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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 14.02.2003
Aktenzeichen: 3 Ausl. 86/02 (1)
Rechtsgebiete: EU-AuslÜbk, EuAlÜbk, IRG


Vorschriften:

EU-AuslÜbk Art. 10
EuAlÜbk Art. 15
IRG § 11
1. Liegt einem Auslieferungsersuchen keine hinreichend bestimmte Tat in prozessualen Sinne zugrunde, so ist die Auslieferung unzulässig, da die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes nicht gewährleistet werden kann.

2. Im Auslieferungsverkehr mit der Republik Österreich können ergänzende Unterlagen im unmittelbaren Geschäftsweg bei den jeweiligen Justizbehörden angefordert und übermittelt werden.


OLG Stuttgart 3. Strafsenat

Beschluss vom 14.02.2003 3 Ausl. 86/02

Tatbestand:

Die Republik Österreich ersucht um Auslieferung des Verfolgten zur Strafverfolgung wegen gewerbsmäßigen und bandenmäßigen Schmuggels in Tateinheit mit vorsätzlichem Eingriff in die Rechte des Tabakmonopols (§§ 11, 35 Abs. 1 lit. a, 38 Abs. 1 lit. a und b, 44 Abs. 1 lit. b öFinStrG). In dem beim österreichischen Landesgericht K. anhängigen Strafverfahren wird dem Verfolgten vorgeworfen, in der Zeit vom 16. März bis 07. September 2001 als Mitglied einer Bande von Zigarettenschmugglern in zumindest 17 Lieferungen vorschriftswidrig zumindest 124.236.000 Stück Zigaretten der Marke Benson & Hedges in das Zollgebiet der Europäischen Union verbracht bzw. der zollamtlichen Überwachung entzogen zu haben, sowie Monopolgegenstände, nämlich die vorangeführten Zigaretten, zu seinem oder eines anderen Vorteils einem monopolrechtlichen Einfuhrverbot zuwider eingeführt zu haben, wobei es ihm darauf angekommen sei, sich durch wiederkehrende Begehung eines Schmuggels eine fortlaufende Einkommensquelle zu verschaffen. Näher beschrieben wird allein die erste Lieferung in der Zeit vom 16. März bis zum 03. April 6. März 2001, bei der die österreichische Zollfahndung mindestens 7.308.000 Stück unverzollte Zigaretten der Marke Benson & Hedges sichergestellt hatte. Zu den weiteren mindestens 16 Lieferungen wird nichts Näheres ausgeführt, sondern unterstellt, sie hätten sich in gleicher Weise abgespielt. Der Senat hat die Auslieferung nur für die erste Lieferung für zulässig erklärt.

Gründe:

III.

Über die Zulässigkeit der Auslieferung wegen der weiteren mindestens 16 bis zum 07. September 2001 erfolgten Containerlieferungen entscheidet der Senat erst, nachdem dem Landesgericht K. Gelegenheit gegeben worden ist, ergänzende Unterlagen hierüber zu übermitteln, insbesondere darüber, an welchen Tagen und auf welchen Wegen die Lieferungen erfolgt sind und was sich zum Inhalt der jeweiligen Container ergeben hat (§ 30 IRG i.V. mit Art. 13 EuAlÜbk i.V. mit Art. 14 EU-AuslÜbk).

1. Die Notwendigkeit einer noch weiteren Konkretisierung der mindestens 16 Lieferungen ergibt sich aus dem Spezialitätsgrundsatz, auf dessen Beachtung der Verfolgte nicht verzichtet hat.

a) Der Spezialitätsgrundsatz besagt, dass der Verfolgte in dem Staat, in den er ausgeliefert wird, nur wegen der Tat oder der Taten verfolgt werden darf, wegen derer die Auslieferung bewilligt worden ist; nur wenn dies gewährleistet ist, darf die Auslieferung für zulässig erklärt werden (vgl. § 11 IRG, Art. 14 EuAlÜbk). Art. VII des Vertrages vom 31. Januar 1972 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens (A-ErgV EuAlÜbk) und Art. 10 EU-AuslÜbk lockern den Spezialitätsgrundsatz nur in - hier nicht interessierenden - Randbereichen. Die Folge hiervon ist, dass eine Auslieferung im Grundsatz nur "tatscharf" für zulässig erklärt werden kann. Liegt oder liegen einem Auslieferungsuntersuchen keine hinreichend bestimmte Tat oder bestimmten Taten zugrunde, so ist es dem Oberlandesgericht verwehrt, die Auslieferung für zulässig zu erklären.

b) Die zumindest 16 weiteren Lieferungen sind bislang nicht hinreichend konkretisiert und individualisiert.

aa) Nach derzeitigem Erkenntnisstand muss davon ausgegangen werden, dass jede der zumindest 16 weiteren Lieferungen eine selbständige Tat im materiell-rechtlichen wie prozessualen Sinne darstellt. Tateinheit kraft Fortsetzungszusammenhanges gibt es bei Abgabendelikten nicht mehr (BGHSt 40, 195); eine tatbestandliche Bewertungseinheit ist nicht ersichtlich. Auch unabhängig von der Frage der Tateinheit oder -mehrheit ist bei Serientaten anerkannt, dass die Einzeltaten so konkret und individualisiert umschrieben werden, dass sich hieraus die Verwirklichung des objektiven und subjektiven Deliktstatbestandes jeweils nachprüfbar ergibt (BGHSt 40, 138 [159, 161]). Nur wenn eine Individualisierung der Einzeltaten nach Tatzeit, Tatort und Geschehensablauf auf unüberwindbare Schwierigkeiten stößt, genügt es, einen bestimmten Tatzeitraum, die Grundzüge der Art und Weise der Tatbegehung und eine (Höchst-) Zahl der einzelnen Taten anzugeben (BGHSt 40, 138 [161] und 44 [46 f.]). Grund hierfür ist, dass ansonsten die Gefahr der Beeinträchtigung der Verteidigung des Angeklagten durch vage, unbestimmte Vorwürfe droht und der Umfang der Rechtkraft ebenso unklar wird wie die Antwort auf die Frage, ob sich das Urteil im Rahmen der von der Anklage gezogenen Grenzen hält. Eine unzureichend bestimmte Anklage ist deshalb unwirksam. Diese für das innerdeutsche Strafverfahren entwickelten Maßstäbe sind um des Spezialitätsgrundsatzes willen auf das Auslieferungsverfahren zu übertragen. Ansonsten besteht die Gefahr der Aushöhlung dieses Grundsatzes, und die Antwort auf die Frage, ob sich die Strafverfolgung im ersuchenden Staat im Rahmen der Auslieferungsbewilligung des ersuchten Staates hält, wird unklar.

bb) Dem Senat erschließt sich nicht, warum es auf unüberwindbare Schwierigkeiten stoßen soll, die weiteren zumindest 16 Containerlieferungen nach Containernummer, Lieferungsdatum, Lieferweg und (ggf. vermuteten) Inhalt so zu konkretisieren und zu identifizieren wie die erste Lieferung. Im übrigen hält der Senat die (...) Methode, die erste Lieferung ohne weiteres auf die zumindest 16 weiteren Lieferungen "hochzurechnen", für fragwürdig, auch im Rahmen eines Auslieferungsverfahrens, in dem eine Schuldverdachtsprüfung im Grundsatz nicht stattfindet (vgl. § 10 Abs. 2 IRG). Vielmehr entnimmt der Senat dem Zwischenbericht des Hauptzollamts, dass es durchaus konkrete und benennbare Anhaltspunkte z.B. in Gestalt von Ungereimtheiten beim Containergewicht dafür gibt, dass mit konkreten und benennbaren Lieferungen Zigaretten in einem konkreten und benennbaren Umfange geschmuggelt worden sind.

2. Das Ersuchen um Übermittlung ergänzender Unterlagen kann die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart unmittelbar an das Landesgericht K. stellen, und dieses kann das Ersuchen unmittelbar erledigen; der Geschäftsweg über die jeweiligen (Justiz-) Ministerien entfällt. Denn seit dem 11. Juli 2001 ist zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich das EU-AuslÜbk vorläufig anwendbar. Dessen Art. 14 lässt den unmittelbaren Geschäftsweg von Justizbehörde zu Justizbehörde nach Maßgabe der jeweiligen Erklärungen der jeweiligen Mitgliedstaaten zu. Die Bundesrepublik Deutschland hat insoweit erklärt,

dass in den Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu anderen Mitgliedstaaten, die die gleiche Erklärung abgegeben haben, Ersuchen um Ergänzung der Unterlagen gemäß Artikel 13 des Europäischen Auslieferungsüberkommens unmittelbar zwischen den zuständigen Justizbehörden oder anderen zuständigen Behörden übermittelt und beantwortet werden können. Soweit die Bundesrepublik Deutschland der um Auslieferung ersuchte Staat ist, sind für Anforderung und Entgegennahme ergänzender Unterlagen die Staatsanwaltschaften bei den Oberlandesgerichten zuständig. ... Das Ersuchen um Auskunft ist unmittelbar an die Strafverfolgungsbehörde zu richten, welche die Auslieferung im Einzelfall betreibt.

Die Republik Österreich hat erklärt,

dass in ihren Beziehungen zu anderen Mitgliedstaaten, die die gleiche Erklärung abgegeben haben, die Justizbehörden, bei denen das Auslieferungsverfahren anhängig ist, unmittelbar um die in Art. 13 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vorgesehene Ergänzung der Unterlagen ersuchen können. Für die Anforderung, die Übermittlung und die Entgegennahme dieser ergänzenden Unterlagen sind in Österreich die Landesgerichte zuständig.



Ende der Entscheidung

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