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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 12.02.2003
Aktenzeichen: 3 U 176/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 847
BGB § 253 Abs. 2
Der Verletzte kann seine Schmerzensgeldklage nicht auf einen Teilbetrag dessen beschränken, was ihm seiner Meinung nach aufgrund der bekannten Bemessungsfaktoren insgesamt an Schmerzensgeld zusteht.
Oberlandesgericht Stuttgart - 3. Zivilsenat - Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 3 U 176/02

verkündet am: 12.02.2003

In Sachen

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 29.01.2003 unter Mitwirkung

des Vors. Richters am OLG Richter, des Richters am OLG Oechsner sowie des Richters am OLG Schabel

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Anschlussberufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Ulm vom 09.09.2002 - 4 O 40/02 - in Ziff. 1. des Entscheidungstenors insoweit abgeändert, als der Beklagte zur Zahlung von mehr als 803,20 € nebst 5% Zinsen über dem Basiszins seit 05.02.2002 verurteilt worden ist und die Klage abgewiesen.

2. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

3. a) Von den Kosten des Rechtsstreits vor dem Landdgericht tragen der Kläger 80% und der Beklagte 20%.

b) Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte seinerseits vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

5. Die Revision wird zugelassen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 5.000,-- €

Gründe:

I.

Der Beklagte hatte den Kläger am 03. 04. 2001 gegen 22.45 Uhr auf dem Marktplatz in U tätlich angegriffen und erheblich verletzt. Der Kläger hat ihn deswegen vor dem Landgericht auf materiellen Schadensersatz (Zahlung sowie Feststellung der Pflicht zum Ersatz seines materiellen Zukunftsschadens) und ein - so ausdrücklich - Teilschmerzensgeld in Höhe von 5.000 € verklagt. Vor dem Landgericht hat er dazu angegeben, einen Gesamtschmerzensgeldbetrag könne er noch nicht angeben. Doch sei sicher, dass auf jeden Fall der verlangten Teilbetrag gerechtfertigt sei. Was mit dem verlangten Teilschmerzensgeld abgegolten werden soll, hat er sowohl in erster wie auch in der Berufungsinstanz offengelassen.

Das Landgericht hat den Beklagten in der Hauptsache unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Klägers zur Zahlung von insgesamt 4.803,20 € verurteilt. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus 80 % des bezifferten materiellen Schadens des Klägers, nämlich 803,20 € sowie einem Schmerzensgeld in Höhe von 4.000 €. In der Urteilsbegründung heißt es dazu, im Hinblick auf die vom Kläger ausdrücklich erhobene Teilschmerzensgeldklage könne offen bleiben, wie hoch das vom Beklagten insgesamt zu zahlende Schmerzensgeld wäre. Darüber hinaus hat das Landgericht festgestellt, dass der Beklagte dem Kläger 80 % seines materiellen Zukunftsschadens zu ersetzen habe.

Mit seiner Berufung will der Kläger einzig und allein eine Aufstockung des vom Landgericht zugesprochenen Schmerzensgeldes auf das schon erstinstanzlich beantragte Teilschmerzensgeld von 5.000 € erreichen.

Demgemäss beantragt er,

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger über die zugesprochenen 4.803,20 € hinaus weitere 1.000 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit 05. 02. 2002 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt demgegenüber,

die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

In seiner Berufungserwiderung vertritt er (wie schon in 1. Instanz) die Auffassung, die erhobene Teil-Schmerzensgeldklage sei unzulässig. Dem sei das Landgericht fälschlicherweise nicht gefolgt. Unter Hinweis darauf hat er Anschlussberufung gegen seine Verurteilung zu einem bloßen Teilschmerzensgeld eingelegt mit dem Antrag,

wie geschehen zu erkennen.

Der Kläger beantragt dagegen,

die Anschlussberufung des Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.

Er meint, die von ihm erhobene Teil - Schmerzensgeldklage sei deshalb nicht unzulässig, weil jede Geldforderung betragsmäßig teilbar sei. II.

Die Berufung ist zulässig. In der Sache hat sie aber keinen Erfolg. Ein Teilschmerzensgeld kann der Kläger im Hinblick auf die Einheitlichkeit des Schmerzensgeldanspruchs nicht verlangen. Daraus folgt - umgekehrt - die Begründetheit der - ebenfalls zulässigen - Anschlussberufung.

a) Das Einklagen eines Teilschmerzensgeldes wird in der Rechtsprechung nur dann zugelassen, wenn sich die künftige Entwicklung noch nicht überschauen lässt und deswegen das insgesamt angemessene Schmerzensgeld noch nicht endgültig beurteilt werden kann (Gerlach, VersR 2000, 525, 531 mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen). Ein Teilschmerzensgeld kann also nur zugesprochen werden, wenn die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist und sich deshalb das Gericht außer Stande sieht, den Betrag in voller Höhe zu ermitteln (RG WarnRspr. 1917 Nr. 99; aus der zitierten Entscheidung lässt sich also nicht ableiten, es sei generell zulässig, das Schmerzensgeld in Teilbeträgen - durch Teilurteil - zuzusprechen - so aber die wohl etwas missverständliche, weil verkürzte Formulierung in RGRK-Kreft 12. Aufl., § 847 BGB Rn. 19 unter Hinweis auf die soeben zitierte RG-Entscheidung). Um dem Verletzten in den skizzierten Ausnahmefällen eine Entschädigung für künftige Schäden nicht abzuschneiden, muss ihm für den bisher überschaubaren Zeitraum ein Teilschmerzensgeld zugesprochen und außerdem die Geltendmachung einer weiteren Entschädigung für die Zukunft vorbehalten werden können. Die zeitliche Zensur bildet stets die letzte mündliche Verhandlung. Alle bis dahin eingetretenen Beeinträchtigungen müssen berücksichtigt werden und werden infolge dessen abgegolten. Alle in der Zukunft liegenden ungewissen Schäden müssen dagegen ausgeklammert werden können (Gerlach VersR 2000, 531; OLG Düsseldorf NJW - RR 1996, 927 = VersR 1996, 984).

Andere Voraussetzungen berechtigen den Geschädigten dagegen nicht, ein Teilschmerzensgeld einzuklagen.

b) Ebenso wenig wie sein Vortrag vor dem Landgericht lässt auch sein Vorbringen in der Berufungsinstanz - trotz des Hinweises auf die Problematik einer Teilschmerzensgeldklage in der Terminsverfügung vom 15. 11. 2002 - Bl. 237 - erkennen, weshalb der Kläger nur ein Teilschmerzensgeld verlangt. Sein allgemeiner Hinweis auf das praktische Bedürfnis einer solchen Teilklage (nicht absehbare Dauerfolgen) mag zwar generell richtig sein (Schriftsatz vom 02.01.03 ab S. 2 ganz unten = Bl. 247 f. d. A.). Dass es ihm in seinem konkreten Fall darum geht, in der Zukunft liegende ungewisse Schäden auszuklammern, lässt sich aber dem genannten Schriftsatz nicht entnehmen. Entsprechendes hat der Klägervertreter auch in der Berufungsverhandlung nicht vorgetragen, obwohl der Vorsitzende ihn dabei nochmals unmissverständlich auf die Unzulässigkeit der erhobenen Teilschmerzensgeldklage hingewiesen hatte. Offensichtlich meint der Kläger, ein solches Teilschmerzensgeld allein deshalb verlangen zu können, weil es sich um eine teilbare Geldforderung handele. Dies steht aber im Widerspruch zum Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldanspruchs. Danach hat der Richter bei der von ihm darüber zu treffenden Ermessensentscheidung alle Umstände, die dem Schaden im Einzelfall sein Gepräge geben, zu bewerten und aus einer Gesamtschau die angemessene Entschädigung für die sich ihm darbietenden Verletzungsfolgen zu ermitteln (OLG Düsseldorf, NJW-RR 1996,927). Dieser einheitliche Anspruch lässt sich somit - von dem hier nicht einschlägigen Ausnahmefall ungewisser Zukunftsschäden einmal abgesehen - nicht in zwei oder noch mehr Teile "zerlegen" (OLG Celle, VersR 1973,60,61; OLG Oldenburg, NJW - RR 1988, 615; OLG Düsseldorf, NJW - RR 1996, 927 - anders als hier hatten die Kläger dort das verlangte Teilschmerzensgeld immerhin für einen bestimmten, wenn auch willkürlich angesetzten Zeitraum verlangt).

Damit nicht zu vereinbaren ist die vom Landgericht vertretene (und vom Kläger geteilte) Auffassung, im Hinblick auf die vom Kläger erhobene Teilklage sei derzeit nicht zu entscheiden, wie hoch der insgesamt zu bezahlende Schmerzensgeldbetrag wäre - Entscheidungsgründe S. 13, 4. Abschnitt von oben = Bl. 220 d. A.). Dem steht (wiederum) entgegen, dass wegen der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldsanspruchs alle bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eingetretenen Beeinträchtigungen berücksichtigt und infolge dessen mit abgegolten werden müssen (vgl. nochmals: Gerlach VersR 2000, 531 - linke Spalte - 2. Abschnitt von oben am Ende). Dies übersehen offensichtlich auch die vom Klägervertreter in seinem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 03. 02. 2003 zitierten drei Entscheidungen (OLG Stuttgart, NJW 1982, 652, OLG Celle, NJW - RR 1987, 1384 sowie OLG Nürnberg, NJW - RR 1988, 791). Denn das Problem einer Teilschmerzensgeldklage wird in keiner dieser Entscheidungen angesprochen. Einen überzeugenden Beleg für die Rechtsauffassung des Klägers liefern sie deshalb nicht.

Auch die vom Klägervertreter im Schriftsatz vom 02.01.03 (S. 2 - 3. Abschnitt) zitierten Entscheidungen tragen seine Rechtsauffassung nicht. Weder BGH NJW 1994, 3165 noch OLG Schleswig VersR 1983, 932 betreffen den Fall eines eingeklagten Teilschmerzensgeldes. Dass der Bundesgerichtshof gerade nicht der Auffassung ist, eine Schmerzensgeldklage unterliege den Regeln einer Teilklage, ergibt sich aus einer erst vor kurzem ergangenen Entscheidung (BGH II ZR 205/01 - Versäumnisurteil vom 10.10.2002). Danach (und entgegen der Auffassung des dortigen Berufungsgerichts) darf im Rahmen einer Schmerzengeldklage nämlich gerade nicht nach den sonst geltenden Regeln über die offene oder verdeckte Teilklage zwischen einem nicht verjährten und einem weiteren verjährten Teil unterschieden werden. Der vom OLG Schleswig in der zuletzt zitierten Entscheidung aufgestellte Grundsatz, es müsse möglich sein, nur einen Teil des Anspruchs einzuklagen, um damit der Einrede mitwirkenden Verschuldens aus § 254 BGB den Boden zu entziehen, trifft ebenfalls nicht den vorliegenden Fall einer Schmerzensgeldklage. Denn im Falle eines Mitverschuldens des Geschädigten schuldet der Schädiger kein um einen bestimmten Mitverschuldensanteil reduziertes Schmerzensgeld, sondern ein Schmerzensgeld, das unter Berücksichtigung seiner Beteiligungsquote angemessen ist (ständige Rechtsprechung vgl. nur BGH VersR 1970, 624, 625). Im Hinblick auf die Zulässigkeit unbezifferter Schmerzensgeldklagen (vgl. nur: Zöller-Greger 23. Aufl. § 253 Rn. 14 und 14a) besteht auch kein Bedürfnis, Unsicherheiten im Hinblick auf ein eventuelles Mitverschulden durch Zulassung einer bezifferten Teilschmerzensgeldklage entgegenzuwirken (ebenso: OLG Oldenburg, NJW -RR 1988, 615).

Nach den oben wiedergegebenen Grundsätzen müsste somit unter Berücksichtigung sämtlicher schmerzensgeldrelevanter Faktoren das dem Kläger zustehende angemessene Schmerzensgeld ermittelt werden. Genau dies will der Kläger aber nicht; vielmehr meint er, über das ihm insgesamt zustehende Schmerzensgeld sei angesichts des nur geltend gemachten Teilbetrages nicht zu befinden (Schriftsatz Klägervertreter vom 02.01.03 S. 3 - vorletzter Abschnitt = Bl. 248 d. A.). Dies zeigt noch einmal, wie fragwürdig die vom Kläger erhobene Klage auf ein Teilschmerzensgeld ist. Was er will ist ein Ausschnitt (Teilbetrag) aus einem diffusen Ganzen. Diffus deshalb, weil er die Kriterien für die Bestimmung des gesamten Schmerzensgeldes offen lässt. Um die Ausklammerung noch ungewisser Zukunftsschäden als dem einzig zugelassenen Ausnahmefall für das Einklagen eines Teilschmerzensgeldes geht es ihm jedenfalls nicht.

c) Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97 Abs. 1, 91 sowie 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Anregung des Klägervertreters, die Revision zuzulassen, ist der Senat im Hinblick auf die oben zitierten und im Ergebnis abweichenden drei OLG - Entscheidungen gefolgt (§ 543 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. ZPO). Auch die genannte BGH - Entscheidung vom 10. 10. 2002 betrifft nicht das hier einschlägige Problem der Zulässigkeit einer Teil - Schmerzensgeldklage.

Ende der Entscheidung

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