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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 08.01.2002
Aktenzeichen: 3 Ws 202/01
Rechtsgebiete: ÜberstÜbk, IRG


Vorschriften:

ÜberstÜbk Art. 3 ff.
IRG §§ 48 ff
IRG § 71
1. Ist das Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen vom 31. März 1983 (ÜberstÜbk) anwendbar i.S. von § 1 Abs. 3 IRG, so steht der Umstand, dass ein Überstellungsersuchen des ausländischen Urteilsstaates (noch) nicht vorliegt, der Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Erkenntnisses gegen einen deutschen Verurteilten nicht entgegen. Denn § 49 Abs. 1 Nr. 1 IRG wird dann durch Art. 2 Abs. 3 ÜberstÜbk verdrängt, der zulässt, dass die Bundesrepublik Deutschland als Vollstreckungs- und Heimatstaat des Verurteilten ein Ersuchen stellt.

2. Bevor die Bundesrepublik Deutschland dies tut, kann und muss das gem. §§ 50, 51 IRG zuständige Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft über die Zulässigkeit der Vollstreckung entscheiden, jedenfalls soweit es um die Vollstreckbarerklärung einer Freiheitsstrafe geht (Prinzip der richterlichen Präventivkontrolle von Freiheitsentziehungen). Nur wenn und soweit das Gericht die Vollstreckung zulässt, darf das Ersuchen gestellt werden.

3. Bei Anwendbarkeit des ÜberstÜbk richten sich die Voraussetzungen der Vollstreckbarkeit zunächst nach dessen Art. 3 (§ 1 Abs. 3 IRG). Lässt das IRG in §§ 48 ff. die Vollstreckbarerklärung in weitergehendem Umfange zu, so darf hierauf nicht zurückgegriffen werden, wenn es an einem Überstellungsersuchen des ausländischen Urteilsstaats (noch) fehlt. Stellt das IRG an die Vollstreckbarerklärung strengere Anforderungen als das ÜberstÜbk, so sind diese jedenfalls in dem Umfange, in dem sie auch zwischenstaatlich durch die Erklärungen der Bundesrepublik Deutschland vom 31. Oktober 1991 zu Art. 3 Abs. 1 ÜberstÜbk vorbehalten sind, zu beachten.

4. Die Mindestrestvollzugsdauer von 6 Monaten gem. Art. 3 Abs. 1 c) ÜberstÜbk ist keine im gerichtlichen Zulässigkeitsverfahren der Vollstreckbarerklärung zu prüfende zwingende Voraussetzung der Vollstreckung, da sich die beteiligten Staaten gem. Art. 3 Abs. 2 ÜberstÜbk in Ausnahmefällen auch bei einer kürzeren Mindestrestvollzugsdauer auf eine Überstellung einigen können und die Frage somit der Prüfung im Bewilligungsverfahren vorbehalten ist. Im übrigen berührt eine mögliche Strafrestaussetzung zur Bewährung die Mindestrestvollzugsdauer nicht; die Überstellung kann auch dazu dienen, den Verurteilten in ein Bewährungsrechtsregime einzugliedern.

5. Die Zustimmung des zu einer freiheitsentziehenden Sanktion Verurteilten zur Überstellung muss bei Anwendbarkeit des ÜberstÜbk nicht zwingend zu Protokoll eines Richters erklärt werden, wie es in § 49 Abs. 2 Satz 1 IRG, § 2 Satz 2 ÜAG vorgesehen ist. Vielmehr ist gem. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 ÜberstÜbk das Recht des ausländischen Urteilsstaats maßgeblich.

6. Zur "Gesamt"zeit des an der verurteilten Person bereits vollzogenen Freiheitsentzuges, die gem. Art. 11 Abs. 1 c) ÜberstÜbk anzurechnen ist, gehört auch die Zeit, während der wegen der Tat Untersuchungshaft vollzogen worden ist.


Tatbestand:

Der Verurteilte, ein deutscher Staatsbürger, ist wegen einer Betäubungsmittelstraftat in der Schweizerischen Eidgenossenschaft rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden, die er derzeit dort verbüßt. Er hat um Überstellung in die Bundesrepublik Deutschland gebeten. Das zuständige Justizministerium Baden-Württemberg steht der Überstellung "grundsätzlich positiv" gegenüber. Den Antrag der Staatsanwaltschaft, das schweizerische Urteil für vollstreckbar zu erklären, hat die Strafvollstreckungskammer für "unzulässig" gehalten, weil nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 IRG ein Ersuchen der zuständigen Stelle des ausländischen Staates erforderlich sei, an dem es bislang fehle. Den sofortigen Beschwerden der Staatsanwaltschaft und des Beistandes des Verurteilten hat der Senat stattgegeben und das schweizerische Urteil für vollstreckbar erklärt (§§ 77 IRG, 309 Abs. 2 StPO).

Gründe:

1. Entgegen der Auffassung der Strafvollstreckungskammer ist die Vollstreckbarkeit des Urteils nicht deshalb ausgeschlossen, weil es bislang an einem Ersuchen der Schweizerischen Eidgenossenschaft um Übernahme der Vollstreckung fehlt.

a) Allerdings sieht § 49 Abs. 1 Nr. 1 IRG vor, dass die Vollstreckung nur zulässig ist, wenn eine zuständige Stelle des ausländischen Staates unter Vorlage des vollständigen, rechtskräftigen und vollstreckbaren Erkenntnisses hierum ersucht hat. Ein solches Ersuchen hat das inner- wie zwischenstaatlich zuständige Bundesamt für Justiz des Eidgenössischen Polizei- und Justizdepartements (vgl. Erklärung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 15. Januar 1988 zu Art. 5 Abs. 3 ÜberstÜbk, abgedruckt bei Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 2. Aufl., Teil III 21 S. 67) bislang weder ausdrücklich noch im Zusammenhang gestellt.

b) Jedoch bestimmt Art. 2 Abs. 3 des Übereinkommens über die Überstellung verurteilter Personen vom 31. März 1983 (ÜberstÜbk), das in der Schweizerischen Eidgenossenschaft am 1. Mai 1988 und in der Bundesrepublik Deutschland am 1. Februar 1992 in Kraft getreten ist, dass ein Überstellungsersuchen außer vom Urteilsstaat (vgl. Art. 1 c] ÜberstÜbk: "sentencing state") auch von dem in Aussicht genommenen Vollstreckungsstaat (vgl. Art. 1 d] ÜberstÜbk: "administering state"), hier also von der Bundesrepublik Deutschland, gestellt werden kann. Denn der Vollstreckungsstaat kann als Heimatstaat des Verurteilten (s. Art. 3 Abs. 1 a] ÜberstÜbk) ein Interesse an dessen Rückführung, namentlich auch wegen dessen familiären oder sozialen Bindungen, haben (s. Grotz, in: Grützner/Pötz aaO. Rdn. 6; Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 3. Aufl., Art. 3 ÜberstÜbk Rdn. 6). Nach dem Willen der Übereinkommensgeber soll das Ersuchen des Vollstreckungs- und Heimatstaats des Verurteilten sogar der Normalfall sein (s. Stephan Weber, Überstellung in den Heimatstaat, 1997, S. 205 in Fn. 40). Gem. § 1 Abs. 3 IRG verdrängt diese Völkerrechtslage, die durch beidseitige Ratifikation beidseitig innerstaatliches Recht geworden ist, das in § 49 Abs. 1 Nr. 1 IRG enthaltene zwingende Erfordernis eines Ersuchens des ausländischen Urteilsstaates.

2. Die Vollstreckbarkeit ist auch nicht deshalb unzulässig und eine Vollstreckbarerklärung auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil ein Ersuchen der Bundesrepublik Deutschland um Überstellung des Verurteilten bislang ebenfalls noch fehlt.

a) Ein derartiges Ersuchen, für dessen Stellung das Justizministerium Baden-Württemberg sowohl innerstaatlich (entsprechend Nr. 1 b], Nr. 2 b] und Nr. 3 Zuständigkeitsvereinbarung vom 1. Juli 1993, Bundesanzeiger 1993 S. 6383) als auch zwischenstaatlich (entsprechend der Erklärung der Bundesrepublik Deutschland vom 31. Oktober 1991 zu Art. 5 Abs. 3 ÜberstÜbk, abgedruckt bei Grötzner/Pötz aaO. S. 55) zuständig ist, liegt bislang nicht vor. Insbesondere lässt die im Schreiben des Ministeriums (...) enthaltene Wendung, es stehe einer Überstellung des Verurteilten zur weiteren Strafvollstreckung "grundsätzlich positiv" gegenüber, noch nicht den Bindungswillen erkennen, der für ein Überstellungsersuchen als einer völkerrechtlichen Willenserklärung notwendig ist. Vielmehr befindet sich das Verfahren bislang in der in Art. 4, 6 Abs. 3 ÜberstÜbk vorgesehenen Phase des Austauschs von Informationen und Unterlagen vor Stellung förmlicher Überstellungsersuchen, welche es dem Heimatstaat des Verurteilten ermöglichen soll, ein Überstellungsersuchen vorzubereiten (hierzu Stephan Weber aaO. S. 205 f.).

b) Aus einer Zusammenschau von Vertrags- und innerstaatlichen Recht ergibt sich aber, dass bereits in dieser Phase eine Entscheidung des gem. §§ 50, 51 IRG zuständigen deutschen Gerichts über die Vollstreckbarkeit des ausländischen Erkenntnisses ergehen kann und auch muss.

aa) An sich liegt dem ÜberstÜbk ein "Ersuchensprinzip" zugrunde, wonach die Überstellung nur auf Ersuchen des Urteils- oder Vollstreckungsstaates erfolgt (vgl. Art. 2 Abs. 3, 5 ÜberstÜbk). Aus dieser zwischenstaatlichen Rechtslage folgt aber nicht, dass das ÜberstÜbk einer innerstaatlichen Vollstreckbarkeitsentscheidung vor Stellung eines Ersuchens entgegensteht. Für ein mögliches - nicht zwingendes - innerstaatliches Verfahren der Vollstreckbarerklärung ("Exequaturverfahren") verweist das ÜberstÜbk grundsätzlich auf das innerstaatliche Recht des Vollstreckungsstaates (Art. 11 Abs. 1 Satz 2 ÜberstÜbk) und enthält im übrigen keine Vorgaben betreffend das Vorliegen eines Ersuchens. Auch bei den "Voraussetzungen für die Überstellung" (Art. 3 ÜberstÜbk) ist das Vorliegen eines Ersuchens nicht erwähnt. Dafür, dass das ÜberstÜbk Raum für eine Vollstreckbarkeitsentscheidung vor Stellung eines Überstellungsersuchens lässt, spricht namentlich Art. 6 Abs. 3 ÜberstÜbk, wonach ein Staat um Übermittlung der relevanten Unterlagen und Erklärungen bitten kann, bevor er um Überstellung ersucht.

bb) Die insgesamt offene Vertragsrechtslage führt dazu, dass die Frage, ob eine Vollstreckbarkeitsentscheidung bereits vor Stellung des Überstellungsersuchens ergehen kann oder muss, nach den Prinzipien und dem System des innerstaatlichen deutschen Rechts zu entscheiden ist. Über die Zulässigkeit einer Freiheitsentziehung im Geltungsbereich des Grundgesetzes muss ein deutscher Richter entscheiden, und zwar im Grundsatz vor Beginn der Freiheitsentziehung (Art. 104 GG). Dieses Prinzip der richterlichen Präventivkontrolle liegt dem deutschen innerstaatlichen Auslieferungsrecht (§ 12 IRG), aber auch dem Vollstreckungshilferecht zugrunde (§§ 56 Abs. 1, 71 Abs. 4 IRG). Aus diesem Grunde hat die Bundesrepublik Deutschland zum ÜberstÜbk erklärt, dass sie "die Vollstreckung von Sanktionen nur unter der Voraussetzung übernehmen (wird), dass ein deutsches Gericht das im Urteilsstaat ergangene Urteil für vollstreckbar erklärt hat" (Erklärung der Bundesrepublik Deutschland vom 31. Oktober 1991 zu Art. 3 Abs. 3 ÜberstÜbk, abgedruckt bei Grützner/Pötz aaO. S. 54; Hervorhebung vom Senat). Innerstaatlich lässt sich das ohne weiteres verwirklichen, wenn die Bundesrepublik Deutschland vom ausländischen Urteilsstaat um Übernahme der Vollstreckung des ausländischen Erkenntnisses ersucht wird; dann ist der 4. Teil des IRG (§§ 48 ff.) unmittelbar anwendbar. Ersucht hingegen die Bundesrepublik Deutschland als Heimatstaat des Verurteilten den ausländischen Urteilsstaat um Übernahme der Vollstreckung des ausländischen Erkenntnisses, so ist nach der Systematik des IRG an sich dessen 6. Teil (§§ 68 ff.) über ausgehende, d.h. an das Ausland gerichtete Ersuchen anwendbar. Dort finden sich aber nur Vorschriften über ausgehenden Ersuchen um Vollstreckung deutscher Erkenntnisse (§ 71 IRG), also zu Fällen, in denen bereits ein deutscher Richter entschieden hat. In diesen - und nur in diesen - Fällen ist es möglich, auf eine weitere richterliche Präventivkontrolle überhaupt zu verzichten, wie es § 1 Gesetz zur Ausführung des Übereinkommens vom 21. März 1983 über die Überstellung verurteilter Personen (Überstellungsausführungsgesetz - ÜAG) in der Tat vorsieht. Die somit auffindliche innerstaatliche Regelungslücke ist im Wege einer Gesamt- und Rechtsanalogie in der Weise zu schließen, dass, will die Bundesrepublik Deutschland gem. Art. 2 Abs. 3 ÜberstÜbk ein Ersuchen um Übernahme der Vollstreckung einer im Ausland rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe stellen, zuvor das gem. §§ 50, 51 IRG zuständige deutsche Gericht über die Zulässigkeit der Vollstreckungsübernahme entscheiden kann und auch muss. Nur wenn und soweit das deutsche Gericht die Vollstreckbarkeit bejaht, darf ein Ersuchen gestellt werden.

c) Ein derartiges Verfahren ist auch sinnvoll. Einerseits werden die Bewilligungsbehörden von der Zumutung enthoben, Überstellungsersuchen unter dem Vorbehalt der innerstaatlichen Vollstreckbarerklärung stellen und ggf. - bei negativer Entscheidung des Landgerichts - zurücknehmen zu müssen. Andererseits führt eine Vollstreckbarkeitserklärung in Verbindung mit dem gem. Art. 2 Abs. 1 i.V. mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete Anspruch des Verurteilten auf Resozialisierung dazu, dass es nur bei Vorliegen besonderer Gründe ermessensfehlerfrei sein wird, auf ein Überstellungsersuchen zu verzichten (s. hierzu BVerfGE 96, 100 [114 ff.]).

3. Die Vollstreckung des Urteils ist hinsichtlich der ausgeurteilten Freiheitsstrafe zulässig.

a) Gem. § 1 Abs. 3 IRG richten sich die Voraussetzungen der Vollstreckbarerklärung nach dem ÜberstÜbk, vor allem nach dessen Art. 3, soweit dieser unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden ist. Entgegen dem Grundsatz, dass Rechtshilfeverträge nur Mindestrechte bzw. -pflichten der beteiligten Staaten begründen und die Leistung weitergehender Rechtshilfe nicht ausschließen (s. nur Vogel in: Vogler/Wilkitzki, IRG = Grützner/Pötz aaO. Teil 1 A 2, § 1 Rdn. 25), kann auch nicht insoweit auf das IRG zurückgegriffen werden, als dieses die Vollstreckbarkeit in weiterem Umfange zulässt als das ÜberstÜbk, da es im vorliegenden Fall gerade auf die Geltung des ÜberstÜbk ankommt (s. oben 1.). Soweit das IRG hingegen strengere Anforderungen an die Vollstreckbarerklärung stellt als das ÜberstÜbk, sind diese Anforderungen jedenfalls in dem Umfange, in dem sie auch zwischenstaatlich durch die Erklärungen der Bundesrepublik Deutschland vom 31. Oktober 1991 zum ÜberstÜbk (abgedruckt bei Grützner/Pötz aaO. S. 52 ff.) vorbehalten sind (hierzu Stephan Weber aaO. S. 165 ff., 189 ff.), zu beachten. Nach diesen Grundsätzen gilt im einzelnen:

b) Art. 3 Abs. 1 a) ÜberstÜbk - deutsche Staatsangehörigkeit des Verurteilten

Der Verurteilte ist deutscher Staatsangehöriger und damit jedenfalls Deutscher i.S. von Art. 116 Abs. 1 GG (Erklärung der Bundesrepublik Deutschland vom 31. Oktober 1991 zu Art. 3 Abs. 4 ÜberstÜbk, abgedruckt bei Grützner/Pötz aaO. S. 54 f.).

c) Art. 3 Abs. 1 b) ÜberstÜbk, §§ 48, 49 Abs. 1 Nr. 1 IRG - Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des Urteils

Das Urteil ist nach dem maßgeblichen schweizerischen Recht (BGHSt 20, 198 [200 f.]) rechtskräftig und vollstreckbar.

d) Art. 3 Abs. 1 c). Abs. 2 ÜberstÜbk - Mindestrestvollzugsdauer

Nach der Auffassung des Senats ist die Mindestrestvollzugsdauer von 6 Monaten nach Art. 3 Abs. 1 c) ÜberstÜbk keine im Zulässigkeitsverfahren zu prüfende zwingende Vollstreckbarkeitsvoraussetzung (vgl. auch Vogler, in: Vogler/Wilkitzki aaO. § 54 Rdn. 18). Denn die beteiligten Staaten können sich in Ausnahmefällen auch dann auf eine Überstellung einigen, wenn die Mindestrestvollzugsdauer nicht eingehalten ist (Art. 3 Abs. 2 ÜberstÜbk). Damit bleibt die Frage aber insgesamt dem Bewilligungsverfahren vorbehalten. Im übrigen ist zu bemerken (vgl. Vogler aaO.; Schomburg/Lagodny aaO. § 54 Rdn. 16): Die Restvollzugsdauer beträgt derzeit über 23 Monate, so dass die Mindestrestvollzugsdauer auch unter Berücksichtigung des noch bis zur Stellung eines Überstellungsersuchens verstreichenden Zeitraumes deutlich überschritten sein wird. Dass mit Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe am 21. Juni 2002 nach schweizerischem Recht eine bedingte Entlassung (Art. 38 Schweiz; StGB) bzw. nach deutschem Recht, das nach Überstellung anwendbar ist (Art. 9 Abs. 3 ÜberstÜbk), eine Strafrestaussetzung zur Bewährung (§ 57 StGB) in Betracht kommt, führt nach Auffassung des Senats für sich nicht zu einer Unterschreitung der Mindestrestvollzugsdauer. Ähnlich wie bei Art. 54 SDÜ (hierzu BGHSt 46, 187 [189]) ist zu bedenken, dass in der Probezeit die Rückversetzung angeordnet bzw. bei laufender Bewährung die Strafaussetzung widerrufen werden kann; auch kann der bedingt bzw. zur Bewährung Entlassene Weisungen bzw. Auflagen unterliegen. Zudem dient die Probe- bzw. Bewährungszeit in besonderem Maße der Resozialisierung des Verurteilten, der zu dienen das ÜberstÜbk im allgemeinen und das Erfordernis der Mindestrestvollzugsdauer im besonderen (hierzu Stephan Weber aaO. S. 182) bestimmt sind. Im vorliegenden Fall kann die Vollstreckungsübernahme insbesondere dazu dienen, den Verurteilten in das deutsche Bewährungsrechtsregime einzugliedern und ihn so zu resozialisieren.

e) Art. 3 Abs. 1 d), 7 ÜberstÜbk. §§ 49 Abs. 2 IRG, 2 ÜAG - Zustimmung des Verurteilten

Aus den Gesuchen des Verurteilten um Überstellung (...) ergibt sich, dass der Verurteilte der Überstellung zustimmt. Der Senat ist auch zu der Überzeugung gelangt, dass diese Zustimmung i.S. von Art. 7 Abs. 1 Satz 1 ÜberstÜbk freiwillig und in vollem Bewusstsein ihrer rechtlichen Folgen erteilt worden ist, zumal dem Verurteilten im hiesigen Verfahren gem. § 53 Abs. 2 Nrn. 1, 3 IRG ein Rechtsanwalt als notwendiger Beistand bestellt worden ist. Ob der Bundesrepublik Deutschland bereits entsprechend Art. 7 Abs. 2 ÜberstÜbk Gelegenheit gegeben worden ist, Freiwilligkeit und Informiertheit der Zustimmung zu überprüfen, kann dahingestellt bleiben, da es sich hierbei nicht um eine selbständige Voraussetzung der Zulässigkeit der Vollstreckung handelt. Allerdings fehlt es bislang an einem richterlich protokollierten Einverständnis, wie es nach innerstaatlichem deutschen Recht an sich vorgesehen ist, §§ 49 Abs. 2 Satz 1 IRG, 2 Satz 1 ÜAG. Der Senat ist jedoch der Auffassung, dass es dieser Form vorliegend nicht bedarf. Nach Art. 7 Abs. 1 Satz 2 ÜberstÜbk richtet sich das Verfahren für die Zustimmung, d.h. die Modalitäten und Förmlichkeiten der abzugebenden Erklärung (Stephan Weber aaO. S. 185), nach dem Recht des Urteilsstaates, vorliegend also nach schweizerischem Recht. Der einschlägige Art. 101 Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfegesetz - Schweiz. IRSG) legt für die Zustimmung des Verurteilten weder ein besonderes Verfahren noch eine besondere Form fest; wie sich im Gegenschluss zu Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Schweiz. IRSG ergibt, ist nicht einmal Schriftform erforderlich. Diese Regelung verdrängt gem. § 1 Abs. 3 IRG das Verfahrens- und Formerfordernis nach § 49 Abs. 2 Satz 1 IRG. Die Erklärung der Bundesrepublik Deutschland vom 31. Oktober 1991 zu Art. 7 Abs. 1 ÜberstÜbk (abgedruckt bei Grützner/Pötz aaO. S. 55) bezieht sich ausschließlich auf die Frage der Widerruflichkeit des Einverständnisses. Auch § 2 ÜAG berührt diese Rechtslage nicht. Denn diese Vorschrift bezieht sich auf Art. 7 Abs. 1 ÜberstÜbk und damit auf den Fall, dass gemäß dessen zweitem Satz deutsches Recht maßgeblich ist, weil die Bundesrepublik Deutschland Urteilsstaat - und nicht, wie vorliegend, Vollstreckungsstaat - ist. Mit anderen Worten bezieht sich § 2 ÜAG nur auf Fälle des § 71 IRG - weshalb auch die Regierungsbegründung zu § 2 ÜAG mit Recht nur auf § 71 Abs. 2 Satz 2 und 3 IRG eingeht (BT-DrS. 12/195 S. 6).

f) Art. 3 Abs. 1 e) ÜberstÜbk. § 49 Abs. 1 Nr. 3 IRG - beidseitige Strafbarkeit

Die der Überstellung zugrundeliegende Tat ist bei - zulässiger (Schomburg/Lagodny aaO. Art. 3 ÜberstÜbk Rdn. 14; Stephan Weber aaO. S. 187) -sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts, konkreter und formeller - d.h. auf der Grundlage der Feststellungen im ausländischen Erkenntnis erfolgender (vgl. Art. 11 Abs. 1 a] ÜberstÜbk) - Prüfung beidseitig strafbar. Hätte der Verurteilte ca. 3 kg Heroin mit einem Wirkstoffgehalt von ca. 400 g in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt (was auch dann der Fall gewesen wäre, wenn das Betäubungsmittel im Zeitpunkt der Grenzüberschreitung bereits unter zollamtlicher Kontrolle gestanden hätte, BGH NStZ 1986, 274) und hätte er bei der Kontrolle einen gefälschten (...) Führerschein vorgezeigt, so hätte er sich gem. §§ 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG, 267 Abs. 1 letzte Variante StGB strafbar gemacht.

g) Art. 3 Abs. 1 f) ÜberstÜbk - Einigung

Das Einigungserfordernis nach Art. 3 Abs. 1 f) ÜberstÜbk ist nur Ausdruck des das ÜberstÜbk beherrschenden Freiwilligkeitsprinzips und rein zwischenstaatlicher Natur, so dass es dem Bewilligungsverfahren zugeordnet bleibt. Im Zulässigkeitsverfahren ist lediglich negativ zu prüfen, ob nach Lage der Dinge eine Einigung von vornherein ausgeschlossen ist. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Das Justizministerium Baden-Württemberg steht der Überstellung "grundsätzlich positiv" gegenüber. Auch der früher strafvollzugszuständige K (...) sah "keinerlei Nachteil" darin, dem Antrag stattzugeben. Weiterhin hat sich das eidgenössische Bundesamt für Justiz bislang ausgesprochen kooperativ verhalten.

h) § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG i.V. mit der Erklärung der Bundesrepublik Deutschland vom 31. Oktober 1991 zu Art. 3 Abs. 1 ÜberstÜbk (abgedruckt bei Grützner/Pötz aaO. S. 53) - Ordnungsgemäßheit des ausländischen Verfahrens

Das schweizerische Verfahren genügt den Anforderungen des § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG. Dem Verurteilten wurde rechtliches Gehör gewährt; er wurde durch einen Pflichtverteidiger verteidigt; und die Strafe wurde von einem unabhängigen Gericht verhängt. Auch die in der Erklärung der Bundesrepublik Deutschland vom 31. Oktober 1991 zu Art. 3 Abs. 1 ÜberstÜbk präzisierten Anforderungen sind erfüllt, da das schweizerische Strafverfahren mit der EMRK nebst für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getretenen Ergänzungen im Einklang stand. Insbesondere war eine Dolmetscherin beigezogen (Art. 6 Abs. 3 e] EMRK).

i) § 49 Abs. 1 Nr. 4 IRG i.V. mit der Erklärung der Bundesrepublik Deutschland vom 31. Oktober 1991 zu Art. 3 Abs. 1 ÜberstÜbk - Vollstreckungsverjährung

Vollstreckungsverjährung nach deutschem Recht ist bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts nicht eingetreten. Gem. § 79 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 6 StGB beträgt die Verjährungsfrist bei einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten 10 Jahre ab Rechtskraft des Urteils.

j) § 49 Abs. 1 Nr. 5 IRG i.V. mit der Erklärung der Bundesrepublik Deutschland vom 31. Oktober 1991 zu Art. 3 Abs. 1 ÜberstÜbk - ne bis in idem

Zwar ist für die Tat gem. § 7 Abs. 2 Nr. 1, ggf. auch gem. § 6 Nm 5, 9 StGB die deutsche Gerichtsbarkeit eröffnet. Eine der in § 9 Nr. 1 IRG genannten Entscheidungen ist in der Bundesrepublik Deutschland aber nicht ergangen, sondern nur eine Einstellungsverfügung gem. § 153 c Abs. 1 Nr. 3 StPO.

k) § 49 Abs. 3 IRG - Sanktionsnatur

Da das Verfahren gem. §§ 50 ff. IRG kein Antragsverfahren im technischen Sinne ist (vgl. § 50 Satz 2 IRG), ist auch über die Vollstreckbarkeit der weiteren Strafen oder sonstigen Sanktionen im Urteil zu entscheiden. Eine Landesverweisung (Art. 55 Schweiz. StGB) kennt das deutsche Recht als Sanktion nicht, weshalb sie nicht für vollstreckbar erklärt werden kann (§ 49 Abs. 3 IRG); im übrigen ist es der Bundesrepublik Deutschland unmöglich, eine Landesverweisung in bezug auf schweizerisches Territorium zu vollstrecken. Vielmehr bleibt die Landesverweisung in der Schweizerischen Eidgenossenschaft weiterhin vollstreckbar, da insoweit die Vollstreckung von der Bundesrepublik Deutschland nicht übernommen wird (vgl. Art. 8 ÜberstÜbk). Einer Vollstreckbarerklärung der Einziehungs- und Vernichtungsanordnung bedarf es nicht, da der Senat nach der Lebenserfahrung davon ausgeht, dass die eidgenössischen Behörden die Anordnung längst vollzogen haben.

4. Die Freiheitsstrafe ist auf 4 Jahre und 6 Monate festzusetzen; auf sie sind sowohl Straf- als auch Untersuchungshaft anzurechnen.

a) Gem. Art. 9 Abs. 1 b), 11 Abs. 1 ÜberstÜbk, 54 Abs. 1 Satz 2 IRG ist die vom Gericht ausgeurteilte Freiheitsstrafe in die ihr im deutschen Recht am meisten entsprechende Sanktion, also gleichfalls eine Freiheitsstrafe, umzuwandeln. Das Strafmaß ist zu übernehmen. Eine Strafschärfung ist grundsätzlich ausgeschlossen (Art. 11 Abs. 1 d] ÜberstÜbk, § 54 Abs. 1 Satz 3 erster Halbsatz IRG). Eine Milderung wegen Höchstmaßüberschreitung (§ 54 Abs. 1 Satz 3 zweiter Halbsatz, Satz 4 IRG) scheidet vorliegend aus, weil das Höchstmaß nach deutschem Recht vorliegend 15 Jahre betragen hätte.

b) Gem. Art. 11 Abs. 1 c) ÜberstÜbk ist die Gesamtzeit des an der verurteilten Person bereits vollzogenen Freiheitsentzugs anzurechnen. Dazu gehört nicht nur die Strafhaft, die der Verurteilte in der Schweizerischen Eidgenossenschaft verbüßt hat und bis zur Überstellung noch verbüßen wird, sondern auch die vollzogene Untersuchungshaft (vgl. Schomburg/Lagodny aaO. Art. 11 ÜberstÜbk Rdn. 5). Im übrigen kann die Untersuchungshaft auch gem. § 54 Abs. 4 Satz 1 IRG angerechnet werden. Zwar liegt dieser Vorschrift der Gedanke zugrunde, dass nur der Urteilsstaat über die Anrechnung von Untersuchungshaft befinden soll (vgl. Schomburg/Lagodny aaO. § 54 IRG Rdn. 14). Die Anrechnung von Untersuchungshaft ist aber auch nach schweizerischem Recht geboten (Art. 171 schweizerisches Bundesgesetz über die Strafrechtspflege - Schweiz. BStP) und vorliegend auch im Urteilstenor ausgesprochen worden. Im übrigen bietet der Fall keinen Anlass, auf die Frage einer Ermessensentscheidung über den Anrechnungsmaßstab einzugehen (s. hierzu OLG Frankfurt a.M., unveröff. Beschl. v. 18. Juni 1996, 3 Ws 498/96; Vogler, in: Vogler/Wilkitzki aaO. § 54 Rdn. 8, 17).

Ende der Entscheidung

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