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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 02.12.2004
Aktenzeichen: 3 Ausl. 106/04
Rechtsgebiete: IRG
Vorschriften:
IRG § 3 Abs. 3 Satz 2 | |
IRG § 81 Nr. 2 |
Oberlandesgericht Stuttgart - 3. Strafsenat - Beschluss
vom 02. Dezember 2004
Geschäftsnummer: 3 Ausl. 106/2004
Ausl. (13) 106/04 GStA Stuttgart
in der Auslieferungssache des niederländischen Staatsangehörigen
Tenor:
1. Der Verfolgte, dessen Auslieferung an das Königreich der Niederlande zur dortigen Strafvollstreckung in Betracht kommt, ist
in Auslieferungshaft
zu nehmen.
2. Der Auslieferungshaftbefehl wird
außer Vollzug
gesetzt.
3. ....
Gründe:
I.
Durch Ausschreibung im Schengener Informationssystem vom 28. Januar 2002 (...) und unter Vorlage eines Europäischen Haftbefehls vom 29. November 2004 (...) ersuchen die niederländischen Behörden um Festnahme und Auslieferung des Verfolgten zur Strafvollstreckung. Gegen den Verfolgten besteht ein nationaler niederländischer Haftbefehl der Staatsanwaltschaft A. vom 16. Mai 1994 ..., wonach gegen den Verfolgten eine Freiheitsstrafe von (noch) 590 Tagen von einer Freiheitsstrafe von 21 Monaten aus einem Urteil des Gerichts in A. vom selben Tag zu vollstrecken ist. Der Verfolgte soll im Zeitraum von Dezember 1991 bis Februar 1993 .... betrügerischen Bankrott, Urkundenfälschung und Steuerhinterziehung begangen haben. ...
Der Verfolgte wurde am 15. November 2004 in B. vorläufig festgenommen. Bei seiner Anhörung durch den Haftrichter des Amtsgerichts B. am 16. November 2004 hat sich der Verfolgte nicht mit einer vereinfachten Auslieferung in die Niederlande einverstanden erklärt. Er hat geltend gemacht, er habe sich aufgrund des niederländischen Strafverfahrens bereits mehr als ein halbes Jahr in Italien in Auslieferungshaft befunden. Mit Schriftsatz seines Beistandes vom 25. November 2004 trägt er weiter vor, er habe sich darüber hinaus vom 14. Dezember 1992 bis zum 19. März 1993 in den Niederlanden in sogenannter Konkursschuldhaft befunden. Auch diese müsse - ebenso wie die im Anschluss daran bis zum 28. April 1993 erlittene Untersuchungshaft - auf die verhängte Strafe angerechnet werden, weshalb er den größten Teil der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe bereits verbüßt habe. ...
II.
Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, gegen den Verfolgten gemäß §§ 83a Abs. 2, 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG Auslieferungshaftbefehl zu erlassen, ist zu entsprechen.
1. Nachdem das Europäische Haftbefehlsgesetz (EuHbG) vom 21. Juli 2004 (BGBl. I S. 1748) am 23. August 2004 in Kraft getreten ist (Art. 3 EuHbG), richtet sich die Unterstützung eines Mitgliedstaates der Europäischen Union und insbesondere die Auslieferung an ein Mitgliedstaat der Europäischen Union nach neuem Recht. Gemäß § 1 Abs. 4 IRG n. F. ist deshalb an die Stelle des zuvor im Verhältnis zu den Niederlanden geltenden EuAlÜbk der neue Achte Teil, insbesondere Abschnitt 2 des IRG getreten.
Der Anwendbarkeit des neuen Rechts steht nicht entgegen, dass im vorliegenden Fall die Ausschreibung im Schengener Informationssystem bereits am 28. Januar 2004 erfolgt und damit das gegenständliche Auslieferungsverfahren noch unter der Geltung des alten Rechts eingeleitet worden ist (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 07. September 2004 - 3 Ausl 80/04 -, NJW 2004, 3437). Auch der Umstand, dass die Taten, die dem Auslieferungsverfahren zugrunde liegen, noch vor Inkrafttreten des neuen Rechts begangen worden sind, hindert die Anwendbarkeit des neuen Rechts nicht.
2. Die Auslieferung des Verfolgten erscheint nicht von vornherein unzulässig (§ 15 Abs. 2 IRG).
a) Ein niederländisches Ersuchen um Auslieferung des Verfolgten im Sinne von § 2 Abs. 1 IRG i.V.m. §§ 78, 79, 80 f IRG n. F. liegt vor.
Angesichts des vorgelegten Europäischen Haftbefehls, der die Pflichtangaben nach Art. 8 Abs. 1 RbEuHb enthält, bedarf es keiner Entscheidung, ob bereits die Ausschreibung im Schengener Informationssystem, die gemäß Art. 9 Abs. 3 Satz 2 RbEuHb, § 83 a Abs. 3 IRG n. F. einem Europäischen Haftbefehl gleichsteht, einem Auslieferungsersuchen entspricht und es ersetzt (zur Bedeutung des Europäischen Haftbefehls als Auslieferungsersuchen vgl. Senatsbeschluss vom 07. September 2004, aaO).
b) Bei den dem Verfolgten vorgeworfenen Taten handelt es sich nach niederländischem Recht um betrügerischen Bankrott, Urkundenfälschung und Steuerhinterziehung, wofür Art. 225 u. Art. 343 des niederländischen Strafgesetzbuches Freiheitsstrafe bis zu 6 Jahren vorsehen. Die Prüfung der beidseitigen Strafbarkeit entfällt bei diesem Tatvorwurf (§ 81 Nr. 4 IRG n. F., Art. 2 Abs. 2 RbEuHb vom 13. Juni 2002).
c) Ob nach deutschem Recht bereits Vollstreckungsverjährung eingetreten wäre, braucht der Senat ebenfalls nicht zu überprüfen. Nach §§ 1 Abs. 4 Satz 1, 78 IRG n. F. findet auf Ersuchen von Mitgliedstaaten der Europäischen Union das IRG Anwendung; soweit dieses im Achten Teil keine besonderen Regelungen enthält, gelten seine übrigen Bestimmungen. Eine nach deutschem Strafrecht eingetretene Verfolgungs- oder Vollstreckungsverjährung steht im Anwendungsbereich des IRG aber nach dessen § 9 Nr. 2 einer Auslieferung nur dann entgegen, wenn für die Tat auch die deutsche Gerichtsbarkeit begründet ist (Vogel in: Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, vor § 1 IRG, Rdnr. 88; Vogel, aaO, § 9 IRG, Rdnr. 17; Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, § 9 IRG, Rdnr. 19). Der Achte Teil des IRG enthält keine besonderen Vorschriften zur Verfolgungs- oder Vollstreckungsverjährung; für die Geltung des deutschen Strafrechts ergibt sich vorliegend kein Anhaltspunkt.
d) Nach niederländischem Recht ist Strafvollstreckungsverjährung, deren Vorliegen der Zulässigkeit einer Auslieferung entgegenstünde (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 30. November 2004 - 3 Ausl. 103/2004 -), nicht eingetreten. Nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft beim Gericht in A. vom 29. November 2004 tritt Vollstreckungsverjährung nach niederländischem Recht im vorliegenden Fall erst im Jahr 2011 ein.
e) Es ist eine freiheitsentziehende Sanktion zu vollstrecken, deren Maß mindestens vier Monate beträgt (§ 81 Nr. 2 IRG n. F.). Im Gegensatz zu § 3 Abs. 3 Satz 2 IRG a.F. bestimmt § 81 Nr. 2 IRG n. F. nunmehr, dass bei der Prüfung der Zulässigkeit der Auslieferung zur Vollstreckung allein auf die Höhe der Sanktion abzustellen ist, die in dem dem Auslieferungsbegehren des ersuchenden Mitgliedstaates zugrunde liegenden ausländischen Erkenntnis festgesetzt wurde. Bereits erfolgte (Teil-) Verbüßungen sind - anders als nach § 3 Abs. 3 Satz 2 IRG a. F. - nach dem eindeutigen Wortlaut des § 81 Nr. 2 IRG n. F. nicht mehr zu berücksichtigen. Dies entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, mit dem Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EuHbG) im Interesse einer Vereinfachung des bisherigen Auslieferungsverfahrens eine Reihe wesentlicher Erleichterungen für die Mitgliedstaaten, darunter die Einschränkung des formellen und materiellen Prüfungsumfangs im gerichtlichen Zulässigkeitsverfahren, zu schaffen (vgl. Begründung zum EuHbG, BT-Ds. 15/1718 S. 9 u. 16). Auf die Höhe des im vorliegenden Fall noch zu vollstreckenden Strafrestes kommt es deshalb nicht (mehr) an.
3. Die Anordnung der Auslieferungshaft ist geboten, weil die Gefahr besteht, dass sich der Verfolgte, der schon bisher häufige Aufenthaltswechsel vorgenommen hat, sich angesichts der ihm in den Niederlanden drohenden Strafvollstreckung der Durchführung des Auslieferungsverfahrens durch Flucht entzieht (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG). Mit den aus dem Tenor ersichtlichen Auflagen sind aber mildere Maßnahmen als der Vollzug der Auslieferungshaft aufgezeigt, die ... die Gewähr bieten, den Zweck der Auslieferungshaft auch ohne deren Vollzug zu erreichen (§ 25 Abs. 1 IRG). ...
Ende der Entscheidung
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