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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 14.02.2001
Aktenzeichen: 20 W 1/2001
Rechtsgebiete: AktG, BRAGO


Vorschriften:

AktG § 247
BRAGO § 9
BRAGO § 10
Leitsatz:

1. Führen mehrere Aktionäre Anfechtungsklagen gegen denselben Hauptversammlungsbeschluß, sind sie notwendige Streitgenossen im Sinne des § 62 Abs. 1 ZPO. Sind die Streitwerte für die einzelnen Klagen wegen unterschiedlichen Aktienbesitzes der Kläger nicht identisch, bestimmt sich der Gesamtstreitwert für das Verfahren nach dem höchsten Einzelstreitwert (arg. § 19 Abs. 1 Satz 3 GKG).

2. Werden die Kläger von verschiedenen Prozeßbevollmächtigten vertreten, deckt sich der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit nicht mit demjenigen der gerichtlichen Tätigkeit. Dessen Wert ist daher nach § 10 BRAGO gesondert festzusetzen.


Oberlandesgericht Stuttgart - 20. Zivilsenat - Beschluß

Geschäftsnummer: 20 W 1/2001 8 KfH O 96/00 LG Stuttgart

vom 14. Februar 2001

In Sachen

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung

des Präsidenten des Oberlandesgerichts Stilz,

des Richter am Oberlandesgericht Dr. Würthwein sowie

des Richter am Oberlandesgericht Dörr

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin Ziff. 1 wird der Beschluß des Landgerichts Stuttgart vom 06.12.2000 - 8 KfH O 96/00 - abgeändert:

I. Der Streitwert wird wie folgt festgesetzt:

1. bis zur Verbindung durch Beschluß vom 03.08.2000

Klage der Klägerin Ziff. 1: 100.000,00 DM

Klage der Klägerin Ziff. 2: 300.000,00 DM.

2. ab der Verbindung durch Beschluß vom 03.08.2000 300.000,00 DM.

II. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin Ziff. 1 nach Prozeßverbindung wird festgesetzt auf 100.000,00 DM.

Gründe:

I.

Beide Klägerinnen sind Aktionäre der Beklagten mit unterschiedlichem Aktienbesitz. In getrennten Prozessen haben sie Anfechtungsklage gegen einen Hauptversammlungsbeschluß der Beklagten über die Zustimmung zu einem Verschmelzungsvertrag zwischen der Beklagten und der W sowie zu einer Erhöhung des Grundkapitals der Beklagten erhoben.

Entsprechend den Streitwertangaben der Klägerinnen hatte das Landgericht unter Berücksichtigung des Wertes des Aktienbesitzes den Streitwert für die Klage der Klägerin Ziff. 1 vorläufig auf 100.000,00 DM und für die Klage der Klägerin Ziff. 2 vorläufig auf 300.000,00 DM festgesetzt. Nach Verbindung der Prozesse und mündlicher Verhandlung haben sich die Parteien außergerichtlich geeinigt, die Klägerinnen haben die Klagen zurückgenommen. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin Ziff. 1 hat daraufhin die Festsetzung des Streitwerts beantragt.

Das Landgericht hat durch Beschluß vom 06.12.2000 den Streitwert bis zur Verbindung auf 100.000,00 DM (für die Klage der Klägerin Ziff. 1) und 300.000,00 DM (für die Klage der Klägerin Ziff. 2) sowie ab der Verbindung auf 400.000,00 DM (Gesamtstreitwert) festgesetzt und insoweit für die Klägerin Ziff. 1 einen Teilstreitwert von 100.000,00 DM und die Klägerin Ziff. 2 einen Teilstreitwert von 300.000,00 DM angesetzt. Hierzu hat es ausgeführt, der ab der Verbindung maßgebliche Gesamtstreitwert habe die Klägerinnen in unterschiedlicher Weise betroffen, weshalb auch ohne Anwendung von § 247 Abs. 2 AktG Teilstreitwerte entsprechend den Werten der getrennten Klagen zu bilden seien.

Mit der aus eigenem Recht geführten Beschwerde begehrt der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin Ziff. 1 die Festsetzung eines Streitwerts von 200.000,00 DM, hilfsweise 300.000,00 DM. Er macht geltend, nach Verbindung der Prozesse könne der Streitwert für beide Klagen nur einheitlich festgesetzt werden. Die Voraussetzungen für eine Herabsetzung des Streitwerts nach § 247 Abs. 2 AktG lägen nicht vor.

II.

Auf die nach § 10 Abs. 3 BRAGO zulässige Beschwerde ist der Streitwert für die nach der Prozeßverbindung entstandenen Gebühren auf 300.000,00 DM und der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin Ziff. 1 nach Prozeßverbindung auf 100.000,00 DM festzusetzen.

1.

Der Senat kann, da das Verfahren wegen der Entscheidung über den Streitwert in der Rechtsmittelinstanz schwebt, den Streitwertbeschluß des Landgerichts von Amts wegen ändern (§ 25 Abs. 2 S. 2 GKG). Soweit das Landgericht den Streitwert für die bis zur Prozeßverbindung angefallenen Gebühren auf 100.000,00 DM für die Klage der Klägerin Ziff. 1 und auf 300.000,00 DM für die Klage der Klägerin Ziff. 2 festgesetzt hat, ist die Entscheidung nicht zu beanstanden. Demgegenüber ist ab der Prozeßverbindung ein Gesamtstreitwert von 300.000,00 DM festzusetzen.

a)

Werden mehrere selbständige Prozesse miteinander verbunden, so ist die Verbindung auf die vorher entstandenen Gebühren sowie auf die Streitwerte beider Prozesse vor der Verbindung ohne Einfluß. Daher sind bis zur Verbindung getrennte Streitwerte festzusetzen (OLG Köln VersR 1992, 518; Zöller-Greger, ZPO, 22. Aufl., § 147 Rn. 10; Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 11. Aufl., Rn. 2853). Die Festsetzung des Landgerichts entsprach insoweit den Streitwertangaben in den Klagschriften.

b)

Von der Verbindung an bestimmen sich die Gebühren nach einem neuen, einheitlichen Streitwert. Werden Verfahren mit verschiedenen Streitgegenständen verbunden, setzt sich der Streitwert aus der Summe der Einzelstreitwerte der verbundenen Verfahren zusammen (§§ 12 Abs. 1 GKG, 5 ZPO; MüchKomm/Peters, ZPO, 2. Aufl., § 147 Rn. 14; Baumbach/Hartmann, ZPO, 59. Aufl., § 147 Rn. 20; Markl/Meyer, GKG, 3. Aufl., § 11 Rn. 20; Schneider/Herget a.a.O. Rn. 2849 ff.; OLG Celle JurBüro 1987, 109). Betreffen die verbundenen Verfahren demgegenüber denselben Streitgegenstand, werden die Werte nicht zusammengerechnet. Aus § 19 Abs. 1 S. 3 GKG läßt sich der Grundgedanke entnehmen, daß derselbe Streitgegenstand nicht mehrfach bewertet werden darf (Musielak/Smid, ZPO, 2. Aufl., § 5 Rn. 8; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 21. Aufl., § 5 Rn. 10; VGH Mannheim NVwZ 1991, 275, 276). So ist es hier. Die Klägerinnen haben Anfechtungsklagen gegen denselben Hauptversammlungsbeschluß erhoben. Zwischen beiden bestand nach der Verbindung eine notwendige Streitgenossenschaft im Sinne des § 62 Abs. 1 ZPO; die Klagen hatten den identischen Streitgegenstand (allg. Meinung; BGHZ 122, 211, 240). Da die nach § 247 Abs. 1 AktG zu bemessenden Streitwerte für die einzelnen Klagen nicht identisch sind, bestimmt sich der Streitwert nach Prozeßverbindung nach dem höheren der beiden Einzelstreitwerte (arg. § 19 Abs. 1 S. 3 GKG).

Dem steht auch § 247 AktG nicht entgegen. Eine Streitwertspaltung sieht das Gesetz nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 247 Abs. 2 AktG vor, die hier nicht gegeben sind.

Danach ist der Streitwert ab der Prozeßverbindung auf 300.000,00 DM festzusetzen.

2.

Aus dem für die Zeit ab der Prozeßverbindung festzusetzenden einheitlichen Streitwert sind indessen nur die Gerichtsgebühren und die Anwaltsgebühren des Beklagtenvertreters zu berechnen. Der für die Gerichtsgebühren maßgebende Wert ist nach § 9 Abs. 1 BRAGO für die Gebühren der Rechtsanwälte nämlich nur maßgebend, soweit sich der Gegenstand der gerichtlichen Tätigkeit mit dem der anwaltlichen Tätigkeit deckt. Ist der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit demgegenüber von demjenigen der gerichtlichen Tätigkeit verschieden, ist der Gegenstandswert hierfür gesondert nach § 10 BRAGO festzusetzen. So ist es hier. Der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit der Klägervertreter deckt sich nur teilweise mit demjenigen der gerichtlichen Tätigkeit. Die Klägervertreter sind nach Prozeßverbindung jeweils nur für eine der in notwendiger Streitgenossenschaft verbundenen Kläger tätig geworden. Während sich die gerichtliche Tätigkeit einheitlich auf beide Klagen bezogen hat mit der Folge, daß wegen der Identität des Streitgegenstands der höhere der Einzelstreitwerte für die Streitwertfestsetzung maßgeblich ist, sind die Klägervertreter jeweils nur für ihre Mandantin tätig geworden.

Für die Bestimmung des Gegenstandswertes der anwaltlichen Tätigkeit der Klägervertreter ist der nach § 247 Abs. 1 AktG zu bemessende Wert des jeweiligen Prozeßrechtsverhältnisses maßgeblich, für die anwaltliche Tätigkeit des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin Ziff. 1 also die Bedeutung der Sache für die Klägerin Ziff. 1 und die Beklagte. Der sonach zu bestimmende Gegenstand unterscheidet sich von dem Gegenstand der gerichtlichen Tätigkeit, er unterscheidet sich wegen des unterschiedlichen Aktienbesitzes der Klägerinnen aber auch vom Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin Ziff. 2, der sich nach § 247 Abs. 1 AktG unter Berücksichtigung der Interessen der Klägerin Ziff. 2 und der Beklagten bemißt.

Ausgehend von einem derart definierten Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit, der nicht mit dem Begriff des Streitgegenstands identisch ist, verbietet sich die Festsetzung eines einheitlichen Geschäftswerts. Der vorliegende Sachverhalt ist hinsichtlich der Frage, ob ein gespaltener Geschäftswert nach § 10 BRAGO anzunehmen ist, nicht anders zu beurteilen, als der Fall, in dem ein Rechtsanwalt einen von mehreren Streitgenossen vertritt, die unterschiedliche Ansprüche geltend machen (vgl. Gerold/Schmidt/Madert, BRAGO, 14. Aufl., § 9 Rn. 4; Riedel/Sußbauer, BRAGO, 8. Aufl., § 9 Rn. 10). Trotz Identität des Streitgegenstands kann der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit im Sinne der §§ 9, 10 BRAGO von demjenigen der gerichtlichen Tätigkeit abweichen (für den vergleichbaren Fall des Geschäftswerts der anwaltlichen Tätigkeit im aktienrechtlichen Spruchstellenverfahren nach § 306 AktG vgl. BGH AG 1999, 181; OLG Düsseldorf NJW-RR 1998, 1649; OLG Zweibrücken AG 1995, 41).

Weder der Umstand, daß nach § 247 Abs. 1 AktG die Bedeutung der Sache für beide Parteien - Kläger und Beklagten - zu beachten und bei der Ermessensentscheidung angemessen zu berücksichtigen ist, noch die gesetzlich angeordnete Reflexwirkung des rechtskräftigen Urteils nach § 248 AktG für die nicht am Rechtsstreit beteiligten Aktionäre rechtfertigen eine abweichende Beurteilung, denn der Grund für die selbständige Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit ist die wertmäßig unterschiedliche Beteiligung mehrerer klagender Streitgenossen.

Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin Ziff. 1 beläuft sich entsprechend der Streitwertfestsetzung für die Klage vor der Prozeßverbindung auf 100.000,00 DM.

Die Wertfestsetzung nach § 10 Abs. 1 BRAGO ergeht auf Antrag durch Beschluß des Gerichts des Rechtszugs, also desjenigen Gerichts, bei dem das Verfahren in dem Rechtszug anhängig war, für den der Rechtsanwalt einen Vergütungsanspruch geltend macht (Gerold/Schmidt/Madert a.a.O. § 10 Rn. 3). Der Antrag des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin Ziff. 1 vom 04.11.2000 auf Festsetzung des Streitwerts ist dahin auszulegen, daß ggf. auch eine Wertfestsetzung nach § 10 Abs. 1 BRAGO begehrt war, denn an der Festsetzung allein des nur für die Gerichtsgebühren maßgeblichen Streitwerts hatte der Klägervertreter kein Interesse. Der Beschluß des Landgerichts vom 06.12.2000 ist dahin auszulegen, daß eine gesonderte Wertfestsetzung für die Rechtsanwaltsgebühren nach § 10 BRAGO abgelehnt wurde, weshalb der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin Ziff. 1 den Beschluß aus eigenem Recht mit der befristeten Beschwerde nach § 10 Abs. 3 BRAGO anfechten konnte.

Auf die Beschwerde ist daher der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin Ziff. 1 nach der Prozeßverbindung auf 100.000,00 DM festzusetzen.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei; der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin Ziff. 1 erhält für seine Tätigkeit im Wertfestsetzungsverfahren keine Gebühren (§ 10 Abs. 3 S. 5 BRAGO).

Ende der Entscheidung

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