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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 21.02.2000
Aktenzeichen: 3 Ss 87/2000
Rechtsgebiete: OWiG, StPO


Vorschriften:

OWiG § 77 b
StPO § 145 a Abs. 1
1. Eine nachträgliche Ergänzung der Urteilsgründe nach § 77 b Abs. 2 OWiG setzt voraus, daß das Amtsgericht von dem ihm in § 77 b Abs. 1 OWiG eingeräumten Ermessen, auf eine schriftliche Begründung des Urteils (ganz oder teilweise) zu verzichten, überhaupt Gebrauch gemacht hat.

2. Eine Vollmachtsurkunde, in der die Person des Bevollmächtigten nicht benannt ist, genügt den Anforderungen des § 145 a Abs. 1 StPO auch dann nicht, wenn sich der Verteidiger in einem begleitenden Schriftsatz selbst als Vollmachtnehmer bezeichnet.


Geschäftsnummer: 3 Ss 87/2000 3 OWi 33 Js 20067/99 AG Ellwangen 33 Js 20067/99 StA Ellwangen

Oberlandesgericht Stuttgart - 3. Senat für Bußgeldsachen -

Beschluß

vom 21. Februar 2000

in der Bußgeldsache

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

Tenor:

1. Dem Betroffenen wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Ellwangen vom 08. Dezember 1999 gewährt.

Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Betroffenen zur Last.

2. Die Akten werden dem Amtsgericht Ellwangen zur erneuten Zustellung des Urteils zurückgegeben.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Ellwangen hat gegen den Betroffenen am 08. Dezember 1999 wegen einer fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit eine Geldbuße von 150,00 DM sowie ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt. Gegen das in seiner Anwesenheit verkündete Urteil hat der Betroffene durch Verteidigerschriftsatz, eingegangen beim Amtsgericht am 17. Dezember 1999 und damit verspätet, Rechtsbeschwerde eingelegt und gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen unverschuldeter Versäumung der Rechtsbeschwerdefrist beantragt. Das angefochtene, mit nicht abgekürzten Gründen versehene Urteil wurde dem Verteidiger, der einer aus vier Rechtsanwälten bestehenden Anwaltskanzlei angehört, am 06. Januar 2000 zugestellt. Bei den Akten befindet sich lediglich die Kopie eines durch den Verteidiger an die Bußgeldbehörde übersandten und vom Betroffenen unterschriebenen Vollmachtformulars, das jedoch keinen Bevollmächtigten ausweist. Der Vordruck wurde an der dafür vorgesehenen Stelle nicht ausgefüllt.

II.

1. Dem Betroffenen war auf seine Kosten (§ 473 Abs. 7 StPO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde zu gewähren; der Verteidiger hat glaubhaft gemacht, daß den Betroffenen an der Versäumung der Frist kein Verschulden trifft (§ 44 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG).

2. Das Amtsgericht hat die erneute Zustellung des Urteils zu veranlassen.

a) Die Notwendigkeit einer erneuten (wirksamen) Zustellung folgt allerdings vorliegend nicht daraus, daß gemäß § 77 b Abs. 2 OWiG noch über eine Ergänzung der Gründe zu entscheiden wäre (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl., § 345 Rn. 5). Denn eine nachträgliche Ergänzung der Urteilsgründe durch den Amtsrichter wäre bei der hier gegebenen Konstellation trotz der gewährten Wiedereinsetzung nicht zulässig. § 77 b Abs. 2 OWiG, der für das Bußgeldverfahren die Vorschrift des § 267 Abs. 4 Satz 3 StPO gänzlich verdrängt (vgl. Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG 3. Aufl. 1999, § 77 b Rn. 1 a. E.), setzt voraus, daß das erkennende Gericht von dem ihm in § 77 b Abs. 1 OWiG eingeräumten Ermessen, auf eine schriftliche Begründung des Urteils (ganz oder teilweise) zu verzichten, überhaupt Gebrauch gemacht hat. Nur für diesen Fall bewußten "Unterlassens" kann die Gewährung von Wiedereinsetzung eine nachträgliche Urteilsbegründung bzw. deren Ergänzung notwendig machen. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Der Amtsrichter hat vielmehr in Kenntnis des verspäteten Rechtsmittels und des glaubhaft gemachten Wiedereinsetzungsvorbringens des Betroffenen ersichtlich ein nicht abgekürztes, "vollständiges" Urteil innerhalb der ursprünglichen Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG zu den Akten gebracht und dessen Zustellung am 03. Januar 2000 verfügt.

b) Bei dieser Sachlage beganne an sich die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde (§ 345 Abs. 1 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) mit der dann ausnahmsweise erforderlichen Zustellung dieses Wiedereinsetzungsbeschlusses an den Betroffenen zu laufen (vgl. BGHSt 30, 335). Vorliegend bedarf es jedoch deshalb der nochmaligen Zustellung des Urteils, weil sich bislang keine den Anforderungen des § 145 a Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG genügende Vollmacht des gewählten Verteidigers bei den Akten befindet; die am 06. Januar 2000 erfolgte Zustellung an den Verteidiger war daher unwirksam.

§ 145 a Abs. 1 StPO setzt beim Wahlverteidiger voraus, daß sich entweder eine ihn ermächtigende Vollmachtsurkunde bei den Akten befindet oder der Verteidiger vom Betroffenen bzw. Angeklagten in der Hauptverhandlung mündlich zu Protokoll des Gerichts bevollmächtigt wird (BGHSt 41, 303; OLG Stuttgart NStZ 1988, 193; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1996, 237; KK-Laufhütte, StPO 4. Aufl., § 145 a Rn. 1 m.w.N.). Die Aufrechterhaltung des Mandats im übrigen genügt als Ermächtigung im Sinne des § 145 a Abs. 1 StPO nicht, weil der Verteidiger seine Tätigkeit beim Empfang von Zustellungen nicht als Beistand seines Mandanten, sondern als dessen Vertreter ausübt (vgl. OLG Hamm NJW 1991, 1317). Hier ist die vom Amtsrichter verfügte Zustellung des angefochtenen Urteils an den Verteidiger im Hinblick auf eine bei den Akten befindliche Vollmachtsurkunde erfolgt, die den Bevollmächtigten nicht erkennen läßt. Eine derartige "Blankovollmacht" ist nicht geeignet, die "vom Gesetz gewollte förmliche Sicherheit bei Zustellungsadressaten" (BGHSt 41, 303, 304) zu gewährleisten. Denn bereits nach allgemeinen Grundsätzen muß sich - neben dem Gegenstand der Bevollmächtigung und dem Vollmachtgeber - auch die Person des Bevollmächtigten aus dem Inhalt der Vollmachtsurkunde selbst einwandfrei ergeben (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB 59. Aufl., § 172 Rn. 5; Erman-Brox, BGB 9. Aufl., § 172 Rn. 4; Soergel-Leptien, BGB 13. Aufl., § 172 Rn. 2).

Den Voraussetzungen des § 145 a Abs. 1 StPO genügt auch nicht, daß sich ein Rechtsanwalt, der die Vollmacht vorlegt, wie hier in einem begleitenden Schriftsatz auf die angeheftete Urkunde beruft. Damit "behauptet" allein der Vollmachtnehmer seine Bevollmächtigung; an der Unvollständigkeit der Vollmachtsurkunde selbst vermag dies nichts zu ändern. Die besondere Stellung des Verteidigers im Straf- bzw. Bußgeldverfahren bedingt (etwa im Hinblick auf die begrenzte Zahl der nach § 137 Abs. 1 S. 2 StPO zugelassenen gewählten Verteidiger und die Bevollmächtigung gerade des Zustellungsempfängers) höhere Anforderungen an die förmliche Sicherheit beim Zustellungsadressaten als in anderen Verfahrensordnungen (zu den insoweit geringeren Anforderungen an die nach § 62 Abs. 3 S. 1 FGO erforderliche Prozeßvollmacht vgl. BFH NJW 1998, 264; s. auch Zöller-Vollkommer, ZPO 21. Aufl., § 80 Rn. 8).

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