N. GmbH; damit verbunden war ein Verzicht auf die Zahlung von Darlehensvaluta und -Zinsen. Der Kläger schloss auch einen solchen Vertrag nicht ab. Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 29.12.1998 mit, dass die Sanierung als abgeschlossen gelten könne.

Mit Schreiben vom 26.06.2000 verlangte der Kläger von der Beklagten die vertragsgemäße Rückzahlung des Darlehens von 90.000,-- DM zuzüglich Zinsen in Höhe von 40.862,50 DM zum 30.06.2000. Die Beklagte hat nicht bezahlt.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, nach Fälligkeit zum 30.06.2000 sei das Darlehen zurückzuzahlen. Dem stünden nicht die Grundsätze über die Behandlung eigenkapitalersetzender Darlehen entgegen, weil die Voraussetzungen für einen Eigenkapitalersatz nicht gegeben seien.

Die Beklagte sei nicht überschuldet. Zur Feststellung der Überschuldung seien die Verbindlichkeiten, für die ein Rangrücktritt bestehe, nicht zu passivieren. Es fehle auch an der Darlegung einer Kreditunwürdigkeit oder Zahlungsunfähigkeit der Beklagten. Die Eigenkapitalersatzregeln seien auch deshalb gem. § 32 a Abs. 3 Satz 2 GmbHG nicht anwendbar, weil der Kläger als nicht geschäftsführender Gesellschafter nur mit 0,33 % am Stammkapital beteiligt sei.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger DM 130.862,50 nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz aus DM 90.000,-- seit 01.07.2000 bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, das Darlehen unterliege wegen seiner Eigenkapitalersatzfunktion einem Rückzahlungsverbot nach §§ 30, 31 GmbHG. Sie hat zunächst auf die Fehlbeträge nach dem Jahresabschluss 1997 hingewiesen und vorgetragen, der Kläger habe das Darlehen nicht außerordentlich gekündigt, sondern stehen gelassen, obwohl ihm die Überschuldungssituation und die Sanierungsbemühungen seit Juli 1998 bekannt gewesen seien. Zum Zeitpunkt des Stehenlassens sei die Beklagte nicht mehr kreditwürdig gewesen, was sich daraus ergebe, dass mit den Gesellschaftern die Stundungsabreden hätten getroffen werden müssen und die Gesellschaft ohne Rangrücktrittserklärungen von Gesellschaftern überschuldet gewesen wäre. Wegen dieser Rangrücktrittserklärungen sei zwar eine Insolvenzantragspflicht vermieden worden. Die entsprechenden Verbindlichkeiten seien aber in der Bilanz zu passivieren. Für §§ 30, 31 GmbHG sei eine bilanzielle Überschuldung entscheidend; auf die Insolvenzreife komme es nicht an. An der danach gegebenen Unterbilanz habe sich auch in der Folgezeit nichts geändert. Für den fraglichen Zeitpunkt sei die Kleingesellschafterregelung nach § 32 a Abs. 3 Satz 2 GmbHG noch nicht anwendbar, zudem liege kein Fall der §§ 32 a und b GmbHG vor.

Die Beklagte hat dann im Rahmen des vom Landgericht angeordneten schriftlichen Verfahrens ergänzend vorgetragen, bereits aufgrund der Gesellschafterversammlung vom 09.03.1998 habe der Kläger Kenntnis von der negativen wirtschaftlichen Situation gehabt. Aufgrund der Einladung zur Gesellschafterversammlung vom 15.07.1997, mit der der Prüfbericht zum Jahresabschluss 1996 versandt worden sei, habe der Kläger schon Kenntnis von der wirschaftlichen Schieflage der Beklagten im Jahr 1996 gehabt.

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 15.06.2001 abgewiesen, das dem Kläger am 26.06.2001 zugestellt wurde. Der Kläger hat am 26.07.2001 Berufung eingelegt und diese innerhalb verlängerter Frist am 30.08.2001 begründet.

Der Kläger führt zur Begründung in erster Linie aus, es fehle bereits deshalb an einer Krise der Beklagten, weil die mit Rangrücktrittserklärungen versehenen Verbindlichkeiten der Hauptgesellschafterin und verbundener Unternehmen angesichts der konkreten Vertragsgestaltung und der von ihm angenommenen Patronatserklärung in der Bilanz als Eigenkapital zu buchen seien. In diesem Fall führe die Bedienung der Darlehensforderung des Klägers nicht zu einer Beeinträchtigung von § 30 GmbHG und das Darlehen sei dann auch nicht als kapitalersetzend zu behandeln.

Jedenfalls sei es treuwidrig, wenn sich die Beklagte auf die gläubigerschützenden Normen der §§ 30, 32 a GmbHG berufe, was ausschließlich im Interesse der Mehrheitsgesellschafterin geschehe. Fremdgläubiger würden wegen der Rangrücktritte durch eine Auszahlung nicht geschädigt. Dass die Mehrheitsgesellschafterin und verbundene Unternehmen der Beklagten nur Fremdkapital zur Verfügung stellten, anstatt sie mit Eigenkapital auszustatten oder zu liquidieren, könne nicht zu Lasten des Klägers gehen, der nur dafür bestraft werden solle, dass er nicht zur Teilnahme an der Sanierungsvereinbarung habe gezwungen werden können.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Stuttgart vom 15.06.2001 die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger DM 130.862,50 nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszins aus 90.000,-- DM seit 01.07.2000 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Hilfsweise beantragt sie,

im Fall des Unterliegens das Urteil gem. § 712 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht für vorläufig vollstreckbar zu erklären.

Die Beklagte erwidert, die Rangrücktrittserklärungen hätten nicht zur Folge, dass sich die Gesellschafterdarlehen in haftendes Eigenkapital umwandelten. Der Weg sei nur gewählt wurden, um die Insolvenzreife zu verhindern. Bei der Feststellung der Überschuldung oder der Unterbilanz in Zusammenhang mit § 30 GmbHG seien auch diese Darlehen zu passivieren. Aufgrund der danach gegebenen Unterbilanz sei die Rückzahlung des Darlehens nach § 30 GmbHG objektiv untersagt, ohne dass es auf eine Verstrickung ankomme, die gleichwohl vorliege und auch andauere. Da der Kläger eine trotz dieser Sachlage erhaltene Zahlung alsbald gem. § 32 GmbHG zurückzahlen müsse, stelle sich sein Verlangen auch als rechtsmissbräuchlich dar.

Zur Begründung ihres Vollstreckungsschutzantrags führt sie aus, eine Vollstreckung des Klägers im Falle seines Obsiegens würde der Beklagten einen nicht zu ersetzenden Nachteil bereiten. Die Beklagte sei nicht ausreichend liquide, um neben den fälligen Verbindlichkeiten aus laufendem Geschäftsbetrieb die Rückzahlungsansprüche des Klägers zu befriedigen. Sie sei auch nicht in der Lage, Sicherheit zu leisten. Im Vollstreckungsfalle sei der Betrieb in seiner Existenz bedroht, eine Betriebseinstellung müsse ins Auge gefasst werden.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf ihre Schriftsätze Bezug genommen. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom Urkundenprozess Abstand genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers hat Erfolg. Er kann, wie vertraglich vereinbart, die Rückzahlung des Darlehens verlangen. Die Beklagte kann sich nicht auf ein Auszahlungsverbot nach § 30 GmbHG oder eine Durchsetzungssperre nach den von der Rechtsprechung aufgestellten Regeln über die Behandlung eigenkapitalersetzender Darlehen berufen.

I.

1.

Der Anspruch des Klägers auf Rückzahlung des Darlehens in Höhe von DM 90.000,-- (= € 46.016,27) zuzüglich Zinsen für die Zeit bis 30.60.2000 in Höhe von 40.862,50 DM (= € 20.892,66) ist unstreitig nach dem Darlehensvertrag seit 30.06.2000 fällig.

2.

Der Rückzahlung steht nicht das Auszahlungsverbot des § 30 Abs. 1 GmbHG entgegen. Diese Vorschrift ist nicht unmittelbar anwendbar. Sie erfasst nur Leistungen, die ihre rechtliche Grundlage im Gesellschaftsverhältnis haben, nicht aber Zahlungen aus sog. Drittgeschäften, die mit dem Gesellschafter wie mit einem Dritten abgeschlossen sind (vgl. Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 17. Aufl., § 30 Rdn. 13 und 14; Scholz-Westermann, GmbHG, 9. Aufl., § 30 Rdn. 19 sowie 20 ff). Dazu gehören auch Darlehen, die der Gesellschafter der Gesellschaft gewährt. Auf Gesellschafterdarlehen sind die §§ 30 ff GmbHG grundsätzlich nur unter der Voraussetzung entsprechend anwendbar, dass sie nach den von der Rechtsprechung aufgestellten Regeln in eine eigenkapitalersetzende Gesellschafterleistung umqualifiziert werden müssen (dazu unten II.).

Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass die Darlehensgewährung Teil des Erwerbsgeschäfts war, mit dem der Kläger den Foundershare erworben hat, und dass sie in weitaus höherem Maße als die von ihm übernommene Stammeinlage zur Finanzierung der Beklagten beigetragen hat. Es steht den Gesellschaftern frei, zur Finanzierung der Gesellschaft auch in der Weise beizutragen, dass sie ihr Fremdkapital zu Verfügung stellen. Materieller Eigenkapitalcharakter kommt einem solchen Darlehen erst zu, wenn die Gesellschafter das Gesellschafterdarlehen nicht als bloßen Beitrag, sondern aufgrund einer über die bloße Darlehensgewährung hinausgehenden, von ihnen gemeinsam getragenen gesellschaftsrechtlichen Vereinbarung als Einlage behandeln (BGHZ 104, 33, 40 f; Scholz-K.Schmidt, a.a.O. §§ 32 a, b Rdn. 87). Das wird von der Beklagten nicht behauptet und ergibt sich auch nicht aus dem von vornherein befristeten Darlehensvertrag zwischen den Parteien. Abgesehen davon würde der Rückzahlung des Darlehens auch im Falle einer solchen Qualifizierung lediglich die Anwendung der Rechtsprechungsregeln über die Behandlung eigenkapitalersetzender Darlehen entgegenstehen können, nachdem der Rückzahlungsanspruch aufgrund der vertraglichen Regelung fällig geworden ist (vgl. BGH ZIP 1999, 1263).

II.

Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass nach den von der Rechtsprechung aufgestellten Regeln zur Behandlung eigenkapitalersetzender Darlehen oder sonstiger Leistungen eine Rückzahlung in analoger Anwendung der §§ 30 ff GmbHG nicht in Betracht komme.

1.

Die Annahme, ein Darlehen habe Eigenkapitalersatzfunktion mit der Folge, dass in entsprechender Anwendung von § 30 GmbHG ein Auszahlungsverbot besteht, setzt die Feststellung voraus, dass sich die Gesellschaft zu einem bestimmen Zeitpunkt in einer Krise befunden hat und dass der Gesellschafter-Gläubiger das Darlehen trotz Kenntnis der Krise hat stehen lassen, obwohl er sie hätte erkennen und darauf durch Abzug seiner Mittel reagieren können. Eine Krise, die zu dieser Umqualifizierung berechtigt, liegt vor, wenn die Gesellschaft entweder kreditunwürdig oder insolvenzreif, d.h. überschuldet oder zahlungsunfähig war (Hommelhoff/Goette, Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 2. Aufl., Rdn. 17 ff m.w.N.). Die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzungen liegt bei der Gesellschaft, die sich zur Abwehr des Zahlungsanspruchs darauf beruft (vgl. BGH ZIP 1999, 1524; ZIP 2001, 839).

2.

Der Anwendung dieser Regelungen steht allerdings nicht die sog. Kleingesellschafterregelung nach § 32 a Abs. 3 Satz 2 GmbHG entgegen. Diese Ausnahmebestimmung gilt erst für Tatbestände, die nach Inkrafttreten dieser Vorschrift zum 24.04.1998 verwirklicht worden sind (BGH ZIP 2001, 115). Ob zu den von ihr sachlich erfassten "Regeln über den Eigenkapitalersatz" auch diejenigen der Rechtsprechung gehören (bejahend Hommelhoff/Goette a.a.O., Rdn. 115), kann offen bleiben. Die Beklagte stützt sich darauf, dass seit 1996 eine Krise eingetreten sei und der Kläger davon seit Juli 1997 oder seit der Gesellschafterversammlung vom 09.03.1998 gewusst habe. Gegebenenfalls hätte der Kläger von einem etwaigen Kündigungsrecht auch unter Berücksichtigung einer angemessenen Überlegungsfrist noch vor dem 24.04.1998 Gebrauch machen müssen.

3.

Eine Krise liegt vor, wenn die Gesellschaft zahlungsunfähig, kreditunwürdig oder überschuldet war. Diese Voraussetzungen hat die Beklagte für die von ihr behaupteten Zeitpunkte, zu denen der Kläger sein Darlehen stehen gelassen haben soll, nicht dargetan.

a)

Die Beklagte hat nicht behauptet, dass sie zu den fraglichen Zeitpunkten zahlungsunfähig gewesen sei.

b)

Ihre Kreditunwürdigkeit hat sie nicht schlüssig dargetan. Eine auf Kreditunwürdigkeit beruhende Krise liegt nach ständiger Rechtsprechung des BGH vor, wenn die Gesellschaft von dritter Seite einen zur Fortführung ihres Unternehmens erforderlichen Kredit zu marktüblichen Bedingungen nicht erhält und wenn sie deshalb ohne die Gesellschafterleistung liquidiert werden müsste (etwa BGH ZIP 1999, 1524 m.w.N.). Dieser Rechtsbegriff muss mit konkretem Sachvortrag ausgefüllt werden (BGH a.a.O.). Daran fehlt es. Die Beklagte hat zur Kreditunwürdigkeit in erster Instanz lediglich auf die Stundungsabreden mit der Mehrzahl der Gründungsgesellschafter sowie auf Rangrücktrittserklärungen hingewiesen. Das genügt zur Darlegung nicht. Die Beklagte hat nicht einmal behauptet, dass ihr im fraglichen Zeitraum ein Kredit zu marktüblichen Bedingungen, d.h. auch bei Stellung üblicher Sicherheiten unter Ausnutzung etwaiger stiller Reserven, nicht gewährt worden wäre, und dass solche Sicherheiten nicht zur Verfügung gestanden hätten. Unwidersprochen hat der Kläger darauf hingewiesen, dass die Beklagte laut ihren Jahresabschlüssen über Anlagevermögen im Wert von ca. 20 Mio. DM verfügt. Unter diesen Umständen genügt auch nicht die von der Beklagten vorgetragene und mit den Jahresabschlüssen belegte Unterbilanz als alleiniges Indiz für die Kreditunwürdigkeit.

c)

Auch eine Überschuldung zu den fraglichen Zeitpunkten ist nicht schlüssig dargetan. Eine Unterbilanz genügt nicht (BGHZ 119, 201, 213). Vielmehr liegt eine Überschuldung nach dem maßgeblichen zweigliedrigen Überschuldungsbegriff nur vor, wenn das Vermögen bei Ansatz von Liquidationswerten die bestehenden Verbindlichkeiten nicht decken würde (rechnerische Überschuldung) und die Finanzkraft der Gesellschaft mittelfristig nicht zur Fortführung des Unternehmens reicht (Fortbestehensprognose) (BGHZ 119, 201, 214; BGH, Urteil vom 2. April 2001 - II ZR 261/91, ZIP 2001, 839). Ob nach Inkrafttreten von § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO zum 1.1.1999 etwas anderes gilt, hat der BGH bislang offengelassen (vgl. BGH ZIP 1999, 1524) und kann auch hier unentschieden bleiben. Entscheidungsrelevant sind nur bis zum 23.04.1998 verwirklichte Tatbestände. Für die Zeit danach würde der Kläger von der Kleingesellschafterregelung profitieren (s.o.).

aa)

Zur Darlegung einer Überschuldung genügt es nicht, auf einen Jahresabschluss mit Unterbilanz und dessen Fortschreibung zu verweisen. Der Unterbilanz kommt allenfalls indizielle Bedeutung zu, sie kann aber nur Ausgangspunkt für die Ermittlung der wahren Werts des Gesellschaftsvermögens sein. Zur Darlegung der rechnerischen Überschuldung ist vielmehr grundsätzlich die Vorlage eines Überschuldungsstatus erforderlich, mit dem ermittelt wird, ob das Vermögen der Gesellschaft bei Ansatz von Liquidationswerten unter Einbeziehung der stillen Reserven die bestehenden Verbindlichkeiten nicht deckt (st. Rspr.; vgl. etwa BGHZ 125, 141, 146; BGH ZIP 2001, 242; BGH ZIP 2001, 839 m.w.N.). Bereits daran fehlt es.

Es kommt hinzu, dass die Beklagte selber vorträgt, wegen erfolgter Rangrücktrittserklärungen habe es in den fraglichen Jahren und bis heute an einer Überschuldung in diesem insolvenzrechtlichen Sinne gefehlt. Erklärt ein Gläubiger für seine Forderungen einen Rangrücktritt sinngemäß dahingehend, er wolle wegen dieser Forderungen bis zur Abwendung einer Krise erst nach Befriedigung sämtlicher Gesellschaftsgläubiger und zugleich mit den Einlagerückgewähransprüchen seiner Mitgläubiger behandelt werden, so sind die von dieser Erklärung betroffenen Forderungen im Überschuldungsstatus nicht zu passivieren (BGH Zip 2001, 235). Auch deshalb ist eine Krise wegen Überschuldung nicht schlüssig vorgetragen.

bb)

Die Beklagte hat auch nicht schlüssig behauptet, dass zu den fraglichen Zeitpunkten eine negative Fortführungsprognose zu stellen gewesen wäre.

d)

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung die Rechtslage erläutert und im einzelnen darauf hingewiesen, dass es an ausreichendem Vortrag der Beklagten zu diesen tatsächlichen Voraussetzungen der in Betracht kommenden Varianten einer Krise fehlt, wie oben ausgeführt. Weiteren Vortrag hat die Beklagte auch danach nicht gehalten.

Weil also schon eine Krise als Voraussetzung für eine Durchsetzungssperre nach den Rechtsprechungsregeln nicht festgestellt werden kann, stellt sich die Frage nicht, ob der Kläger eine Krise erkennen konnte und ob er darauf durch Abziehen seines Darlehens reagieren konnte.

Ebensowenig bedarf es einer Entscheidung der vom Kläger aufgeworfenen Fragen, ob die Verbindlichkeiten, für die Rangrücktritte erklärt sind, als Eigenkapital zu verbuchen sind und ob es angesichts der Art der Finanzierung durch die Hauptgesellschafterin treuwidrig ist, wenn sich die Beklagte auf eine eigenkapitalersetzende Funktion des streitgegenständlichen Darlehens des Klägers als Minderheitsgesellschafter beruft.

III.

Nach alldem hat die Beklagte dem Kläger das seit 01.07.2000 fällige Darlehen samt Zinsen in Höhe von insgesamt 130.862,50 DM zurückzuzahlen.

Zu Unrecht beruft sie sich auf den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung. Da die Voraussetzungen für ein Zahlungsverbot analog § 30 GmbHG nicht vorliegen, fehlt es auch an einem Rückzahlungsanspruch, wie er in § 32 GmbHG für den Fall verbotswidriger Zahlungen geregelt ist.

Mit der Bezahlung befindet sich die Beklagte sei 01.07.2000 in Verzug (§ 284 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F.), so dass der Kläger ab diesem Zeitpunkt die gesetzlichen Zinsen verlangen kann, wie beantragt (bis 31.12.2001 gem. § 288 Abs. 1 BGB a.F., seit 1.1.2002 gem. § 288 Abs. 1 i.V.m. § 247 BGB n.F.).

IV.

1.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.

2.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Dem Antrag der Beklagten, das Urteil gem. § 712 Abs. 1 ZPO nicht für vorläufig vollstreckbar zu erklären, kann nicht stattgegeben werden. Auch weniger weitgehende Vollstreckschutzmaßnahmen nach § 712 ZPO kommen nicht in Betracht. Es ist bereits nicht ausreichend glaubhaft gemacht, dass der Beklagten im Falle einer Vollstreckung ein unersetzlicher Nachteil entstehen würde, weil sie durch eine Vollstreckung insolvenreif werden würde. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Angaben in der eidesstattlichen Erklärung ihrer Geschäftsführer vom 15.10.2001 überzeugend sind, wonach die monatlichen Einnahmen die Ausgaben einschließlich der unbestimmten sonstigen laufenden Verbindlichkeiten ausgerechnet um genau 1.000 DM übersteigen sollen - im Ergebnis nicht anders als nach der erstinstanzlich vorgelegten Erklärung vom 05.12.2000, die im übrigen andere Zahlen aufweist. Jedenfalls ist nicht dargetan, dass die Beklagte über die nach der genannten Erklärung ausgeschöpfte Kreditlinie hinaus kreditunwürdig ist. Ihre auch in diesem Zusammenhang relevante Behauptung der Beklagten, sie sei nicht in der Lage, eine Sicherheit zu stellen, ist nicht glaubhaft gemacht.

3.

Bei der Streitwertfestsetzung waren nur die Darlehensvaluta von 90.000,-- DM zu berücksichtigen. Die Zinsen als Entgelt für die Kapitalüberlassung verlieren diesen Rechtscharakter nicht dadurch, dass sie als ausgerechneter Betrag der Hauptforderung zugeschlagen wurden. Sie bleiben vielmehr Nebenforderung im Sinne des § 4 ZPO (vgl. etwa Musielak-Smid, ZPO, 2. Aufl., § 4 Rdn. 10).

Ende der Entscheidung

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