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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 10.04.2002
Aktenzeichen: 3 Ausl. 2/2001
Rechtsgebiete: EuAlÜbk, SDÜ


Vorschriften:

EuAlÜbk Art. 10
SDÜ Art. 62
1. Kommt es bei der Auslieferung zur Strafverfolgung wegen Art. 10 EuAlÜbk darauf an, ob die Tat nach deutschem Recht verjährt ist, so richtet sich die Verfolgungsverjährungsfrist nach der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Strafdrohung, selbst wenn zum Tatzeitpunkt ein milderes Gesetz galt.

2. Nach Art. 62 SDÜ sind für die Unterbrechung der Verjährung "allein" die Vorschriften der ersuchenden Vertragspartei maßgeblich. Ist die Bundesrepublik Deutschland ersuchte Vertragspartei, so kann die Unterbrechung der Verjährung nicht auf § 78 c StGB gestützt werden, auch nicht in der Weise, dass Handlungen oder Tatbestände im ersuchenden Staat herangezogen werden, die bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts die Voraussetzungen des § 78 c StGB erfüllt hätten. Die anderslautenden, aber vor Inkrafttreten des Art. 62 SDÜ und nicht zu dieser Vorschrift, sondern zu Art. 10 EuAlÜbk entwickelten Grundsätze von BGHSt 33, 26 sind nicht auf Art. 62 SDÜ übertragbar.


Tatbestand:

Die Griechische Republik ersucht um Auslieferung des Verfolgten u.a. zur Strafverfolgung wegen Einbruchsdiebstählen, die der Verfolgte im Frühjahr 1988 in Griechenland begangen haben soll. Der Senat hat die Auslieferung für unzulässig erklärt.

Gründe:

Die Auslieferung zur Strafverfolgung (...) ist unzulässig, weil nach deutschem Recht Verjährung eingetreten ist (Art. 10 EuAlÜbk).

1. Zwar haben sowohl die Bundesrepublik Deutschland als auch die Griechische Republik das EU-AuslÜbk ratifiziert, nach dessen Art. 8 grundsätzlich nur mehr das Verjährungsrecht des ersuchenden Staates - hier also der Griechischen Republik -maßgeblich ist. Jedoch ist das EU-AuslÜbk noch nicht in Kraft getreten, und die Republik Griechenland hat keine Erklärung über die vorläufige Anwendbarkeit nach Art. 18 Abs. 4 EU-AuslÜbk abgegeben (Grotz, in: Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, Teil III 1 e Rdn. 1 Stand Dezember 2000).

2. Damit bleibt es beim Erfordernis beidseitiger Unverjährtheit nach Art. 10 EuAlÜbk. Nach deutschem Recht ist aber Verjährung eingetreten.

a) Die Verjährungsfrist beträgt für die Taten I. A., I. B. und I. C. zehn, für die Taten I. D. und I. F. fünf Jahre jeweils ab Beendigung der Tat (§ 78 a StGB).

aa) Eine zehnjährige Verjährungsfrist für sämtliche der genannten Taten lässt sich nicht gem. § 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB daraus herleiten, dass die Taten bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts nach deutschem Recht seit 1992 als (ggf. schwere) Bandendiebstähle i.S. des § 244 Abs. 1 Nr. 2 (ggf. § 244 a Abs. 1) StGB mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren bedroht wären. Eine Bande muss mindestens drei Mitglieder haben (BGHSt 46, 321). Aus der Schilderung der Tatvorwürfe in der Anklageschrift geht nur hervor, dass der Verfolgte bei den Diebstählen gemeinschaftlich mit einem Mittäter K. P. handelte und sich mit diesem zur Begehung von Diebstählen verbunden hatte. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die weiteren Mitbeschuldigten K. F. und G. T., denen in der Anklageschrift jeweils Hehlerei vorgeworfen wird, Bandenmitglieder waren. Gegen deren Bandenmitgliedschaft spricht, dass sich der Mittäter K. P. gegenüber dem mitbeschuldigten Hehler G. T. mit falschem Namen vorgestellt haben soll.

bb) Für die Taten I. D. und I. F. bliebe es vielmehr bei einer Strafbarkeit wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall gem. §§ 242, 243 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1, 3 StGB. Wegen § 78 Abs. 4 StGB ist für die Verjährung die Höchststrafe des einfachen Diebstahles maßgeblich, was gem. § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB zu einer bloß fünfjährigen Verjährungsfrist führt.

cc) Eine zehnjährige Verjährungsfrist gilt allerdings für die Taten I. A., I. B. und I. C., die nach seit 1998 geltenden Recht als Wohnungseinbruchsdiebstähle gem. § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren bedroht wären. Zwar wäre eine derartige rückwirkende Umbewertung einer Tat mit der Folge und dem Ziel der Verlängerung der Verjährungsfrist im innerstaatlichen Strafverfahren ausgeschlossen, ohne dass es auf die Streitfrage ankäme, ob das Verjährungsrecht als solches dem Rückwirkungsverbot unterliegt oder nicht. Denn verändert sich zwischen Begehung und Aburteilung der Tat die materiell-rechtlich angedrohte Strafe, so berechnet sich die Verjährungsfrist entsprechend § 2 nach der milderen Bestimmung (BGH GA 1954, 22; Jähnke, in: LK-StGB, 11. Aufl., Vor § 78 Rdn. 11; Schönke/Schröder-Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 26. Auf., § 78 Rdn. 11 mit Verweis auf BGH LM Nr. 4 zu § 2 a StGB; BGH bei Dallinger MDR 1954, 335), hier nach §§ 242, 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB. Jedoch kommt es im Auslieferungsverfahren, das kein eigentliches Strafverfahren ist, auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Auslieferungsentscheidung an. Zur beidseitigen Strafbarkeit wird deshalb in Rechtsprechung und Literatur die Auffassung vertreten, dass es unschädlich sei, wenn die Tat im ersuchten Staat erst nach ihrer Begehung unter Strafe gestellt worden sei (OLG Karlsruhe NJW 1985, 2096; Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 3. Aufl., § 3 IRQ Rdn. 21; Vogler, in: Grützner/Pötz aaO. Teil l A 2 § 3 IRG Rdn. 21; lediglich referierend BGHSt 42, 243 [252]). Das muss erst recht für eine nachträgliche Strafschärfung und eine daraus resultierende Verjährungsverlängerung, also erst recht für die beidseitige Verfolgbarkeit, gelten (a.A. möglicherweise - aber für einen Fall mit konkurrierender inländischer Gerichtsbarkeit nach § 9 Nr. 2 IRG - von Bubnoff, NStZ 1987, 354 [f.]).

b) Die mithin spätestens im April 1993 (Taten I. D., I. F.) bzw. 1998 (Taten I. A., I. B. und I. C.) abgelaufenen Verjährungsfristen sind nicht in einer Weise gehemmt oder unterbrochen worden, dass die Taten noch heute unverjährt wären.

aa) Gem. Art. 62 SDÜ sind für die Unterbrechung der Verjährung allein die Vorschriften der ersuchenden Vertragspartei - hier also der Republik Griechenland - maßgeblich. Eine "Unterbrechung" der Verjährung im deutsch-rechtlichen Sinne kennt das griechische Recht offenbar nicht. Freilich hat der Senat in seinem Vorlagebeschluss v. 18. April 2001 (3 Ausl. 141/00) eingehend begründet, dass auch Vorschriften über die "Hemmung" der Verjährung im deutsch-rechtlichen Sinne in den Anwendungsbereich des Art. 62 SDÜ fallen müssen. Deshalb erschiene es dem Senat möglich, die Hemmungsgründe nach Art. 113 des griechischen StGB - der § 78 b StGB ähnelt - zu berücksichtigen. Solche Gründe liegen aber, wie die Generalstaatsanwaltschaft mit Recht bemerkt, nicht vor.

cc) Allerdings argumentiert die Generalstaatsanwaltschaft, dass der Beschluss des Vorsitzenden des Dreirichter-Strafsenats für Verbrechen des Oberlandesgerichts Athen vom 24. Februar 1993, in dem die Aussetzung des Verfahrens gegen den Verfolgten bis zu seiner Festnahme zur Haft angeordnet wird, bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts die Verjährung entsprechend § 78 c Abs. 1 Nr. 10, ggf. auch Nr. 5, StGB unterbrochen habe, und beruft sich hierfür auf BGHSt 33, 26 (mit Anm. Vogler, JR 1985, 304 ff.). Dem folgt der Senat nicht.

(1) Für die Taten I. D. und I. F. führt die Argumentation der Generalstaatsanwaltschaft nicht weiter, weil der Beschluss die Verjährung auch bei Anwendung des § 78 c StGB und sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts nicht über das Doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist hinaus hätte verlängern können (§ 78 c Abs. 3 Satz 2 StGB). Da die Verjährungsfrist insoweit nur fünf Jahre betrug (siehe oben 2. a] bb]), wäre im April 1998 Verjährung eingetreten.

(2) Im übrigen hält der Senat dafür, dass die vor Inkrafttreten des Art. 62 SDÜ und nicht zu dieser Vorschrift, sondern zu Art. 10 EuAlÜbk entwickelten Grundsätze von BGHSt 33, 26 (möglicherweise anders OLG München GA 1983, 89 mit Anm. Bartholy; s. weiterhin von Bubnoff, NStZ 1987, 354 [355]) nicht auf Art. 62 SDÜ übertragbar sind. Der Wortlaut des Art. 62 SDÜ ist eindeutig: Für die Unterbrechung sind "allein" die Vorschriften der ersuchenden Vertragspartei maßgeblich. Ein Rückgriff auf Unterbrechungsvorschriften des ersuchten Staates - hier also auf § 78 c StGB - ist demnach ausgeschlossen; sie sind weder auf Inlands- noch auf sinngemäß umgestellte Auslandssachverhalte anwendbar. Zwar trifft der Hinweis der Generalstaatsanwaltschaft zu, dass Art. 62 SDÜ das Problem lösen will, dass Handlungen und Tatbestände, die im ersuchenden und strafverfolgenden Staat geschehen, nicht ohne weiteres im ersuchten Staat nach dessen Recht als unterbrechende Handlungen und Tatbestände anerkannt werden. Rechtslogisch gibt es jedoch zwei alternative Lösungen des Problems. Die eine besteht in einer tatbestandlichen Gleichstellung von aus Sicht des ersuchten Staates ausländischen, nämlich im ersuchenden und strafverfolgenden Staat geschehenen Handlungen und Tatbestände mit inländischen für die Zwecke der Anwendung des Unterbrechungsrechts des ersuchten Staates. Eben dies ist der in BGHSt 33, 26 (und z.B. auch in Art. 10 Abs. 2 des Europäischen Übereinkommens über die Übertragung von Strafverfahren, ETS Nr. 73) beschrittene Lösungsweg. Die andere Lösung besteht darin, dass es für die Unterbrechung überhaupt nicht auf das Recht des ersuchten, sondern nur auf das des ersuchenden und strafverfolgenden Staates ankommt, der es dann selbst in der Hand hat, im Rahmen der eigenen Strafverfolgungstätigkeit unterbrechende Handlungen vorzunehmen und unterbrechende Tatbestände zu schaffen. Eben dies ist der in Art. 62 SDÜ (und zuvor in einigen Ergänzungsverträgen zum EuAlÜbk, vgl. BGHSt 33, 26 [32] m.w.N.) beschrittene Weg. Es geht nicht an, beide Lösungswege in Art einer Meistbegünstigung des ersuchenden Staates zu Kumulieren. Art. 62 SDÜ soll das EuAlÜbk "ergänzen" und "seine Anwendung erleichtern" (Art. 59 Abs. 1 SDÜ). "Ergänzung" meint nicht zwingend Kumulation, sondern kann auch Klarstellung einer im Wortlaut des Art. 10 EuAlÜbk nicht eindeutig geregelten Frage (s. BGHSt 33, 26 [29]) bedeuten. Die Kumulation würde dazu führen, dass sowohl das Unterbrechungsrecht des ersuchenden Staates als auch - bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts - das des ersuchten Staates anzuwenden wäre, was keine Erleichterung der Anwendung, sondern eine auch in anderem Zusammenhang für unerwünscht gehaltene Mischrechtsanwendung wäre (vgl. Vogler, in: Grützner/Pötz aaO. Teil I A 2 § 3 IRG § 9 Rdn. 17). Im übrigen würde sich eine Meistbegünstigung des ersuchenden Staates einseitig zum Nachteil des Verfolgten auswirken. Zwar trifft es zu, dass Art. 62 SDÜ verhindern will, dass der Verfolgte von ihm günstigen, nämlich die Unterbrechungsmöglichkeiten einschränkenden Vorschriften des Aufenthaltsstaats profitieren soll. Dies heißt jedoch nicht, dass er sich auch ihm ungünstigere Unterbrechungsvorschriften dieses Staates entgegenhalten lassen müsste. Deren Anwendung wäre vielmehr aus Sicht des Verfolgten, der im ersuchenden (zumeist Tatort-) Staat, nicht aber im ersuchten Aufenthaltstaat verfolgt wird, durchaus willkürlich. Schließlich kann gegen die hier vertretene Auffassung nicht eingewendet werden, die Nichtberücksichtigung von Unterbrechungshandlungen im ersuchenden Staat sei eine ungerechtfertigte Privilegierung des Verfolgten, der sich dem Verfahren durch Flucht und Aufenthalt im Ausland entziehe (so Bartholy, GA 1983, 89 [90]). Die Unterbrechungshandlungen des ersuchenden Staates werden sehr wohl berücksichtigt, freilich nur nach dessen Recht, nicht nach dem des ersuchten Staates.

Ende der Entscheidung

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