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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 26.07.2006
Aktenzeichen: 3 U 65/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823
Zur Haftung einer an einem Berg abstürzenden Person, die im Sturz eine andere Person in den Tod reißt, wenn die Abstürzende in gefahrerhöhender Weise auf einem schmalen Bergweg ihre noch nicht einmal vierjährige Tochter an der Hand führt, dabei nicht möglichst bergseitig geht und vorhandene Halteseile nicht nutzt.
Oberlandesgericht Stuttgart 3. Zivilsenat Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 3 U 65/06

Verkündet am 26. Juli 2006

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatzes

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 12. Juli 2006 unter Mitwirkung von

Vors. Richter am Oberlandesgericht Kober Richter am Oberlandesgericht Dr. Ottmann Richterin am Landgericht Wagner

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 16.02.2006 im Verfahren 3 O 475/05 I wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des insgesamt aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit leistet in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

4. Die Revision wird zugelassen.

Streitwert der Berufung: 10.000,00 €

Gründe:

I.

Die Parteien streiten über die Ersatzpflicht der Beklagten, nachdem diese bei einem Absturz beim Bergwandern den Tod des Ehemanns der Klägerin verursacht hat.

Die Beklagte unternahm am 05.09.2004 im Bereich des Tannheimer Tals in Österreich zusammen mit ihrem Ehemann, ihrem Schwiegervater, ihren beiden Söhnen und ihrer damals noch 3-jährigen, aber wenige Tage vor ihrem 4. Geburtstag stehenden Tochter eine Bergwanderung. Die Gruppe war, ausgestattet mit angemessenem Schuhwerk, vormittags mit der Neunerköpflebahn bergaufwärts gefahren, hatte einen Höhenweg begangen, an der Landsberger Hütte Mittagsrast gehalten und anschließend mit dem Abstieg in Richtung Traualpsee auf einem Wandersteig begonnen. Der Wandersteig ist an der Nordseite eines Hanges teilweise in Serpentinen angelegt. Er durchquert steiles felsiges Gelände und war feucht und rutschig. Felsseitig sind zur Sicherheit der Wanderer teilweise Stahlketten angebracht, an denen sie sich beim Laufen festhalten können. Oberhalb der späteren Unfallstelle ist talseitig teilweise ein ca. 1,20 m hoher Bretterzaun angebracht. In dem Bereich, in dem die Beklagte schließlich zu Fall kam, war der Weg aus Sicht der Beklagten zu eng, als dass sie neben ihrer Tochter hätte gehen können, um diese abzusichern. Die Tochter der Beklagten hielt sich an der vorhandenen Stahlkette fest, die Beklagte ging schräg zum Tal hin versetzt hinter dem Mädchen und hielt deren talseitige Hand, ohne sich dabei selbst an der Stahlkette festzuhalten. Sie verlor den Halt, rutschte mit dem talseitigen Fuß weg und stürzte den an dieser Stelle steilen Hang (Gefälle von ca. 42 Grad) hinunter.

Die Klägerin war mit ihrem Ehemann weiter unten auf demselben Wandersteig als Teil einer Wandergruppe unterwegs. Die Beklagte fiel im Rahmen ihres Sturzes von oben gegen den Ehemann der Klägerin, der dadurch das Gleichgewicht verlor und in die Tiefe stürzte. Er zog sich im Verlauf des Sturzes schwerste Verletzungen zu und verlor das Bewusstsein. Nach 10 Operationen verstarb er am 01.10.2004 im Klinikum, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.

Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von Schmerzensgeld an die Klägerin als Rechtsnachfolgerin des getöteten verurteilt. Zwar sei die Mitnahme der vierjährigen Tochter nicht haftungsbegründend, weil deren Anwesenheit nicht unmittelbar zum Tod des Ehemanns der Klägerin geführt habe und zwischen der Kindsmitnahme und dem Tod kein adäquater Zusammenhang bestehe. Die Beklagte habe aber pflichtwidrig gehandelt, indem sie sich nicht an der Stahlkette festhielt. Dieses Festhalten hätte den Sturz verhindert, es stünde nicht außerhalb jeder Lebenserfahrung, dass man ohne Festhalten den Hang hinunterstürzen und, wegen des in Kehren verlaufenden häufig begangenen Weges, auf einen anderen Wanderer fallen könnte. Die Beklagte habe insoweit eine Verkehrssicherungspflicht getroffen. Indem sie als Bergwanderer am bestehenden Verkehr teilnahm, habe sie diejenigen Vorkehrungen zu treffen gehabt, die nach den konkreten Umständen zur Beseitigung von nahe liegenden Gefahren für andere erforderlich und zumutbar sind. Vorliegend sei die Benutzung der Sicherungskette zwingend gewesen, weil ein verständiger und umsichtiger Bergwanderer dies wegen der Wegbeschaffenheit (felsig, feucht, rutschig, so schmal, dass keine zwei Personen nebeneinander gehen konnten), wegen des steilen Abhanges und wegen der Erkennbarkeit anderer Wanderer im Bereich unterhalb des Weges für erforderlich halten musste. Die Ausrutschgefahr sei groß gewesen. Das Festhalten an der Sicherungskette diene auch dem Schutz anderer Verkehrsteilnehmer. Die Beklagte habe fahrlässig gehandelt, weil sie die Erforderlichkeit des Festhaltens hätte erkennen müssen. Die Rutschgefahr dränge sich auf diesem Teil des Weges geradezu auf. Obwohl sich auch der Getötete nicht festgehalten habe, müsse sich die Klägerin ein Mitverschulden nicht entgegenhalten lassen, weil dieses Unterlassen nicht kausal für den Absturz gewesen sei. Es sei nämlich unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Herr von der Beklagten mit ihrem vollen Körpergewicht getroffen wurde, nicht erwiesen sondern eher sogar unwahrscheinlich, dass durch ein pflichtgemäßes Handeln mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Schadenseintritt hätte verhindert werden können. Das Schmerzensgeld sei mit 10.000 EUR angemessen bewertet.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, die eine volle Klagabweisung anstrebt.

Die Beklagte trägt vor:

Das Urteil sei nicht frei von Rechtsfehlern, weil sich die auf S. 7 des Urteils enthaltene Beschreibung der Unfallstelle nicht aus dem Urteilstatbestand S. 3 des Urteils ergebe. Es habe sich vielmehr um einen normalen Wanderweg gehandelt, Lichtbilder würden das vorhandene Gefälle nicht richtig wiedergeben. Aus der Ermittlungsakte ergebe sich nicht, dass die Stelle, an der die Beklagte ausrutschte, steil oder besonders schmal war. Das Landgericht habe zu Unrecht eine hohe Ausrutschgefahr bejaht.

Die Beklagte sei nach einem Sturz von 10 Metern über eine Felswand auf den darunter vorbeiführenden Steig aufgeprallt und dann nochmals 5 Meter über steiles Schottergeländer in die nächste Kehre des Wanderweges gefallen, bevor sie Herrn traf. Diese Wegkehre sei von oben nicht sichtbar gewesen, nur ggf. ein anderes Teilstück des Weges.

Die Beklagte habe im Rahmen erlaubten Risikos die Bergwanderung unternommen und damit nicht rechtswidrig gehandelt.

Auch ein Fahrlässigkeitsvorwurf sei der Beklagten nicht zu machen. Durch die Tatsache, dass die Brettersicherung vor der Absturzstelle endete, habe die verkehrssicherungspflichtige Kommune signalisiert, dass keine Gefahrenstelle mehr vorliege. Dass sich die Rutschgefahr aufgedrängt habe, sei gerade nicht erwiesen, nachdem sich im Unfallzeitpunkt niemand an der Kette festgehalten habe.

Jedenfalls liege ein Mitverschulden darin, dass sich der Getötete trotz akustischer Vorwarnung nicht an der Kette gehalten habe. Er habe auch näher an die Felswand stehen können. Dann wäre er möglicherweise nicht oder mit geringerer Wirkung getroffen worden. Sei Herr , wie von der Klägerin geschildert, von den Beinen der Beklagten getroffen worden, dann sei das kein Treffen mit dem vollen Körpergewicht. Deshalb sei mit Sicherheit davon auszugehen, dass Herr beim Ergreifen der Kette den Aufprall unbeschadet überstanden hätte (Beweis: Sachverständigengutachten).

Die Annahmen des Landgerichts würden zu einer nicht vorgesehenen Übersteigerung der Sorgfaltspflichten führen. In der Konsequenz wäre jeder Bergwanderer haftbar, wenn sich beim Begehen des Weges ein Stein löse, den Hang herunterrutsche und jemanden treffe.

Nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist wenige Tage vor dem Termin trug die Beklagte erstmals vor, ihr Ehemann sei nochmals an der Unfallstelle gewesen und habe Fotos gefertigt und dabei rekonstruiert, dass sich an der Stelle, an der die Beklagte abstürzte, noch keine Kette befunden habe.

Die Beklagte beantragt:

1. Auf die Berufung wird das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 16.02.2006 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

2. Hilfsweise wird beantragt, die Revision zuzulassen.

Die Klägerin beantragt:

1. Die Berufung zurückzuweisen.

2. Die Revision zuzulassen.

Die Klägerin trägt vor:

Die Beklagte habe leichtfertig gehandelt.

Der Weg zwischen Landsberger Hütte und Traualpsee werde in Wanderführern als durchaus gefährlich eingestuft. Ein die Tour gewissenhaft vorbereitender Wanderer wisse, was ihn erwartet. Das vierjährige Kind, dass noch keine Beziehung zur Gefahr habe, bedürfe einer weitgehenden Absicherung. Andere Familien würden z.B. ein Sicherungsgeschirr nutzen.

§ 1 StVO gelte zumindest analog. Auch der öffentliche Fußgängerverkehr auf einem Wanderweg zähle zum Straßenverkehr. Jedenfalls gelte der Regelungsinhalt als allgemeine Verhaltensmaxime mit der daraus resultierenden Pflicht, Rechtsgüter anderer nicht mehr als unvermeidlich zu gefährden und somit die Pflicht, unnötige Risiken zu vermeiden, vermeidliche Risiken zu begrenzen und mitzudenken mit anderen Verkehrsteilnehmern. Die Bergwanderung mit dem Kind berge ungewohnte Risiken, deshalb müssten besondere Sicherungsmaßnahmen vorbereitet werden. Durch deren Unterlassen sei die Fremdgefährdung auf einem stark frequentierten Wanderweg ohne weiteres vorhersehbar.

Wegen des weiteren Vortrages der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst vorgelegten Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig, in der Sache jedoch ohne Erfolg. Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht aufgrund der Umstände des Einzelfalls eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs.1, 253 Abs.2 BGB bejaht und ein angemessenes Schmerzensgeld zugesprochen.

1.

Nach Art. 40 Abs. 2 EGBGB gilt trotz des Unfallortes in Österreich deutsches Recht, weil sowohl die Beklagte als Ersatzpflichtige als auch der getötete Ehemann der Klägerin als Verletzter zur Zeit des Haftungsereignisses ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in Deutschland hatten.

2.

Die Tatsachenfeststellungen des Landgerichts erweisen sich als korrekt.

Anders als die Beklagte versteht der Senat den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils nicht in der Weise, dass dort der von der Beklagten begangene Weg als steil bezeichnet wird. Die erwähnte Steilheit soll sich vielmehr auf das Gelände beziehen. Dies ergibt sich aus weiteren Formulierungen im Tatbestand und aus dem unteren Absatz der Entscheidungsgründe S. 7, wo das Landgericht den Weg als felsig, feucht und rutschig, den Abhang dagegen als steil beschreibt.

Jedenfalls wird daraus deutlich, dass eine etwaige Steilheit des Weges für das Landgericht nicht Grundlage seiner Entscheidung war. Auch für den Senat ist maßgeblich die durch Nässe bedingte Rutschigkeit des Weges und die Steilheit nicht des Weges, sondern des direkt neben dem Weg talwärts liegenden Hanges.

Soweit das Landgericht den Weg als schmal einstufte, ist dies bereits aufgrund der eigenen Angabe der Beklagten nachvollziehbar, dass sie seitlich hinter ihrer Tochter ging, weil der Weg für ein Gehen nebeneinander zu schmal war.

3.

Die Klägerin ist als Alleinerbin des getöteten Herrn im Wege der Universalsukzession dessen Rechtsnachfolgerin geworden und damit für den Ersatzanspruch aktivlegitimiert.

4.

Die Beklagte haftet nach §§ 823 Abs. 1 BGB.

a) Eine Haftung ergibt sich nicht allein aus dem Umstand, dass die Beklagte den Wandersteig nicht möglichst weit rechts beging. Dieser Sorgfaltspflichtverstoß wurde nämlich nicht nachweislich schadenskausal.

aa) Die Beklagte verwirklichte aufgrund der konkreten örtlichen Situation einen Sorgfaltspflichtverstoß, als sie den Weg nicht möglichst weit rechts beging.

Beim Bergwandern sind Verhaltensregeln einzuhalten.

Für das Bergwandern gibt es keine rechtsverbindlich festgeschriebenen Verhaltensnormen. Die UIAA-Kletterskala, die zum Teil als Regelwerk akzeptiert wird, betrifft nicht den normalen Bergwanderer. In Österreich hat der Verband Alpiner Vereine Österreichs 10 Wanderregeln herausgegeben. Diese können allenfalls eine Orientierungshilfe darstellen und formulieren keine konkreten Regeln für den hier vorliegenden Fall des Gehens nicht ganz rechts bzw. ohne Nutzen einer vorhandenen Haltehilfe.

Zutreffend ging das Landgericht beim Fehlen besonderer Regeln davon aus, dass auch in den Bergen die allgemeine Verhaltensregel gilt, dass man sich grundsätzlich so zu verhalten hat, dass man keinen anderen mehr als nach dem Umständen unvermeidbar gefährdet oder schädigt (OLG Karlsruhe, NJW 1978, 705 f.). So hat das OLG Stuttgart (VersR 1995, 671 f. - Nichtannahme der Revision durch den BGH) für Bergsteiger entschieden, dass diese sowohl zu ihrer eigenen Sicherheit als auch zur Vermeidung von ihnen ausgehender Gefahren für andere den im jeweiligen Einzelfall sich ergebenden Risiken mit den erfahrungsgemäß gebotenen Mitteln in angemessener Weise begegnen müssen. Dabei ist freilich zu bedenken, dass man nicht fordern kann, dass in allen Lebensbereichen stets alle möglichen Gefahren mit einkalkuliert werden. Damit würde die Haftung überdehnt.

Bei einem Weg, der durch Feuchtigkeit bzw. Nässe rutschig ist, über Felsen führt und deshalb ständige Unebenheiten ausweist, und bei dem auf seiner linken Seite unmittelbar am Wegrand wegen der Steilheit des Geländes Absturzgefahr besteht, ist, zumal wenn sich der Weg wie vorliegend in einer stark frequentierten Wandergegend befindet, aufgrund dieser örtlichen Besonderheiten zu fordern, dass man diesen möglichst weit rechts begeht. Auf diese Art verringert man vorhersehbar die Gefahr, Teile des Weges oder Hanges in einer andere Personen gefährdenden Weise loszutreten oder selbst durch ein Abkommen vom Weg talseits für sich selbst oder andere Personen wie vorliegend für den getöteten Herrn zur Gefahr zu werden.

Die Beklagte räumt ein, dass sie den Weg, dessen Breite nicht exakt bekannt ist, nicht weitestmöglich rechts begangen hat. Sie lief nämlich seitlich talwärts versetzt hinter ihrer Tochter. Nach ihrer Erläuterung rutschte sie mit einem Fuß ab und stürzte sofort den Hang hinunter, befand sich also jedenfalls im räumlichen Nähebereich zum Abhang.

bb) Jedoch ist nicht nachgewiesen, dass dieser Pflichtverstoß schadenskausal wurde. Es ist nicht sicher, dass es zum Sturz der Beklagten nicht auch gekommen wäre, wäre sie im zu fordernden Maße rechts gegangen, weil der Weg an der Absturzstelle nass und rutschig und nicht besonders breit ist. Es bleibt deshalb unwiderlegbar, dass die Beklagte nach einem Ausrutschen auch den Hang hinabgestürzt wäre, wäre sie weiter rechts gelaufen. Das Ausrutschen als solches kann nicht als sicher pflichtwidrig eingestuft werden. Die Beklagte kann trotz Einhaltung der notwendigen Sorgfalt wegen der Wegverhältnisse abgerutscht sein. Im übrigen steht nicht widerlegt die Möglichkeit im Raum, dass die Beklagte durch einen sich gelöst habenden Stein den Halt verloren haben kann.

b) Auch aus der Tatsache allein, dass die Beklagte im Zeitpunkt ihres Ausrutschens ihre damals noch nicht ganz 4-jährige Tochter an der Hand führte, kann nicht ohne weitere Umstände eine Haftung abgeleitet werden. Dies stellt nämlich, für sich betrachtet, kein schadenskausales Fehlverhalten dar. Es ist nicht generell verboten, mit einem Kind von nicht ganz vier Jahren in den Bergen zu wandern. Es fehlt jeder Vortrag, dass eine plötzlich auftretende Gehweise oder sonstige Bewegung des Kindes bei der Mutter eine sturzauslösende Reaktion bedingt hätte. Allein die Tatsache, dass sie ihr Kind an der Hand führte, hätte die Beklagte nicht gehindert, hinter dem Kind auf der rechten Wegseite zu laufen bzw. sich selbst festzuhalten.

c) Eine Haftung resultiert jedoch daraus, dass sich die Beklagte gefahrerhöhend verhalten hat und sich dennoch nicht der möglichen und aufgrund der Wegverhältnisse nahe liegenden Sicherung durch Festhalten an der im Unfallbereich vorhandenen Sicherungskette bediente. Gefahrerhöhend wirkte einerseits die Tatsache, dass die Beklagte ihre noch nicht ganz 4-jährige Tochter führte und deshalb ihre Aufmerksamkeit auf das Kind ausgerichtet hatte, und andererseits das Begehen des Weges nicht ganz rechts. Die Beklagte hat stets eingeräumt, dass sie sich im Unfallzeitpunkt nicht an der Sicherungskette festhielt. Soweit sie in einem Schriftsatz, der nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist bei Gericht einging, erstmals vortrug, dass in dem Bereich, in dem sie abgestürzt sei, eine Sicherungskette nicht vorhanden gewesen sei, ist dieser Vortrag einerseits verspätet und deshalb nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen. Andererseits ist der Senat vom Sturz im Bereich einer Sicherungskette nach Aktenlage überzeugt. Die Beklagte leitet ihren neuen Vortrag, dass eine Sicherungskette nicht vorhanden gewesen sei, nur aus Mutmaßungen ab, die ihr Ehemann aufstellte, nachdem er nunmehr den Weg nochmals begangen hat. Auch er rekonstruierte die Behauptung nur aus der von ihm vermuteten Fallrichtung der Unfallbeteiligten, er hatte den Absturz seiner Frau nicht beobachtet und damit keine genaue Kenntnis der Absturzstelle, die Unfallörtlichkeit kann sich zwischenzeitlich durch Witterungseinflüsse oder ähnliches verändert haben. Dagegen war die Polizei nach dem Unfall vor Ort, sicherte eine Rutschspur, ordnete damit die Sturzstelle zu und stellte fest, dass in diesem Bereich eine Sicherungskette vorhanden war. Die Beklagte selbst berichtet, dass sie ihre Tochter führte, die sich an der Sicherungskette hielt. Da sie keinen Sachverhalt schilderte, dass die Tochter in dem Moment des Sturzes erst eine beginnende Sicherheitskette ergriffen hätte, sondern es stets so darstellte, dass sie die Tochter schon länger an der Hand führte, während diese sich an einer Sicherungskette hielt, muss auch nach dem eigenen Vortrag der Beklagten im Verfahren im Sturzbereich eine Sicherungskette vorhanden gewesen sein. Dementsprechend ließ auch die Beklagte ihren Anwalt in erster Instanz im Sinne einer Bestätigung der Haltemöglichkeit vortragen (Bl. 17/18 d.A.). Letztlich ist der unstreitige Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils so formuliert, dass daraus jedenfalls im Kontext zu entnehmen ist, dass auch für die Beklagte eine Sicherungskette vorhanden war. Ein Antrag auf Tatbestandsberichtigung wurde nicht gestellt. Es gilt der allgemeine Grundsatz, dass derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft, verpflichtet ist, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern (BGH, NJW-RR 2003, 1459). Dieser Grundsatz beinhaltet die Gefahrabwendungspflicht aus vorangegangenem Tun, wobei das Vorverhalten nicht pflichtwidrig sein muss (Soergel, Bearb. Spickhoff, § 823, Rz. 115). Eine Verkehrspflicht kann durch eine gefährliche Tätigkeit begründet werden, insbesondere im Einzelfall durch eine Handlung, die unmittelbar ein erhöhtes Gefährdungspotential enthält (Soergel, Beab. Krause, § 823 Anhang II, Rz. 23). Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schaden zu bewahren (BGH, NJW 2004, 1449 ff).

Indem die Beklagte pflichtwidrig nicht möglichst weit rechts auf dem Weg lief und außerdem nicht nur auf sich, sondern auch auf ihre Tochter achtete und diese an der Hand führte, erhöhte sie ihre Absturzgefahr, weil sie sich nah an der Absturzkante bewegte und nicht nur auf ihr eigenes sicheres Vorankommen konzentriert war. Jedenfalls in dieser speziellen Situation war von ihr aufgrund der Wegverhältnisse und der Steilheit des Hanges zu fordern, dass sie dargebotene Sicherungsmittel wie die Kette nutzte.

Damit werden keine überzogenen Anforderungen gestellt. Die übrigen im Gebiet befindlichen Wanderer durften sich vielmehr auf ein solches vorausschauendes Verhalten verlassen. Werden sie durch dessen Unterlassen geschädigt, so ist nicht der Bereich des alpinen Restrisikos, nämlich das übliche Risiko, dass jeder Bergtour anhaftet (zu diesem Begriff Weber, a.a.O., S. 486/487), berührt. Nachvollziehbar kam das Landgericht zu dem Ergebnis, dass, hätte sich die Beklagte an der Sicherungskette festgehalten, der Sturz vermieden worden wäre.

d) Das Unterlassen des Ergreifens der Sicherungskette in diesem Kontext stellt sich als sorgfaltspflichtwidrig dar. Hätte die Beklagte die von ihr zu fordernden Überlegungen angestellt, wäre ihr wegen der konkreten Ausgestaltung der Wegverhältnisse und dem gleich neben dem Weg beginnenden steilen Hangbereich erkennbar gewesen, dass es, orientiert sie sich auf dem Weg nicht möglichst weit rechts, jedenfalls notwendig wäre, die dadurch erhöhte Gefahrenlage durch die Ausnutzung der vorhandenen Sicherungsmechanismen möglichst zu verringern. An dieser Erkennbarkeit ändert sich nichts durch die Tatsache, dass der Sicherungszaun auf der Talseite vor der Unfallstelle endet. Dies bedeutet nicht, dass man in der Folge darauf vertrauen dürfte, dass Gefahren nicht bestehen, wo diese doch durch die Wegbeschaffenheit und die Steilheit des Hanges deutlich erkennbar sind.

Die Beklagte vermag sich auch nicht damit zu entschuldigen, dass es notwendig war, das Kind besonders zu sichern. Dies ist zwar richtig, resultiert aber gerade aus der von ihr selbst zu verantwortenden Entscheidung, mit einem Kind, das sich noch in einem Alter befindet, in dem es weder Gefahren sicher einschätzen kann noch eine Trittsicherheit ähnlich z.B. einem zehnjährigen Schulkind hat, den Wandersteig zu begehen. Auch wenn die Wanderung z.T. als für Kinder geeignet beschrieben sein mag, bedeutet dies nicht, dass die Beklagte von einer Gefahrlosigkeit auch für ein Kind im Vorschulalter ausgehen durfte. Ist die Mitnahme des Kindes als solche auch nicht haftungsbegründend, führt sie doch dazu, dass die durch das Kind gebündelte Aufmerksamkeit nach Möglichkeit durch andere Sicherungsmittel auszugleichen ist.

Zu Recht verneinte das Landgericht auch die Unvorhersehbarkeit der konkreten Schadensfolge für die Beklagte. Für die Vorhersehbarkeit ist nicht zu fordern, dass der Beklagten im Zeitpunkt der Schädigungshandlung bewusst war, dass der Weg unter ihr zeitgleich konkret genutzt wurde. Die im Raum stehende Möglichkeit durch weitere Wanderer reicht aus. Diese war an dem am Unfalltag stark frequentierten Wanderweg zweifellos vorhanden. Deshalb bleibt der Vortrag der Beklagten, sie sei sozusagen auf zwei Etappen auf den Getöteten gestürzt, ohne Bedeutung.

Der Einwand der Beklagten, dass, bejahte man ihre Haftung, jeder Bergwanderer jederzeit einem hohen Haftungsrisiko ausgesetzt sei, ist nicht korrekt. Die Haftung beruht auf den Besonderheiten des Einzelfalls.

5.

Zutreffend hat das Landgericht die Haftung nicht aus dem Aspekt eines Mitverschuldens heraus eingeschränkt.

Es resultiert kein unfallkausales Mitverschulden daraus, dass sich Herrn im Moment des Aufpralls der Beklagten auf seinen Körper nicht an der auch in seinem Bereich vorhandenen Sicherungskette festhielt.

Insoweit gelten zunächst für den getöteten Herrn die gleichen Grundsätze, die für die Beklagte aufgestellt wurden, nämlich die nicht generelle Pflicht, sich an einer vorhandenen Sicherungskette festzuhalten, sondern die ggf. nur aus den Umständen der Einzelsituation resultierende Pflicht. Solche Besonderheiten, die eine vom Unfallgeschehnis unabhängige Haltepflicht des Herrn begründet hätten, sind weder behauptet noch bewiesen. Ebenfalls ist unklar, ob dem Getöteten nach Erkennen der Beklagten noch eine ausreichende Reaktionszeit blieb, um die Kette zu ergreifen. Die Personen, die mit ihm unterwegs waren, schildern alle einen äußerst schnellen zeitlichen Ablauf.

Letztlich ist nicht auszuschließen, dass der Getötete, auch wenn die Beklagte ihn "nur" mit ihren Beinen, nicht aber mit dem gesamten Körpergewicht frontal traf, auch wenn er sich zuvor festgehalten hätte, als nicht vorwerfbare Schreckreaktion das Seil losgelassen hätte. Diese Möglichkeit vermag auch durch das angebotene Sachverständigengutachten nicht ausgeschlossen zu werden.

Der Aspekt des Handelns auf eigene Gefahr, der nach heute h.M. als Fall schuldhafter Selbstgefährdung unter § 254 BGB zu diskutieren ist, kann die Haftung vorliegend nicht beeinflussen. Die Rechtsfigur ist zu diskutieren, wenn sich jemand bewusst in die Situation drohender Eigengefährdung begibt. Bei der Sportausübung wird dies bejaht bei besonders gefährlichen Sportveranstaltungen bzw. -ausübungen (BGHZ 39, 156 ff), wie z.B. schweren Bergtouren. Der Bergsportler muss sich außergewöhnlichen Risiken ausgesetzt haben (Weber, Die Haftung der Sektionen des Deutschen Alpenvereins als Beispiel für die Haftung der Sportvereine für Sportunfälle, JR 2005, 485/486). Solches kann bei der von den Beteiligten konkret unternommenen Bergwanderung nicht angenommen werden. Es handelte sich noch nicht einmal um ein Bergklettern, im Gegenteil ist der Weg auch für den nicht vorgebildeten Wanderer in mehreren Wanderführern dargestellt, er wird an schönen Wandertagen von mehreren hundert Wanderern begangen. Auch der getötete Herr war den Weg schon mehrfach gegangen, er wollte eine Freizeitwanderung durchführen, es gibt keinerlei Anhaltspunkte, dass er dabei besondere Risiken, die nicht durch Sicherungsmittel sicher beherrscht sind, auf sich nehmen wollte (dazu auch OLG München, NJWE-VHR 1996, 114 ff - allerdings für das Verhältnis zwischen Mitgliedern einer Bergsteigergruppe).

6.

Der Senat folgt dem Landgericht auch bei der Bemessung des Schmerzensgeldes auf 10.000 EUR.

Bei tödlichen Verletzungen ist, weil der Tod als solcher kein Schmerzensgeld auslöst, auf die Dauer der Beeinträchtigung vor dem Tod abzustellen und zu klären, ob die Körperverletzung eine immaterielle Beeinträchtigung darstellt, die einen Ausgleich in Geld erforderlich macht. Daran kann es ausnahmsweise fehlen, wenn der Tod alsbald, so z.B. eine Stunde nach der Verletzung, eintritt. Ansonsten wirkt es schmerzensgeldmindernd, wenn sich der Verletzte bis zu seinem Tod durchgehend oder überwiegend in einem Zustand der Empfindungsunfähigkeit oder Bewusstlosigkeit befunden hat. Die Leidenszeit ist einer Gesamtbetrachtung zu unterziehen (BGH, NZV 1998, 370 ff.).

Herr erlebte zunächst sein Abstürzen, schlug dann aber mehrfach während des Fallens auch mit dem Kopf an Steinen auf. Er war direkt nach seinem Sturz nicht mehr ansprechbar, hatte massivste innere und äußere Verletzungen und wurde in die Klinik geflogen. Ein Versuch, ihn etwas wacher zu halten, wurde abgebrochen, er starb schließlich 25 Tage nach dem Unfall, ohne das Bewusstsein wieder erlangt zu haben. Er wurde in der Krankenzeit 10 mal operiert. Der BGH (a.a.O.) hielt für einen Unfallverletzten, der 20 Minuten nach dem Unfall noch bei Bewusstsein war und ständig nach seiner beim Unfall getöteten Ehefrau rief, dann ein schmerzstillendes Medikament erhielt, 15 Minuten später ins künstliche Koma versetzt wurde und 10 Tage später verstarb, das vom Tatgericht angesetzte Schmerzensgeld von 28.000 DM für "nicht zu niedrig". In einem anderen Fall hielt der BGH beim Tod 51 Tage nach dem Verkehrsunfall, wobei die weitaus größte Zeit zwischen Unfall und Tod das Bewusstsein gefehlt habe, im Jahre 1994 8.000 DM, somit knapp über 4.000 EUR für rechtsfehlerfrei festgesetzt (MDR 1995, 265). In der übrigen Rechtsprechung findet sich eine große Bandbreite an für vergleichbare Fälle zugesprochenen Beträgen.

Der Senat bewertet erheblich die Todesangst, die Herr vor dem Verlust seines Bewusstseins empfunden haben muss und die Zeit, in der versucht wurde, sein Leben zu retten, die massiven Verletzungen mit der Folge von zehn Operationen und die Erfolglosigkeit des Aufwachversuches bei ansonsten bestehender Bewusstlosigkeit.

III.

Die Kostenentscheidung resultiert aus § 97 ZPO.

Der Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit liegen §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO zu Grunde.

Die Revision war nach § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, weil die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern.

Ende der Entscheidung

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